Anfang 2017: „Ausblick“ Karin Leukefeld
6. | Anfang 2017: „Ausblick“ Karin Leukefeld |
„Es ist menschlich, angesichts grausamer Bilder und Anschuldigungen emotional aufgewühlt, zornig zu sein. In der komplizierten Kriegszone Syrien allerdings – in der es nationale, regionale und internationale staatliche und noch viel mehr nicht staatliche Akteure und Interessen gibt – eskalieren solche Kampagnen das Geschehen. Positive Entwicklungen wie Dialog, Waffenstillstände, politische Verhandlungen werden behindert, blockiert, vielleicht unmöglich gemacht. Sieger sind extremistische Positionen, weil sie am Krieg mit verdienen. …
Die Waffen für die Kriege im Nahen und Mittleren Osten gehen nicht aus. Russland und Iran unterstützen vertragsgemäß die syrische Armee, irreguläre Kampfgruppen werden weiter von den Golfstaaten mit Waffen aus Europa und den USA beliefert.9…
Sowohl Saudi-Arabien, als auch Katar erhöhten ihre Waffeneinfuhr zwischen 2012 und 2016 um mehr als 200 Prozent.
Wenn die völkerrechtlich legitimierte syrische Regierung weiter militärisch bekämpft, wirtschaftlich isoliert, politisch und medial als Feind markiert und nicht als Partner für den Frieden angesprochen wird, ist ein Ende des Krieges nicht absehbar.
Die Syrer zahlen dafür seit 2011 den höchsten Preis.“10
7. | 2018: Saudi-Arabien und der Iran – Ausweitung des Flächenbrandes im Jemen? |
Die grausame Ermordung des kritischen saudischen Journalisten Jamal Kashoggi durch ein Kommando aus dem Hause Saud hat in der „westlichen Wertegemeinschaft“ zumindest vorübergehend etwas den Fokus auf den „Partner“ Saudi-Arabien erweitert.
Der seit 2015 geführte Krieg im Jemen, der in den hiesigen Medien auch verstärkt auf die Konfrontation zwischen Schia und Sunna, zwischen Iran und Saudis reduziert wird jedoch ist wie jeder Krieg ein immer wieder völlig aus dem Rampenlicht verschwindendes Geschehen. Der Überfall des reichsten Landes der arabischen Halbinsel, des absolutistisch regierten Königreiches auf das ärmste Land der Region da erfährt so eine seltsam oberflächliche „Legitimation in der öffentlichen Meinung“.
Der Stop der Waffenexporte an Saudi-Arabien von Seiten Berlins wird erst groß verkündet, dann auf zwei Monate befristet. Weiterer Verlauf eher ungewiss. Rechnet man mit der Vergesslichkeit der „öffentlichen Meinung“?
Weitere Konfliktebenen und staatliche und nicht staatliche Akteure und einzelne Entscheidungsträger darin und die jeweiligen Interessenskonflikte und Kriegsursachen bleiben unerwähnt.
„Intrigen und Ränke am Hof“ – besser an den vielen Höfen wurden ohnehin immer tunlichst verschwiegen.
„Naturgesetz“. Der Iran, „größte Bedrohung des Weltfriedens“ als Unterstützer des Huthi-Regimes im Jemen:
In Anbetracht der medialen Steuerung von Nachrichten im Orkus der „Leitmedien“ zeichnet sich so eher eine „Verdrängung des sich solchermaßen diskret ausweitenden Flächenbrandes“ ab.
„Alles gut. Weit weg.“
So scheinen viele hinter den Linien der „öffentlichen Meinung“ zu denken. Die Debatten über „Migranten und Flüchtlinge“ jedoch verheißen da schärfere Auseinandersetzungen. Mit welchen Folgen im „post-demokratischen Alltag“?
„Die Geschäfte müssen laufen.“
So scheinen wiederum viele vor und in den Linien der „öffentlichen Meinung“ zu denken. Und dies auch in Anbetracht ihrer medialen Stimmgewalt lauthals immer wieder zu verkünden. Lange Zeit aus dem Bühnenhintergrund. Derzeit auf der vordersten Ebene der Bühne, direkt vor dem Orchestergraben.
8. | Berlin und Paris: (Neo-) Postkoloniales Wegducken unter die Doktrinen des „Kriegs gegen den Terror“? |
Im Gegensatz zu Paris, wo zumindest das vorher zitierte Buch der beiden Journalisten Chesnot und Malbrunot11 viele brisante Details des einer Gleichschaltung ähnelnden, 2011 durchgeboxten Plans vom „Regimewechsel in Damaskus mit aller Gewalt“ eine etwas breitere Öffentlichkeit für diese eher „post-demokratische und beratungsresistente“ Situation „am Hofe“ geschaffen hat, findet man aus Berliner Regierungskreisen und der dortigen Verwaltung keine Verlautbarungen, die über einfache Statements hinausgehen.
Der große Partner der „Grande Nation“ da in Mitteleuropa hat natürlich keine solche koloniale Vergangenheit zumal dort in Syrien. Traditionell hat aber Deutschland, haben sowohl die Bundesrepublik als auch die DDR immer gute Beziehungen zur „arabischen Welt“ gepflegt. Man kann sagen:
zur gesamten muslimischen Welt.
Ganz gleich ob Sunna oder Schia oder andere lokale muslimische Glaubensgemeinschaften da jeweils vorherrschen.
Dennoch wiegt das Erbe des „Kampfes der Kulturen“ sehr schwer. Und es erfordert ehrliche, tiefe vertrauensbildende Maßnahmen, um einen „wirklich Frieden versprechenden Waffenstillstand für Syrien und die Region“ anzustreben.
9. | 2019: Sudan – früherer „Schurkenstaat“ G.W.Bushs. Ausweitung des Flächenbrandes? |
Karin Leukefelds Buch „Flächenbrand“ verdeutlicht auch, wie flexibel „Pläne zum Systemwechsel“ im Nahen und Mittleren Osten seit den 1980er Jahren von Seiten verschiedener US-Regierungen der jeweiligen strategischen Situation angepasst werden. Wie immer wieder auf Fragmente von älteren „Planwerken und Gedankenspielen“ zur Neugliederung der Region und ihrer Völker zurückgegriffen wird. Und wie dabei besonders die „Eindämmung“ des Iran und von Russland und China in ihren jeweiligen Macht- und Einflusssphären erfolgen soll.
Am 25. Dezember 2018 berichtet die Tagesschau über die Unruhen im Sudan. „Zunächst ging es nur um höhere Brotpreise – inzwischen rufen die Demonstranten zur Revolution auf. Wie gefährlich wird das für Diktator al-Baschir? Die Sorge vor einem Bürgerkrieg im Sudan wächst.“12
Das Land in der Sahelzone am weißen und blauen Nil, mit der Nubischen Wüste östlich vom Nil zum Roten Meer und der Lybischen Wüste westlich davon wurde von George W. Bush als „Schurkenstaat“ bezeichnet. In den auch von Karin Leukefeld notierten Äußerungen des ehemaligen NATO-Oberbefehlshabers und Vier-Sterne-Generals der US-Army a.D. Wesley Clark steht auch der Sudan auf der Liste der „sieben Länder, die in fünf Jahren zu überfallen und die Regierungen zu stürzen“ sind. Clark bringt im Jahr 2007 die „Pläne der Bush-Administration“ im unmittelbaren Anschluss an die Anschläge vom 11. September 2001 mit früheren geostrategischen Hinweisen von Politikern von 1991 und den Mitgliedern der Denkfabrik „Projekt für ein Neues Amerikanisches Jahrhundert“ von 2000 in der Regierung zusammen.
Die Schilderung der „Pläne“ der Bush-Administration, die er wenige Wochen nach 9/11 beiläufig von einem Offizier vom „Vereinigten Generalstab“ (Joint Chiefs of Staff) im Pentagon erfahren hat, lässt ihn zunächst konsterniert zurück. Im Jahr 2007 dann spricht er von einem „politischen Staatsstreich“.13
Bis März 2015 war der Sudan eines der wenigen arabisch-sunnitischen Länder mit guten Beziehungen zum Iran. Dann jedoch brach man mit dem schiitischen Gottesstaat und wurde Teil der saudischen Koalition im Jemen. Gleichwohl unterhält man gute Beziehungen zu Katar und der Türkei und unterstützte die Muslimbrüderschaft während der Staatskrise in Ägypten 2013/14 und dem Bürgerkrieg in Libyen 2014/15.
Meine Wenigkeit ist schon 2010 auf einem Flug zwischen Kabul und Frankfurt ehemaligen US-Army-Mitgliedern begegnet, die sich intensiv mit dem Sudan beschäftigten. Wahrscheinlich DIA- oder CIA-Mitarbeiter. Eine lange, sehr interessante Unterhaltung.
In Anbetracht der „Flexibilität alter Planwerke“ nach dem, was Gen. a.D. Wesley Clark als Staatsstreich des „Projektes für ein Neues Amerikanisches Jahrhundert“ in der Bush-Administration bezeichnet und was ja auch in Stratfor und anderen „Denkfabriken des Imperiums“ weiter gesponnen wird, kann man gespannt sein, wie sich die Lage im Sudan nun entwickeln wird.
In Anbetracht der spätestens seit 2001 dauerhaft virulenten Deflationskrise als ökonomiegeschichtliche Phase allergrößter Kriegshäufigkeit werden gerade die Falken im politisch-unternehmerischen Teil des Militärisch-(finanz-)industriellen Komplexes gerade der US und der ehemaligen Kolonialmacht UK wahrscheinlich bald neue Absatzmargen zwischen Arabern und Schwarzafrikanern – Sunniten (rund 70 % der Sudanesen), Anhängern ethnischer Religionen (rund 25 %) und Christen (rund 5 %) innerhalb der einzelnen Volksgruppen der Sudanaraber, Nubier, Nuer und anderer ausmachen.
Diktator al-Baschir wird ihnen das leider erleichtern.
Den Menschen im Sudan ist es nicht zu wünschen.
Aber es ist zu befürchten.
10. | 2019: Syrien. Beginn des Wiederaufbaus? |
Ende 2018 werden die „Kosten von Krieg und Wiederaufbau“ diskutiert. Der außenpolitische Sprecher der Grünen Omid Nouripour sagt im Interview mit der Deutschen Welle, dass die Hilfe dabei der „einzige Hebel für Deutschland, politische Forderungen und Bedingungen an Syrien zu stellen“ sei.14
Frage: Geht das überhaupt, während andernorts noch die Stellvertreterkriege weitergehen?
Im Hinblick auf „faire internationale Zusammenarbeit“?
Auf „vertrauensbildende Maßnahmen“, um mit den Syrern zusammen wirklich ihr Land wieder aufzubauen?
„Die Angaben über die Kosten zum Wiederaufbau gehen weit auseinander. Während der scheidende UN-Sondergesandte für Syrien, Staffan de Mistura, von rund 250 Milliarden US-Dollar spricht, beziffert das syrische Regime die Summe mit 400 Milliarden US-Dollar. Aber auch die Summe von 1,2 Billionen US-Dollar steht im Raum. Experten gehen zudem davon aus, dass die Beseitigung der Kriegsschäden mindestens ein Jahrzehnt dauern wird.“ 14
Als Architekt und Ingenieur mit Erfahrungen sowohl bei der (Kosten-)Planung allgemein auf allen Maßstabsebenen als auch in der „Aufbauhilfe“ in Afghanistan will ich mich zu solchen „Zahlenspielen“ und „Zeitangaben“ nicht äußern.
Nur so viel: Das genannte Jahrzehnt zur „Beseitigung der Kriegsschäden“ wäre als erste Phase des Wiederaufbaus zu bezeichnen. Dabei sind maßgeblich überhaupt sozio-ökonomische und ökologische Infrastrukturkonzepte zu entwickeln, die zudem den Bestand im (bau-)historischen Sinne evaluiert und Themen von Rekonstruktion und Wiederherstellung auch maßgeblicher Teile des gebauten „kollektiven Gedächtnisses“ in diese Themenkomplexe einfügt.
Insbesondere, wie der Wiederaufbau dann mit dem syrischen Volk in den verschiedenen Provinzen und Städten unter Einbindung aller Gruppen vollzogen und organisiert werden kann.
Mit besonderem Gewicht dann auch auf „Allmende“: den Umgang mit Gütern des Allgemeinwohls am jeweiligen Ort.
Und vieles mehr.
Bei den jetzigen, hier dargelegten „Perspektiven“ könnte man da polemisch hinzufügen: es scheint, als ob der „politische Staatsstreich“, von dem Wesley Clark spricht, weiter geht.
Die entsprechende „Beratungsresistenz“ scheinbar auch.
Der folgende Abschnitt, in dem „Positionen“ der führenden Insassinnen von Kanzleramt und Verteidigungsministerium zitiert werden, verdeutlicht das. Es heißt da dann auch:
„Doch wie eine Nachkriegsordnung aussehen könnte, das weiß noch niemand.“14
Das (partei-) politische Geschacher indes mehrerer zitierter deutscher Nahost- oder Außenpolitik-Experten und die zitierten Positionen Assads und auch seines Schutzpatrons Putin verdeutlichen, wie groß das Misstrauen ist.
„Nahost-Experte Guido Steinberg hält eine deutsche Beteiligung am Wiederaufbau Syriens – egal unter welchen Umständen – für falsch. Aber Moral sei eben bis heute keine etablierte Kategorie der internationalen Beziehungen.“14
Die Expertenaussage aus den Reihen der mehr oder weniger bundeseigenen „Stiftung Wissenschaft und Politik“ verdeutlicht das Dilemma einmal mehr: „Moral“ ist ein Idealbild, das ein(e) jede(r) nach seinen (ihren) „Werten“ bestimmt.
Diese „Werte“ jedoch sind von Interessen geleitet.
Der Inhalt eines solchen „Interessen geleiteten Idealbildes“ zu diesem Zeitpunkt kann nur situativ dem „Realismus auf dem Boden der Tatsachen“ gemäß der Interessen zwischen verschiedenen Partnern angepasst und vermittelt werden.
Vertrauen und Sicherheit sind Pinsel und Farbe bei Erstellung dieses „realistischen Bildes“.
Bei Darstellung von Licht und Schatten, Objekt und Hintergrund darauf. „Das Recht“ bildet dabei die Leinwand, den auf den Rahmen aufgezogenen Malgrund für das Bild.
Völker- und Menschenrecht – internationale Beziehungen jedoch bedürfen nach einem solchen Krieg einer grundlegenden Neuordnung.
Wenn die Bereitschaft dazu dargestellt wird, dann kann man mit Assad und seiner Regierung durchaus auch begründet eine neue Verfassung mit und für das syrische Volk ausarbeiten.
Und eine Vertrauensbasis zur Zusammenarbeit auch beim Wiederaufbau ermöglichen.
Das gilt zudem für Afghanistan nicht minder.
Es gilt für die historische Situation, in der wir uns befinden.
Weltweit.
Von der Bereitschaft dazu sind wir noch weit entfernt.
Krieg ist eine menschliche Extremerfahrung, die mit der Zeit gerne verdrängt wird. Auch der Grünen-Abgeordnete und frühere Iran-Flüchtling Omid Nouripour hat diese Erfahrung irgendwann in seinem Leben gemacht. Insofern soll ihm diese Empathie mit dieser Extremerfahrung auch nicht abgesprochen werden.
Der gesamte Konflikt seit 2001 mit dem „heftigsten Schauplatz Syrien“ ab 2011 ist jedoch gekennzeichnet durch stetige aggressive Verdrängungsprozesse. Auch hierzulande.
Es ist noch immer so, wie John Maynard Keynes es in seiner Schrift „Krieg und Frieden“ zum Versailler Vertrag 1920 ausdrückte: Jeder fühlt sich als (moralischer) Sieger. Und alle halten diese Position völlig starr ein. Keiner zeigt auch die leiseste Spur von Demut. Gerade auch gegenüber den vielen Menschen, die von 2001 bis 2018 den Kriegen zum Opfer fielen.
Alles ist weiterhin von Machtspielen geprägt.15
Dies betrifft ganz besonders die „westliche Wertegemeinschaft“.
Bei Russland und Syrien weiß ich es nicht.
Die Aussagen des Offiziers vom „Vereinigten Generalstab“ (Joint Chiefs of Staff) im Pentagon jedoch, den der ehemalige NATO-Oberbefehlshaber und US-General a.D. Wesley Clark 10 Tage nach 9/11 und dann noch einmal sechs Wochen später getroffen hat, sprechen eigentlich für sich. Auch das Zitat:
„Und Sie kennen diesen alten Spruch, der besagt: ‚Wenn das einzige Werkzeug, das Du hast ein Hammer ist, dann muss jedes Problem zu einem Eisennagel werden.’“13
In einer solchen Haltung sind „Interessensausgleiche“ und „faire Verhandlungen“ nicht möglich.
Die „westliche Wertegemeinschaft“ scheint sich das bedingungslose Recht anzumaßen, Hammer und Nagel zu benutzen, scheint aber keine Zange parat zu haben, um den krumm geschlagenen Nagel aus der Wand heraus zu ziehen.
Stattdessen scheint man lieber auf die Wand schimpfen zu wollen. Schon Konfuzius soll ja gesagt haben:
„Es ist besser, ein Licht zu entzünden, als auf die Dunkelheit zu schimpfen.“
Bisher ist diese entsprechende Bereitschaft der sich selbst so definierenden „westlichen Wertegemeinschaft“ nicht zu erkennen.
Inzwischen taucht zudem auch schon die nächste Generation innerhalb der „Krieg führenden Eliten“ dort auf. Und auch da sind kaum Zeichen von Läuterung und Demut zu erkennen, wenn Liz Cheney, die Tochter von Dick Cheney in den CBS-News als dritthöchste Republikanerin im US-Repräsentantenhaus Trumps eigenmächtigen Rückzug aus Syrien in der Art eines „politischen Gefechtsfeldtouristen“ tadelt.16
Ränke und Intrigen an den verschiedenen Höfen gehen weiter.
Für diejenigen, die da den Hammer in der Hand halten, und deren Höflinge und Günstlinge sind ja bisher auch keine amtlichen, geschweige denn strafrechtlichen Konsequenzen zu befürchten.