Ein Gastbeitrag von blog1
Regierungsbildung
Chaostage bei der SPD. Die SPD befindet sich in ihrer schwersten Krise seit ihrer Gründung. Eine Zustandsbeschreibung.
Die Koalitionsverhandlungen
Die Koalitionsverhandlungen verliefen inhaltlich wie erwartet. Das Sondierungspapier war die Blaupause für den Koalitionsvertrag. Die im Bundesparteitag der SPD im Januar aufgestellten Forderungen im Hinblick auf Nachverhandlungen wurden maximal zu 1/6 erfüllt. In der Flüchtlings- und Migrationspolitik wurden vor allem die Positionen der CSU bestätigt, sieht man von den Regelungen, dass 12.000 Familienangehörige von Flüchtlingen mit subsidiärem Schutz pro Jahr nachziehen können, einmal ab. Bei der Bürgerversicherung hat sich die Union in vollem Umfang durchgesetzt. Bliebe da noch das Thema sachgrundlose Befristung. Hier kann man von einem Teilerfolg der SPD sprechen, weil die so genannten Kettenverträge, die vor allem im öffentlichen Dienst Gang und Gebe sind, in Zukunft nicht mehr möglich sein werden. Das ist also die inhaltliche Bilanz des Koalitionsvertrages, die Kevin Kühnert, Meinungsführer der NoGroKo-Bewegung, richtig beschrieben hat. Es sind die inhaltlichen Gemeinsamkeiten mit der Union aufgebraucht.
Aber wen stören denn Inhalte, wenn es um die Posten geht. Und da hat die SPD in den Köder gebissen, den Merkel ihr hingehalten hat. 6 Ministerposten und davon auch das begehrte Finanzministerium. Kaum weniger begehrt das Außenministerium und das Arbeitsministerium.
Dieser Ministeriumszuschnitt veranlasste dann auch Generalsekretär Lars Klingbeil zu der Aussage „Wenn wir einen Tag länger verhandelt hätten, dann hätten wir auch das Bundeskanzleramt erhalten“. Im Hintergrund stand sein Förderer Scholz, der zufrieden grinste, weil er als designierter Finanzminister und Vizekanzler der eigentliche Gewinner in der SPD-Führungsriege ist. Scholz, ein überzeugter „Seeheimer“ hat allen Grund zufrieden zu sein, hat er doch als Regierender Bürgermeister von Hamburg denkbar schlechte Karten im Hinblick auf seine Wiederwahl, seit er den G20-Gipfel in den Sand gesetzt hat. Dem Vernehmen nach haben sich die Verhandlungspartner in dieser Phase stundenlang angeschwiegen. Hier bestätigt sich wieder einmal der Satz „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“.
Dieses Verhandlungsergebnis lässt gleichzeitig tief blicken, treffender und entlarvender könnten die Aussagen von Generalsekretär Klingbeil nicht sein. Es geht nur noch um den Machterhalt der SPD-Parteispitze und ihrer nachgelagerten Ebenen, sieht man von Ausnahmen (z.B. Hilde Mattheis, Marco Bülow) einmal ab.
Schulz der politische Rohrkrepierer
Kaum waren die Koalitionsverhandlungen vorbei, erklärte Schulz seinen Rückzug als Parteivorsitzender der SPD. Das schönste Amt nach dem Papst war für ihn zur Bürde geworden. Der politische Absturz von Schulz als Hoffnungsträger der SPD ist m.W. beispiellos in der Geschichte der SPD. Es ist noch nicht einmal ein Jahr her, da wurde Schulz mit 100% zum SPD-Vorsitzenden gewählt. Dieses Ergebnis hätte Schulz nachdenklich machen müssen. Stattdessen wähnte er sich in der Position, über Wasser gehen zu können, zumal die Umfragewerte für die SPD drastisch anstiegen. Als dann 3 Landtagswahlen, davon die wichtige Landtagswahl in NRW, in Folge verloren gingen, war Schulz in der politischen Realität angekommen. Gewiss, Schulz ist nicht allein verantwortlich für die verlorenen Landtagswahlen, aber es zeigte sich im Verlauf des Bundestagswahlkampfes, dass Schulz keine Vorstellung davon hatte, wie er die Partei inhaltlich neu ausrichten konnte. Er setzte ausschließlich auf die emotionale Komponente und unterfütterte seine Ankündigungen nach sozialer Gerechtigkeit nicht mit konkreten Inhalten und so konnte es passieren, dass er von der merkelschen Union und den Mainstreammedien ausgebremst werden konnte.
Als dann das desaströse Ergebnis der Bundestagswahl im September feststand, rettete sich Schulz in die Verweigerungshaltung der SPD, indem er eine erneute GroKo kategorisch ablehnte. Die Rückendeckung des gesamten Parteivorstandes war ihm gewiss, sollte sich doch die Partei in der Opposition nun endlich erneuern, nachdem sie ca. 50% ihrer Wählerschaft seit 1998 verloren hat. Aber schon da war klar, dass Schulz ein Parteivorsitzender auf Abruf war, weil er die Autorität innerhalb der Partei längst verloren hatte.
Schulz wie die gesamte Parteispitze schätzte die Lage in der Folgezeit völlig falsch ein. Die Sondierungen für eine Jamaika-Koalition scheiterten und die SPD-Führungsspitze hatte keinen Plan B, sondern ging fest davon aus, dass die Jamaika-Koalition zustande kommen wird.
Nur so lässt sich die anschließende Reaktion der SPD-Führung erklären, dass wiederum eine GroKo ausgeschlossen wurde, obwohl jedermann hätte wissen müssen, dass jetzt der Bundespräsident ins Spiel kommen würde. Dabei hätte es völlig ausgereicht, wenn die SPD-Führung für einen Moment inne gehalten und die Entscheidung des Bundespräsidenten abgewartet hätte, um dann zu einer Entscheidung, wie es weiter gehen soll, zu kommen.
Schulz als der dann noch amtierende Parteivorsitzende ließ also die Führungsqualitäten vermissen, die ein Parteivorsitzender dringend braucht. Für Schulz trifft also das so genannte Peter-Prinzip zu, das besagt, dass in einer Hierarchie jeder Funktionsträger dazu neigt, bis zur Stufe seiner eigenen Unfähigkeit aufzusteigen. Dass Schulz nach Abschluss der Koalitionsverhandlungen den Parteivorsitz hinwarf, um trotz anderslautender Bekundungen Außenminister zu werden, zeigt nur, wie wenig er in der Lage war, die Gemengelage an der Parteibasis richtig einzuschätzen. Wer im Loch sitzt, sollte tunlichst nicht noch tiefer graben.
Der geschäftsführende Außenminister Gabriel fiel jedoch auf die politische Selbstmordgeste von Schulz herein und erklärte sein Missfallen über die Entscheidung von Schulz, schließlich ist er als Außenminister unentbehrlich. Dabei ist es die Ironie des Schicksals, dass Gabriel nur einen Tag hätte warten müssen, um dem „Mann mit den Haaren im Gesicht“ sein eigenes politisches Scheitern selbst besiegeln zu lassen. Jetzt kostet es Gabriel das politische Amt, er der Meister des politischen Ränkespiels, der die SPD-Kanzlerkandidaten Steinbrück und Steinmeier hat über die Klinge springen lassen.
Aber auch die Rolle von Andrea Nahles ist dubios. Sie hat alle Entscheidungen der SPD-Führung mitgetragen und scheute sich nicht, die Hinterzimmerentscheidung von Schulz abzusegnen, weil sie die vermeintliche Nutznießerin des Verzichts von Schulz auf den Parteivorsitz sein würde. Wie sehr es in der SPD gärt, sieht man an der Entscheidung des SPD-Präsidiums und des SPD-Vorstandes, Nahles als zukünftige Parteivorsitzende zwar zu nominieren, kommissarisch aber den SPD-Vorsitz auf Olaf Scholz zu übertragen. Nicht zu vergessen der Vorstoß von Simone Lange, OB von Flensburg, auch für den SPD-Vorsitz zu kandidieren.
Der Mitgliederentscheid
Jetzt sind die Mitglieder der SPD gefragt, die in einem Mitgliederentscheid darüber entscheiden müssen, ob die SPD in eine GroKo eintreten soll oder nicht. Es ist eine Wahl zwischen Pest und Cholera. Die SPD steht aktuell in der Wählergunst bei 18% – x, gefährlich nah an den Umfragewerten der AfD.
Die Parteibasis wird also politisch erpresst, einer GroKo zuzustimmen, weil die Folgen einer NoGroKo noch schlimmer wären. Nur noch um diese Fragestellung geht es. Aber ist es wirklich so? Kevin Kühnert argumentiert ja dergestalt, dass eine Erneuerung der SPD nur außerhalb einer GroKo möglich sein wird. Dieser Argumentation ist grundsätzlich zuzustimmen.
Die Imponderabilie liegt aber in dem Wahlausgang von Neuwahlen, die dann nicht zu vermeiden wären, wenn der Koalitionsvertrag abgelehnt wird. Die SPD wird dann nicht in der Lage sein bis zu den Neuwahlen eine personelle und inhaltliche Neuausrichtung den Wählern glaubhaft zu vermitteln, zumal bei den letzten Bundestagswahlen immerhin noch 20,5% die SPD gewählt haben.
Der Pfad einer politischen Erneuerung und gleichzeitig den Komplettabsturz der SPD auf unter 20% zu vermeiden, erscheint als nicht gangbar.
Fazit
Meine Prognose geht dahin, dass der Mitgliederentscheid denkbar knapp zugunsten einer GroKo ausgehen wird. Die innerparteiliche Diskussion um eine Erneuerung wird weiter gehen. Dabei werden die Jusos eine wichtige Rolle einnehmen müssen. Der neoliberale Flügel rund um den Seeheimer Kreis wird nicht freiwillig das Feld räumen. Insofern wird auf die Kabinettsbildung ein besonderes Augenmerk zu legen sein, inwieweit Reformkräfte innerhalb der SPD eine Chance bekommen. Bei Andrea Nahles und vor allem Lars Klingbeil habe ich Zweifel, ob eine inhaltliche Erneuerung der SPD wirklich gelingen kann. Nahles ist u.a. zu sehr mit der Versicherungswirtschaft verstrickt, sonst wären ihre Kapriolen in Sachen betriebliche und private Altersvorsorge zulasten der umlagefinanzierten Rente nicht zu erklären. Lars Klingbeil ist Mitglied des Seeheimer Kreises und somit ein Verfechter der neoliberalen Denkrichtung. Er steht ausschließlich für eine organisatorische Neuausrichtung der SPD und pflegt gute Kontakte zur Rüstungsindustrie.
Ich sehe die SPD aber auch nicht vor einer Spaltung, weil die Reformkräfte immer noch daran glauben, dass die SPD von innen heraus reformierbar ist. Der Glaube stirbt bekanntermaßen zuletzt.
Bildquelle: SPD Schleswig-Holstein |CC BY 2.0
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Nachfolgendes hatte ich am 4.2. an meinen Bundestagsabgeordneten geschrieben:
“Mit jedem Tag, an dem die Große Koalition ein Stück wahrscheinlicher wird, nehmen unsere Zustimmungswerte ab. Es mag ja gut verhandelt worden sein, aber die Sondierungsergebnisse ließen schon erkennen, das viel sozialdemokratisches Gedankengut auf der Strecke geblieben bzw gar nicht eingebracht worden ist.
Wenn unsere Programmatik bestimmte Themen, die wir verhandeln, wie Abrüstung, Entspannungspolitik, Waffenlieferungen, Exportüberschüsse, Privatisierungen (Pflege-Profitcenter sind eine wirkliche Ursache für den Pflegenotstand), Schwarze Null, Austeritätspolitik, Ungleichheit, Steuererhöhungen, Niedriglohnsektor, Leiharbeit, soziale Gerechtigkeit, HartzIV nicht mehr beinhalten, ist es klar, daß das was übrig bleibt, sehr nahe bei der Union verortet ist. Und das was dann immer gesagt wird, daß die Verhandlungen so schwierig seien und die Parteien doch ziemlich eingenständige Positionen vertreten würden, ich glaube das nicht. Wie weit sind denn wirklich die verhandelten Vorstellungen auseinander? … beim Soli, beim Familiennachzug, bei der Bildung, bei der Digitalisierung, bei Europa … je mehr wir aussen vor lassen, desto näher sind wir doch bei der Union. Und so können wir nur verlieren – so oder so.
Mir bleibt nur die Hoffnung, daß das Thema ERNEUERUNG (und zwar inhaltlich im Sinne der oben genannten Punkte) jetzt nicht total unter den Tisch fällt. Martin Schulz wird ja wohl wieder in diverse Regionalkonferenzen gehen und ich möchte hoffen, daß er sehr nahe hier her kommen wird.
Warum hatte eigentlich Martin Schulz vor einem Jahr eine Zustimmung vonn 30%? Weil er die soziale Gerechtigkeit thematisiert hatte und damit glaubwürdig war. Und dann ist warum auch immer von dieser Devise abgewichen worden.
Und einen weiteren Gedanken möchte ich noch anbringen: Wenn es so ist, daß wir – die Politik, die Gesellschaft – an gewisse soziale Schichten, die kaum noch wählen und die eine signifikant niedrigere Lebenserwartung haben – nicht mehr herankommen, dann müssen wir uns das eingestehen und die Konsequenzen ziehen, nämlich fragen warum das so ist und was wir tun müssen. Wenn wir nichts tun, wird die AfD bald an uns vorbeiziehen. “
Heute habe ich Post aus der Parteizentrale zum SPD-Mitgliedervotum bekommen, u.a. steht darin folgendes:
“Du entscheidest, ob die SPD in eine Regierung mit CDU und CSU eintritt. Wir haben hart verhandelt, um Deutschland voran zu bringen und um das Leben von Familien, jungen Menschen, Beschäftigten sowie Rentnerinnen und Rentnern spürbar zu verbessern. Der Koalitionsvertrag trägt eine deutliche sozialdemokratische Handschrift.”
Interessiert habe ich diese Woche Maischberger, Illner und Lanz geschaut, überall der gleiche Tenor: Die SPD hat gut verhandelt, es gibt keinen Grund, den Koalitionsvertrag abzulehnen. Die NoGroKo – Leute werden als Opportunisten und ewige Nein-Sager abgestempelt. Allerdings, inhaltlich habe ich von ihnen sehr wenig vernommen.
Lieber Ludger,
auch ich habe die Sendungen Maischberger, Illner und Lanz verfolgt, auch wenn sie hart an der Schmerzgrenze dessen war, was man ertragen kann.
Aber es ist in der Tat so, wie Du es beschreibst. Das Verhandlungsergebnis wird zugunsten der SPD hochgejubelt, um eine GroKo-Zustimmung zu erzeugen. Angeblich soll ein Computer-Programm existieren, dass belegt, dass 2/3 des Koalitionsvertrages eine sozialdemokratische Handschrift trägt.
Die GroKo-Gegner haben inhaltlich betrachtet allerdings wenig entgegen zu setzen. Die Argumentation der Gegner war von Anfang an darauf gerichtet, dass eine GroKo aus grundsätzlichen Erwägungen abzulehnen sei, weil eine Erneuerung der SPD nur außerhalb der GroKo möglich sei.
Dies zeigt nichts anderes, als dass weder die Parteispitze noch die Jusos eine Vorstellung davon haben, wie die SPD inhaltlich neu ausgerichtet werden soll.
Mir drängt sich der Eindruck auf, dass die SPD weder weiß, warum sie bei der letzten Bundestagswahl gewählt wurde, noch weiß, warum seit nunmehr 20 Jahren 50% ihrer Wählerschaft verloren hat.
Deshalb setzt die Parteispitze weiter auf einen neoliberalen Kurs und die GroKo-Gegner auf eine Erneuerung in der Opposition, ohne zu wissen, wohin der Zug fahren soll.
Lieber Werner,
ja das ist dann schon Unterhaltung gegen Mitternacht, bei Lanz und Co. So gut ich es manchmal finde, dass die politischen Fragen in diesem Format daherkommen – es ist eben so wahnsinnig einseitig – aber für unsereins ist das nichts neues. Dabei wurde ja auch öfters die Andrea Nahles, der nicht mal die Hälfte der SPD-Anhänger eine Erneuerung zutrauen, von 1998 gezeigt, als sie noch gegen den Neoliberalismus, gegen Schröder und Clement aufbegehrte. Ich möchte am nächsten Sonntag in Ulm bei der Regionalkonferenz dabei sein und werde sie fragen, ob sie noch weiß, was Neoliberalsimus ist?
Aber wo sind die Alternativen? Warum profitiert die Linke nicht von den SPD-Chaostagen, nein von den SPD-Chaosjahren? Die Grünen legen immerhin 2% zu.
Die Linke insgesamt ist doch tief gespalten. So wichtig zum Beispiel Fragen der Gleichstellung der Geschlechter, der Anerkennung anderer Lebensentwürfe und sexueller Orientierungen ist, was ja zum Teil mit dem Begriff “Identitätspolitik” beschrieben wird, so wenig wird das mit der Frage der ausufernden sozialen Ungleichheit zusammengedacht, also dem, was man “Klassenpolitik” nennen sollte. Identitätspolitik wird in Deutschland marktkonform verhandelt, Träger sind Mitglieder der Mittelschicht, ein aufgeklärtes Bürgertum. Da gibt es dann wie beim Beschluss über der Ehe für gleichgeschlechtliche Paare parteiübergreifende Gemeinsamkeiten (was ich grundsätzlich nicht kritisiere). Aber bei der Frage der sozialen Gleichheit, der Verteilung von gesellschaftlichem Reichtum und Lebenschancen versagen oft jene Kräfte bei SPD, Bündnis 90/Grüne und DIE LINKE, Identitäts- und Klassenfragen zusammen zu denken.
Tom Strohschneider dazu in einem aktuellen Mosaik-Interview:
Zu dem Thema Neoliberalismus-Ordoliberalismus gibt es einen interessanten Artikel in Makroskop mit dem Thema „Netzwerke des Marktes“ von Walter O. Ötsch und Stephan Pühringer, der sehr gut beschreibt, welche Wirkungsmächtigkeit von Personen ausgeht, die dann einen performanten Fußabdruck in dem aktuellen politischen Geschehen hinterlassen.
https://makroskop.eu/2018/02/netzwerke-des-marktes/
Abgekürzt heißt es nichts anderes, als dass die politisch Verantwortlichen in allen Parteien – mit Ausnahme der Linkspartei auf Bundesebene – eine marktkonforme Demokratie praktizieren.
Das heiß nichts anderes, als dass in diesen Parteien Ökonomen keine Chance eröffnet wird, die auf volks- und betriebswirtschaftlicher Ebene den „marktfundamentalen Kräften“ Paroli bieten können.
Nachdem die Position der Leitmedien auch durch und durch neoliberal bzw. marktfundamental geprägt ist, gelingt es den Journalisten sehr leicht, die SPD argumentativ in die Ecke zu stellen, indem sie suggerieren, dass die SPD nicht in der Lage ist, ihre Erfolge in der Regierungsmitverantwortung ausreichend in der Wählerschaft zu transportieren oder das Totschlagargument, dass die Agenda 2010 der Schröder Regierung das letzte „Highlight“ der SPD war.
“welche Wirkungsmächtigkeit von Personen ausgeht”: Das macht doch auch klar, dass es sehr wohl wichtig wäre, dass VOR der Abstimmung in der SPD die maßgeblichen Personen benannt werden. Die Strategie “wir stimmen erstmal über das Programm ab, die Ministerposten werden anschließend vergeben” ist doch nur eine Verdummung und Entmündigung der Mitglieder! Im Koalitions-Programm sind so viele vage Formulierungen, dass man niemand darauf festlegen kann. Der spätere Amtsinhaber beeinflusst doch stark, was aus den Formulierungen gemacht wird und ob überhaupt.
Willi
Lieber Willi,
Die Hintergründe für die Entscheidung der SPD-Führung, ein Personaltableau erst nach der Mitgliederentscheidung zu veröffentlichen, sind dubios. Die offizielle Begründung lautet ja, dass ausschließlich über den Inhalt des Koalitionsvertrages abgestimmt werden soll.
Wer hat eigentlich wen in der SPD-Führung über die Klinge springen lassen? Warum hat sich Schulz gegen den Parteivorsitz und für das Amt des Außenministers entschieden. War es einfach eine politische Instinktlosigkeit und wer hat ihn dazu gedrängt? Darüber schweigt sich die SPD-Führung aus. Und welche Rolle spielt der amtierende Außenminister Gabriel, der sich jetzt mit der Freilassung von Denis Yücel in Szene setzt?
Aus meiner Sicht herrscht zwischen der SPD-Führung und der Mitgliedschaft eine tiefe Vertrauenskrise. Die SPD-Führung fährt schon seit Monaten eine Salamitaktik mit dem Ziel die Mitglieder politisch zu erpressen. Es wird immer nur die Position Preis gegeben, die nicht mehr zu halten ist.
Innerhalb der SPD-Führung gibt es ein Hauen und Stechen zwischen denjenigen, die Nutznießer einer erneuten GroKo sind und denjenigen, die von den Ämtern und Pöstchen nichts abbekommen.
Im Grunde genommen ist es sehr einfach: Wer keine Vorstellung davon hat, wie die SPD inhaltlich neu ausgerichtet werden kann, der schielt nach einem lukrativen Posten, der ihm eine gesicherte Pension verschafft und ihr näher bringt bzw. ihm nach maximal 4 Jahren einen lukrativen Posten in der Wirtschaft einbringt.
Insofern war die nach der Bundestagswahl zur Schau gestellte Ablehnungshaltung zu einer erneuten GroKo von vielen im SPD-Vorstand nicht ernst gemeint, sondern rein taktisch bedingt.
Allein, dass Olaf Scholz als möglicher Bundesfinanzminister gehandelt wird, macht schon deutlich, wie wenig diese Partei willens, fähig oder in der Lage ist, aus dem mittlerweile seit 20 Jahren andauernden Niedergang zu lernen. Scholz war anderthalb Jahre SPD-Generalsekretär in der rot-grünen Regierung Schröder II. Und im schwarz-roten Kabinett Merkel I war er zwei Jahre Bundesminister für Arbeit und Soziales. Er gehört zu denen, die die „Agenda 2010“ damals nicht nur durchgesetzt haben, sondern heute noch loben.
Michael Jäger und Sebastian Puschner schreiben dazu in der aktuellen Ausgabe des Freitag:
All diejenigen, die jetzt dem Koalitionsvertrag eine sozialdemokratische Handschrift attestieren, können dies doch nur tun, wenn auch sie die Agenda 2010 für grundsätzlich richtig erachten, wenn sie für richtig erachten, dass die Spaltung der Gesellschaft im Arm und Reich weiter voranschreitet, dass Altersarmut (die ja mit einem Rentenniveau von 48% vom Nettoeinkommen schon längst Realität ist) scheinbar unvermeidlich ist.
„Soziale Gleichheit und Gerechtigkeit ist die Grundvoraussetzung, damit sich eine Gesellschaft demokratisch, sozial und human entwickeln kann“, sagt Christoph Butterwegge. Das sollte sich die SPD trotz all der Chaostage mal zu Herzen nehmen. In einer gemeinsamen Bundesregierung, wo der Abschied vom Neoliberalismus vertraglich ausgeschlossen wird, kann die SPD nur weiter verlieren. Das Problem dabei: noch ist keine politische Kraft erkennbar, die das „sozialdemokratische Erbe“ für das 21 Jahrhundert antreten könnte.
“Das Problem dabei: noch ist keine politische Kraft erkennbar, die das „sozialdemokratische Erbe“ für das 21 Jahrhundert antreten könnte”.
Diese Aussage ist korrekt. Es gibt ja die linke Sammlungsbewegung, die von O. Lafontaine und S. Wagenknecht ins Leben gerufen wurde. Dieser Sammlungsbewegung werden keine großen Chancen eingeräumt und zwar nicht nur vom politischen Gegner, sondern auch von denjenigen, die sich dieser Denkrichtung zugehörig fühlen. Das linke Spektrum ist derartig heterogen bzw. zerstritten, dass der politische Streit untereinander geradezu zelebriert wird.
Erst dann, wenn es zur GroKo kommt und die Reformkräfte innerhalb der SPD keine Chance mehr sehen, dass sich die SPD inhaltlich erneuert, kommt Bewegung in dieses Aktionsbündnis. Dann werden auch Anhänger der Linkspartei und des linken Flügels der Grünen „überlaufen“.
Aber: Nur dann, wenn das linke Spektrum eine in sich schlüssige sozial-ökonomische Perspektive mit ökologischen Elementen entwickelt, kann es erfolgreich sein.