Warum zwei früh mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Regierungschefs so unterschiedlich wirkten.
Warum zwei früh mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnete Regierungschefs so unterschiedlich wirkten.
Und was das über „unsere Zeit“ (!?) aussagt.
Epilog und Synopsis – „Post-Neoismen 7“
von Stefan Frischauf
Für G.R., S.G.P. und S.A.P
und meine Eltern
Inhalt
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Die Gegenwart ist übermächtig.
In ihrer Verdrängung.
Von Vergangenheit. Und Zukunft.
Von Sein.
Und Werden. -
„Warum wir nach Hiroshima kommen.“
Und „warum wir in Warschau niederknien.“ -
Friedensnobelpreise: Zeichen globaler Hoffnungen?
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Kriege seit 2001 und die erneute Zerrissenheit der Welt
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Große Kämpfer für Frieden und Gerechtigkeit und ihr Schicksal
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Hoffnung auf eine glückliche und friedvolle Zukunft
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Bildung und (politische) Willensbildung: Sein und Werden
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Nachkriegsordnungen
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Deutschland: „falscher Frieden“, „wahrer Krieg“ oder –
wie steht’s um „die Würde des Menschen“?
1. | Die Gegenwart ist übermächtig. In ihrer Verdrängung. Von Vergangenheit. Und Zukunft. Von Sein. Und Werden. |
„71 Jahre zuvor. An einem hellen und wolkenlosen Morgen. Der Tod fiel vom Himmel. Und die Welt war verändert. Ein Lichtblitz und eine Feuerwand zerstörten eine Stadt. Und diese zeigten, dass die Menschheit die Mittel besaß, sich selbst zu zerstören.“
So beginnt Ex-US-Präsident Barack Obamas Rede in Hiroshima im Mai 2016.
Immerhin ist er am Ende seiner zweiten Amtszeit der erste US-Präsident, der den Ort besucht, an dem die erste Atombombe im Kriegseinsatz von den US gezündet wurde. Der daran erinnert. An ein Ereignis, das wie so viele Kriegsereignisse höchst ambivalent beurteilt wird: als Kriegsverbrechen. Oder als Notwendigkeit, um das Grauen des Krieges zu beenden. 71 Jahre, also mehr als zwei Generationen danach.
Aber seine Rede stellt den Krieg in erster Linie als dem Menschen eigenes, in seiner Natur geradezu festgeschriebenes Geschehen dar.2
„Genetisch verwurzelt in der Geschichte des Menschen“.
Wird mancher behaupten.
„Instinktiv bedingt“. Oder „stammesgeschichtlich verwurzelt“.
Könnte man stattdessen auch sagen.
Beides stellt Homo Sapiens Sapiens in einen anderen zivilisatorischen Kontext.
Das „Instinktive“ betont das Tierische, das Animalische. Das, was Homo Sapiens eigentlich als „Krone der Schöpfung“ überwinden lernen sollte.
Das „Stammesgeschichtliche“ indes widerspricht dem Anspruch des „Welt-gewandten“. Des „Globalen“. Insofern widerspricht es auch dem Anspruch einer „aufgeklärten und globalisierten Weltordnung“. Als extrinsische und zugleich auch zu einem gewissen Grade intrinsische Faktoren und Impulse sollten diese durch den sich solchermaßen weit in seiner Evolution wähnenden Menschen überwindbar sein.
Der Unterschied zur Festschreibung im Genom als allein existierender intrinsisch- extrinsisch verkapselter Faktor ist die Dialogfähigkeit:
Das Tier wird seine klügsten Instinkte zum eigenen Überleben und Weiterleben seiner Verwandten entwickeln. Und die Möglichkeit, aus dem Erfahrungsschatz der Stammesältesten zu schöpfen, sie zu befragen, um Entscheidungen zwischen Vergangenheit und Gegenwart auszutarieren erweitert auch hier ganz wesentlich die Entwicklungsmöglichkeiten. Die Zukunft wird so zum „Zeitfenster“.
Ein Fenster, das Möglichkeiten und Gelegenheiten bietet.
Barack Obama beschreibt im weiteren Verlauf seiner Rede in Hiroshima auch die Utopie der Überwindung des Krieges. Für unsere Kinder.
Die Erkenntnis, dass wir alle eine Familie sind, spricht er als Notwendigkeit aus.
Und als Grund, warum „wir nach Hiroshima kommen“.
2. | „Warum wir nach Hiroshima kommen.“ Und „warum wir in Warschau niederknien.“ |
25 Jahre, also gerade einmal eine Generation nach Ende des 2. Weltkrieges war der erste Besuch eines westdeutschen Regierungschefs in Polen ein viel erwartetes Ereignis.
Egon Bahr, Berater und Freund von Willy Brandt und manchmal auch als „Architekt der Ostpolitik“ bezeichnet, kam am Ende der Entourage an diesem geschichtsträchtigen Tag zum Mahnmal an jenem Ort, an dem einmal das Warschauer Ghetto gewesen war. Das Gemurmel unter den Journalisten vor ihm erreichte sein Ohr: „Er kniet!“. Egon Bahr selbst konnte diese Geste der Demut, der Kondolenz und der Ehrerbietung wahrscheinlich zuerst gar nicht sehen. Er schildert seine Überraschung ob der Geste des Niederkniens und die Aussage Brandts am Abend dann an der Hotelbar in Warschau:
„Ich hatte plötzlich das Gefühl, Kranz Niederlegen reicht nicht.“ 4
Marek Edelmann, Überlebender des Warschauer Ghettos dazu denn auch:
„Das war ein Einschnitt, nicht nur im Bewusstsein der polnischen Gesellschaft, sondern in der Welt, dass sich etwas in Deutschland verändert hat. […] Willy Brandt hat diese Geste nicht nur für sich persönlich getan, sondern im Namen der deutschen Gesellschaft, und das war etwas Großes.“ 1
Die Bitte um Verzeihung ist eine aktive Tat.
Da springt jemand über den langen Schatten der Vergangenheit und öffnet das Fenster für eine bessere – eine geläuterte Zukunft weit auf.
Willy Brandt wurde Zeit seiner Regierung – Zeit seines Lebens auch heftig dafür angefeindet. Er, der gar im aktiven Widerstand gegen Hitler und die Nazis war konnte so leicht als „Vaterlandsverräter“ und allerhand mehr beschimpft werden.
Seine Geste – „unser Niederknien“ entspringt einem zutiefst menschlichen Impuls. Der Sehnsucht nach Frieden. Eine Geste von jemandem, der zudem den Krieg er-und überlebt hat. Zwischen den Fronten. Der so die tiefen Wunden von Krieg und Zerstörung, von Bruder- und Schwestermord, die er bezeugt hat reinigt und vorsichtig versorgt. Seine eigenen Wunden und die seiner Nächsten. Und die der anderen, die auch Teilen seiner Nächsten einst als Feinde gegenüberstanden.
Tätern und Opfern. Abseits vom Protokoll.
3. | Friedensnobelpreise: Zeichen globaler Hoffnungen? |
1971 erhielt der von 1969 bis 1974 amtierende vierte Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland Willy Brandt den Friedensnobelpreis für die Ostpolitik. Für seine und Egon Bahrs Politik der Versöhnung denn auch zwischen Tätern und Opfern jener dunkelsten Phase jüngerer deutscher Geschichte.
Die Ostverträge, „Wandel durch Annäherung“: es gibt viele große und kleine Schritte, die diese Politik des Ausgleichs und der Versöhnung ausmachen. Der Kniefall war der symbolträchtigste Schritt.
1973 erhielten Henry Kissinger und Le Durc Tho den Friedensnobelpreis für das Waffenstillstandsabkommen von Vietnam. Le Durc Tho nahm den Preis nicht an. Er begründete dies mit der Aussage, dass in seinem Land noch immer kein Frieden herrsche.5
2009, zu Beginn seiner Präsidentschaft erhielt Barack Obama den
Friedensnobelpreis „für seine außergewöhnlichen Bemühungen, die internationale Diplomatie und die Zusammenarbeit zwischen den Völkern zu stärken“.6
Gerade das Beispiel des Vietcong-Kämpfers Le Durc Tho zeigt die Tragik und Zerrissenheit des Krieges. Und des Kämpfers selbst darin. Aber auch die tiefe Sehnsucht nach Frieden. Nach Ausgleich und Versöhnung.
Etwas, was im Kosmos des Vietcong-Kämpfers primär sein zerrissenes Land Vietnam betraf. Etwas, was heute viel größere Teile der Welt umfassen muss.
Vielleicht gar im Sinne der „Globalisierung“ den ganzen Erdball.
Nafeez Mosaddeq Ahmed zeigt hier exemplarisch im Dialog mit anderen progressiven und unabhängigen Experten und Kennern der Region anhand von geleakten Quellen von US-Militär-Dokumenten verschiedener hochrangiger Dienste aus den Jahren 2011-2016, dass:
a) eine “Demokratisierung” Syriens nie wirkliche Option der US-Politik seit 2011 war,
b) dass auch “Regime Change” nie wirklich eine Option war und man stattdessen “nur” oder “höchstens” eine Schwächung des Assad-Regimes durch “infiltrierende Unterstützung von oppositionellen Gruppen” – Jihadisten selbstverständlich inklusive erreichen wollte oder konnte,
c) dass letztlich es alleine um eine Schwächung des schiitischen / iranischen Einflusses in der Region ging,
d) dass man im Prinzip jetzt die Türkei als regionalen Partner dort alleine mit dem Chaos lässt.
Dies zeigt indes, wie krank alles, was hier derzeit auch medial bei uns kolportiert und politisch debattiert wird ist:
1. Iran und Türkei als regionale Kontrahenten in diesem Chaos stehen beide mit dem Rücken zur Wand. Sozusagen:
kurz vor dem Staatsbankrott.
2. Andere regionale “Luntenleger” – darunter Saudi-Arabien auf der einen und Israel auf der anderen Seite versuchen weiter aktiv diese Schwächen zu nutzen und weiter zu zündeln.
3. “Demokratisierung” haben auch diese “lokalen Mächte” als Letztes auf der Agenda.
Es handelt sich auch bei der zuletzt fortschreitenden Destabilisierung zwischen einem in Folge des Überfalls durch die “Koalition der Willigen” 2003 schwachen Irak gegen den ohnehin angeschlagenen Iran um “Infiltrationsmaßnahmen” verschiedener Seiten, die alles, nur nicht “nachhaltige Befriedung”, geschweige denn “demokratische Strukturen für prosperierende Völkerschaften” auf der Agenda haben.
Man könnte jetzt also zynisch fragen, ob es sich bei der “Eskalation des syrischen Bürgerkrieges” um eine Art “Betriebsunfall der Geschichte” handelt. Darauf könnte man klug antworten, dass jeder Krieg so eine Dummheit darstellt.
Weiterhin könnte man klug fordern, dass dieser Schwachsinn endlich aufhört. Von “Gemeinschaften”, die sich auf Werte von Aufklärung etc. berufen, sollte man dies erwarten dürfen.
Als in einem sich demokratisch wähnenden Staat lebender Mensch, in dem die “Würde des Menschen” wichtigster Grundsatz einer Verfassung ist, sollte man eine Beendigung dieser würdelosen Scheindebatten in seinem Teil der “Wertegemeinschaft” fordern. Jetzt.
Und ernsthafte Bemühungen, eine Nachkriegsordnung mit Partnern dort in der Region aufzubauen.
https://mondediplo.com/outside-in/syria-democracy-documents