Argentinien ist wohl wieder zahlungsunfähig. Und das, obwohl erstens Geld für den Schuldendienst für Anleihen nach dem Schuldenschnitt nach der Staatspleite 2001 bereits bei US-Banken eingegangen ist und zweitens noch Devisenreserven in Milliardenhöhe bestehen. Wie das geht, hat Jens Berger auf den NachDenkSeiten unter dem wunderbar zutreffenden Titel „Argentinien und die Aasgeier auf den Finanzmärkten und in den Redaktionsstuben“ beschrieben:
Nachdem ein New Yorker Gericht dem Staat Argentinien in der letzten Woche untersagte, seine Gläubiger zu bedienen, steht Argentinien vor dem technischen Staatsbankrott. Dies geschah alles vor dem Hintergrund, dass einige Hedgefonds (sog. Vulture-Fonds (auf deutsch: Aasgeier-Fonds)) das große Geschäft mit argentinischen Ramschanleihen aus der Zeit vor 2001 witterten und den südamerikanischen Staat durch skurrile Gerichtsurteile in die Knie zwingen wollen. Eigentlich sollte dies doch ein Paradebeispiel für die Auswüchse eines zerstörerischen Finanzkapitalismus sein und dementsprechend kommentiert werden. Eigentlich. Ein großer Teil der deutschen Medien schlägt sich jedoch „erwartungsgemäß“ auf Seiten der Aasgeier.
So richtig durchschaubar wird das perverse Geschäftsmodell dieser Fonds allerdings hier noch nicht. Das kann man allerdings in der Freitag-Ausgabe von letzter Woche nachlesen. Der Beitrag von Robert Misik ist auch am gleichen Tag online gestellt worden. Misik rechnet uns das vor:
Wenn Argentinien dann – wie 2001 – in Zahlungsnot gerät, zudem noch den Bankrott erklärt und den Gläubigern eine Quote von 30 Prozent anbietet, dann wissen diese Gläubiger, dass sie allenfalls noch ein Drittel des Investments, also 300.000 Dollar zurückerhalten. Risikoscheue Investoren werden daher versuchen, ihre Schuldscheine loszubekommen – und sie kurzerhand zum Dumpingpreis verscherbeln.
Hier springen dann aggressive Hedgefonds ein, die eine Wette abschließen. Sie haben viele Schuldscheine mit einem Nominalwert von einer Million vielleicht für 200.000 Dollar gekauft, also für einen Klacks. Sie wissen, es wird für sie immer noch ein schöner Schnitt, wenn sie nur 210.000 Dollar rausreißen. Und ein Superschnitt, wenn sie doch die Million durchsetzen. Im argentinischen Fall hat der Hedgefonds die Wertpapiere zu läppischen sechs Prozent des Nominalwerts erstanden – für Bonds im Wert von einer Million also gerade einmal 60.000 Dollar gezahlt.
Diese Gläubiger haben aber natürlich noch viel weniger moralischen Anspruch auf das Geld als die ursprünglichen Gläubiger. Und doch ist das oft nicht einmal das Ende vom Spekulantenlied. Diese Hedgefonds haben vielleicht nicht nur die Schuldscheine im Wert von einer Million für 60.000 Dollar gekauft, sondern sie haben auch noch Kreditausfallversicherungen abgeschlossen. Der Deal hat sie insgesamt vielleicht 200.000 Dollar gekostet (60.000 für den Schuldschein, 140.000 für die Versicherung). Wenn Argentinien pleitegeht – genauer gesagt: in dem Moment, in dem ein Kreditereignis eintritt –, kassieren sie von der Versicherung die komplette Million. Reingewinn: 800.000 Dollar. Solche Spekulanten verdienen also so oder so: entweder vom argentinischen Staat oder von der Ausfallversicherung. Im Grunde haben sie kein Risiko, aber ein Interesse, dass der Staat pleitegeht.
Also noch einmal: Da kann ein New Yorker Bezirksgericht dem Ansinnen von Paul Singers Geierfonds NML Capital stattgeben und ein ganzes Land in die Krise führen und damit die Existenz von 40,5 Millionen Argentinierinnen und Argentiniern gefährden. Von Moral, von Verantwortung keine Spur. Und alles, um aus je 6 Dollar Kaufwert zuzüglich Versicherung 80 Dollar Gewinn zu machen. Schlimm genug das Ansinnen, noch schlimmer, dass die – in diesem Fall – amerikanische Rechtsordnung so etwas zulässt.
Deutlich wird daran auch, dass erstens Schuldenschnitte bei Staaten keine Sicherheit bieten, Argentinien wird 13 Jahre später von den Folgen der Staatspleite von 2001 eingeholt. Und zweitens: die Lebensumstände und die Rechte der betroffenen Menschen interessieren offenbar überhaupt nicht. Eine Rechtsordnung, die die höchst zweifelhaften Interessen von Geierfonds höher bewertet als die Rechte der Menschen, zerstört die Demokratie.
Wir brauchen ein internationales Recht, das so etwas verhindert. Ob hier ein Insolvenzrecht für Staaten, wie es Lutz Herden in der gleichen Ausgabe des Freitag fordert, ausreicht und vor allem durchsetzbar ist, da habe ich so meine Zweifel. Der Autor versucht hier Regeln bzw. Grenzen vorzuschlagen:
Staaten sind für dieses Verfahren prädestiniert. Schließlich wissen deren Regierungen am besten, worin das Existenzminimum ihres Gemeinwesens besteht, damit es überlebt. Sie können geltend machen, was an Infrastruktur, Kulturgütern, Sozialdiensten, Polizei und Katastrophenschutz nicht zur Konkursmasse gehören darf, von der Gläubiger zehren.
Das Regelwerk eines Insolvenzrechts für Staaten dürfte kein unüberwindbares Hindernis sein, aber der Konsens über eine internationale Insolvenzgerichtsbarkeit. Man bedenke nur, wie die Malaise Argentiniens durch die willkürlichen Beschlüsse von US-Gerichten angeheizt wurde.
Aber wie soll das gegen den Casino-Kapitalismus, die Macht der sogenannten Finanzinvestoren durchgesetzt werden? Wie können wir verhindern, dass Geierfonds Menschenrechte fressen? Dass die Erwartung auf Spekulationsgewinne höher bewertet wird als die sozialen Rechte eines ganzen Landes, muss dringend ein Ende finden.
Ich habe mich gefragt: Wieso kann ein Gericht in USA den Argentiniern diese Vorschriften machen?
Jens Berger beantwortet das in seinem Beitrag:
Das zeigt wieder mal wie gefährlich es ist, mit den USA Verträge zu machen. Und für mich ist es eine zusätzliche Warnung vor CETA und TTIP.
Willi
Die USA waren laut 2011 mit über 14 Billionen US-$ verschuldet, davon entfallen knapp 8% auf China. Immerhin über eine Billion. Man stelle sich einen Moment vor, dass diese Verpflichtungen unter chinesisches Recht fallen, Gerichtsstand Schanghai. Unvorstellbar, oder…
Der Argentinische Staat hat sich – angeblich freiwillig – der US-Gerichtsbarkeit unterwerfen müssen, um Geld mit zudem unrealistischen Zinsversprechen. Das war damals – vor der Staatspleite – wohl die einzige Möglichkeit, an Geld zu kommen.
Frage 1 – und damit anschließend an Willi: Wie kann es überhaupt möglich sein, dass Staaten sich der Gerichtsbarkeit anderer Staaten unterwerfen müssen, um Kredite zu bekommen?
Frage 2: Wie kann es gelingen, dass die USA eine internationale Gerichtsbarkeit auch für ihr eigenes Handeln anerkennt?
Frage 3 – und die ist komplexer: Wie können Staaten günstig an Kredite kommen? Zu Konditionen, wie z.B. die EZB Kredite an Geschäftsbanken vergibt, also mit einem Zinssatz von derzeit 0,15%? Wie kann es also gelingen, dass Geschäftsbanken sich nicht auf Kosten der Steuerzahler der Kredit nehmenden Länder bereichern? Und wie kann dies insbesondere für Staaten möglich sein, die sich nicht national in Währungen wie Euro und Dollar verschulden können?
Ich glaube, das hat eine ganz andere Dimension als CETA und TTIP. Für mich wäre es notwendig, dass private Banken keine Geschäfte mit der Schuldenaufnahme von Staaten machen dürfen.
Wie sich allerdings Staaten international Geld zu verantwortbaren Konditionen leihen können, dafür fehlt mir auf Grund des Zustands von IWF und Weltbank jegliche Phantasie. Nur: wir brauchen gerade dafür Lösungen…
Ich versuche mal, die Fragen zu beantworten:
Zu 1: Wie das möglich sein kann? Evtl. zwingen die Umstände dazu: Entweder Gerichtsstand USA oder Du bekommst kein Geld. Das ist wie bei Amazon: Entweder Du akzeptierst deren AGB, oder das Geschäft kommt nicht zustande. Bei Transaktionen zwischen 2 Staaten mit de facto unterschiedlichen Rechtssystemen gibt es wohl nur drei Möglichkeiten: Rechtssystem Staat1, Rechtssystem Staat2, oder ein übergeordnetes internationales Rechtssystem, dem sich beide Vertragspartner unterwerfen. Letzteres wäre sinnvoll, aber haben wir ein solches internationales Rechtssystem?
Zu 2: Die USA müssten durch die Unterwerfung unter eine Internationale Gerichtsbarkeit Vorteile gegenüber anderen Staaten gewinnen. Das wäre auch keine Verbesserung. Es bleibt selbst dann noch die Frage, ob die USA alle Urteile eines internationalen Gerichtes akzeptieren würden. (Es bleibt auch noch die Frage, ob Argentinien sich dem Urteil unterwirft bzw. unterwerfen kann. Wenn Argentinien sich dem Urteil unterwirft sind die ja so pleite, mehr geht kaum. Und dann?)
Zu 3: Für die Euro-EU wäre das ganz einfach: Die EZB vergibt Kredite nicht nur an Banken, sondern auch direkt an die Euro-Staaten. Ich würde das begrüßen. Aus der Erfahrung der letzten Jahre wissen wir, dass Banken nicht immer kreditwürdiger sind, als Staaten. Da Staaten eher weniger im Finanzkasino spekulieren, als Banken, würden diese Gelder dann wohl auch mehr in der Realwirtschaft ankommen und diese stärken.
Staaten mit eigener Währung können natürlich auch problemlos Kredite der eigenen Notenbank aufnehmen. Das hilft allerdings nicht weiter, wenn man sich, wie Argentinien, international verschuldet hat bzw. muß.
Das eigentliche Problem ist, dass bei den meisten Ländern die Handels- bzw. Zahlungsbilanzen (sorry, wenn der Begriff nicht genau stimmt) nicht ausgeglichen sind. Vielfach haben wirtschaftlich schwache Länder negative Handelsbilanzen (von den starken Ländern aufgezwungen bekommen), und müssen sich ständig weiter verschulden. Deren eigene Währung wird dann international wenig akzeptiert, sodass die eigene Notenbank wenig helfen kann. Die USA haben zwar auch eine negative Außenhandelsbilanz, aber noch ist der Dollar das internationale Zahlungsmittel schlechthin. Deshalb kann die FED jeden Monat zig Milliarden emittieren, ohne dass der Dollar deshalb abgewertet wird.
Das kapitalistische System (das wir ja auch in einem anderen Thread diskutieren) beinhaltet wenig Motivation, das Problem zur Zufriedenheit aller zu lösen. Es gilt das Prinzip Eigennutz. Wenn finanziell klamme Staaten, wie Argentinien (oder Griechenland, oder …) ihre Schulden nicht zurück zahlen können, dann gibt es dort ja noch eine Menge Filetstücke, mit denen die Gläubiger zufrieden gestellt werden können. Wenn das nicht mehr der Fall ist, wen interessieren dann noch die Menschen, die dort leben? Als Flüchtlinge sind sie jedenfalls nicht willkommen. Das kann man besonders in Afrika beobachten.
Über den Vergleich mit den Dimensionen von CETA und TTIP bin ich mir unsicher. Ansonsten stimme ich dem letzten Absatz von Andreas zu.
Willi