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Wie weiter bei der Erneuerung unserer Gesellschaft?

[1]

Foto: Rainer Sturm

von Peter Kiesel

In den letzten Tagen hat in unserem internen E-Mail-Verteiler eine Diskussion begonnen, die wir für so interessant halten, dass wir sie gern in unserem Blog fortführen möchten. Angeregt wurden wir zu dieser Diskussion vor allem durch folgende Hinweise:

und sicherlich hat auch die aktuelle Diskussion in der Linken und auf ihrem letzten Parteitag mit unsere Diskussion angeregt.

Da es für die Veröffentlichung von Beiträgen der öffentlich-rechtlichen Sender über die Mediathek enge Grenzen gibt, haben wir versucht, die für diese Diskussion wichtigen Passagen (min. 33 bis 36) von Robert Habeck zusammen zu fassen. Hier sein Statement:

“… ich glaube nicht, dass die Flüchtlingskrise … die Erklärung für alles ist, sondern dass ist das Schwere, was uns zugemutet wird, dass Grundannahmen unserer Wertegemeinschaft, der Liberalismus, eine globalisierte Welt, die Annahme, dass westliche Werte sich durchsetzen werden in der Welt, möglicherweise nicht nur falsch waren, sondern uns die Probleme beschert haben, die wir jetzt nicht mehr in den Griff bekommen. Freier Warenverkehr heißt auch freier Waffenhandel – bumms, auf einmal haben wir den Salat. Wohlstand in Deutschland oder Europa heißt auch Importe von Rohstoffen und Energiequellen in anderen Ländern zu Bedingungen bei denen sie ausgebeutet werden, die autoritäre Regime eher stützen als stürzen. Das heißt, möglicherweise ist unsere Lebensstil, unsere Wertegemeinschaft ursächlich für viele Probleme, die da jetzt entstanden sind und dann muss man natürlich viel weiter denken. – Wenn die alten politischen Antworten nicht mehr greifen, was sind dann die neuen? Das spüren wir jetzt als Verlustangst, die  – wenn wir die neuen Antworten noch nicht richtig geben können, dann nehmen wir die alten und zwar nicht nur die des letzten Jahrzehnts, sondern die des letzten Jahrhunderts und dann restaurieren wir den Nationalstaat und statten uns mit einem gesunden Nationalismus aus und stecken den Kopf in den Sand und denken, die Probleme sind weg, nur weil wir sie nicht mehr sehen. Das ist ja erkennbar eine Antwort auf eine Problemsituation oder man geht ganz anders ran. – Dann allerdings brauchen wir eine gewisse Radikalität die wir uns allen zumuten in der neuen Antwortgebung, dann können wir nicht mehr zulassen, dass globale Konzerne “wilde Sau” spielen und wir die staatliche Kontrolle und Regulierung verlieren, dann müssen wir über die Lebensbedingungen in Afrika reden und nicht über lächerliche eine Milliarde mehr oder weniger streiten, sondern dann brauchen wir eine andere Politik   auch eine andere Handelspolitik. Das ist dann eine richtige Zumutung, aber ich glaube, letztendlich brauchen wir diesen Radikalismus, um realistisch zu werden.”

Diese Diskussion in unserem Blog soll uns vor allem dabei helfen, selbst Klarheit darüber zu gewinnen, in welche Richtung wir unsere Gesellschaft in der Zukunft weiter entwickeln wollen und müssen.

Es versteht sich von selbst, dass es sinnvoll ist, alle oben genannten Hinweise zu kennen, ehe frau/man sich hier an der Diskussion beteiligt. Einige Ausschnitte aus der bisherigen Diskussion sind hier zusammen gefasst und wir freuen uns auf weitere Beiträge.

Beitrag von Ludger[2] vom 26.6.18:

Gestern abend war die Auftaktveranstaltung der Progressiven Sozialen Plattform [5] in München Giesing. Das Eröffnungsreferat hielt Marco Bülow, Dortmunder SPD-Abgeordneter [6].

Hier einige Stichworte dazu:

PLATTFORM ist eine soziale, überparteiliche Bewegung und will dies auch bleiben. Sie will Themen setzen in der Öffentlichkeit, politische Forderungen, auch gemeinsam mit anderen Bewegungen aufstellen. Mitglieder können alle werden, ob in irgendeiner Partei oder in keiner. Plattform will die Themensetzung nicht den Rechten überlassen. Als politischer Hintergrund werden die steigende Ungleichheit und die sich verschärfende Armut (Altersarmut, Alleinerziehende) gesehen. Strukturell wird darauf verwiesen, dass die Menschen sich nicht mehr einer Partei anschließen, sie sind reihenweise in den letzten Jahren, Jahrzehnten ausgetreten. Es soll — Bildung im Herbst — regionale Gruppen für Marketing und Öffentlichkeitsarbeit geben, für die Mitarbeit konnte man sich eintragen. Man will Junge gewinnen, in den Parteien sind “nur noch Alte”.

Das erste erstellte Papier [3] wird – ganz bewusst – als weder vollständig noch ausformuliert bezeichnet. Die Mitglieder sollen mit ran, es ist ein erster Anstoß. Die Planungen für PLATTFORM waren schon vor der Bildung der GroKo angelaufen. R2G ist laut Marco Bülow tot, es war von allen drei Parteivorsitzenden nie gewollt. PLATTFORM soll eine sehr flache Hierarchie bekommen, Mitarbeit und Anstöße übers Netz erfolgen.

Aus meiner Sicht — bitte lest euch das erwähnte erste Papier noch mal durch – eine Bewegung, bei der jede(r) von uns mitmachen kann (und sollte).

Beitrag von Andreas[3] vom 17.7.18:

Interessant. Da sind wir als Souverän offensichtlich klarsichtiger als unserer Vertreter*innen.

[4]

Am 10.07.2018 schrieb Ludger an Prof. Mausfeld:

… zu Ihrem letzten Vortrag in München [7] habe ich etwas nicht verstanden.

Ab Zeitpunkt 1:01 sprechen Sie vom Klassenkompromiss, der unter spezifischen Faktoren möglich war,

“eine historisch kontingente zufällige sehr komplexe Konstellation in der Nachkriegszeit führte dazu, dass das eigentlich unversöhnliche Spannungsverhältnis zwischen Kapitalismus und Demokratie eine Zeit lang verdeckt wurde … dieser Klassenkompromiss zerbrach, weil die historischen Bedingungen, an die er gekoppelt war, historisch singulär sind, die sich nicht wiederholen lassen … das sozialdemokratische Modell eines Klassenkompromisses ist erledigt und zwar ein für allemal …. das lag an spezifischen Faktoren, die heute nicht mehr gelten …”

Welche sind diese Faktoren, die den angeblich historisch einmaligen Kompromiss zwischen Kapital und Demokratie ermöglicht haben?

Am 13.7. schrieb Ludger:

Hier die Antwort von Rainer Mausfeld[5]:

Die spezifischen Faktoren, nach denen Sie fragen, werden im Vortrag etwa 30 sec nach dem von Ihnen genannten Zeitpunkt genannt und sind auf der entsprechenden Folie aufgeführt. Jeder dieser Faktoren ist ja in der Literatur ausgiebig behandelt und in seiner relativen Bedeutung im Kontext anderer Faktoren diskutiert worden. Da ihre detaillierte Behandlung nicht zum roten Faden meines Vortragsthemas gehörte und da über diese Faktoren in der Fachliteratur weitgehend Konsens besteht, habe ich mich darauf beschränkt, sie summarisch in Erinnerung zu rufen.
Für meine Argumentation im Kontext meines Vortragsthemas genügte es mir, noch einmal daran zu erinnern, daß diese Konstellation der genannten und auf der Folie aufgeführten Faktoren historisch einmalig war. Auch dies ist ja in der Literatur ausführlich diskutiert worden. Unter dem Stichwort ‘Postfordismus’ können Sie sicherlich nützliche Informationen finden.

blog1[6] vom 19.7. im Zusammenhang mit einer Anfrage von Ludger an Prof. Mausfeld und dessen Antwort:

Prof. Mausfeld stellt ja die These auf, dass Kapitalismus und Demokratie nicht miteinander vereinbar sind. In der Nachkriegsgeschichte gab es nur eine Ausnahme, den er als den „Klassenkompromiss“ bezeichnet. Das, was Mausfeld als Klassenkompromiss bezeichnet, könnte man auch als soziale Marktwirtschaft betiteln, die ja in den 50- und 60-iger Jahren bis hinein in die 70-iger Jahre sehr gut funktioniert hat. Dieser Klassenkompromiss, der dann in der Folge sukzessive zerbrach, weil die Ausgangsbedingungen dafür entfallen waren und sich diese Ausgangsbedingungen auch nicht wieder herstellen lassen. Das, so führt er aus, sei in der Literatur unumstritten. Demzufolge sind auch alle Verfechter einen „neuen“ sozialen Marktwirtschaft, die unter den Bedingungen der Globalisierung neu gedacht werden müsste, auf dem Holzweg. Dieser Ansicht kann man sein, zwingend ist dies aber nicht, um auf die Frage von Ludger einzugehen. Wenn man dem Finanz- und Konzernkapitalismus enge Zügel anlegen würde – es käme einer Entneoliberalisierung gleich, würde dies durchaus Sinn machen. Stattdessen aber passiert genau das Gegenteil. Im Übrigen steuern wir auf die nächste Finanzkrise mit Italien bereits zu. Die Thematik wird aktuell nur durch die Flüchtlingsthematik überlagert.

In dem Zusammenhang sind auch die weiteren Ausführungen zum Neoliberalismus interessant, die sich, so die Ausführungen von Mausfeld, unabhängig zu den neueren Entwicklungen des Kapitalismus entwickelt haben. Der Kapitalismus neuerer Prägung ist doch eher ein entfesselter Finanz- bzw. Konzernkapitalismus, weil die Kapitalrendite in der Realwirtschaft für die Investoren (Kapitaleigner) nicht mehr ausreichend war. Deshalb suchte sich der Kapitalismus neue Spielwiesen und legte damit die nationalen Spielregeln und Beschränkungen ab (Stichwort: Deregulierung). Der Neoliberalismus – sehr gute Darstellung zur Mont Pèlerin Society in der Sendung „Die Anstalt [8]“, der bis in die 70-iger Jahre ein Schattendasein geführt hat, diente dann als Rechtfertigung für den so genannten Manchester-Kapitalismus, weil er zum einen einfach zu vermitteln war und zum anderen auch eher harmlos daherkam, weil ja „nur“ ein freier Markt gefordert wurde und staatliche Eingriffe als ineffizient bezeichnet wurden. Der Begriff marktkonforme Demokratie machte die Runde. Der Neoliberalismus oder genauer gesagt Ordoliberalismus bildete in der Folgezeit den ideologischen Unterbau und wirkte wie ein Brandbeschleuniger, so dass sich der Raubtier-Kapitalismus ungehindert weiter ausbreiten konnte. Die neoliberale Ideologie hat aber auch dazu geführt, dass die Klasse der Reichen zu einer ideologisch homogenen Klasse verschmelzen konnte, was am zutreffendsten Warren Buffet zum Ausdruck brachte, indem den „Krieg“ zwischen Arm und Reich zugunsten der reichen Klasse als bereits entschieden bezeichnet hat.

Ganz im Gegenteil zu der Klasse der „Armen“. Sie wurde partikularisiert und auch gegeneinander ausgespielt. Sündenböcke wurden gesucht und auch gefunden und immer das Credo „Du kannst es ganz nach oben schaffen, wenn Du dich nur genügend anstrengst“ impliziert gleichzeitig, wer es nicht nach oben schafft, ist ein Versager (Loser) oder noch schlimmer ein Hartzer. Keiner oder nur wenige fragen dann nach, ob nicht etwa die Rahmenbedingungen für einen Aufstieg überhaupt noch gegeben sind. Und da spielt die veröffentlichte Meinung eine entscheidende Rolle. Die Schwächung derjenigen, die einem gefährlich werden könnten, gehört zum Handwerkszeug einer jeden Meinungsmanipulation. Das (scheinbar) Ausweg-/Alternativlose ist die eigentliche Kernbotschaft des Neoliberalismus und dient in der Tat als Revolutionsprophylaxe. Die betroffenen Menschen ergeben sich in ihr Schicksal.  Die Obrigkeitsergebenheit der Deutschen ist in dem Zusammenhang geradezu förderlich.

Mausfeld ist sicherlich ein brillanter Kopf. Er argumentiert stringent und baut in seinem Vortrag Spannungsfelder auf, neigt aber auch dazu, seine Meinung als wissenschaftlich begründet hinzustellen. Auf was er wirklich hinaus will, erschließt sich mir nicht ganz. Dass der öffentliche Debattenraum immer mehr eingeschränkt wird, ist mir klar und dass ich als kritischer Beobachter der Medien bei jeder Nachricht überprüfen muss, welchen Wahrheitsgehalt sie hat, auch.

Prof. Mausfeld kommt mir so vor wie ein Arzt, der auf Nachfrage seines Krebspatienten, welche Therapie er denn vorschlagen würde, antwortet: „Egal, was Sie machen, sterben müssen Sie auf jeden Fall“.

Ausschnitt aus einem Beitrag von Ludger vom 19.7.18, angeregt durch den Beitrag von blog1:

Das ist genau der Eindruck, den ich auch hatte. Sind die damaligen Bedingungen wirklich historisch einmalig? Und sind sie wirklich unbedingt erforderlich für einen politischen Wandel?

Mausfeld streitet ab, dass es einen Weg zurück gibt. Wenn wir alle Gedanken zu einer Demokratisierung von vornherein verteufeln, weil sie den hehren linken Zielen nicht zu 100% dienen, dann verbleiben wir in der linken Ecke, in der sich auch Mausfeld lukrativ eingerichtet hat und sie sehr schön beschreibt.

Beitrag von Andreas vom 19.7., angeregt durch die vorherigen Beiträge:

Doch, die Situation war einmalig. Oliver Nachtwey beschreibt sie z.B. ausführlich in seinem Buch “Die Abstiegsgesellschaft – Über das Aufbegehren in der regressiven Moderne” und nennt diese Zeit die “Soziale Moderne” und datiert den Zeitraum auf 1950-1973 – mit durchschnittlich jährlichem Wirtschaftswachstum von 4,8 Prozent in Westeuropa.

Dazu zwei Beispiele:

  1. 1954 wurden in  der Bundesrepublik Deutschland 680.597 Automobile produziert, 1966 bereits 3.050.708, 1978 dann “nur” 4.186.364 (Quelle: Wikipedia [9]). Das astronomische Wachstum der 50er und frühen 60er Jahre ließ sich nicht fortsetzen
  2. Verbreitung von Waschmaschinen in deutschen Haushalten:

“Bis zum Ende der 60er Jahre war die Waschmaschine noch ein Luxusartikel. Die flächendeckende Verbreitung hatte zu diesem Zeitpunkt jedoch schon begonnen.
Ein wesentlicher Faktor, der diese Entwicklung vorantrieb, war die Produktionsweise des
Fordismus. Der Fordismus stammt aus den USA und beinhaltet im Wesentlichen die
Einführung von Fließbandarbeit, Rationalisierung und die Beschäftigung hauptsächlich
ungelernter Arbeiter. Durch diese Methoden konnte der Produktionspreis und somit auch
der Verkaufspreis gesenkt werden.
Der Kauf einer Waschmaschine blieb aber trotz sinkender Preise, die sich je nach Ausstattung
zwischen 1000 und 1600 DM bewegten, eine wohlüberlegte Entscheidung, wobei
nicht nur finanzielle Gesichtspunkte den Kauf hinauszögerten.”

[7]

Quelle: Viktor Fast: “Die Technisierung der Hausarbeit von 1950 bis 1970” [10]

Übrigens, in absoluten Beträgen sind Waschmaschinen heute billiger als in den 60ern. Und Hartz-IV-EmpfängerInnen können trotzdem kaum eine Ersatzbeschaffung finanzieren.
Die Konsumgesellschaft wurde etabliert, aus den riesigen Wachstumsraten entstand die Möglichkeit, Löhne und Gehälter steigen zu lassen, sodass dieser Klassenkompromiss erlebbar zu mehr Wohlstand führte und die Erwartung von ewigem Wachstum in die DNA der Nachkriegsgesellschaft eingeschrieben hat. Den ersten Knick gab es bereits 1966/67, von Massenarbeitslosigkeit wurde erstmals im Sommer 1975 [11] (1,07 Mio Arbeitslose = 4,7%) geredet.

Nennenswertes realwirtschaftliches Wachstum ohne zusätzlichen Verbrauch an Energie, Naturzerstörung und/oder Bodenschätzen hat es bisher – trotz der Ansätze z.B. von Ernst-Ulrich von Weizsäcker (“Faktor Vier”, “Faktor Fünf”) noch nie gegeben, der Rebound-Effekt schlägt immer wieder zu. Das ist eine Sollbruchstelle des Kapitalismus, er zerstört die Lebensgrundlagen jetzt und für die Zukunft.

Was mir als zentrales Hindernis zum Aufbau einer am Gemeinwohl orientierten Wirtschaft erscheint, sind einige Probleme mit unserer Eigentumsordnung und mit dem Unternehmensrecht.

Eingriffe ins jetzige System wie “gerechte Besteuerung von Konzernen, Erben, Reichen und Vermögenden” sind mit politischen Mehrheiten zwar grundsätzlich möglich, aber jederzeit umkehrbar. Das ist ja auch einer Erkenntnis der Politik seit 1974 (dieses Datum hat Butterwegge am 11.07.[8] als Startpunkt genannt – ich hatte ja eher für die BRD das Lambsdorff-Papier von 1982 mit dem Wechsel der FDP hin zur CDU/CSU als Startpunkt im Kopf). Errungenschaften ohne grundsätzliche Eingriffe in die wirtschaftliche Verfasstheit sind nicht stabil und bleiben ständig umkämpft.

Jetzt zitiere ich Robert Habeck – da sind die beiden Diskussionen wunderbar konstruktiv miteinander zu verknüpfen:

“Freier Warenverkehr heißt auch freier Waffenhandel – bumms, auf einmal haben wir den Salat. Wohlstand in Deutschland oder Europa heißt auch Importe von Rohstoffen und Energiequellen in anderen Ländern zu Bedingungen bei denen sie ausgebeutet werden, die autoritäre Regime eher stützen als stürzen. Das heißt, möglicherweise ist unsere Lebensstil, unsere Wertegemeinschaft ursächlich für viele Probleme, die da jetzt entstanden sind und dann muss man natürlich viel weiter denken. (…)
Dann allerdings brauchen wir eine gewisse Radikalität die wir uns allen zumuten in der neuen Antwortgebung, dann können wir nicht mehr zulassen, dass globale Konzerne “wilde Sau” spielen und wir die staatliche Kontrolle und Regulierung verlieren, dann müssen wir über die Lebensbedingungen in Afrika reden und nicht über lächerliche eine Milliarde mehr oder weniger streiten, sondern dann brauchen wir eine andere Politik   auch eine andere Handelspolitik. Das ist dann eine richtige Zumutung, aber ich glaube, letztendlich brauchen wir diesen Radikalismus, um realistisch zu werden.”

Wie sieht – angesichts u.a. vom Klimawandel und 60 Millionen Flüchtlingen weltweit – denn eine Lösung aus? Unser Konsumniveau z.B. ist mittelfristig tödlich für das, was wir als Errungenschaft der Zivilisation erachten. Umverteilung innerhalb von Deutschland wir nur dauerhaft als Lösung funktionieren, wenn sie in eine globale Umverteilung eingebettet ist. Wie das Ganze umsetzen?
Wie also kann ein demokratisch gesteuertes System der wirtschaftlichen Schrumpfung im “globalen Westen” auf ein menschliches Maß aus, also in dem Sinne, dass wir anerkennen, dass alle Menschen gleich an Würde sind und damit über die gleichen Chancen auf Leben, auf Glück und Gesundheit verfügen müssen?
Daran würde ich gerne weiter diskutieren.

Beitrag von blog1 vom 20.7., angeregt durch die vorherigen Beiträge:

Es ist aus meiner Sicht trivial, dass eine Nachkriegsgesellschaft einen enormen Nachholbedarf an Konsumgütern, aber auch an Investitionsgütern hervorbringt. Wenn man einen Krieg und die daraus resultierenden wirtschaftlichen und sozialen Folgen als singulär bezeichnet, hat Mausfeld natürlich Recht. Mausfeld argumentiert aber, dass ein so genannter Klassenkompromiss zustande kam, der den Kapitalismus mit der Demokratie eine Zeitlang aussöhnte, dieser sich aber nicht wiederholen lässt. Man könnte auch sagen, wenn es genug zu verteilen gibt, ist die Wahrscheinlichkeit von Verteilungskämpfen eher gering.

Der technologische Fortschritt (Beispiel Waschmaschine) ist jedoch nicht singulär, sondern ein permanenter Prozess. Immer dann, wenn ein Produkt zu erschwinglichen Preisen auf dem Markt kommt, generiert es Nachfrage, d.h. eine breite Masse muss auch in der Lage sein, dieses Produkt kaufen zu können. Die Jünger des Neoliberalismus postulieren aber eine angebotsorientierte Wirtschaftspolitik, d.h. man muss ein Produkt nur günstig genug machen, dann wird es auch gekauft. Wenn aber die Lohnentwicklung für 40% der Bevölkerung in den letzten Jahren 2 Jahrzehnten aufgrund eines massiven Lohndumpings hinter der Preisentwicklung zurückgeblieben ist, kaufen die betroffenen Personen nur das, was sie zum täglichen Bedarf dringend benötigen, ganz zu schweigen von älteren Personen, die mit einer kärglichen Rente auskommen müssen. Deshalb auch der phänomenale Aufstieg der Discounter bei gleichzeitiger Verdrängung der Tante-Emma-Läden. Die Frage ist doch, ob wir ein Wachstum von mehr als 2% benötigen, um einen Wohlstandsgewinn für die breite Masse zu generieren oder ob es nicht ausreicht, eine andere Verteilung der in den letzten Jahrzehnten erzielten Produktivitätsgewinne zu erreichen. Der Neoliberalismus hat dafür gesorgt, dass es in den letzten 2 Jahrzehnten zu einer massiven Verschiebung von Einkommen und Vermögen zugunsten der reichsten 10% der Bevölkerung gekommen ist. Ich vermag nicht einzusehen, warum diese Entwicklung nicht wieder zurückgedreht werden kann. Wenn man aber wie Mausfeld argumentiert, dass der Kapitalismus demokratiefeindlich ist und sich letzten Endes auch wohlstandsfeindlich für die breite Bevölkerung auswirkt, postuliert ein anderes System, das er aber nicht näher präzisiert. Wenn die Politik und die so genannte Eliten dafür gesorgt haben, dass die ohnehin sinkenden Wachstumsgewinne in den Taschen weniger gelandet sind, braucht man sich nicht wundern, dass für einen Großteil nichts mehr übrigbleibt.

Mein Beitrag vom 20.7.18, angeregt durch die vorherigen Beiträge:

Beim Lesen stellt sich mir die Frage, ist nicht jede geschichtliche Situation einmalig (auch wenn es Ähnlichkeiten und wahrscheinlich auch Gesetzmäßigkeiten gibt) und was bringt die Diskussion dieser Frage?
Eines scheint mir ziemlich klar zu sein, der einfache Satz, “Geld regiert die Welt” ist viel allgegenwärtiger, als wir es täglich wahr nehmen und das “große”, bzw. “ganz große” Geld verfügt über alle Mittel, sich die Gesellschaft nach den eigenen Interessen und Zielen zu gestalten. Und darüber, wie es das macht, sollte viel mehr diskutiert werden, aber diejenigen, die über das große Geld verfügen und damit an den wirklichen Schalthebeln der Macht sitzen, haben daran natürlich kein Interesse. Was wir aber brauchen und dem entgegenstellen müssen, ist eine große Offensive im Interesse des Gemeinwohls. Und wir brauchen Lösungsansätze, wie es gelingen kann, dass das Gemeinwohl so viel Kraft entfaltet, dass es die Macht des großen Geldes einhegen kann. Da finde ich, wirken die Lösungsansätze der 12 neuen SPD-Mitglieder und auch Andreas, Deine Überlegungen zum Thema schon in die richtige Richtung und insofern kann ich diese Thesen oder Ziele nur unterstützen.
Meines Erachtens brauchen wir aber nicht nur eine Erneuerung der SPD, das greift zu kurz, wir brauchen eine Erneuerung der demokratischen Zivilgesellschaft, “neues Denken”, wie es übrigens im letzten Wahlkampf aus meiner Wahrnehmung als einziger Hr. Christian Lindner richtig formuliert hat (was nicht bedeutet, dass er meine Sympathie genießt). Und beim Thema Demokratie in unseren heutigen, hoch entwickelten Gesellschaften, reicht es meines Erachtens nicht, die Gewaltenteilung auf 3 Kategorien, die Legislative, die Exekutive und die Judikative zu beschränken, es gehören meiner Auffassung nach mindestens 2 weitere Komponenten dazu, die Wirtschaft, einschließlich Finanzen und das Medienwesen, bzw. die öffentlichen Meinungsbildungsprozesse. Zumindest in der Wirtschaft gibt es gewisse Ansätze, die aber insgesamt zu kurz greifen und noch nicht der Weisheit letzter Schluss sind, wie z.B das Betriebsverfassungsgesetz mit Betriebsräten und Gewerkschaften. Aber wir wissen alle aus eigener Erfahrung, auch Betriebsräte und Gewerkschaftsfunktionäre sind schon der Macht des großen Geldes erlegen. Und bei den öffentlichen Meinungsbildungsprozessen spüre ich bisher, außer der Existenz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und Fernsehens, gar keine Ansätze, die in die richtige Richtung zielen und auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk und das Fernsehen sind durchaus verbesserungswürdig. Mir scheint, die beiden letztgenannten Kategorien (Wirtschaft und öffentlichen Meinungsbildungsprozess) stehen im gewissen Sinne sogar über der Legislative, der Exekutive und der Judikative und insofern sollten wir viel mehr darüber nachdenken und offensiv diskutieren, wie wir diese Kategorien im Sinne des Gemeinwohls optimieren können.
Das sagt sich alles ziemlich leicht, ich bin mir durchaus bewusst, dass dies ein sehr schwerer Weg wird, aber so verstehe ich die Radikalität, die wir brauchen um Realisten zu werden (wovon Robert Habeck gesprochen hat). Und jeden noch so kleinen Schritt, der in die richtige Richtung zielt, sollten wir unterstützen und nicht gleich damit abtun, dass er nicht weit genug greift.
Ich hoffe, ich habe Euch damit nicht zu sehr gelangweilt. Ich kann Andreas’ Wunsch nur zustimmen, in diese Richtung sollten wir die Diskussionen vertiefen und konkretisieren, damit wir gangbare Wege finden.

Bildquelle: © Rainer Sturm / pixelio.de [15]

Endnotes:
  1. [Image]: https://nachdenken-in-muenchen.de/Wordpress/wp-content/uploads/2018/07/665860_1280_R_K_B_by_Rainer-Sturm_pixelio.de_.jpg
  2. Ludger: https://nachdenken-in-muenchen.de/?author_name=ludger
  3. Andreas: https://nachdenken-in-muenchen.de/?author_name=andreas
  4. [Image]: https://de.statista.com/infografik/14588/worauf-die-politik-sich-konzentrieren-sollte/
  5. Rainer Mausfeld: http://www.uni-kiel.de/psychologie/mausfeld/
  6. blog1: https://nachdenken-in-muenchen.de/?s=blog1
  7. [Image]: https://nachdenken-in-muenchen.de/Wordpress/wp-content/uploads/2018/07/Verbreitung-von-Waschmaschinen.png
  8. Butterwegge am 11.07.: https://nachdenken-in-muenchen.de/?p=4314