„Fluchtursachen bekämpfen?“

Warum Länder wie Afghanistan dauerhaft scheitern. Und wir mit ihnen.
„Globalisierung“, die höchstens dem „1%“ Glück bringt.

„Post-Neoismen 6“

(Teil 5 hier)

von Stefan Frischauf

Asheqan wa Arefan, Altstadt Kabul 2009

Die am schnellsten wachsende Stadt in Zentralasien =
das größte Flüchtlingslager nicht nur Afghanistans

Dies betrifft im Falle der noch Anfang der 2000er Jahre 2-3, inzwischen 5-6 Mio. Einwohner zählenden afghanischen Hauptstadt Kabul:

  1. „Kriegsflüchtlinge“ aus den seit erneutem Kippen des Landes 2008/09 immer stärker umkämpften Provinzen.
  2. „Landflüchtlinge“ aus dem Umland, denen die Stadt mit ihrem enormen Wasserverbrauch und Großgrundbesitz dort selbst zusehends das Wasser für Subsistenzlandwirtschaft und andere Formen des Lebensunterhalts abgräbt.
  3. Gleichzeitig „Klimaflüchtlinge“ auch aus dem Umland und von weiter her, die in Folge von ausbleibenden Niederschlägen und Schneeschmelzen von Hindukusch und Pamirgebirge ihren Schollen auf Tälern und Hochebenen des trocken ariden Landes kaum noch Erträge zum Nähren der gesamten Familie abringen können.
  4. „Wirtschaftsflüchtlinge“: siehe 1-3 hier. Man hofft ja schließlich, irgendwo „Boden unter den Füßen“: Sicherheit und ein ganz kleines bisschen Glück zu finden. Zumal die „Wirtschaftsentwicklung ja grundsätzlich dem Glück des Volkes“1 dienen soll.

Diese alle suchen also Zuflucht am „sichersten Ort Afghanistans“. Die Hauptstadt mit Sitz von Regierung und nationalen und internationalen Organisationen:
UN und viele andere „Nicht-Regierungs-Organisationen“ (NGOs).

Und diese Migrations- und Fluchtbewegungen sind zudem begleitet von

  1. hohen Geburtenraten, da wir uns in einem Feudalstaat im Umbruch ohne staatliche Sozialversicherungssysteme befinden,
  2. zunehmender „(Neo-)Liberalisierung“ allen Rechts = Aufwertung von Privatrecht (Vermögen, Landeigentum etc.) und Abwertung von traditionellen Formen des Gemeinschaftsrechtes (Dorf- und Stammesrechte wie etwa das Paschtunwali2),
  3. im Zuge dessen denn auch zunehmenden Konflikten bei „öffentlicher und privater Daseinsvor- und -fürsorge“.

Und das alles in einem seit 1955 bankrotten, also lange vor der eigentlichen Definition dieses Begriffes „gescheiterten Staat“. Es handelt sich mithin also um eine „falsche“ oder „Zuschussökonomie“. Ein „gescheiterter Staat“, der

  • seit mehr als 40 Jahren geostrategisch zwischen die Fronten geraten ist,
  • dabei Begehrlichkeiten für Rohstoffe vieler Art und mehr weckt,
  • deswegen mehrfache System- und Besatzerwechsel durchlebt hat,
  • in dem also ein „asymmetrischer Kriegs- und Belagerungszustand“ dauerhaft geworden ist.

Dazu kommen, bezogen auf Wasser als „Grundelement der Daseinsvorsorge“ jetzt wieder explizit in der Hauptstadt Kabul, aber durchaus stellvertretend ähnlich auch für andere Städte und Gemeinden im Lande geltend:

  • kein wirklicher Zugang zu sauberem Trinkwasser für weite Teile der Bevölkerung,
  • zerstörte und vernachlässigte Infrastrukturen,
  • private, unkoordinierte Brunnenbohrungen,
  • ein von 2-3 auf 6-8 Meter und mehr abgesunkener Grundwasserspiegel im die Stadt beheimatenden Kabul-Tal.

Die Überlagerung von „globalen mit lokalen Interessen“ in diesem Zusammenhang lässt sich recht gut an der südlich von Kabul gelegenen Provinz Logar3 und der Rolle dieser Region auch für die Wasserversorgung der Stadt beschreiben:

  • Kabul, also primär „KURP – Kabul Urban Regeneration Project“ als mehr oder weniger allein von der Weltbank finanzierte Institution planen Tiefbrunnen und ggf. neue Staustufen als Wasserspeicher in Logar.
  • Auch diese recht grüne Provinz leidet zusehends unter Wassermangel.
  • Ein großes Grabungsfeld der buddhistischen Stadt Mes Aynak4 aus der Gandhara Hochkultur befindet sich dort an gleicher Stelle wie
  • ein gigantisches Kupfervorkommen, für das eine chinesische Bergbaugesellschaft sich früh, 2007 / 08 die Schürfrechte gesichert hat. Und
  • Erze und Mineralien werden gewöhnlich zumeist mit Arsen ausgewaschen. Was der „Genießbarkeit des Trinkwassers“ nicht unbedingt gute Dienste tut. Es sei denn, man bedient sich teurer Wasseraufbereitungsanlagen.

Aber genau darin liegt das Hauptproblem nicht nur in Kabul selbst:
Öffentliche Wasserversorgung ohne entsprechend abgestimmte Klärungs- und Wiedergewinnungsverfahren verschärft alle vorher dargelegten Interessenskonflikte.

Fluchtursachen bekämpfen heißt Grundlagen
für Interessensausgleiche vor Ort bilden

Das heißt: es gilt, gesetzliche Grundlagen zu schaffen, um

  1. den mächtigen „Privatiers“ = „Landlords“ / „potentielle Warlords“ = Feudalherren die Angst vor „kalter Enteignung“ zu nehmen. Dies geschieht durch das Aushandeln und Anbieten von Kompensationsmaßnahmen („Baulasten“, Grundstücksausgleiche etc.). Ausgleichsangebote, die von den Mächtigen die Zustimmung zum Errichten der Vorkehrungen zum Sichern von „Interessen des Gemeinwohls“ erkaufen sollen.
  2. Aber dies geht nur mit staatlicher Autorität, gesichert von nationalen und internationalen Organisationen (UN DP, UN Habitat etc.), die den „mächtigen Privatiers“  das eben auch abringen wollen.
  3. Sodass dann diese gesetzlichen Ausgleiche denn auch exemplarisch anhand von Streitfällen um Ländereien und Grundstücke und deren „allein privatrechtliche“ oder eben „gemeinwirtschaftliche Nutzung“ „mit höchster Autorität“ beschlossen und vertraglich geregelt werden können.

Ein „rudimentäres Bau- und Grundstücksrecht“, das somit in einem „Rechtsvakuum“ installiert wird. Mithin: der Beginn von „ausgleichendem Recht“.
„For the many, not the few“ – „Für die Vielen, nicht die Wenigen“ –
um jetzt mal Labours Motto hier zu zitieren.

Eine nachfolgende Sicherung der (baulichen) Maßnahmen mit bevorzugt einheimischen „bewaffneten Sozialarbeitern“ ist denn auch unabdingbar.
„Vertrauensaufbau“ bei der Installation von Sicherheitsstrukturen aller Art auf Augenhöhe mit Partnern ist denn in dieser Hinsicht auch einmal mehr eines der wichtigsten Stichwörter.

In meinem Falle 2009/10 in Kabul stellte sich die Situation wie folgt dar:

  • Mein Arbeitgeber, eine britisch-US-amerikanische „NGO“, die zum Trust von HRH Prince Charles gehört, war seit 2006 in einem knapp 4 ha großen Teil der Altstadt tätig.
  • Man hatte unvorstellbare Mengen Müll und Schutt vom Grundstück entfernt. Dessen Lehmbaubestand wies einen Zerstörungsgrad von ca. 60 % zumeist aus dem Bürgerkrieg nach Abzug der Sowjets 1990-92 und entsprechende Vernachlässigung auf.
  • Die Implementierung des „Afghan Institute for Arts and Culture“ in eine rekonstruierte Karawanserai und Nachbargebäude mit Hilfe von traditionellen Handwerksmeistern, die in diesem Institut ihre Fertigkeiten weitergaben, sollte auch begleitet werden von einer „Anhebung infrastruktureller Standards“ zugunsten der dort im Altstadt-Slum ansässigen Bevölkerung.
  • Wasserver- und Abwasserentsorgung stellen allgemein an solchen Orten infrastrukturell das größte Problem dar. Und aufgrund von oberflächlicher Kanalentwässerung mit Versickerung in Brunnenebenen und entsprechenden Schwefeldämpfen in den Gassen auch größte Gesundheitsgefährdung besonders für die „schwächsten ständigen Bewohner“ dort: Kinder und Frauen.
  • Mit Hilfe eines Berliner Wasserbauingenieurs mit vielfältiger Erfahrung entwickelten wir auf der Basis eines „Nachhaltigkeits-Gutachtens“, erstellt von einem 1968 aus Stuttgart emigrierten Professors der Ohio-State-University ein Konzept für eine Low-Tech-Kläranlage am Ende eines Rohrsystems, das alleine auf Schwerkraft basierend die Abwässer dort hinführen sollte.
  • Kein Hexenwerk. Ingenieurswissenschaften sind seit langem an der Kabul Universität führend in Zentralasien. Insofern war auch gute Unterstützung mit guten Partnern gewährleistet.
  • Es hieß anfangs, wir hätten genug Geld zur Verfügung für dieses Wagnis.

Soweit. So gut. Als Projektleiter von „importierter Spezialistenseite“ war ich für die „technischen Themen“ zuständig. Das junge Management der „NGO“ für die Verhandlungen mit autorisierten Stellen.
Aber just da begannen und endeten die Konflikte:

  • Eine von mir geforderte „rudimentäres Baurecht anhand von durch uns bereit gestellte Fallstudien“ beschließende Kommission aus Stadtverwaltung und Regierung, überwacht von UN-DP und UN-Habitat kam nicht zustande. Mit Präsident Karsai und Prince Charles als Schirmherren und großem Interesse und Unterstützung von vielen nationalen und internationalen Gremien sollte das eigentlich ein leichtes sein. Aber
  • immer wieder wurden meine Forderungen in dieser Hinsicht abschlägig beschieden. Es handele sich um eine „zersplitterte Community“ dort in dem Altstadtslum. Fragmente der ursprünglichen Bewohnerschaft, eine aus Persien in den 1880er Jahren, mithin der Gründung des Nationalstaats Afghanistan in Folge des zweiten anglo-afghanischen Krieges eingewanderte schiitische Gruppe waren nun mit Hazaras, Paschtunen und anderen Stammesangehörigen – Flüchtlingen eben im weitesten Sinne zusammengewürfelt.
  • Ein bei geringem Energie- und gerade einmal rund 400 m2 Flächenbedarf für die zweistufige Kläranlage auf andere städtische und ländliche Orte übertragbares Konzept wurde so immer mehr gefährdet.
  • Konzept und Strategie für die Umnutzung dieser 400 m2 mit Erstellung eines neuen, zum Teil zweigeschossigen Bazars mit städtischen Pachtverträgen für die vorher „informellen Geschäftsleute“ hatte ich auch schon entworfen.
  • Aber Bürgschaften von Seiten von Weltbank und IWF für die Mehrkosten, die dieses Projekt aufgrund der neuen Standards alleine bei der Kanalisation erforderte, blieben aus. Kurz vor dem ersten Spatenstich nach rund einem Jahr Planung wurde es gestoppt.
  • Bei den Verhandlungen zu Landrecht und Gemeinwohl fand ich mich am Ende alleine mit dem stellvertretenden Leiter der afghanischen Ingenieursabteilung der „NGO“ an den freigelegten Rändern des Grundstückes des Quartierssprechers wieder. Dieser befürchtete aufgrund der Erfordernis, dass Abwasserrohre unter seinem Grundstück verlaufen sollten eine „kalte Enteignung“ und reagierte entsprechend panisch. Nach drei erfolglosen Verhandlungstagen und Abbruch derselben ereilte mich ein Anruf eines jungen Managers, der mir vehement vorwarf, ich hätte den mächtigsten Mann des Viertels beleidigt.
  • Man kann auch sagen: er hatte seinen Job nicht gemacht im Vorfeld.
  • Aber auch das ist keine Besonderheit. So genannte „NGOs“ werden auch in ihrem Aktionsradius durch überforderte Mitarbeiter und durch „(nationale) Eigeninteressen“ bestimmt. Oder besser: eingeschränkt.
  • Da es sich um eine britisch-US-amerikanische „NGO“ handelte, erscheint bei genauerer Betrachtung der früheren Kolonialgeschichte eine solche Entwicklung vorgezeichnet: Elemente der Daseinsvorsorge wie Kanalisationen standen zwar Anfang des 20. Jahrhunderts auch in den britischen Kolonien zur Diskussion. Aber die Hardliner verhinderten das. Insofern war die Unabhängigkeit Britisch-Indiens am 15.08.1947 so etwas wie das logische Ende des britischen Kolonialreiches. Und blutiger Start der gewaltsamen ersten indischen Teilung.
  • Auch finden viele Mitarbeiter so genannter „Nicht-Regierungs-Organisationen“ sich auf zwei (und mehr) Gehaltslisten wieder. Letztlich unter Kontrolle nationaler Dienste. Nationale Interessen möchten auch bei 27 und mehr NATO-Staaten unter Führung der US alle zu allererst gesichert wissen. Zumal in Zeiten wie diesen.
  • Andererseits muss man jungen Mitarbeitern generell zugute halten: die Gewohnheit des „Rechts des Stärkeren“, das in keinster Weise im Sinne des „Gemeinwohls“ hinterfragt wird, scheint tief verwurzelt bei den Menschen. Zumal in Kriegszeiten. Ausgleiche, wie hier vorgeschlagen und entwickelt waren also auch bei und mit Kollegen mit „westlicher Sozialisation“ kaum durchführbar. Umso schwieriger, dies ohne die entsprechende Absicherung und Vorbereitung auch auf höherer Ebene Einheimischen hier darzulegen.
  • Anfänglich hatte ich wichtige Partner im „Ministerium für Städtebau“ und bei KURP. Also der Weltbank. Und auch an der Schnittstelle zwischen Weltbank und IWF. Trotz stetiger Verhandlungen mit hohen Stellen konnten wir uns jedoch nicht gegen viele andere „Bedenkenträger“ und stetige „Abwiegler“ zwischen DC und dem Hindukusch durchsetzen.
  • Abgesehen davon war ich 2009 der erste Mitarbeiter einer „NGO“, der im Rahmen eines „Wiederaufbauprojektes“ die örtliche Feuerwehr eingebunden hat. Die Feuerwehr ist überall weltweit die wichtigste Zivilschutzorganisation. Nicht nur hier in Kabul. Zumal im Zuge des baulichen, also vorbeugenden Brandschutzes. Eine unbedingte Notwendigkeit, solche Zivilschutzorganisationen durch Einbindung zu stärken.
  • Eine klassische „Win-win-Situation“ so oder so.

Diese Schwierigkeiten bei der Umsetzung von „Strategien zur Bekämpfung von Fluchtursachen“ können nur mit erklärtem gegenseitigem Willen und entsprechenden harten Bandagen bei der Durchsetzung von „Gemeinwohl“ überwunden werden. Dass ich selbst bald bewaffneten Schutz gebraucht hätte, das war mir auch klar.
Ob mir dieser gewährt worden wäre? Kann ich nicht sagen. Sei’s drum.

Das Warten auf den Sankt Nimmerleinstag hilft da nicht weiter.
Der „globale Krieg Reich gegen Arm“ geht unbarmherzig weiter. Und wir sollten uns wappnen, endlich die entscheidenden Themen zusammenzuführen.

  • „Hilfe zur Selbsthilfe für Flüchtlinge an deren Herkunftsort“ und
  • „Erhöhung der Widerstandsfähigkeit der Menschen gegen die Folgen von rasanten Klimaveränderungen“ und
  • „Schaffen von (Bleibe-) Perspektiven für junge Menschen“

kann man durchaus zusammenführen. An vielen Orten.

Prämisse ist immer der Wille zur Zusammenarbeit auf Augenhöhe.
Mit gleichberechtigten Partnern. Man selbst ist Gast dort. Vertrauen erzeugt beidseitige Sicherheit. Zumal solche Projekte neben dem Anheben von Umweltstandards und sinnvoller Arbeit für das Gemeinwohl so auch neuen Zusammenhalt in zersplitterten Communities zu schaffen vermögen.
Abgesehen vom „Bildungsinhalt“.

Wo ein Wille ist, da zeigt sich auch bald ein Weg.

Es wird Zeit, diese Wege endlich an vielen Orten gemeinsam zu erschließen.
Wege zu besseren Perspektiven für mehr Menschen. Mit zunehmender Bildung und Sicherheit dann können sich auch die Geburtenraten einpendeln. Aber das ist eben keine Aufgabe, bei der morgen direkt Milch und Honig und mehr fließen. Nein. Das ist Aufgabe für mindestens die nächste Generation.
Harte Arbeit. Und kein kampfloses Unterfangen, überhaupt da hinzukommen.
Hier wie dort. In Europa wie auch an unseren Grenzen.

PS.: Die anfangs gemachte Aussage zum „Glück des Volkes“ entstammt so dem 12. Fünfjahresplan der Volksrepublik China von Ende Mai 2011. Damals musste man in China der gewaltigen Immobilienblase entgegensteuern – sie zu einer weichen Landung führen. Dass auch Peking für solche Umsteuerungsprozesse lange braucht und manche Ungerechtigkeit begeht: das ist unumwunden zuzugestehen. Wichtig ist jedoch der erklärte Wille, diese Themen mittel- und langfristig anzugehen.
Ohne dabei in müde Lippenbekenntnisse zu verfallen.
Letztlich war es dasselbe Volk, das ich bei meinem ersten Aufenthalt in China im Spätsommer und Frühherbst 1989 in großer Angst vor Bürgerkrieg und mehr erlebt habe und das, was ich bei meiner Arbeit 2011/12 dort im schönen Hangzhou trotz Blase recht optimistisch in die Zukunft blickend erlebt habe.

Im Geleitwort zu Nadav Kanders Fotobuch zum Bau des gewaltigen Yangtse-Staudammes zitiert der damalige UN-Generalsekretär Kofi Annan einen Chinesen, mit dem der Fotograf sich angefreundet hatte bei den drei Jahre andauernden Arbeiten an diesem Fotobuch:

„Warum müssen wir zerstören, um uns zu entwickeln?“5

Gute Arbeit ist zumeist ein stetiger Annäherungsprozess an „Wahrheiten“.

Wir liegen hier in Europa nun einmal auch geographisch mit China auf einer, der eurasischen Scholle. Und auf der anderen Seite des Atlantiks liegt ein alter Partner, dem man vielleicht auch einmal Grenzen aufzeigen sollte. Zwischen uns und dem „Reich der Mitte“ liegt zudem auch Russland, das bei Weitem die größten Opferzahlen des 2. Weltkriegs zu verschmerzen hatte. Und das auch jetzt sehr viel später gefordert war, in das „schmutzige Geschäft mit den Kriegen“ einzusteigen als diejenigen, die dies stetig schürten. Zumindest in den letzten beiden Dekaden.
Und: die Uni Kabul ist in allen Ingenieurswissenschaften führend in der Region Zentralasien, weil die Sowjets von 1955 bis Mitte der 1970er auch gute Entwicklungsarbeit gerade im Norden Afghanistans geleistet und unter anderem diese Fakultäten mit entsprechendem Curriculum aufgebaut haben.
Was bei vielen wissensdurstigen Afghanen denn auch mit den eigenen, zutiefst verwurzelten Verhandlungsriten vereint wurde.
Mit anderen Worten: afghanische Ingenieure sind zum Teil hervorragende „Sozialarbeiter“. Neben ihren hohen technischen Fähigkeiten.

Die entscheidenden Themen für alle können wir nur gemeinsam schultern.
Da sollten wir hin.
Nicht zu noch mehr schwachsinnigen und grausamen Kriegen.
Kriege, die letztlich nur eine Fortsetzung und zunehmende Eskalation des globalen Krieges „arm gegen reich“ bedeuten.
Und die von den entscheidenden Themen ablenken.
Einer wehrhaften Zukunft für uns und unsere Kinder. Jetzt.

Foto:
Asheqan wa Arefan, Altstadt Kabul 2009, © Stefan Frischauf

Die völlige Konzeptionslosigkeit, wie man da den „Landlords“, also eigentlich auch potentiellen „Warlords“ gegenübertreten solle, bewahrt hier das Bild kompletter städtischer Verwüstung auch noch im Frühjahr 2009.
Die Menschen sind so einmal mehr sich selbst überlassen. Auch dieses Kind, das da schützenden Schatten vor der gleißenden Mittagssonne unter der Burka der Mutter sucht. Etwas Schutz vor feindlichen Elementen, den sonst die traditionell dichte Bebauung des Gassen- und Hofhausgeviertes der Altstadt bieten sollte.

Mit anderen Worten, sinngemäß einen guten Freund von mir hier, Christian Köster zitierend:

„99% aller Menschen überall auf der Welt möchten einfach ihr bescheidenes Leben in Frieden leben.“

Dies sollten wir auch gewährleisten wollen.
Als Gast und Freund: Bruder oder Schwester mit Ländern arbeitend, deren Völker Besseres als Krieg, Zerstörung und Besatzung verdient haben.

Denn nicht nur in Afghanistan leben die Menschen primär von drei Dingen:
Luft, Wasser und Liebe. Ganz gleich, ob „Taliban“ oder „Regimefreund“ oder sonst wer. Dieses Vertrauen auch an anderen Orten aufzubauen, insbesondere nach den großen Kriegen, die wir zuletzt erlebt haben: das ist die große Kunst.
Aber auch historische Notwendigkeit.
Dem „dezentralen Geschehen“ ein Ende bereiten, das vielen hier eben nicht als „3.Weltkrieg“ erschien, weil sie nur Bilder vom „totalen Krieg“ – dem letzten, der von unserem Boden hier ausging und dieses Land auch komplett zerstörte im Kopf hatten.

Diesem 3. Weltkrieg, der aber an vielen Orten grausam genug gewütet hat.
Dazu jedoch müssen wir auch hier aufstehen.
Dazu dann im letzten Teil hier bald.

„Ready to start“

 

Anmerkungen:

  1. Aus einem Vortrag des Botschafters der Volksrepublik China in Berlin zur Einführung des 12. Fünfjahresplan Ende Mai 2011. http://www.china-botschaft.de/det/dszl/baogao/t826701.htm
  2. https://de.wikipedia.org/wiki/Paschtunwali
  3. https://de.wikipedia.org/wiki/Lugar_(Provinz)
  4. https://de.wikipedia.org/wiki/Mes_Aynak Die Informationen enden hier 2013/14.
    Auf einer anderen Seite wird davon gesprochen, dass 2016 die Taliban „Schutz der chinesischen Grabungen“ zugesagt haben. In Anbetracht der berechtigt abwehrenden Reaktion afghanischer Regierungsstellen auf diese „Schutzgeldregelung“ scheint der Ort und seine Nutzung weiterhin heiß umkämpft: https://www.reuters.com/article/us-afghanistan-china-copper/chinese-demands-rebels-and-buddhist-ruins-stall-afghan-copper-dream-idUSKBN0N304320150412
  5. Nadav Kander: Yangtze – The Long River; © 2010 Hatje Cantz Verlag Ostfildern and authors, photos by the artist, words from Introduction by Kofi Annan, German translation

 

Drucken

This page as PDF

2 Gedanken zu „„Fluchtursachen bekämpfen?“

  1. Ludger Elmer

    Da wo Feudalherren und Konzerne (Nestle und das Wasser) regieren und ihre Herrschaft durch Korruption absichern, da findet der Kampf Reich gegen Arm statt. Im Kapitalismus haben die Armen doch immerhin ein Handy, vielleicht ein kleines Auto und ein TV. Wie schön. Was ihnen fehlt ist die Chance zur Bildung, sauberes Wasser, medizinische Versorgung, ordentliche Verkehrsanbindungen und innere (äussere) Sicherheit. Der bestochene Staat sorgt dafür, dass es so bleibt.

    1. Stefan Frischauf

      Vieles ist für die meisten Menschen hier völlig unverständlich, Ludger. Diese Erfahrung mache ich seit Jahren. Und: die “Schuldfrage”, warum ein Land wie Af so ist, wie es ist: die ist selbst sich aufgeklärt wähnenden Bürgern recht klar. Haben da die Medien “ganze Arbeit” geleistet?
      Zwei Artikel, die da ganz deutlich anderes sagen:
      Ein großartiges Interview des unvergessenen Roger Willemsen mit Heike Kroos, als Stabsärztin und Mutter zwei mal in Af und ihre Beschreibung des “Gefechtsfeldtourismus” von leider eben völlig überforderten, aber eben dennoch “entscheidungsbefugten” Parlamentariern:
      https://www.zeit.de/2009/45/Willemsen-Groos-45
      und ein Artikel von Ulrich Ladurner aus der Zeit von September 2010:
      “Die können keine Demokratie! – Der Westen denunziert die Afghanen – und lenkt vom eigenen Versagen ab.” https://www.zeit.de/2010/39/P-Meinungsleiter-Afghanistan
      Viele sagen, dieser Kriegseinsatz hätte Deutschland mehr verändert als viele andere Dinge / Ereignisse in den letzten Jahren. Vielleicht.

Kommentare sind geschlossen.