Wie weiter bei der Erneuerung unserer Gesellschaft?

Foto: Rainer Sturm

von Peter Kiesel

In den letzten Tagen hat in unserem internen E-Mail-Verteiler eine Diskussion begonnen, die wir für so interessant halten, dass wir sie gern in unserem Blog fortführen möchten. Angeregt wurden wir zu dieser Diskussion vor allem durch folgende Hinweise:

  • Das Video von Prof. Mausfeld zum Thema „Wie werden politische Debatten gesteuert?“ (Mitschnitt eines Vortrages bei der ÖDP in München);
  • Die Äußerungen von Robert Habeck in der Talkshow von Markus Lanz vom 12. Juli (ZDF);
  • Die Aktivitäten der Progessiven Sozialen Plattform,
  • und die 4 Thesenpapiere der 12 neuen Mitglieder des Bundestages der SPD mit dem Titel „Lust auf Morgen

und sicherlich hat auch die aktuelle Diskussion in der Linken und auf ihrem letzten Parteitag mit unsere Diskussion angeregt.

Da es für die Veröffentlichung von Beiträgen der öffentlich-rechtlichen Sender über die Mediathek enge Grenzen gibt, haben wir versucht, die für diese Diskussion wichtigen Passagen (min. 33 bis 36) von Robert Habeck zusammen zu fassen. Hier sein Statement:

“… ich glaube nicht, dass die Flüchtlingskrise … die Erklärung für alles ist, sondern dass ist das Schwere, was uns zugemutet wird, dass Grundannahmen unserer Wertegemeinschaft, der Liberalismus, eine globalisierte Welt, die Annahme, dass westliche Werte sich durchsetzen werden in der Welt, möglicherweise nicht nur falsch waren, sondern uns die Probleme beschert haben, die wir jetzt nicht mehr in den Griff bekommen. Freier Warenverkehr heißt auch freier Waffenhandel – bumms, auf einmal haben wir den Salat. Wohlstand in Deutschland oder Europa heißt auch Importe von Rohstoffen und Energiequellen in anderen Ländern zu Bedingungen bei denen sie ausgebeutet werden, die autoritäre Regime eher stützen als stürzen. Das heißt, möglicherweise ist unsere Lebensstil, unsere Wertegemeinschaft ursächlich für viele Probleme, die da jetzt entstanden sind und dann muss man natürlich viel weiter denken. – Wenn die alten politischen Antworten nicht mehr greifen, was sind dann die neuen? Das spüren wir jetzt als Verlustangst, die  – wenn wir die neuen Antworten noch nicht richtig geben können, dann nehmen wir die alten und zwar nicht nur die des letzten Jahrzehnts, sondern die des letzten Jahrhunderts und dann restaurieren wir den Nationalstaat und statten uns mit einem gesunden Nationalismus aus und stecken den Kopf in den Sand und denken, die Probleme sind weg, nur weil wir sie nicht mehr sehen. Das ist ja erkennbar eine Antwort auf eine Problemsituation oder man geht ganz anders ran. – Dann allerdings brauchen wir eine gewisse Radikalität die wir uns allen zumuten in der neuen Antwortgebung, dann können wir nicht mehr zulassen, dass globale Konzerne “wilde Sau” spielen und wir die staatliche Kontrolle und Regulierung verlieren, dann müssen wir über die Lebensbedingungen in Afrika reden und nicht über lächerliche eine Milliarde mehr oder weniger streiten, sondern dann brauchen wir eine andere Politik   auch eine andere Handelspolitik. Das ist dann eine richtige Zumutung, aber ich glaube, letztendlich brauchen wir diesen Radikalismus, um realistisch zu werden.”

Diese Diskussion in unserem Blog soll uns vor allem dabei helfen, selbst Klarheit darüber zu gewinnen, in welche Richtung wir unsere Gesellschaft in der Zukunft weiter entwickeln wollen und müssen.

Es versteht sich von selbst, dass es sinnvoll ist, alle oben genannten Hinweise zu kennen, ehe frau/man sich hier an der Diskussion beteiligt. Einige Ausschnitte aus der bisherigen Diskussion sind hier zusammen gefasst und wir freuen uns auf weitere Beiträge.

Beitrag von Ludger vom 26.6.18:

Gestern abend war die Auftaktveranstaltung der Progressiven Sozialen Plattform in München Giesing. Das Eröffnungsreferat hielt Marco Bülow, Dortmunder SPD-Abgeordneter.

Hier einige Stichworte dazu:

PLATTFORM ist eine soziale, überparteiliche Bewegung und will dies auch bleiben. Sie will Themen setzen in der Öffentlichkeit, politische Forderungen, auch gemeinsam mit anderen Bewegungen aufstellen. Mitglieder können alle werden, ob in irgendeiner Partei oder in keiner. Plattform will die Themensetzung nicht den Rechten überlassen. Als politischer Hintergrund werden die steigende Ungleichheit und die sich verschärfende Armut (Altersarmut, Alleinerziehende) gesehen. Strukturell wird darauf verwiesen, dass die Menschen sich nicht mehr einer Partei anschließen, sie sind reihenweise in den letzten Jahren, Jahrzehnten ausgetreten. Es soll — Bildung im Herbst — regionale Gruppen für Marketing und Öffentlichkeitsarbeit geben, für die Mitarbeit konnte man sich eintragen. Man will Junge gewinnen, in den Parteien sind “nur noch Alte”.

Das erste erstellte Papier wird – ganz bewusst – als weder vollständig noch ausformuliert bezeichnet. Die Mitglieder sollen mit ran, es ist ein erster Anstoß. Die Planungen für PLATTFORM waren schon vor der Bildung der GroKo angelaufen. R2G ist laut Marco Bülow tot, es war von allen drei Parteivorsitzenden nie gewollt. PLATTFORM soll eine sehr flache Hierarchie bekommen, Mitarbeit und Anstöße übers Netz erfolgen.

Aus meiner Sicht — bitte lest euch das erwähnte erste Papier noch mal durch – eine Bewegung, bei der jede(r) von uns mitmachen kann (und sollte).

Beitrag von Andreas vom 17.7.18:

Interessant. Da sind wir als Souverän offensichtlich klarsichtiger als unserer Vertreter*innen.

Am 10.07.2018 schrieb Ludger an Prof. Mausfeld:

… zu Ihrem letzten Vortrag in München habe ich etwas nicht verstanden.

Ab Zeitpunkt 1:01 sprechen Sie vom Klassenkompromiss, der unter spezifischen Faktoren möglich war,

“eine historisch kontingente zufällige sehr komplexe Konstellation in der Nachkriegszeit führte dazu, dass das eigentlich unversöhnliche Spannungsverhältnis zwischen Kapitalismus und Demokratie eine Zeit lang verdeckt wurde … dieser Klassenkompromiss zerbrach, weil die historischen Bedingungen, an die er gekoppelt war, historisch singulär sind, die sich nicht wiederholen lassen … das sozialdemokratische Modell eines Klassenkompromisses ist erledigt und zwar ein für allemal …. das lag an spezifischen Faktoren, die heute nicht mehr gelten …”

Welche sind diese Faktoren, die den angeblich historisch einmaligen Kompromiss zwischen Kapital und Demokratie ermöglicht haben?

Am 13.7. schrieb Ludger:

Hier die Antwort von Rainer Mausfeld:

Die spezifischen Faktoren, nach denen Sie fragen, werden im Vortrag etwa 30 sec nach dem von Ihnen genannten Zeitpunkt genannt und sind auf der entsprechenden Folie aufgeführt. Jeder dieser Faktoren ist ja in der Literatur ausgiebig behandelt und in seiner relativen Bedeutung im Kontext anderer Faktoren diskutiert worden. Da ihre detaillierte Behandlung nicht zum roten Faden meines Vortragsthemas gehörte und da über diese Faktoren in der Fachliteratur weitgehend Konsens besteht, habe ich mich darauf beschränkt, sie summarisch in Erinnerung zu rufen.
Für meine Argumentation im Kontext meines Vortragsthemas genügte es mir, noch einmal daran zu erinnern, daß diese Konstellation der genannten und auf der Folie aufgeführten Faktoren historisch einmalig war. Auch dies ist ja in der Literatur ausführlich diskutiert worden. Unter dem Stichwort ‘Postfordismus’ können Sie sicherlich nützliche Informationen finden.

blog1 vom 19.7. im Zusammenhang mit einer Anfrage von Ludger an Prof. Mausfeld und dessen Antwort:

Prof. Mausfeld stellt ja die These auf, dass Kapitalismus und Demokratie nicht miteinander vereinbar sind. In der Nachkriegsgeschichte gab es nur eine Ausnahme, den er als den „Klassenkompromiss“ bezeichnet. Das, was Mausfeld als Klassenkompromiss bezeichnet, könnte man auch als soziale Marktwirtschaft betiteln, die ja in den 50- und 60-iger Jahren bis hinein in die 70-iger Jahre sehr gut funktioniert hat. Dieser Klassenkompromiss, der dann in der Folge sukzessive zerbrach, weil die Ausgangsbedingungen dafür entfallen waren und sich diese Ausgangsbedingungen auch nicht wieder herstellen lassen. Das, so führt er aus, sei in der Literatur unumstritten. Demzufolge sind auch alle Verfechter einen „neuen“ sozialen Marktwirtschaft, die unter den Bedingungen der Globalisierung neu gedacht werden müsste, auf dem Holzweg. Dieser Ansicht kann man sein, zwingend ist dies aber nicht, um auf die Frage von Ludger einzugehen. Wenn man dem Finanz- und Konzernkapitalismus enge Zügel anlegen würde – es käme einer Entneoliberalisierung gleich, würde dies durchaus Sinn machen. Stattdessen aber passiert genau das Gegenteil. Im Übrigen steuern wir auf die nächste Finanzkrise mit Italien bereits zu. Die Thematik wird aktuell nur durch die Flüchtlingsthematik überlagert.

In dem Zusammenhang sind auch die weiteren Ausführungen zum Neoliberalismus interessant, die sich, so die Ausführungen von Mausfeld, unabhängig zu den neueren Entwicklungen des Kapitalismus entwickelt haben. Der Kapitalismus neuerer Prägung ist doch eher ein entfesselter Finanz- bzw. Konzernkapitalismus, weil die Kapitalrendite in der Realwirtschaft für die Investoren (Kapitaleigner) nicht mehr ausreichend war. Deshalb suchte sich der Kapitalismus neue Spielwiesen und legte damit die nationalen Spielregeln und Beschränkungen ab (Stichwort: Deregulierung). Der Neoliberalismus – sehr gute Darstellung zur Mont Pèlerin Society in der Sendung „Die Anstalt“, der bis in die 70-iger Jahre ein Schattendasein geführt hat, diente dann als Rechtfertigung für den so genannten Manchester-Kapitalismus, weil er zum einen einfach zu vermitteln war und zum anderen auch eher harmlos daherkam, weil ja „nur“ ein freier Markt gefordert wurde und staatliche Eingriffe als ineffizient bezeichnet wurden. Der Begriff marktkonforme Demokratie machte die Runde. Der Neoliberalismus oder genauer gesagt Ordoliberalismus bildete in der Folgezeit den ideologischen Unterbau und wirkte wie ein Brandbeschleuniger, so dass sich der Raubtier-Kapitalismus ungehindert weiter ausbreiten konnte. Die neoliberale Ideologie hat aber auch dazu geführt, dass die Klasse der Reichen zu einer ideologisch homogenen Klasse verschmelzen konnte, was am zutreffendsten Warren Buffet zum Ausdruck brachte, indem den „Krieg“ zwischen Arm und Reich zugunsten der reichen Klasse als bereits entschieden bezeichnet hat.

Ganz im Gegenteil zu der Klasse der „Armen“. Sie wurde partikularisiert und auch gegeneinander ausgespielt. Sündenböcke wurden gesucht und auch gefunden und immer das Credo „Du kannst es ganz nach oben schaffen, wenn Du dich nur genügend anstrengst“ impliziert gleichzeitig, wer es nicht nach oben schafft, ist ein Versager (Loser) oder noch schlimmer ein Hartzer. Keiner oder nur wenige fragen dann nach, ob nicht etwa die Rahmenbedingungen für einen Aufstieg überhaupt noch gegeben sind. Und da spielt die veröffentlichte Meinung eine entscheidende Rolle. Die Schwächung derjenigen, die einem gefährlich werden könnten, gehört zum Handwerkszeug einer jeden Meinungsmanipulation. Das (scheinbar) Ausweg-/Alternativlose ist die eigentliche Kernbotschaft des Neoliberalismus und dient in der Tat als Revolutionsprophylaxe. Die betroffenen Menschen ergeben sich in ihr Schicksal.  Die Obrigkeitsergebenheit der Deutschen ist in dem Zusammenhang geradezu förderlich.

Mausfeld ist sicherlich ein brillanter Kopf. Er argumentiert stringent und baut in seinem Vortrag Spannungsfelder auf, neigt aber auch dazu, seine Meinung als wissenschaftlich begründet hinzustellen. Auf was er wirklich hinaus will, erschließt sich mir nicht ganz. Dass der öffentliche Debattenraum immer mehr eingeschränkt wird, ist mir klar und dass ich als kritischer Beobachter der Medien bei jeder Nachricht überprüfen muss, welchen Wahrheitsgehalt sie hat, auch.

Prof. Mausfeld kommt mir so vor wie ein Arzt, der auf Nachfrage seines Krebspatienten, welche Therapie er denn vorschlagen würde, antwortet: „Egal, was Sie machen, sterben müssen Sie auf jeden Fall“.

Ausschnitt aus einem Beitrag von Ludger vom 19.7.18, angeregt durch den Beitrag von blog1:

Das ist genau der Eindruck, den ich auch hatte. Sind die damaligen Bedingungen wirklich historisch einmalig? Und sind sie wirklich unbedingt erforderlich für einen politischen Wandel?

  • Brauchen wir das Wachstum der damaligen Zeit, um die Demokratie zu stärken?
  • Gibt es keinen Weg zurück zur Tarifbindung?
  • Gibt es keine Vorschläge zu einer gerechten Besteuerung von Konzernen, Erben, Reichen und Vermögenden?
  • Sind die Privatisierungen von Gütern der Daseinsvorsorge wirklich alternativlos?
  • …………….

Mausfeld streitet ab, dass es einen Weg zurück gibt. Wenn wir alle Gedanken zu einer Demokratisierung von vornherein verteufeln, weil sie den hehren linken Zielen nicht zu 100% dienen, dann verbleiben wir in der linken Ecke, in der sich auch Mausfeld lukrativ eingerichtet hat und sie sehr schön beschreibt.

Beitrag von Andreas vom 19.7., angeregt durch die vorherigen Beiträge:

Doch, die Situation war einmalig. Oliver Nachtwey beschreibt sie z.B. ausführlich in seinem Buch “Die Abstiegsgesellschaft – Über das Aufbegehren in der regressiven Moderne” und nennt diese Zeit die “Soziale Moderne” und datiert den Zeitraum auf 1950-1973 – mit durchschnittlich jährlichem Wirtschaftswachstum von 4,8 Prozent in Westeuropa.

Dazu zwei Beispiele:

  1. 1954 wurden in  der Bundesrepublik Deutschland 680.597 Automobile produziert, 1966 bereits 3.050.708, 1978 dann “nur” 4.186.364 (Quelle: Wikipedia). Das astronomische Wachstum der 50er und frühen 60er Jahre ließ sich nicht fortsetzen
  2. Verbreitung von Waschmaschinen in deutschen Haushalten:

“Bis zum Ende der 60er Jahre war die Waschmaschine noch ein Luxusartikel. Die flächendeckende Verbreitung hatte zu diesem Zeitpunkt jedoch schon begonnen.
Ein wesentlicher Faktor, der diese Entwicklung vorantrieb, war die Produktionsweise des
Fordismus. Der Fordismus stammt aus den USA und beinhaltet im Wesentlichen die
Einführung von Fließbandarbeit, Rationalisierung und die Beschäftigung hauptsächlich
ungelernter Arbeiter. Durch diese Methoden konnte der Produktionspreis und somit auch
der Verkaufspreis gesenkt werden.
Der Kauf einer Waschmaschine blieb aber trotz sinkender Preise, die sich je nach Ausstattung
zwischen 1000 und 1600 DM bewegten, eine wohlüberlegte Entscheidung, wobei
nicht nur finanzielle Gesichtspunkte den Kauf hinauszögerten.”

Quelle: Viktor Fast: “Die Technisierung der Hausarbeit von 1950 bis 1970”

Übrigens, in absoluten Beträgen sind Waschmaschinen heute billiger als in den 60ern. Und Hartz-IV-EmpfängerInnen können trotzdem kaum eine Ersatzbeschaffung finanzieren.
Die Konsumgesellschaft wurde etabliert, aus den riesigen Wachstumsraten entstand die Möglichkeit, Löhne und Gehälter steigen zu lassen, sodass dieser Klassenkompromiss erlebbar zu mehr Wohlstand führte und die Erwartung von ewigem Wachstum in die DNA der Nachkriegsgesellschaft eingeschrieben hat. Den ersten Knick gab es bereits 1966/67, von Massenarbeitslosigkeit wurde erstmals im Sommer 1975 (1,07 Mio Arbeitslose = 4,7%) geredet.

Nennenswertes realwirtschaftliches Wachstum ohne zusätzlichen Verbrauch an Energie, Naturzerstörung und/oder Bodenschätzen hat es bisher – trotz der Ansätze z.B. von Ernst-Ulrich von Weizsäcker (“Faktor Vier”, “Faktor Fünf”) noch nie gegeben, der Rebound-Effekt schlägt immer wieder zu. Das ist eine Sollbruchstelle des Kapitalismus, er zerstört die Lebensgrundlagen jetzt und für die Zukunft.

Was mir als zentrales Hindernis zum Aufbau einer am Gemeinwohl orientierten Wirtschaft erscheint, sind einige Probleme mit unserer Eigentumsordnung und mit dem Unternehmensrecht.

  • Dazu gehört selbstverständlich das Bodenrecht. Grund und Boden dürften m.E. nur der Gemeinschaft gehören, die Nutzung müsste je nach Zweck mit unterschiedlichen Gebühren an die Gemeinschaft (i.d.R. die politische Kommune) verbunden sein.
  • Für hinderlich halte ich zudem die Konstruktion einer Aktiengesellschaft. Auch schon ohne den jetzigen Finanzkapitalismus fußt das auf dem Prinzip, dass Unternehmen – unabhängig vom “Werk”, dass sie produzieren bzw. anbieten – primär dafür Erträge erwirtschaften, wovon ein Großteil an deren oft anonymen Aktienbesitzer abfließen, die nur an entsprechenden Gewinnausschüttungen interessiert sind.
  • Zur Daseinsvorsorge: wenn hier Unternehmen tätig werden, müssten sie gemeinnützig im Sinne von § 52 der Abgabenordnung sein. Die Eigentümerstruktur einer gGmbH wird dann nachrangig.
  • Sahra Wagenknecht hat zudem im “Freiheit statt Kapitalismus” schon die Idee vorgestellt, dass ab einer bestimmten Größe eines Unternehmens die Veräußerung ausgeschlossen werden sollte, dafür die Belegschaft Unternehmensanteile übertragen bekommt. Und sowieso, wir brauchen mehr Genossenschaften, was politisch gefördert werden müsste.
  • Eine Stärkung der Tarifbindung wird nur durch engagierte politische Entscheidungen von Bund und Ländern erfolgen können. Vereinfachung, Tarifverträge als allgemeingültig zu erklären (die Probleme sieht man ja gerade in der Altenpflege), Tariftreuegesetze in den Bundesländern (für Ausschreibungen der öffentlichen Hand).
  • Sie wird meiner Auffassung nur gelingen, wenn zugleich eine Normalarbeitszeit rund um 30 Stunden erkämpft wird. Insofern ist der Vorstoß von Michael Schrodi und Co. ja richtig und wichtig, aber z.B. Bernd Riexinger ist da schon weiter.

Eingriffe ins jetzige System wie “gerechte Besteuerung von Konzernen, Erben, Reichen und Vermögenden” sind mit politischen Mehrheiten zwar grundsätzlich möglich, aber jederzeit umkehrbar. Das ist ja auch einer Erkenntnis der Politik seit 1974 (dieses Datum hat Butterwegge am 11.07. als Startpunkt genannt – ich hatte ja eher für die BRD das Lambsdorff-Papier von 1982 mit dem Wechsel der FDP hin zur CDU/CSU als Startpunkt im Kopf). Errungenschaften ohne grundsätzliche Eingriffe in die wirtschaftliche Verfasstheit sind nicht stabil und bleiben ständig umkämpft.

Jetzt zitiere ich Robert Habeck – da sind die beiden Diskussionen wunderbar konstruktiv miteinander zu verknüpfen:

“Freier Warenverkehr heißt auch freier Waffenhandel – bumms, auf einmal haben wir den Salat. Wohlstand in Deutschland oder Europa heißt auch Importe von Rohstoffen und Energiequellen in anderen Ländern zu Bedingungen bei denen sie ausgebeutet werden, die autoritäre Regime eher stützen als stürzen. Das heißt, möglicherweise ist unsere Lebensstil, unsere Wertegemeinschaft ursächlich für viele Probleme, die da jetzt entstanden sind und dann muss man natürlich viel weiter denken. (…)
Dann allerdings brauchen wir eine gewisse Radikalität die wir uns allen zumuten in der neuen Antwortgebung, dann können wir nicht mehr zulassen, dass globale Konzerne “wilde Sau” spielen und wir die staatliche Kontrolle und Regulierung verlieren, dann müssen wir über die Lebensbedingungen in Afrika reden und nicht über lächerliche eine Milliarde mehr oder weniger streiten, sondern dann brauchen wir eine andere Politik   auch eine andere Handelspolitik. Das ist dann eine richtige Zumutung, aber ich glaube, letztendlich brauchen wir diesen Radikalismus, um realistisch zu werden.”

Wie sieht – angesichts u.a. vom Klimawandel und 60 Millionen Flüchtlingen weltweit – denn eine Lösung aus? Unser Konsumniveau z.B. ist mittelfristig tödlich für das, was wir als Errungenschaft der Zivilisation erachten. Umverteilung innerhalb von Deutschland wir nur dauerhaft als Lösung funktionieren, wenn sie in eine globale Umverteilung eingebettet ist. Wie das Ganze umsetzen?
Wie also kann ein demokratisch gesteuertes System der wirtschaftlichen Schrumpfung im “globalen Westen” auf ein menschliches Maß aus, also in dem Sinne, dass wir anerkennen, dass alle Menschen gleich an Würde sind und damit über die gleichen Chancen auf Leben, auf Glück und Gesundheit verfügen müssen?
Daran würde ich gerne weiter diskutieren.

Beitrag von blog1 vom 20.7., angeregt durch die vorherigen Beiträge:

Es ist aus meiner Sicht trivial, dass eine Nachkriegsgesellschaft einen enormen Nachholbedarf an Konsumgütern, aber auch an Investitionsgütern hervorbringt. Wenn man einen Krieg und die daraus resultierenden wirtschaftlichen und sozialen Folgen als singulär bezeichnet, hat Mausfeld natürlich Recht. Mausfeld argumentiert aber, dass ein so genannter Klassenkompromiss zustande kam, der den Kapitalismus mit der Demokratie eine Zeitlang aussöhnte, dieser sich aber nicht wiederholen lässt. Man könnte auch sagen, wenn es genug zu verteilen gibt, ist die Wahrscheinlichkeit von Verteilungskämpfen eher gering.

Der technologische Fortschritt (Beispiel Waschmaschine) ist jedoch nicht singulär, sondern ein permanenter Prozess. Immer dann, wenn ein Produkt zu erschwinglichen Preisen auf dem Markt kommt, generiert es Nachfrage, d.h. eine breite Masse muss auch in der Lage sein, dieses Produkt kaufen zu können. Die Jünger des Neoliberalismus postulieren aber eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik, d.h. man muss ein Produkt nur günstig genug machen, dann wird es auch gekauft. Wenn aber die Lohnentwicklung für 40% der Bevölkerung in den letzten Jahren 2 Jahrzehnten aufgrund eines massiven Lohndumpings hinter der Preisentwicklung zurückgeblieben ist, kaufen die betroffenen Personen nur das, was sie zum täglichen Bedarf dringend benötigen, ganz zu schweigen von älteren Personen, die mit einer kärglichen Rente auskommen müssen. Deshalb auch der phänomenale Aufstieg der Discounter bei gleichzeitiger Verdrängung der Tante-Emma-Läden. Die Frage ist doch, ob wir ein Wachstum von mehr als 2% benötigen, um einen Wohlstandsgewinn für die breite Masse zu generieren oder ob es nicht ausreicht, eine andere Verteilung der in den letzten Jahrzehnten erzielten Produktivitätsgewinne zu erreichen. Der Neoliberalismus hat dafür gesorgt, dass es in den letzten 2 Jahrzehnten zu einer massiven Verschiebung von Einkommen und Vermögen zugunsten der reichsten 10% der Bevölkerung gekommen ist. Ich vermag nicht einzusehen, warum diese Entwicklung nicht wieder zurückgedreht werden kann. Wenn man aber wie Mausfeld argumentiert, dass der Kapitalismus demokratiefeindlich ist und sich letzten Endes auch wohlstandsfeindlich für die breite Bevölkerung auswirkt, postuliert ein anderes System, das er aber nicht näher präzisiert. Wenn die Politik und die so genannte Eliten dafür gesorgt haben, dass die ohnehin sinkenden Wachstumsgewinne in den Taschen weniger gelandet sind, braucht man sich nicht wundern, dass für einen Großteil nichts mehr übrigbleibt.

Mein Beitrag vom 20.7.18, angeregt durch die vorherigen Beiträge:

Beim Lesen stellt sich mir die Frage, ist nicht jede geschichtliche Situation einmalig (auch wenn es Ähnlichkeiten und wahrscheinlich auch Gesetzmäßigkeiten gibt) und was bringt die Diskussion dieser Frage?
Eines scheint mir ziemlich klar zu sein, der einfache Satz, “Geld regiert die Welt” ist viel allgegenwärtiger, als wir es täglich wahr nehmen und das “große”, bzw. “ganz große” Geld verfügt über alle Mittel, sich die Gesellschaft nach den eigenen Interessen und Zielen zu gestalten. Und darüber, wie es das macht, sollte viel mehr diskutiert werden, aber diejenigen, die über das große Geld verfügen und damit an den wirklichen Schalthebeln der Macht sitzen, haben daran natürlich kein Interesse. Was wir aber brauchen und dem entgegenstellen müssen, ist eine große Offensive im Interesse des Gemeinwohls. Und wir brauchen Lösungsansätze, wie es gelingen kann, dass das Gemeinwohl so viel Kraft entfaltet, dass es die Macht des großen Geldes einhegen kann. Da finde ich, wirken die Lösungsansätze der 12 neuen SPD-Mitglieder und auch Andreas, Deine Überlegungen zum Thema schon in die richtige Richtung und insofern kann ich diese Thesen oder Ziele nur unterstützen.
Meines Erachtens brauchen wir aber nicht nur eine Erneuerung der SPD, das greift zu kurz, wir brauchen eine Erneuerung der demokratischen Zivilgesellschaft, “neues Denken”, wie es übrigens im letzten Wahlkampf aus meiner Wahrnehmung als einziger Hr. Christian Lindner richtig formuliert hat (was nicht bedeutet, dass er meine Sympathie genießt). Und beim Thema Demokratie in unseren heutigen, hoch entwickelten Gesellschaften, reicht es meines Erachtens nicht, die Gewaltenteilung auf 3 Kategorien, die Legislative, die Exekutive und die Judikative zu beschränken, es gehören meiner Auffassung nach mindestens 2 weitere Komponenten dazu, die Wirtschaft, einschließlich Finanzen und das Medienwesen, bzw. die öffentlichen Meinungsbildungsprozesse. Zumindest in der Wirtschaft gibt es gewisse Ansätze, die aber insgesamt zu kurz greifen und noch nicht der Weisheit letzter Schluss sind, wie z.B das Betriebsverfassungsgesetz mit Betriebsräten und Gewerkschaften. Aber wir wissen alle aus eigener Erfahrung, auch Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre sind schon der Macht des großen Geldes erlegen. Und bei den öffentlichen Meinungsbildungsprozessen spüre ich bisher, außer der Existenz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und Fernsehens, gar keine Ansätze, die in die richtige Richtung zielen und auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk und das Fernsehen sind durchaus verbesserungswürdig. Mir scheint, die beiden letztgenannten Kategorien (Wirtschaft und öffentlichen Meinungsbildungsprozess) stehen im gewissen Sinne sogar über der Legislative, der Exekutive und der Judikative und insofern sollten wir viel mehr darüber nachdenken und offensiv diskutieren, wie wir diese Kategorien im Sinne des Gemeinwohls optimieren können.
Das sagt sich alles ziemlich leicht, ich bin mir durchaus bewusst, dass dies ein sehr schwerer Weg wird, aber so verstehe ich die Radikalität, die wir brauchen um Realisten zu werden (wovon Robert Habeck gesprochen hat). Und jeden noch so kleinen Schritt, der in die richtige Richtung zielt, sollten wir unterstützen und nicht gleich damit abtun, dass er nicht weit genug greift.
Ich hoffe, ich habe Euch damit nicht zu sehr gelangweilt. Ich kann Andreas’ Wunsch nur zustimmen, in diese Richtung sollten wir die Diskussionen vertiefen und konkretisieren, damit wir gangbare Wege finden.

Bildquelle: © Rainer Sturm / pixelio.de

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7 Gedanken zu „Wie weiter bei der Erneuerung unserer Gesellschaft?

  1. Willi

    Ich möchte dazu auf einen Beitrag bei Makroskop hinweisen:
    https://makroskop.eu/2018/07/neue-rechte-bewegungen-und-die-soziale-frage/
    In diesem Beitrag wird auch auf die positive Entwicklung nach dem WW2 hingewiesen, allerdings ohne das als einmalige Situation darzustellen, wie das Prof. Mausfeld getan hat.
    Und es wird dargestellt, in welche Richtung die Entwicklung gehen müsste, um verschiedene – eher linke – Strömungen zusammen zu bringen.

    Ein kleiner Auszug dazu:
    “Die Frage der Beurteilung der neuen rechten Bewegungen und rechtspopulistischen Parteien ist ein Problem. Weder mit Abgrenzung und Verurteilung noch mit einem „da sind auch richtige Punkte dabei“ kann die Sache erledigt werden.


    Man sollte aber verstehen, dass diese Bewegungen nur auf der Voraussetzung des Teilhabekapitalismus entstehen konnten – also einer neuen sozialen Lage, die ausgehend vom New Deal in den USA und nach dem zweiten Weltkrieg in den entwickelten Industrieländern, vor allem in Europa, dazu geführt hat, dass für die große Bevölkerungsmehrheit die soziale Frage gelöst schien (vgl. Busch, Land 2013).

    Grundlage dieser neuen sozialen Lage war ein neues Regulationsregime[3] der Kapitalverwertung in den dynamischen Industrieländern (USA und Kanada, Europa, Japan, später auch Südkorea und Taiwan), das drei Merkmale hatte: Erstens die Lohnentwicklung war durch Institutionen und Verfahren faktisch an die Produktivität gekoppelt.[4] Zweitens wurden die transferfinanzierten Masseneinkommen dynamisiert, weil an die Lohnentwicklung gekoppelt, und Arbeitnehmerrisiken wurden weitgehend abgefedert. Und drittens war mit Bretton Woods ein Weltwährungs- und Handelssystem entstanden, das unter US-amerikanischer Hegemonie dafür sorgte, dass die Rückkopplung von Massenproduktion und Massenkonsum durch Innovationen, Investitionen und Welthandel global funktionierte – nicht zuletzt, weil die Finanzkapital reguliert waren und der Fokus daher auf realwirtschaftlicher Kapitalverwertung lag.[5]

    Dieses Regime ermöglichte für die große Mehrheit der Bevölkerung in den entwickelten Industrieländern soziale Teilhabe an der wirtschaftlichen Entwicklung in Form von wachsendem Massenkonsum und sozialer Sicherheit.”

    Willi

    1. Willi

      Ergänzung zum besseren Verständnis: Im zitierten Text hätte ich nach den Punkten noch diesen Absatz einfügen sollen:
      “Es gab und gibt eine fatale Debatte: was ist wichtiger oder richtiger – die emanzipatorische oder die soziale Kritik am gegenwärtigen neoliberalen Kapitalismus. Zweifellos hat es beginnend mit den 1970er und 1980er Jahren eine Erweiterung und eine Verschiebung im gesellschaftskritischen Spektrum gegeben, und zwar mit den neuen sozialen Bewegungen: Ökologie- und Friedensbewegung, Gender, Schwule und Lesben, Bewegungen zur Entfaltung kultureller und individueller Vielfalt, Emanzipation individueller Lebensentwürfe und vielem mehr.”
      Willi

  2. Stefan Frischauf

    Es ist immer wieder erstaunlich, manche Diskurse zu verfolgen. Bisweilen scheinen wir in einer Endlosschleife gefangen. Und auch manche Gelehrten scheinen da irgendwie gefangen.
    Also: Einige Grundthesen, um hier das Feld zu erweitern:
    1. Natürlich wiederholt sich Geschichte nicht. Feine Nuancen machen den Unterschied.
    Insofern hat Rainer Mausfeld Recht: Es gibt kein Zurück zur “sozialen Marktwirtschaft” – zum Frieden zwischen “Kapitalismus” und “Markt” in der Art, wie das nach WK 2 lange funktioniert hat.
    2. Aber Blog 1 hat völlig Recht: Eine Weiterentwicklung zu neuen Arrangements ist möglich.
    3. Vielleicht tobt ja WK 3 als dezentraler Krieg schon länger? Wer sagt, dass wir nicht in einer ähnlichen Situation wie Anfang der 1940er Jahre sind? Aber überlagert von vielen Fragmenten aus anderen Epochen?
    Und was bedeutet das für den ganzen Diskurs hier?
    Ich darf vielleicht anmerken, dass ich 2009 / 10 in Afghanistan gearbeitet habe. Insofern auch in einem Land, das damals einmal mehr kippte. Und ich könnte viel erzählen darüber, warum dem so geschah.
    Das hat Bücher gefüllt, die aber noch keine Verleger fanden.
    Gestern Abend war ich bei einer Veranstaltung hier, wo zwei Aktivisten aus Sardinien über ihre Arbeit dort auch gegen den hiesigen “Global Player” Rheinmetall vor Ort berichtet haben. Rheinmetall, dessen dortige Niederlassung auch Uran-angereicherte Munition produziert. Und Geschosse, die gerade auch im Jemen eingesetzt werden. Die beiden beschrieben den verzweifelten, aber auch ermüdenden Protest der Gruppen dort. Aber Firmen wie RWM dort agieren wie die Mafia: als Wohltäter bringen sie Jobs in “strukturschwache Regionen” und spenden dem benachbarten Ort denn auch mal neue Geräte für einen Kinderspielplatz etc. Ansonsten schmieren und umgehen sie jegliches Recht und Gesetz, wo es nur geht.
    So wie Roberto Saviano beschrieben hat, dass “Mafiakartelle” die ersten, die nach 1989 den Eisernen Vorhang “geschäftlich” überwunden haben.
    In diesem Falle: Sardinien: 3 % der Fläche Italiens, 65 % Arbeitgeber aus dem “militärisch-industriellen Komplex”, 40 % private “Marktteilnehmer” darin, so wie RWM. Und die kaufen sich auch für 50.000 Euronen pro Stunde auch mal auf einem Testgelände für Sprengstoffe aller Art im Südosten Sardiniens ein.
    Und: 56 % Jugendarbeitslosigkeit auf der Insel.
    Globale Netzwerke dieser Art widersprechen auch im Wesentlichen Thesen des “Post-Fordismus”. Wir haben weiterhin arbeitsteilige Produktionsprozesse. Diese funktionieren aber nicht wie bei der berühmten, hier angefügten Waschmaschine, sondern zumeist mit viel größerer “Diskretion”. Und viel schleierhafteren Verbindungen.
    Auch die Drohnen, Obamas Kompromiss an den militärisch-industriellen Komplex (miK): im Sommer 2009 sind zeitweise 9-10 von den Dingern am Tag über mich in der Altstadt von Kabul geflogen. Alle zielstrebig weiter gen Osten: Das Swat-Tal in Pak war von Taliban eingenommen. Von Drohnen und ihrer Steuerung auch am wichtigsten Hub in Europa, Ramstein sprach damals keiner. Wusste auch keiner.
    Inzwischen wissen wir mehr.
    Zum Schluss hier wird’s noch mal richtig dreckig: “der grüne Punkt”. Ablass der Industrie für umweltbewusste Bürger. China hat da Anfang 2018 seine Vertragsteilnahme aufgekündigt. Man nimmt nicht mehr weiter Müll aus dem Westen.
    Letzte “steile Thesen”:
    1. Die gelben Tonnen hier quellen über. Bei Euch in München und Umgebung auch?
    2. Viel von dem Müll in unseren Ozeanen stammt von diesem langjährigen “Ablasshandel”.
    3. Die Deponien in China und sonst wo jedoch sind gleichfalls voll. China hat als einziger langjähriger Abnehmer von “Verpackungen mit grünem Punkt” und “Inhalten von gelben Tonnen” Mittel und den Willen, seine massiven Umweltprobleme anzugehen.
    Haben wir das? Ich befürchte, wenn ich mir das Stillschweigen zu diesen Themen der dünnen Recyclingquoten der hiesigen Industrie ansehe: nein.
    Hier werden “Problemlösungen” immer weiter auf den Skt. Nimmerleinstag verschoben.
    Und auch da muss ich Blog 1 einmal mehr Recht geben: wir nähern uns einem schwereren GAU als der Subprime 2008 mit Epizentrum hier: Mehr oder weniger “Kalter Brexit” und Italiens “Dolce far niente” Finanzen werden einiges zum Überhitzen bringen. Wege dagegen, geschweige denn: Aufklärung der Bürger? Eher Fehlanzeige.
    Weil es kaum noch möglich scheint, 1 + 1 zusammenzuzählen, ohne dass man gleich abgebügelt wird von überforderten Gegenübern.
    Wenn wir wirklich wehrhaft und lernfähig aus den dunklen Kapiteln des 20. Jahrhunderts hier in Europa agieren wollen jedoch, dann können und dürfen wir uns da nicht mehr weg ducken.
    Die Rechten proben da schon den Aufstand. Von links kommt viel zu wenig. Viel zu viele Debatten, die viel zu wenig das Augenmerk auf den Kopf des Fisches richten. Und da stinkt’s am meisten.
    Aber dazu die Tage mehr.

  3. Andreas Schlutter

    Ja, die Waschmaschine ist im Vergleich zu dem, was heute passiert und worum es sich heute dreht, ein fast schon irrelevantes Beispiel. Aber da ging es intern noch um die Frage, ob denn der damalige Klassenkompromiss wirklich so einmalig war, was ich bejahe. Willis Zitat von Rainer Land auf Makroskop hat ja schon den Hinweis geliefert, dass es eben nicht nur das teilweise zerstörte Zentraleuropa war, sondern auch in den USA die Konsumgesellschaft durchgesetzt wurde und Einkommenszuwächse aus den Gewinnen in der Realwirtschaft finanzierbar waren. Das hat “den Westen” zumindest bis 1973 befriedet, spätestens mit Thatcher und Reagan wurde dieser Kompromiss auch öffentlich systematisch aufgegeben, in der Bundesrepublik wurde dies zunächst zurückhaltender angegangen, hat sich aber beginnend in den 90ern des 20. Jh. verschärft.
    Natürlich sind neue Arrangements auch unter kapitalistischen Produktionsbedingungen möglich, aber sie sind grunsätzlich fragil, denn sie sind nur sehr bedingt national durchsetzbar und nahezu jederzeit umkehrbar, wenn nicht verfasungsrechtlich abgesichert. Der ökonomische Druck, wenn nicht alle entwickelten Staaten (“Der Westen”, G7, EU etc.) mitmachen, auf diese Länder wäre enorm.
    Was allerdings der Linken fehlt, ist eine Idee, eine Utopie der besseren Welt. Ohne Ressourcenverschwendung, ohne Rüstung und Kriege, mit der weltweiten Durchsetzung von Menschenrechten. Ich gehe ungefähr einml pro Woche die Straße der Menschenrechte in Nürnberg entlang. Was bitte davon wird global durchgesetzt? Angesichts der v.a. durch die Wahlerfolge der Rechten in Ungarn, Italien und Österreich verschärften Abschottungspolitik der EU gegenüber Flüchtlingen ist das Ergebnis doch mindestens ernüchternd,
    Also, die Idee der Linken – in Deuschland und Europa – denn 2019 wird ein neues EU-Parlament gewählt. Ja, von links kommt daviel zu wenig. Die SPD übt sich in Selbstaufgabe in der letzen GroKo und auch sonst geht wenig zusammen. Die Rechten in Deutschland und der EU setzen die Themen und die anderen arbeiten sich daran ab. Erschreckend.
    Aber die meisten von uns leben wie in einem Kokon weiter, “leben über die Verhältnisse anderer”, um Lessenich (“Neben uns die Sintflut”) zu zitieren. Wir zersören durch unseren übermäßigen Konsum, der individuell nur begrenzt zu steuern ist (selbst Niko Paech räumt ein, dass sein ökoogischer Fußabdruck zu groß ist), zumindest die Zukunft unserer Kinder, wenn nicht unsere eigene, wenn wir unter 60, 65 Jahre alt sind. Auch das ist ein Problem für ein neues Arrangement; es wird nicht gehen, ohne dass zumindest für eine Teil der Bevölkerung verzichten muss. Keine SUV, eine Fernreise vielleicht nur noch alle 10-15 Jahre, wenn es keine Zugverbindung gibt, weniger Fleisch, und alles muss politisch durchgesetzt werden, weil es nicht änderbar ist über individuelle Konsumentscheidungen. Und da weniger Konsum zudem Arbeitsplätze im Handel bzw. schlechter bezahlte Arbeitsplätze nach sich zieht (sh. z.B. die Auseinandersetzungen bei Amazon oder real,-) und wir sowieso eine Verdichtung der Arbeit erleben, die uns teilweise überfordert und psychisch krank macht, brauchen wir dringend eine Arbeitszeitverkürzung, durchsetzbar zwar nationalstaatlich, aber als gemeinsame europäische Idee.
    Und Teil eines Arrangements, was überhaupt zu einer Stabilisierung beitragen kann, ist eine deutliche Regulierung und Demokratisierung der Wirtschaft. Eine riesige Herausforderung angesichts vo vielen Menschen, die die Erfahrung solidarischen Handelns noch nie oder nur fragmentarisch gemacht haben. Bereits spätestens 1982 leben wir in einer Ellenbogengesellschaft (damals Wort des Jahres).
    Ein Arrangement muss zudem Antworten auf die Herausforderungen geben. Lohnzuwächse und mehr Konsum sind per se fragwürdig. Wenn es gelänge damit konsequent bessere, höherwertige, fair und ökologisch produzierte Waren am Markt durchzsetzen, wird vielleichtein Schuh daraus.
    Angesichts des Zustands der SPD und Teilen der Grünen ist zudem “eine Welt ohne Kriege” bei uns kaum hegemoniefähig.
    Was mir zudem schon länger durch den Kopf geht und was natürlich angesichts der #ausgehetzt-Demo am vergangene Sonntag in München Auftrieb bekommen hat: wie gelingt es die vielen in der Flüchtlingsarbeit hoch engagierten Menschen zu politisieren? Mit ihnen könnte zumindest in der Frage einer humanen, an global geltenden Menschenrechten orientierten Politik etwas bewegt werden.
    Und die Partei DIE LINKE sollte sich dringend darauf verständigen, erst nach einer internene Einigung wieder etwas zur Flüchtlinkspolitik zu sagen. Der öffentlich ausgetragene Streit, der ja auch in Bündnisse (z.B. der Aufruf “Solidarität statt Heimat”) hineinwirkt, ist unerträglich und schadet uns allen auf Dauer.

    1. Ludger Elmer Beitragsautor

      Ja das ist wirklich eine sehr gute Idee: Wie bringen wir die vielen engagierten Flüchtlingshelfer, die wie wir sozial, human und ökologisch denken, dazu sich politisch zu engagieren? Ich hätte da so einige aus “meinem” Helferkreis, die in Frage kommen, die aber nicht politisch sein wollen, sie verstehen darunter immer parteipolitisch. Für sie müsste die PLATTFORM (www.plattform.pro) das geeignete Forum darstellen, jetzt wo wir alle feststellen, dass die Demokratie in Europa “vor die Hunde geht”. Aber wie bringe ich es ihnen bei, wohl wissend, dass die erste Ansprache auch schon die letzte zu diesem Thema sein kann?

  4. Ludger Elmer Beitragsautor

    … habe nun heute dieses emaill an den hiesigen Helferkreis geschrieben …
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    Liebe Helfer!

    Einige von Euch waren sicherlich bei der Demo am letzten Sonntag dabei und haben protestiert gegen Rassismus, gegen die Inhumanität, gegen die Worte, die aufhetzen sollen. Ja und das ist nun wirklich keine Floskel, das was wir unter Demokratie verstehen, das gerät in große Gefahr. Die Bundeskanzlerin hat sinngemäß gesagt, ihr würden viele Worte, die zur Flüchtlingsfrage gebraucht wurden, sehr missfallen, weil die Worte dem Denken entsprächen. Sie hat versäumt zu sagen, dass wir damit rechnen müssen, dass die Taten den Worten folgen werden.

    Aus dem beigefügten Artikel des italienischen Schriftstellers Roberto Saviano in der SZ von heute möchte ich zitieren: (https://www.sueddeutsche.de/kultur/italien-es-gibt-nur-noch-komplizen-und-rebellen-1.4068771)

    “Wo seid ihr? Warum versteckt ihr euch? All ihr Autoren, Journalisten, Blogger, Philosophen, Schauspieler: Heute können wir es uns nicht mehr erlauben, nur das zu sein. In diesen Zeiten muss jeder, der die Möglichkeit hat, zu einem Publikum zu sprechen, es als seine Pflicht verstehen, Position zu beziehen. Wie Sartre sagte: Jedes Wort hat Folgen. Aber auch das Schweigen hat Folgen. Das Schweigen ist ein Luxus, den wir uns nicht mehr leisten können.”

    Wir Helfer haben uns engagiert für gesellschaftliche Fragen und tun dies weiterhin. Viele von Euch haben bei entsprechenden Diskussionen geäussert, sie wollten nur helfen, sie wollten sich nicht politisch engagieren, wobei dieses “politisch” meistens als “parteipolitisch” gedacht war, so habe ich es verstanden.

    Nun, es gibt seit einigen Wochen eine Bewegung, die sich PLATTFORM nennt. Auf der Homepage verweist die Plattform auf einen Ausspruch der Ärzte:
    „Es ist nicht Deine Schuld, dass die Welt ist wie sie ist. Es wär nur Deine Schuld, wenn sie so bleibt.“ (Refrain aus dem Lied: Deine Schuld – Die Ärzte)

    Also, hier einige Stichworte zur Plattform:

    PLATTFORM ist eine soziale, überparteiliche Bewegung und will dies auch bleiben. Sie will Themen setzen in der Öffentlichkeit, politische Forderungen, auch gemeinsam mit anderen Bewegungen aufstellen. Mitglieder können alle werden, ob in irgendeiner Partei oder in keiner. Plattform will die Themensetzung nicht den Rechten überlassen. Als politischer Hintergrund werden die steigende Ungleichheit und die sich verschärfende Armut gesehen. Strukturell wird darauf verwiesen, dass die Menschen sich nicht mehr einer Partei anschliessen, sie sind reihenweise in den letzten Jahren, Jahrzehnten ausgetreten. Es soll — Bildung im Herbst — regionale Gruppen für Marketing und Öffentlichkeitsarbeit geben. Man will Junge gewinnen, in den Parteien sind nur noch Alte.

    Das erste erstellte Papier — https://www.plattform.pro/category/sozialstart/ — wird – ganz bewusst – als weder vollständig noch ausformuliert bezeichnet. Die Mitglieder sollen mit ran, es ist ein erster Anstoß. PLATTFORM soll eine sehr flache Hierarchie bekommen, Mitarbeit und Anstösse über das Netz erfolgen.

    Es gibt eben hier die einmalige Gelegenheit, von Anfang an dabei zu sein und mitzuwirken bei der Formulierung der Grundsätze dieser Bewegung.

    Wenn ihr dabei sein wollt: mit Eurer Unterschrift auf https://www.plattform.pro/ werdet ihr Mitglied dieser Bewegung und erhaltet weitere Informationen über geplante Aktivitäten, z.B. regelmässige Treffen in München.

    Liebe Grüße!

    Ludger

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