Deutsche “Qualitätsmedien”

Wir wissen mittlerweile alle, dass unsere sogenannten “Qualitätsmedien” nicht wirklich qualitativ hochwertige Informationen liefern. Traurig genug. Oft sind diese Informationen leider nicht nur nicht hochwertig, sondern ganz einfach sachlich falsch!

Ich berichte heute nur über einen Fall einer eindeutigen Falschinformation. Vielleicht können wir daraus eine Fortsetzungsgeschichte machen, indem interessierte Leser weitere Fälle von Fehlleistungen unserer “Qualitätsmedien” als Kommentar berichten und kommentieren.

Mein heutiger Fall betrifft das ZDF, das sich zwar selbst damit bewirbt, einäugig zu sein, aber trotzdem als Qualitätsmedium gelten möchte. In der Heute-Sendung am 08.12.2014 um 19 Uhr heißt es ab Minute 2:

“Bei der sogenannten kalten Progression handelt es sich um einen Steuereffekt, der bei Lohnerhöhungen auftritt. Beim Übergang in eine neue Steuerklasse wird die Erhöhung vom Fiskus aufgefressen.” Dieser Text wurde noch untermalt von einer Grafik, die suggerierte, dass der Lohnempfänger nach der Erhöhung weniger ausbezahlt kommt, als vorher.
http://www.zdf.de/ZDFmediathek#/beitrag/video/2299942/ZDF-heute-Sendung-vom-08-Dezember-2014

Wer jedes Jahr seine Steuererklärung macht weiß, dass eine Lohnerhöhung bzw. Einkommenssteigerung nichts, aber auch garnichts, mit der Steuerklasse zu tun hat. Die Steuerklasse (I bis VI) richtet sich u.a. nach den persönlichen Familienverhältnissen und kann vom Steuerpflichtigen max. einmal pro Jahr geändert werden. Einkommenserhöhungen bewegen sich innerhalb dieser Steuerklasse, die durch Lohnerhöhungen nicht verändert wird.

Kann eine Lohnerhöhung also zu einer geringeren Lohnauszahlung führen? NEIN! Höherer Lohn bedeutet höhere Auszahlung.

Was ist dann Progression? Je höher das Einkommen ist, desto höher ist der persönliche Spitzensteuersatz. D.h.: Der Lohnzuwachs wird ggf. höher besteuert, als das bisherige Einkommen. Aber nur der Zuwachs, also die Differenz zwischen dem neuen und dem alten Lohn. Die auf den Lohn in der bisherigen Höhe anfallende Steuer bleibt unverändert. Das ist ganz normal und entspricht der Grundgesetzregel “Besteuerung nach Leistungsfähigkeit”. D.h. die oberen Anteile des Einkommens werden höher besteuert, als die unteren. Da es aber keine Lohnsteuer von mehr als 100% gibt (sondern maximal ca. 48% incl. SolZ und KiSt), bleibt auch von dem Lohnzuwachs eine Auszahlung übrig. Höherer Lohn bedeutet also – trotz evtl. höherer Besteuerung des Lohnzuwachses – eine höhere Auszahlung. Falls Ihr Arbeitgeber Sie bedrängt, eine Lohnerhöhung zu akzeptieren, sollten Sie das also ruhig annehmen. 🙂

Man sollte sich jetzt fragen: Warum bringt das ZDF diese Falschmeldung in seiner vermutlich wichtigsten Nachrichtensendung um 19 Uhr? Dass die gut verdienenden (und vermutlich in der Progression weit oben liegenden) Redakteure es nicht besser wissen ist eigentlich schwer vorstellbar. Flüchtigkeitsfehler? Oder soll uns eine unterschwellige Botschaft vermittelt werden? Welche Ursache auch tatsächlich vorliegen mag: Mit Qualitätsjournalismus hat das jedenfalls nichts zu tun! Das ist eher Volksverdummung und Missachtung der Zuschauer, den zahlenden Kunden.

Das Thema “kalte Progression” ist durchaus ein wichtiges Thema. Aber dazu hat der ZDF-Beitrag nicht wirklich weiter geholfen.

Wer hat weitere Beispiele für die “Qualität” unserer Medien?

Willi

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18 Gedanken zu „Deutsche “Qualitätsmedien”

  1. Andreas Schlutter

    Sachlich ist das natürlich völliger Blödsinn, was das ZDF da von sich gegeben hat. Es geht meines Erachtens um die Wiederholung des neoliberalen Mantras, des Brain-Wash, den wir nur allzu gut kennen. Unmittelbar zuvor ist ja der werte Herr Linnemann von der CDU/CSU-Mittelstandsvereinigung zu Wort gekommen. Er hat heldenhaft für die Bürger und gegen einen gefräßigen Staat gekämpft. Da muss man es doch mit der Wahrheit nicht so genau nehmen. Steuern – das ist eh so kompliziert und wird nur von Experten durchblickt. Wird uns ja seit Jahren eingeredet. Stimmt vielleicht bei den Finessen der Steuervermeidung bei Reichen und internationalen Konzernen.

    In der Sache hast du natürlich einerseits Recht, Willi. Natürlich lohnt es sich, mehr zu verdienen. Immer. Aber schon beim Thema “kalte Progression” sitzen wir ebenfalls dem neoliberalen Neusprech auf. Das ist nicht unser Problem in der Gesellschaft. Sondern die politisch gewollte Begrenzung staatlichen Handelns vor allem bei Sozialleistungen und öffentlichen Dienstleistungen. Der Staat soll sich darauf beschränken, den Unternehmen ideale Bedingungen zu garantieren.

    Stattdessen wissen wir doch, dass die Einnahmen steigen müssten, z.B. durch Anhebung des Spitzensteuersatzes, Einführung der Vermögenssteuer, Revitalisierung der Erbschaftssteuer. Aber das alles wird mit dem Mantra über die “kalte Progression” gleich miterledigt.

    1. Willi Beitragsautor

      Bei flassbeck-economics
      http://www.flassbeck-economics.de/dauerbrenner-kalte-progression/
      wird das Thema nochmal genauer ausgeführt. Auch im Deutschlandfunk ist der Sachverhalt offensichtlich falsch dargestellt worden.
      Und in dem dort verlinkten Artikel bei “Spiegel Online” wird vorgerechnet, dass die kalte Progression sich bei der derzeitigen geringen Inflation nur minimal auswirkt. Das Thema wird anscheinend deshalb jetzt aufgebauscht, weil es billig zu lösen ist und niemandem groß weh tut. Danach ist es “selbstverständlich” nicht mehr möglich, dringendere und schwerer durchsetzbare Probleme im Zusammenhang mit dem Steuersystem noch in dieser Legislaturperiode anzugehen. (Siehe auch Kommentar von Andreas.)
      Willi

  2. Ludger Elmer

    Es steigt natürlich auch der durchschnittliche Steuersatz bei der Progression – es wird also prozentual insgesamt mehr versteuert: nicht nur der zusätzliche Einkommensanteil – wie Willi sagt – sondern das gesamte Einkommen unterliegt einem höheren Steuersatz — siehe auch Beispiel in Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Steuerprogression
    Wer allerdings geglaubt hatte, die CDU würde Anträge zur Einführung / Erhebung von Vermögens- und Erbschaftssteuern stellen, der muss wirklich sehr enttäuscht sein. Nein das Perfide an der Geschichte war dann noch die Rede “meines Freundes” Carsten Linnemann vor dem CDU-Parteitag, diese Abschaffung der kalten Progression, das sei etwas für die diejenigen, die den Sozialstaat finanzieren, also für die wörtlich “Fleissigen” im Lande. Von leistungslosen Einkommen hat der Junge wohl noch nichts gehört! Aber SPON und SZ sagen ja nun auch wie mickrig dieser Effekt – ein “Progressiönchen” – wirklich ist!

    1. Willi Beitragsautor

      Lieber Ludger,

      lies bitte mal das Beispiel (Punkt 2 im Inhaltsverzeichnis bei dem von Dir angegebenen Link, dritter Aufzählungspunkt) und lass uns unterstellen, dass es sich um ein und dieselbe Person handelt, deren Gehalt von 10.000 Euro auf 20.000 Euro gestiegen ist. Dann besagt der letzte Satz “Hier werden die ersten 10.000 Euro mit 10 % besteuert, die zweiten 10.000 Euro aber mit 20 %.” genau das, was ich geschrieben habe: Die ersten 10.000 Euro (also das alte Einkommen) werden nach wie vor mit 10% besteuert, und nur die zweiten 10.000 Euro (also die Differenz zwischen dem neuen und dem alten Einkommen) mit 20%.
      Dass sich daraus ein höherer Durchschnittssteuersatz ergibt ist richtig. Aber diese Erhöhung des Durchschnitts liegt ausschließlich an der höheren Besteuerung des Einkommenszuwachses! Was bedeutet der Spitzensteuersatz von 45% für Einkommen über 250.000 Euro? Doch nicht, dass ein Einkommen von z.B. 260.000 Euro mit einem Durchschnittssteuersatz von 45% besteuert wird. Sondern nur die obersten 10.000 Euro werden mit 45% besteuert.

      Diese Darstellung ist wichtig um zu verstehen, dass eine Reduzierung des Einkommens nach Steuern nur dann auftreten würde, wenn der Einkommenszuwachs mit mehr als 100% besteuert wird.

      Willi

  3. Andreas Schlutter

    Natürlich steigt auch der Durchschnittsteuersatz, wenn das Gehalt steigt. Nur steigt im Laufe der Jahre natürlich auch der steuerfreie Grundfreibetrag:

    2009 7.834 €
    2010-2012 8.004 €
    2013 8.130 €
    und 2014 8.354 €

    Das wiederum wirkt sich steuersenkend aus. Da in den letzten Jahren auch der Eingangssteuersatz abgesenkt worden ist (zuletzt 2009 auf 14 %), halte ich das Gerede über die kalte Progression ideologisch fehlgeleitet – den Neoliberalen ist letztlich jeder Steuersatz über 0 % im Grunde noch zu hoch.

    Sagen wir es mal so, trotz der Steuerentlastung auch der unteren und mittleren Arbeitnehmereinkommen ist die Umverteilung von unten nach oben gestiegen. Die Prekarisierung und die Ausgrenzung von immer mehr Menschen, die trotz Arbeit davon nicht leben können, das gehört auf die Agenda. Und lösen lässt sich das nur über zwei Wege: durch höhere Steuern für die obere Hälfte der Gesellschaft, vor allem für Besitzende und Vermögende oder aber durch eine deutliche Erhöhung der unteren Einkommen. Wenn wir diese Debatte nicht führen, wird die Gesellschaft zunehmend auseinanderbrechen und die Demokratie de facto abdanken.

    1. Ludger Elmer

      Hallo Willi!

      Das ist doch alles gar kein Widerspruch! Progression bedeutet eben, dass der Durchschnittssteuersatz steigt und der kann nur steigen, wenn der Spitzensteuersatz steigt! Richtig ist, dass wir sorgfältig hinhören sollten, wenn jemand vom Spitzensteuersatz spricht!

      1. Andreas Schlutter

        Ludger, nur: sowohl Spitzensteuersatz als auch Eingangssteuersatz sind seit 1990 stetig gesunken, sodass es seitdem im Grunde keine kalte Progression gegeben hat, vgl. nachfolgende Grafik von Udo Brechtel/Wikipedia:

        Animierte Tarifgeschichte von 1990 bis 2014 (zvE bis 70.000 Euro)

        Die durchgezogene rote Linie zeigt den tatsächlichen Steuersatz für zu versteuernde Einkommen bis 70.000 € an.

  4. Andreas Schlutter

    es geht wieder mal um die “Hoheit an den Stammtischen” – die CSU hat das Thema folgerichtig auch aufgegriffen und will die kalte Progression abschaffen. In den Köpfen der meisten Menschen kommt die Wahrheit schon nicht mehr an, plötzlich glauben alle, zu viel Steuern zu zahlen. Ein kleines Beispiel für das, was der Philosoph Michael Hirsch die “symbolische Macht” der “konservativen Gegenrevolution des Neoliberalismus” nennt (“Das Primat der Wirtschaft und die zeitgenössische Postdemokratie”, 02.12.2014 im Gasteig)

  5. Willi

    “Deutschland gibt Ukraine Kreditgarantie
    Die Zerstörung im Osten der Ukraine ist durch den Krieg mit Russland groß. Deutschland gewährt der Region nun eine halbe Milliarde Euro Kredit für den Wiederaufbau. ”
    http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftspolitik/deutschland-gibt-ukraine-kreditgarantie-13358065.html
    Dieser Artikel der FAZ vom 07.01.2015 ist eine Frechheit sondergleichen!
    “Die Zerstörung im Osten der Ukraine ist durch den Krieg mit Russland groß.” Krieg mit Russland??? Die Regionen im Osten der Ukraine (Donezk und Lugansk) haben sich mit großer Mehrheit als unabhängig erklärt. Und die Ukraine kämpft dagegen, weil sie das nicht akzeptieren will. Sicherlich bekommen diese Regionen Unterstützung aus Russland. Die Ukraine würde die dortige Bevölkerung gnadenlos verhungern lassen. Es ist ein Bürgerkrieg innerhalb der Ukraine, ein Krieg mit Russland würde anders aussehen.

    Aber genauso ist die Begründung der Bundesregierung für die Kreditbürgschaft Betrug an den deutschen Wählern. “Deutschland gewährt der Region nun eine halbe Milliarde Euro Kredit für den Wiederaufbau.” Die Kämpfe dauern an, tagtäglich zerschießt die Ukraine weitere Gebäude in der Ostukraine! Und in dieser Situation wollen sie dort mit dem Wiederaufbau beginnen??? Wer glaubt denn solche Lügenmärchen?
    Das Geld wird – wenn es nicht gleich in dunklen Kanälen verschwindet – entweder zur “Befriedung” der Region, also für Militär und Milizen ausgegeben, oder zum Stopfen von anderen Löchern im Haushalt. Die Ukraine will den Separatisten ihre Häuser wieder aufbauen? Bullshit!

    Willi

  6. Tamara Shadrack

    Wie so oft sollen die Bürger getäuscht werden!! Deutsche „Regierungs“-Vasallen der USA „unterstützen“ die von diesen eingesetzte illegale Regierung der Ukraine mit den 500 Mio. Dollar!! Wie unter Druck der Ami’s üblich wird auch dieses Mal Russland als der „große Feind“ dargestellt, auch wenn das in keinster Weise zutrifft. Abscheu und Hass gegenüber USA wachsen in großem Ausmaß weltweit. Hoffentlich müssen diese endlich einmal aus allen von ihnen so begehrten Ländern und Kontinenten verschwinden. Druckerzeugt Gegendruck! Möge dieser gegenüber den USA ungeheuer werden jedoch ohne Krieg. Hoffentlich hat dann Deutschland einige wackere Widersacher in Regierung und Medien gegenüber USA, um so endlich mit ganz Europa/Eurasien in Frieden eine reich blühende Wirtschaftszone aufbauen zu können (möglichst ohne die jetzige EUrokratie und ihrer wertlosen Währung). Die russische Idee eines friedlich geeinten Europa/Eurasien ist bestens! Der USA-Wahn möge bald ein Ende durch ihn geschickt überwindende Gegner mittels Weitsicht kooperativer statt käuflicher Persönlichkeiten in Politik und (objektiv berichtenden) Medien finden.

  7. Willi

    Gedenkmarsch für Charlie Hebdo in Paris gefaked
    Der Gedenkmarsch der europäischen Regierungschefs in Paris war ein Fake, deutlich zu sehen auf diesen zwei Bildern:
    https://pbs.twimg.com/media/B7GnzaFIcAAh9ca.jpg:orig
    Ich hatte mich schon gewundert, dass vergleichsweise wenige Polizisten bei der großen Demo in Paris eingesetzt werden sollten, obwohl viele Regierungschefs dabei sind. Jetzt ist es klar: die Regierungschefs waren garnicht beim Umzug dabei! Können Sie sich daran erinnern, was im deutschen Fernsehen am Abend des 11.1.2015 gezeigt wurde?
    Ich habe mal als Beispiel die Sondersendung der ARD um 20:15 Uhr “Vereint gegen den Terror” angesehen:
    http://www.ardmediathek.de/tv/Brennpunkt/Vereint-gegen-den-Terror/Das-Erste/Video?documentId=25789410&bcastId=1082266
    Ab Minute 07:15 lautet die Ansage: “Der Gedenkmarsch heute hatte eine ganz besondere Reihenfolge. In 1.Reihe die Angehörigen und Hinterbliebenen der Opfer. Auch die übrigen Mitarbeiter der Redaktion Charlie Hebdo. Erst dahinter die Staats- und Regierungschefs aus 50 Ländern, die eigens angereist waren.” Und die Bilder dazu vermitteln den gewünschten Eindruck, als würde die Spitze des Gedenkzuges dargestellt.
    Die ARD brachte also nicht nur Bilder, die nicht die Realität darstellen, sondern ließ dazu auch noch einen eindeutig falschen Text verlesen. Für mich ist “Lügenpresse” nicht das Unwort des Jahres, sondern die traurige Realität im deutschen Medien(un)wesen. Zumindest in diesem Punkt hat Pegida durchaus recht!
    Und unsere Kanzlerin: Die hat sich wissentlich an diesem Betrug beteiligt. Warum sollte man dieser Frau noch irgend etwas glauben?

    Willi

    1. Andreas Schlutter

      Hhm… natürlich sind die Bilder gestellt.

      Hans Christian Ströbele schreibt dazu auf facebook:

      Heute auf der Groß-Demo in Berlin „Wir haben es satt“ erhielt ich ein Flugblatt mit dem untenstehenden, auch auf Twitter verbreiteten Foto.
      Der Trauermarsch der Staatschefs und Politiker am 12.1.15 in Paris auf einer abgesperrten leeren Nebenstraße. Sie sollen nicht an der Spitze des Zuges der Millionen gelaufen sein, wie in TV-Nachrichten weltweit berichtet wurde und scheinbar zu sehen war.
      Angesichts der extremen Gefährdungslage habe ich volles Verständnis für die Sicherungsvorkehrungen. Aber in der nachträglichen Berichterstattung sollte man bei der Bildwahrheit bleiben, wenn dadurch niemand mehr gefährdet werden kann – gerade weil auch für die Pressefreiheit demonstriert wurde.”

      Auch wenn die ARD-Berichterstattung ein falsches Bild transportiert hat, wurde die Inszenierung ja nicht in den deutschen Medien verschwiegen. Die Süddeutsche berichtete zum Beispiel am 13.01. darüber.
      Den Begriff “Lügenpresse” halte ich allerdings für problematisch, er ist historisch ein Kampfbegriff und hilft nicht aufzuklären, sondern pauschaliert. Jörg Wellbrock schreibt auf Spiegelfechter m.E. zutreffend:

      “Den unsagbaren Konflikt in dieser Wahl des Unwortes des Jahres hat der Postillon sehr schön auf den Punkt gebracht. Aber viel entscheidender ist die Tatsache, dass es sich um ein Wort handelt, das mit einer Geschichte verbunden ist. Und dass pauschalisiert angenommen wird, dass die Presse lügt. Immer. Überall. Punkt.
      Und damit sind wir beim grundsätzlichen Problem dieser Tage: dem Pauschalurteil. Das wird schneller gefällt als man einen jungen Baum umnieten kann. Die Presse lügt eben, also kann man sie auch Lügenpresse nennen. Für die ach so kritischen Medienbeobachter ist Lügenpresse eher das Wort des Jahres, eines, das den Konflikt unseres durch Politik, Wirtschaft und Geheimdienste gesteuerten Landes auf den Punkt bringt. Tatsächlich allerdings taugt die Annahme, die Presse würde immer lügen, so viel wie die Behauptung, die Internetmedien würden immer die Wahrheit schreiben.”

      Gerade von den öffentlich-rechtlichen müssen wir tatsächlichen Qualitätsjournalismus erwarten, aber vielleicht braucht es dafür eines Umbaus des Systems der Finanzierung und Kontrolle. Weniger Werbung. Und weniger Politiker in den Kontrollgremien.

      1. Willi

        Verständnis für die Sicherheitsmaßnahme: Selbstverständlich!
        Aber kein Verständnis dafür, dass wir getäuscht werden sollten! Wie auch Ströbele schreibt: “in der nachträglichen Berichterstattung sollte man bei der Bildwahrheit bleiben“. Und warum nur “Bildwahrheit”? Die Wahrheit im Text ist genauso wichtig.
        “Die Süddeutsche berichtete zum Beispiel am 13.01. darüber.” Ja, nachdem z.B. Fefe am 12.1. berichtet hat:
        “Habt ihr das auch gesehen, wie die Staatschefs in Paris sich an die Speerspitze der Demonstration gestellt haben? Mitten unter das Volk, sozusagen? Um mal so richtig krass für westliche Werte zu demonstrieren? Und zu zeigen, wie volksnah die Politik bei uns abläuft?…
        Dann guckt euch mal diese Aufnahme hier an. https://pbs.twimg.com/media/B7GnzaFIcAAh9ca.jpg:orig
        Update: Das untere Bild kommt ursprünglich anscheinend von diesem katalanischen Fernsehsender https://twitter.com/324cat/status/554286762479353856/photo/1
        Danach haben sich einige Medien veranlasst gesehen, auch die Wahrheit zu berichten. Ich vermute, dass die erste Berichterstattung in Deutschland aber weitgehend den Fake übernommen hat. Und zumindest die ARD hat auch im Text gelogen.

        Das Wort “Lügenpresse” kann man nicht aus dem deutschen Wortschatz verbannen, weil es die Nazis benutzt haben. Es bezeichnet genau das, was ich gemeint habe.
        Im Zitat aus dem Spiegelfechter heißt es: “…die Annahme, die Presse würde immer lügen…”. Das ist eine durch nichts gedeckte Unterstellung. Ein Dieb bleibt ein Dieb, auch wenn er manchmal bezahlt. Ein Steuerhinterzieher bleibt ein Steuerhinterzieher, auch wenn er manchmal auch Gutes getan hat (Ausnahme Hoeneß 😉 ).
        Zu recht sagt das Sprichwort: “Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht.”. Der bleibt für mich ein Lügner, zumal wenn – wie im Falle der deutschen Medien – 1. die Lügen ganz und gar nicht Einzelfälle sind, und 2. kein Bemühen um Besserung erkennbar ist. Wir sind leider in einer Situation, dass wir uns bei vielen Presseberichten fragen müssen: 1. Ist das wohl sachlich zutreffend? Und 2.: Steckt da evtl. wieder eine orchestrierte Meinungsmache (man könnte in dieser Zeit des wieder auflebenden West-Ost-Konfliktes auch sagen “psychologische Kriegsführung”) dahinter.

        Willi

        1. Andreas Schlutter

          komisch, dass fefe sich eines katalanischen Bildes hat bedienen müssen. In der französischen Fernseh-Berichterstattung war ganz klar zu erkennen, dass die Politiker abseits eine kurze Strecke gegangen sind, aber auch, dass es dann zu einem Zusammentreffen mit den überlebenden Redaktionsmitgliedern von Charlie Hebdo kam. Das Video des Fernsehsenders iTELE vom 11.01.2015 lässt hier meines Erachtens keinen Zweifel an der Inszenierung aufkommen, zumal immer wieder auch die große Demo gezeigt wird.

          Die entsprechenden Zeiten im Video: 2:03 min (Perspektive wohl auch des Fotos) und 2:28 min (Umarmung von Patrick Pelloux vom Satiremagazin Charlie Hebdo)

          Es stellt sich eher die Frage, warum fast die ganze internationale Presse hier unsauber berichtet hat, der Tagesspiegel vom 13.01. zitiert hier einen Sprecher der Nachrichtenagentur dpa:

          “Die Politiker seien auf der gleichen Route unterwegs gewesen wie die ihnen nachfolgenden Menschenmassen. „Aus Sicherheitsgründen“ sei allerdings eine Lücke zwischen den Politikern und den 1,5 Millionen Menschen gelassen worden. Die Präsidenten und Minister hätten mit etwa 250 Meter eine verkürzte Wegstrecke absolviert, erklärte ein bei dem Marsch anwesender Fotograf. Die Spitzenpolitiker seien „der zweite Wall“ gewesen, die erste Gruppe hätten Angehörige der Terroropfer gebildet, die dritte französische Lokalpolitiker. Nach ihnen liefen die 1,5 Millionen Demonstranten.”

          Vielleicht kommt das der Wahrheit nahe…

          Viel mehr sollte uns zu denken geben, wer da alles so scheinheilig für die Pressefreiheit mitmarschiert ist. So zum Beispiel Ahmet Davutoglu, türkischer Ministerpräsident. Die Organisation “Reporter ohne Grenzen” sah die Türkei auf Platz 154 ihrer Rangliste zur Pressefreiheit. Oder Petro Poroschenko (Ukraine, Platz 127). Sergei Lawrow (Russland, Platz 148). Sameh Shoukry (Ägypten, Platz 159).

  8. Willi Beitragsautor

    Pressemanipulationen haben in Deutschland lange Tradition
    Damit meine ich jetzt nicht die (angeblichen oder tatsächlichen?) Verfehlungen der Presse, die die Nazis zu dem vermeintlichen Unwort “Lügenpresse” animiert haben.
    Heute habe ich gehört, dass es Ähnliches auch bei dem umstrittenen Tod des bayerischen Königs Ludwig II im Jahre 1886 gab. Es ist ja bis heute nicht geklärt, ob dessen Tod im Starnberger See ein Unfall, Selbstmord oder Mord gewesen ist.
    Der luxemburger Autor Jean Louis Schlim
    http://www.augustdreesbachverlag.de/autoren/jean-louis-schlim.html
    hat sich eingehend mit diesem Thema befasst und dabei u.a. auch dieses herausgefunden: In der damaligen deutschen/ bayerischen Presse wurde die Diskussion um Ludwigs Todesursache komplett totgeschwiegen, während englische und französische Zeitungen durchaus darüber berichtet haben.

    Nachtrag 19.01.2015: Dabei muss man allerdings berücksichtigen, dass die Pressefreiheit damals noch nicht den Verfassungsrang hatte, wie heute. Aus Wikipedia:
    https://de.wikipedia.org/wiki/Pressefreiheit#Geschichte
    “In der Verfassung des Deutschen Kaiserreiches von 1871 wird die Pressefreiheit ebenso wenig wie andere Grundrechte erwähnt. Mit dem Reichspressegesetz von 1874 wurde die Pressefreiheit in Deutschland erstmals einheitlich gesetzlich geregelt, durch den Erlass des „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie“ 1878 wurde sie jedoch wieder eingeschränkt.”
    Eine schmutzige Bemerkung zum Titel dieses letzten genannten Gesetzes verkneife ich mir jetzt, weil das nicht zum Thema gehört.

    Willi

    1. Ludger Elmer

      Zurück zum Thema Qualitätsmedien:

      Wer sich über Pegida ärgert und diesen völlig unangebrachten Begriff der “Lügenpresse”, der möge sich auch mal ein Bild davon machen, was unsere Qualitätsmedien täglich anbieten! Ja – wir haben Qualitätsmedien – schaut dochmal rein bei ARTE (gestern z.B. ein Dreiteiler über “Smart City”), bei PHÖNIX, bei 3sat, bei den Dritten oder den digitalen Öffentlich-Rechtlichen! Und Panorama und Report und Frontal21 und Die Anstalt gibt es auch noch und vieles mehr, z.B. DLF oder Bayern2!
      Und ständig in einem Ton auf die SZ zu schimpfen, ist mir auch mittlerweile zu einfach – es waren in jüngster Vergangenheit die Rechercheteams von NDR, WDR und SZ, die die Themen Offshore-Leaks, Konzernbesteuerungen und Steueroasen erst so richtig transparent gemacht haben. Dass es SPIEGEL und ZEIT nicht mehr sind, die die großen Enthüllungen bringen, heißt ja nicht, dass es sie nicht mehr gibt! Aber wer wüsste von uns wirklich noch, was SPIEGEL und ZEIT in den letzten Wochen, Monaten, Jahren gebracht haben?
      Lüge ist doch wirklich etwas anderes als Manipulation, Meinungsmache, Tendenz oder Einseitigkeit. Diese Dinge gibt es viel zu oft, das ist klar! Und es ist übrigens auch ein Dilemma der SPD, diese Meinungsmache. Nach den Fehlern der ständigen Steuersenkungen wissen sie, dass sie mit Steuererhöhungen eine Wahl nicht gewinnen können und dass nebenbei die “Schware Null” medial (s.o. Meinungsmache) abgesegnet ist und Allensbach klar sagt, dass die Mehrheit der Bevölkerung für die “Schwarze Null” ist!

  9. Willi Beitragsautor

    Ja, es gibt durchaus auch Qualitätsmedien. Und ja, das Thema “Konzernbesteuerung” war gute Arbeit, allerdings zu einem Zeitpunkt, wo es die Spatzen schon vom Dach gepfiffen haben. Es gibt durchaus auch in der SZ (und anderen Medien) gute Artikel und gute Kommentare. Aber es ist doch bezeichnend, dass diese Beiträge heutzutage schon besonders auffallen, und dass viele Leute sich darüber wundern, wenn besonders kritische Beiträge es bei Mainstream-Medien schaffen, die internen Hürden (Redaktionskonferenz, Chefredakteur, …) zu überspringen. Ein Prantl macht noch keinen Sommmer.

    Bezeichnend ist doch auch, dass von der neoliberalen Wirtschaftsdenke abweichende Beiträge oft nicht im Wirtschaftsteil, sondern im Feuilleton gedruckt werden. Und dass sich solche abweichenden Beiträge meist nur Redakteure in einer herausragenden Position leisten können.

    Um auch mal ein positives Beispiel zu nennen: Bei Telepolis (und allgemein bei “Heise online” http://www.heise.de) wundere ich mich nicht über herausragende Beiträge. Dort bekommt man viele interessante Informationen, viel Hintergrund und auch kritische Kommentare, die bei Fernsehen und Rundfunk – wenn überhaupt – oft nur zu nachtschlafener Zeit gesendet werden. Als Beispiel nehme ich jetzt diesen Beitrag von Telepolis, der gleichzeitig auch zum Thema Qualitätsmedien passt:

    Wie in der Tagesschau Nachrichten gemacht werden
    “Recherche, bestmögliche Recherche, und dann Zusammenhänge erklären.” So lautet das Credo von ARD-aktuell, der zentralen Nachrichtenredaktion des Senders. Wie ihr Flaggschiff, die Tagesschau, dieses in die Praxis umsetzt, illustriert ein am 2. Januar gesendeter Beitrag (ab 5:30). Was nicht passt, wird passend gemacht: die angebliche Verschärfung des “Fachkräftemangels” durch den “demografischen Wandel” und die Rente mit 63 sowie die “freiwillige” Rente mit 70 als alternativlose Antwort darauf. Wie schlimm es an der Basis aussieht, bezeugt eine mittelständische Unternehmerin, deren Probleme sich bei näherem Hinsehen zum großen Teil als Hirngespinste entpuppen.
    http://www.heise.de/tp/artikel/43/43911/1.html

    Willi

  10. Rudolf Winzen

    Das Wort “Lügenpresse” ist in seiner plakativen Pauschalität überhaupt nicht angemessen für den Zustand der Medien in Deutschland. Sehr treffend finde ich den Begriff “Kampagnenjournalismus”, der beispielsweise von den Nachdenkseiten benutzt wird.
    Schon in den Achtzigern hat übrigens Noam Chomsky aufgrund seiner medienwissenschaftlichen Forschungen das “Propagandamodell” entwickelt, das – ohne jede Verschwörungstheorie – plausibel erklärt, wie Meinungsbildung durch starke ökonomische Kräfte beeinflusst und gelenkt wird: http://de.wikipedia.org/wiki/Propagandamodell

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