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Argentinien und die Schulden: Geierfonds fressen Menschenrechte

Argentinien ist wohl wieder zahlungsunfähig. Und das, obwohl erstens Geld für den Schuldendienst für Anleihen nach dem Schuldenschnitt nach der Staatspleite 2001 bereits bei US-Banken eingegangen ist und zweitens noch Devisenreserven in Milliardenhöhe bestehen. Wie das geht, hat Jens Berger auf den NachDenkSeiten unter dem wunderbar zutreffenden Titel „Argentinien und die Aasgeier auf den Finanzmärkten und in den Redaktionsstuben[1]“ beschrieben:

Nachdem ein New Yorker Gericht dem Staat Argentinien in der letzten Woche untersagte, seine Gläubiger zu bedienen, steht Argentinien vor dem technischen Staatsbankrott. Dies geschah alles vor dem Hintergrund, dass einige Hedgefonds (sog. Vulture-Fonds (auf deutsch: Aasgeier-Fonds)) das große Geschäft mit argentinischen Ramschanleihen aus der Zeit vor 2001 witterten und den südamerikanischen Staat durch skurrile Gerichtsurteile in die Knie zwingen wollen. Eigentlich sollte dies doch ein Paradebeispiel für die Auswüchse eines zerstörerischen Finanzkapitalismus sein und dementsprechend kommentiert werden. Eigentlich. Ein großer Teil der deutschen Medien schlägt sich jedoch „erwartungsgemäß“ auf Seiten der Aasgeier.

So richtig durchschaubar wird das perverse Geschäftsmodell dieser Fonds allerdings hier noch nicht. Das kann man allerdings in der Freitag-Ausgabe von letzter Woche nachlesen. Der Beitrag[2] von Robert Misik[3] ist auch am gleichen Tag online gestellt worden. Misik rechnet uns das vor:

Wenn Argentinien dann – wie 2001 – in Zahlungsnot gerät, zudem noch den Bankrott erklärt und den Gläubigern eine Quote von 30 Prozent anbietet, dann wissen diese Gläubiger, dass sie allenfalls noch ein Drittel des Investments, also 300.000 Dollar zurückerhalten. Risikoscheue Investoren werden daher versuchen, ihre Schuldscheine loszubekommen – und sie kurzerhand zum Dumpingpreis verscherbeln.

Hier springen dann aggressive Hedgefonds ein, die eine Wette abschließen. Sie haben viele Schuldscheine mit einem Nominalwert von einer Million vielleicht für 200.000 Dollar gekauft, also für einen Klacks. Sie wissen, es wird für sie immer noch ein schöner Schnitt, wenn sie nur 210.000 Dollar rausreißen. Und ein Superschnitt, wenn sie doch die Million durchsetzen. Im argentinischen Fall hat der Hedgefonds die Wertpapiere zu läppischen sechs Prozent des Nominalwerts erstanden – für Bonds im Wert von einer Million also gerade einmal 60.000 Dollar gezahlt.

Diese Gläubiger haben aber natürlich noch viel weniger moralischen Anspruch auf das Geld als die ursprünglichen Gläubiger. Und doch ist das oft nicht einmal das Ende vom Spekulantenlied. Diese Hedgefonds haben vielleicht nicht nur die Schuldscheine im Wert von einer Million für 60.000 Dollar gekauft, sondern sie haben auch noch Kreditausfallversicherungen abgeschlossen. Der Deal hat sie insgesamt vielleicht 200.000 Dollar gekostet (60.000 für den Schuldschein, 140.000 für die Versicherung). Wenn Argentinien pleitegeht – genauer gesagt: in dem Moment, in dem ein Kreditereignis eintritt –, kassieren sie von der Versicherung die komplette Million. Reingewinn: 800.000 Dollar. Solche Spekulanten verdienen also so oder so: entweder vom argentinischen Staat oder von der Ausfallversicherung. Im Grunde haben sie kein Risiko, aber ein Interesse, dass der Staat pleitegeht.

Also noch einmal: Da kann ein New Yorker Bezirksgericht dem Ansinnen von Paul Singers[4] Geierfonds NML Capital stattgeben und ein ganzes Land in die Krise führen und damit die Existenz von 40,5 Millionen Argentinierinnen und Argentiniern gefährden. Von Moral, von Verantwortung keine Spur. Und alles, um aus je 6 Dollar Kaufwert zuzüglich Versicherung 80 Dollar Gewinn zu machen. Schlimm genug das Ansinnen, noch schlimmer, dass die – in diesem Fall – amerikanische Rechtsordnung so etwas zulässt.

Deutlich wird daran auch, dass erstens Schuldenschnitte bei Staaten keine Sicherheit bieten, Argentinien wird 13 Jahre später von den Folgen der Staatspleite von 2001 eingeholt. Und zweitens: die Lebensumstände und die Rechte der betroffenen Menschen interessieren offenbar überhaupt nicht. Eine Rechtsordnung, die die höchst zweifelhaften Interessen von Geierfonds höher bewertet als die Rechte der Menschen, zerstört die Demokratie.

Wir brauchen ein internationales Recht, das so etwas verhindert. Ob hier ein Insolvenzrecht für Staaten, wie es Lutz Herden in der gleichen Ausgabe [1] des Freitag fordert, ausreicht und vor allem durchsetzbar ist, da habe ich so meine Zweifel. Der Autor versucht hier Regeln bzw. Grenzen vorzuschlagen:

Staaten sind für dieses Verfahren prädestiniert. Schließlich wissen deren Regierungen am besten, worin das Existenzminimum ihres Gemeinwesens besteht, damit es überlebt. Sie können geltend machen, was an Infrastruktur, Kulturgütern, Sozialdiensten, Polizei und Katastrophenschutz nicht zur Konkursmasse gehören darf, von der Gläubiger zehren.

Das Regelwerk eines Insolvenzrechts für Staaten dürfte kein unüberwindbares Hindernis sein, aber der Konsens über eine internationale Insolvenzgerichtsbarkeit. Man bedenke nur, wie die Malaise Argentiniens durch die willkürlichen Beschlüsse von US-Gerichten angeheizt wurde.

Aber wie soll das gegen den Casino-Kapitalismus, die Macht der sogenannten Finanzinvestoren durchgesetzt werden? Wie können wir verhindern, dass Geierfonds Menschenrechte fressen? Dass die Erwartung auf Spekulationsgewinne höher bewertet wird als die sozialen Rechte eines ganzen Landes, muss dringend ein Ende finden.

Endnotes:
  1. Argentinien und die Aasgeier auf den Finanzmärkten und in den Redaktionsstuben: http://www.nachdenkseiten.de/?p=22615
  2. Beitrag: https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/schulden-und-suehne
  3. Robert Misik: http://www.misik.at/
  4. Paul Singers: https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Singer_%28Gesch%C3%A4ftsmann%29