Mut zum Lernen

Karikatur vom 24.09.2018

Quelle: Stuttmann Karikaturen

von Ludger Elmer und blog1

In einer politischen Diskussion hieß es jüngst, wir sollten nicht immer an das Jahr 2040 denken, sondern entscheiden, welche Schritte in diesem und im nächsten Jahr unternommen werden.

Gelingt endlich ein Einstieg in eine ökologische und soziale Transformation der Gesellschaft?

Können echte Schritte zur Begrenzung des Klimawandels vereinbart werden, entsprechend unserer Verantwortung, unseres Beitrags und unserer zugesagten Klimavereinbarungen?

Inwieweit spielt die geforderte Umwandlung der Gesellschaft – z.B. Reduzierung der Mobilität in einer umweltgerechten Verkehrsinfrastruktur, Beenden des Artensterbens in einer biologischen Landwirtschaft, faire Handelsbeziehungen mit den Ländern Afrikas – überhaupt eine Rolle bei der geforderten inhaltlichen Erneuerung der SPD?

Die Vorsitzenden der beiden größten Landesgruppen der SPD Niedersachsen und NRW fordern die Partei auf mutig zu sein. Sie kritisieren den Finanzminister Scholz, weil er zu wenig in die öffentliche Infrastruktur investiert. Sie fordern den Außenminister Maas auf, Initiativen zur Abrüstung und Rüstungskontrolle zu ergreifen, sowie auf Dialog und Entspannung, auch und gerade mit Russland zu setzen.

Bei anderen Themen könnte sogar die Bayerische Verfassung helfen. Die Artikel 161 und 123 müssen nur genutzt werden, um Boden- und Mietpreise zu regulieren und um die steigende Ungleichheit zu begrenzen. Es heißt dort:

Steigerungen des Bodenwertes, die ohne besonderen Arbeits- oder Kapitalaufwand des Eigentümers entstehen, sind für die Allgemeinheit nutzbar zu machen.

Die Erbschaftssteuer dient auch dem Zwecke, die Ansammlung von Riesenvermögen in den Händen einzelner zu verhindern.

Wie viel Mut, wie viel Phantasie ist eigentlich notwendig, um eine progressive Politik zu formulieren?

Wo bleiben die Forderungen, endlich das Ehegattensplitting in ein Familiensplitting zu überführen, wo sind die Bestrebungen, die unsoziale Beitragsbemessungsgrenze auf- bzw. mindestens anzuheben?

Wir wollen einen Blick auf unsere Nachbarn werfen, wo der Exportweltmeister doch noch einiges lernen kann.

Wohnen und Rente in Österreich

In Wien ist das Wohnen weitaus preisgünstiger als in Deutschland’s Metropolen. Woran liegt das? Der soziale Wohnungsbau hat hier immer eine dominante Rolle gespielt.

Der Gemeindebau gilt den Wienern als gesellschaftliche Errungenschaft und der Sozialdemokratie als heiliger Gral. Die seit den 1920er Jahren errichteten Wohnhäuser, bis heute im Besitz der Stadt, sind aber nicht der einzige Grund, warum die Wiener wesentlich günstiger wohnen als Menschen in anderen europäischen Städten. Nicht nur gehören 32 Prozent aller Mietwohnungen der Gemeinde, 26 Prozent sind außerdem im Eigentum von gemeinnützigen Immobilienfirmen, die moderate Mieten verlangen. Der Anteil privater Eigentumswohnungen ist in Wien schmal.

Man kann sich doch manches vom Nachbar abschauen, sagt sogar der Münchner Merkur. Die Renten in Österreich liegen wirklich um ein einiges höher als die in Deutschland.

Die Zahlen sind eindeutig: Bei 1231 Euro liegt die monatliche Durchschnittsrente in der Alpenrepublik. Rechnet man ein, dass sie zudem 14 Mal ausbezahlt wird, kommt man sogar auf 1436 Euro. Dem gegenüber stehen in Deutschland nur 909 Euro. Zudem gibt es – anders als in Deutschland – eine Mindestrente.

Es mag Dinge geben, die den österreichischen Vorsprung mindern, über die Einbeziehung der Selbstständigen in die gesetzliche Rentenversicherung sollte man in Deutschland aber durchaus nachdenken.

Pflege in Dänemark

Die Pflege ist in Dänemark steuerfinanziert, zuständig sind die Kommunen, Pflege ist eine öffentliche Aufgabe.

Die Gemeinden in Dänemark schauen nach ihren älteren Bürgern – sogar schon bevor sie Pflege benötigen. Ab dem Alter von 75 Jahren hat jeder Anspruch auf präventive Hausbesuche. So will man frühzeitig erkennen, wenn dann jemand Hilfe braucht.

In Deutschland werden dagegen immer mehr Pflegeeinrichtungen privatisiert, sagt die Saarbrücker Zeitung:

Im Krankenhausbereich dominierten deutschlandweit vier private Ketten den Markt. Im Pflegebereich seien mittlerweile 42 Prozent der stationären Einrichtungen in privater Trägerschaft. „Die Branche ist für Investoren lukrativ und boomt“, sagte Beatrice Zeiger, Geschäftsführerin der Arbeitskammer, gestern bei der Veranstaltung: „Ist unser Pflegesystem für die Zukunft gesichert?“ in Saarbrücken. Zeiger beklagte: „Nur die Arbeits- und Pflegebedingungen von Beschäftigten und Pflegebedürftigen boomen nicht mit.“ Um möglichst profitabel zu arbeiten, sei das Lohnniveau in einigen privaten Einrichtungen und Diensten der Altenpflege im Gegensatz zu den im Saarland oft tarifgebundenen Häusern besonders niedrig. Zeitzuschläge für Überstunden und Jahressonderzahlungen würden dort nur noch ausnahmsweise gezahlt. Die Arbeitsbedingungen seien in vielen Fällen katastrophal, betonte Zeiger. Das übermäßige Profitstreben der Konzerne sei ein großes Risiko für die Pflege. Der Staat dürfe bei der Pflege nicht alles den Marktkräften überlassen. „Beschäftigte und Pflegebedürftige dürfen nicht Verlierer einer Privatisierung werden“, mahnte Zeiger.

Klimaschutz in den Niederlanden

Während Deutschland seine selbst gesteckten Klimaziele krachend verfehlt, legen die Niederländer ein vorbildliches Klimaschutzprogramm auf:

Laut einem Bericht der TAZ haben Ende Juni 2018 drei Viertel der Abgeordneten im Parlament der Niederlande ein Gesetz vorgelegt, das als Vorbild für die ganze Welt gelten kann: Es schreibe fest, dass die klimaschädlichen CO2-Emissionen des 17-Millionen-Volks bis 2050 verbindlich um 95 Prozent gegenüber 1990 sinken müssen. Bis 2030 sollen es schon minus 49 Prozent sein. Ab 2019 müsse die Regierung alle fünf Jahre eine Strategie vorlegen, wie diese Ziele zu erreichen seien. Und jedes Jahr werde sie mit einem „Klimatag“ die Öffentlichkeit informieren.

Unbeachtet dagegen ist eine Studie des Fraunhofer Instituts vom August 2018 geblieben: Deutschland, so hieß es, könne seine Klimaziele 2020 erreichen.

Der Studie zufolge müssen dafür die ältesten Braunkohle-Blöcke abgeschaltet, Wind- und Solarkraft wie im Koalitionsvertrag vereinbart ausgebaut und Braunkohlekraftwerke, die älter als 20 Jahre sind, in ihrer Leistung leicht gedrosselt werden. So könnten die deutschen CO2-Emissionen bis 2020 wie von der Bundesregierung wiederholt versprochen um 40 Prozent gegenüber 1990 gesenkt werden. „Wenn die Bundesregierung ihr Klimaziel ohne Not aufgibt, torpediert sie jeden internationalen Ehrgeiz, den Planeten zu kühlen“, sagt Anike Peters, Energieexpertin von Greenpeace. „Deutschland kann 2020 wie versprochen 40 Prozent weniger Treibhausgase ausstoßen und dabei die Versorgung sicherstellen. Nicht die technischen Möglichkeiten fehlen, sondern allein der politische Wille.“

Bahnfahren in der Schweiz

Während die Deutsche Bahn AG weltweit Logistikprojekte stemmt, ist sie im Inland mittlerweile im Katastrophenmodus angelangt. Verspätungen, Pannen und Ausfälle häufen sich.

In der Schweiz hat die Bahn oberste verkehrspolitische Priorität:

In der Schweiz steht der Schienenausbau hingegen weit oben auf der Agenda. Während die Eidgenossenschaft im vergangenen Jahr 383 Euro pro Bürger in ihr Schienennetz investierte, waren es in Deutschland nur gerade 56 Euro. Nur 7,4 Prozent aller Personenfahrten entfallen in Deutschland auf den Zug, in der Schweiz sind es 19,3 Prozent, rechnet Wolf-Dieter Deuschle vom Schweizerischen Bundesamt für Verkehr vor. Für ihn ist der Grund klar: “Je mehr in die öffentlichen Verkehrsmittel investiert wird, desto mehr Leute nutzen sie.”

Karikatur vom 18.01.2019

Quelle: Stuttmann Karikaturen

Fiskalpolitik in Portugal

Wie man sich dem Diktat des Exportweltmeisters entzieht, hat auf beeindruckende Weise das EU-Mitglied Portugal gezeigt. Hatte der ehemalige deutsche Finanzminister den Portugiesen noch mit dem EU-Rettungsschirm und der damit verbundenen Austeritätspolitik gedroht, so antworteten die Portugiesen auf ihre Weise mit einem volkswirtschaftlich beispielhaften Kurs:

Die Aufkündigung des absurden Kurses, einfach die Ausgaben überall zu kürzen, führte zum Erfolg. Die von den konservativen Vorgängern gekürzten Löhne und Renten wurden wieder erhöht, eingeführte Sondersteuern wieder abgeschafft und Steuererhöhungen zurückgenommen. Es wurden aber auch Steuern erhöht, wie die Erbschaftssteuer und Vermögenssteuer. Mit der Zusatzgrundsteuer wurde zudem eine Vermögenssteuer auf Immobilien eingeführt. Ein Freibetrag sichert aber, dass das kleine Häuschen oder die normale Wohnung der einfachen Leute steuerfrei bleibt.

Portugal reduzierte die Arbeitslosigkeit, generierte Steuereinnahmen, drückte das Haushaltsdefizit weit unter die EU Marke von 3% vom BIP und zahlt sogar frühzeitig Kredite des IWF zurück.

Alle diese Beispiele könnten der SPD helfen, ihre inhaltliche Erneuerung voranzutreiben. Gemein ist allen gezeigten Vorgänge, dass Schuldenbremse und Sparpolitik keine guten Empfehlungen für einen progressive Politik darstellen.

Ein Blick in die Medien nach dem gescheiterten Votum im britischen Parlament zur Brexit-Frage zeigt die Ratlosigkeit, nicht nur der Politik. Es ist die Ratlosigkeit nach den Folgen des Neoliberalismus.

Die britische Schriftstellerin und Aktivistin Laura Penny sagt (SZ vom 19./20.1. 2019, Seite 13):

Der Lebensstandard hat sich verschlechtert, die Gebühren für Universitäten haben sich verdreifacht, ein Drittel aller öffentlichen Bibliotheken wurde geschlossen, die Budgets von Kommunen wurden um bis zu 40 Prozent gekürzt, Schulgebäude verrotten, in Krankenhäusern herrscht Mangel an Personal und Geräten, und gestrichen wurde auch die staatliche Rechtsbeihilfe, was vor allem Migranten trifft.

Wenn der soziale Kahlschlag erfolgreich war, dann verhalten sich Wähler und Parlamente so, wie es der Slogan des Neoliberalismus sagt, sie haben offenbar keine Alternative mehr.

Ist die SPD lernfähig?

Das Jahr 2019 wird zum Schicksalsjahr für die SPD. Folgende Wahlentscheidungen auf der Europa- bzw. Landesebene stehen an:

  • 26.05. Europaparlament und Bremen
  • 01.09. Brandenburg und Sachsen
  • 27.10. Thüringen

Bei den Wahlen zum Europaparlament droht der SPD ein Debakel. Die SPD stellt innerhalb der Fraktion der progressiven Sozialdemokraten (S&D) aktuell 27 Sitze. Insgesamt wird auch der S&D-Fraktion ein massiver Schrumpfungsprozess prognostiziert, weil die sozialdemokratischen Parteien in Ländern wie Italien und Frankreich massiv schwächeln. Einzig und allein Portugal zeigt eine aufsteigende Tendenz, weil Portugal sich u.a. dem deutschen Diktat einer Austeritätspolitik erfolgreich widersetzt hat. Das Problem besteht wohl darin, dass Keynes mit seiner Theorie des „deficit spending“ nicht überall verstanden wird. Stattdessen jagt der politische und mediale Mainstream neoliberalen Theorien eines Friedrich von Hayek oder eines Milton Friedman nach. Der Begriff der marktkonformen Demokratie macht die Runde. Die SPD versäumt ja keine Gelegenheit, sich zu Europa zu bekennen. Schulz hatte zwar im Bundestagswahlkampf die Europapolitik sträflich vernachlässigt, mit Macron hatte die SPD schnell eine neue Gallionsfigur gefunden. Jetzt nachdem der Lack seiner „En marche-Bewegung“ deutlich abgeblättert ist und die Gelbwestenproteste nicht abebben, zeigt sich der wahre Kern eines Emmanuel Macron, der als überzeugter Neoliberaler die Agenda 2010 auf französische Verhältnisse zuschneiden möchte und jetzt auf massiven Widerstand stößt. Macons einziger Verdienst ist, dass er Marine Le Pen verhindert hat. Frankreich hat sich Zeit gekauft, mehr aber auch nicht.

Blickt man nach Großbritannien, fällt der SPD in der Gestalt von Außenminister Heiko Maas nichts anderes ein als zu betonen, dass die Briten nun mal endlich sagen sollen, was sie wollen, bevor die Europäer dann entsprechend regieren können. Das ist das übliche Schwarze-Peter Spiel, wenn man selbst nicht mehr weiter weiß und darauf hofft, dass es dem anderen genauso geht. Im Volksmund heißt das Beamtenmikado „Wer sich bewegt hat verloren“.  Der Backstop entwickelt sich zum Rohrkrepierer und im britischen Parlament zeigt sich, dass einzig und allein Mr. Speaker John Bercow eine seriöse Rolle einnimmt, wenngleich gewisse Parallelen zu Mr. Bean unverkennbar sind. Wenigstens bietet das britische Parlament einen höheren Unterhaltungswert als das deutsche.

Und was sagt die Spitzenkandidatin der SPD für die Europawahl Katarina Barley zu dem Ganzen: „nichts“. Sie hat ja schließlich 2 Pässe und das muss reichen. Es sind gerade die Karrieristen in der SPD, die alles andere als Charisma versprühen und sich von einem Posten zum nächsten hangeln, gestützt durch eine Funktionärsebene, die darauf lauert, auch ein Stück vom Kuchen abzubekommen. Da nützt es herzlich wenig, wenn der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert immer wieder den Finger in die Wunde legt.

Die bevorstehenden Landtagswahlen

In den Bundesländern Bremen und Brandenburg stellt die SPD jeweils den Ministerpräsidenten. In Bremen regieren Bündnis 90/die Grünen mit, während in Brandenburg die Linkspartei den Koalitionspartner stellt. Kann noch in Bremen Ministerpräsident Carsten Sieling darauf hoffen, dass ein Stimmenrückgang bei der SPD durch Bündnis 90/die Grünen abgefangen wird, wird in Brandenburg dieser Kompensationseffekt nicht eintreten. MP Woidke von der SPD wird es schwer haben, im Amt zu bleiben. Die Wahlprognosen zeigen, dass die SPD, CDU und AfD gleichauf liegen und die Linkspartei deutlich dahinter liegt. Von der Linkspartei ist also keine Schützenhilfe zu erwarten. In Brandenburg zeichnet sich also ein Dreierbündnis ab, das mit großer Wahrscheinlichkeit aus Schwarz/Rot/Grün besteht. Sollte die AfD zur stärksten politischen Kraft werden, wäre dies zwar kein Supergau, aber ein deutliches Signal dafür, dass sich in den neuen Bundesländern ein gefährlicher Rechtstrend manifestiert, der sich zum Sprengsatz für die Demokratie ausweiten kann.

In Sachsen und Thüringen hat sich die AfD längst festgesetzt und schickt sich dort an, stärkste politische Kraft zu werden.  Lag die AfD bei der letzten Landtagswahl in Sachsen noch auf Platz 3, wird sie wohl auf Platz 2 vorrücken und ihren Stimmenanteil mehr als verdoppeln. Die CDU wird Mühe haben, die AfD in Schach zu halten. Schon regen sich die ersten Stimmen in der sächsischen CDU, mit der AfD eine Koalition zu bilden. MP Kretschmer dementiert zwar heftig, ob er nach der Landtagswahl das Heft noch in der Hand halten wird, ist fraglich. Die SPD spielt in Sachsen praktisch keine Rolle mehr und wird in den einstelligen Bereich abrutschen. Der SPD in Sachsen droht also ein ähnliches Wahldebakel wie in Bayern.

Last but not least verbleibt noch der Freistaat Thüringen. In Thüringen regiert eine Rot/Rot/Grüne-Koalition unter Führung von MP Ramelow, der weitestgehend geräuschlos agiert. Was die AfD betrifft, hat dort der stramme Rechtsaußen Björn Höcke mit den Göbbels-Attituden das Sagen. Laut Aussage des Parteisprechers und Fraktionsvorsitzenden der AfD-Bundestagsfraktion Alexander Gauland ist Björn Höcke nur ein Mensch, der sein Land über alle Maßen liebt und alles andere als rechtsradikal einzustufen ist. Das kennt man bei der AfD zu genüge. Die Grenzen nach rechts so weit wie möglich ausloten, um dann bei entsprechendem Gegenwind zurückzurudern. Höcke ist nicht nur der AfD-Spitzenkandidat in Thüringen, er ist der Gründer der rechtsradikalen Strömung „der Flügel“, der beim den Kyffhäuser Treffen regelmäßig seine Auftritte hat und sich die AfD-Spitzenfunktionäre Gauland und Meuthen nicht scheuen, dort ihre Aufwartung zu machen. Auch in Thüringen wird die AfD mächtig zulegen. Es zeichnet sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der CDU, der Linkspartei und der AfD ab und die SPD wird wieder einmal unter die Räder kommen. Die jetzige Koalition wird der Vergangenheit angehören. Die Beobachtung bzw. Überprüfung der AfD durch den Verfassungsschutz ist zwar nachvollziehbar, es darf jedoch bezweifelt werden, ob die gewünschte Wirkung tatsächlich eintreten wird. Die AfD ist sowohl im Bundestag als auch in allen Bundesändern parlamentarisch vertreten. Sie ist also flächendeckend demokratisch legitimiert. Es ist also durchaus möglich, dass die Gerichte die Vorgehensweise des Verfassungsschutzes rügen und die AfD in Lage versetzt wird, sich als Märtyrer stilisieren.

Die SPD auf Bundesebene

Die SPD kommt aus dem Umfragetief nicht heraus und schwankt seit Monaten konstant um die 15%. Die Beteiligung der SPD in der Regierungskoalition erweist sich als Sackgasse. Die SPD kann sich nicht gleichzeitig erneuern und als Juniorpartner in der Regierung agieren. Die SPD hat ja im Koalitionsvertrag für den Herbst 2019 eine Sollbruchstelle eingebaut, sollten die Ergebnisse der Regierungsarbeit nicht dem Anforderungskatalog des Koalitionsvertrages entsprechen. Die neue Parteivorsitzende der CDU Kramp-Karrenbauer hat jetzt ihrerseits rote Linien definiert, die nicht überschritten werden sollten. Jede der beiden Koalitionspartner bereitet sich auf ein vorzeitiges Ende der Koalition vor. Jedoch hat die CDU die deutlich besseren Karten, weil der Streit zwischen den Schwesterparteien der Union beigelegt ist und sich die Trennung zwischen Parteivorsitz und Kanzleramt als strategischer Vorteil für die Union erweisen wird. Die CDU kann also in aller Ruhe die Parteivorsitzende AKK in Stellung bringen und kann mögliche Wahlniederlagen Bundeskanzlerin Merkel in die Schuhe schieben.

Die SPD wiederum wird ungebremst in den freien Fall übergehen, weil sie die Themen, die oben angesprochen werden, nicht oder nur unzulänglich aufgreift. Dies zeigt die aktuelle Debatte innerhalb der SPD um eine Reform bzw. die Abschaffung der Hartz IV-Gesetze. Sollen die Sanktionen ganz oder teilweise wegfallen? Nicht einmal da herrscht Einigkeit innerhalb der SPD. Stattdessen überlässt man Bündnis 90/die Grünen die Deutungshoheit über eine Reform des Sozialstaates.

Das Grundproblem besteht darin, dass ein Teil der SPD den Neoliberalismus nach wie vor befürwortet und somit auch die Errungenschaften der Agenda 2010. Ein anderer Teil möchte einen klaren Schnitt und eine komplette Neuorientierung. Dazwischen hängt eine Parteivorsitzende Andrea Nahles, die vergeblich versucht, einen Ausgleich zwischen den beiden Lagern zu finden. In der Bevölkerung hat sie wenig Sympathien, gilt als Apparatschik, die eine typische parteiinterne Karriere hingelegt hat.

Der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert hat Recht mit seiner These, dass sich die SPD nur außerhalb der Regierungskoalition erneuern kann. Wenn aber die SPD nicht weiß, in welche Grundrichtung ihre Erneuerung laufen soll, dann wird sie auch außerhalb der Regierung scheitern bzw. weiter marginalisiert.

Die Anfrage am Anfang lautete: „ist die SPD lernfähig?“ Wohl eher nicht, leidensfähig ist die SPD allemal.

Bildquelle: Klaus Stuttmann

 

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4 Gedanken zu „Mut zum Lernen

  1. Stefan Frischauf

    Danke für die großartige Analyse, Ludger und blog 1.
    Ob das Gegenteil zur geforderten “Lernfähigkeit” der SPD die “Leidensfähigkeit”ist, oder ob da nicht eine entsetzliche “Realitätsverweigerung” und “kognitive Dissonanz” der meisten immerhin persönlich abgesicherten Apparatschiks dieser stoischen Selbstzerstörung zugrunde liegt, das ist nach dieser prägnanten Analyse und den darin aufgezeigten düsteren, aber durchaus realistisch begründeten Perspektiven schon gar nicht mehr die Kernfrage. “Schlafwandelnd in den Abgrund”?
    Bemerkenswert auch der Hinweis auf Portugal.
    Das österreichische Magazin “Kontrast” feiert diesen Weg des Landes auch als
    “ALTERNATIVEN ZU SOZIALABBAU
    Portugal hat das Rezept gegen Rechtspopulisten gefunden”

    Portugiesischer Stolz ist etwas ganz Eigenes. Es gab sicher manche “friedliche Revolution” vor dem Mauerfall 1989. Die Nelkenrevolution, mit der das Portugiesische Volk 1974 die faschistische Nach-Weltkriegs-2-Ordnung gemeinsam mit linken Militärs stürzte, ist die erste mir bekannte “friedliche Revolution”.
    So etwas kann einem Volk auch die Kraft geben, einen solchen Weg zu gehen. Einen Weg, der Wolfgang Scholz und Olaf Schäuble und den anderen “Austeritätswächtern” mutig – aber ohne viel Aufhebens entgegentritt.

    1. blog1

      Lieber Stefan,
      vielleicht ist die SPD mit ihrer Sozialstaatsreform aufgewacht. Wir werden das beobachten.
      Aus meiner Sicht arbeitet die SPD darauf zu, die große Koalition platzen zu lassen. Es sieht ganz danach aus, dass wir im Herbst Neuwahlen haben werden. Voraussetzung ist allerdings, dass sich die Umfragewerte deutlich verbessern.
      Die CDU/CSU wiederum versucht, ihr Profil zu schärfen. Die so genannten Werkstattgespräche zeigen auf, dass die CDU-Vorsitzende Kramp-Karrenbauer die Reihen bei dem Hauptstreitpunkt Asyl- und Migrationspolitik schließen möchte und geht dabei den Weg einer deutlich verschärften Linie, die einen knallharter Abschottungskurs zum Ziel hat. Gleichzeitig wird der Wirtschaftsflügel der CDU nicht müde, die komplette Abschaffung des Solidaritätszuschlags zu fordern. Das führt allein zu Steuermindereinnahmen von 10-12 Mrd. € pro Jahr, nicht gerechnet die erhöhten Ausgaben für den Militärhaushalt.
      Finanzminister Scholz warnt schon davor, dass in den kommenden Jahren Finanzlöcher im Haushalt aufgrund einer rückläufigen Konjunktur entstehen könnten. Nachdem beide Regierungsparteien in der Schuldenbremse gefangen sind, wird es spannend werden, welche Grundrichtung in den beiden Parteien eingeschlagen wird und wer mit seiner Strategie den Wähler erreichen wird.
      Jedenfalls scheint es so, dass es der SPD gelingen könnte, die innerparteilichen Kritiker rund um Kevin Kühnert einzufangen. Die Abschaffung der Hartz IV Gesetze ist dabei ein zentraler Punkt für die Befriedung innerhalb der SPD, die auch nach außen in die Wählerschaft wirken soll. Die SPD hat ein Wachstumspotential von kurzfristig 10%. Dies zeigte sich auch in dem Hype um den Kanzlerkandidaten Schulz im Vorfeld der letzten Bundestagswahlen.
      Die CDU/CSU wird versuchen, die Vorschläge der SPD zur Reform des Sozialstaates zu zerreden bzw. als nicht finanzierbar zu deklarieren. Wenn es Andrea Nahles gelingt, die Reihen geschlossen zu halten, kann die SPD in der Wählergunst zulegen. Dies wird aber zu Lasten vor allem der Linkspartei gehen. Entscheidend wird aber sein, wieviel Wählerstimmen von Bündnis 90/die Grünen zurückgewonnen werden können. Ein Linksbündnis ist somit auf absehbare Zeit nicht möglich, weil wechselseitige Kannibalisierungseffekte dominieren.

  2. gerhard dengler

    Danke für Deine Analyse, Ludger – insbesondere der Vergleich mit anderen EU-Staaten. Ich kann nicht verstehen, warum man nicht von anderen Staaten lernen kann oder will. Es gibt sicher genügend Analysen die die Gemeinsamkeiten und auch Unterschiede zu den deutschen Systemen untersucht haben.
    Irgendwie ist bei vielen Themen – zuletzt die Bahn – ein Weiterwursteln im gleichen System mit nur kleinen Korrekturen das non-plus-ultra der deutschen Politik – statt einzugestehen, daß ein Thema seit 20 Jahren in die falsche Richtung gelaufen ist und eine drastische Kehrtwendung einzuläuten. Das hätte aber was mit Mut zu tun

    Gerhard

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