Warum die aktuellen Tarifforderungen einen schweren strategischen Fehler darstellen
von Michael Hirsch
Gut gemeint ist oft das Gegenteil von gut. So auch in der Tarifpolitik. Nach über 20 Jahren Stillstand in Sachen progressiver Arbeitszeitpolitik hat die IG Metall in der aktuellen Tarifrunde die Chance verpasst, sich noch einmal an die Spitze einer fortschrittlichen Bewegung zu stellen. Anstatt mutig und selbstbewusst für eine generelle Arbeitszeitverkürzung auf 30 Wochenstunden einzutreten, schränkt sie die Möglichkeit für Arbeitszeitreduktionen unnötigerweise auf bestimmte Kategorien von Arbeitnehmern und bestimmte Momente der Erwerbsbiografie ein. Dies ist ein schwerer Fehler. Denn fortschrittliche soziale Rechte sind nur dadurch fortschrittlich, dass sie allgemein sind und allgemein gelten. Eine proletarische Massenbewegung inklusive größerer Streiks und einer breiteren gesellschaftlichen Solidarisierung wäre nur dann möglich, wenn Tarifforderungen tatsächlich als allgemeine erhoben würden: wenn wirklich alle Beschäftigten von ihnen profitieren würden. Das könnte aber nur die Forderung nach einer generellen Arbeitszeitverkürzung sein. Nur wenn ganz deutlich gesagt wird: „Die Fortschritte der Produktivkräfte und die Entwicklung der Unternehmensgewinne erlauben hier und heute gerade in der Metall- und Elektroindustrie eine deutliche Verringerung der Normalarbeitszeit für alle, ohne Verluste von Einkommen und mit vollem Personalausgleich“, würden die Mehrheit der Beschäftigten verstehen: Davon profitieren alle, weil es ihren Alltag dauerhaft entlastet.
Tarifnormen sind die bedeutendsten zeitlichen, aber auch symbolischen Regularien unseres Alltags. Daher ist es so wichtig, gegen den fatalen Trend zur Flexibilisierung und Individualisierung an ihnen als allgemeinverbindlichen Normen festzuhalten. Tarifnormen prägen Lebensläufe und strukturieren den Alltag. Sie klären, was wir voneinander normalerweise und legitimerweise erwarten können. Das gesamte System geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung beruht eben genau darauf: dass die normalen Arbeitszeiten generell und im Prinzip, und eben nicht nur phasenweise zu lang sind, um mit dauerhaften Verpflichtungen in Haushalt und Familie vereinbar zu sein. Warum also sollte man Arbeitszeitreduktionen auf jüngere Eltern und Kinder pflegebedürftiger Angehöriger sowie Schichtarbeiter*innen einschränken? Mit dieser Einschränkung wird eine fatale Aussage verbunden: Sie besagt, dass die herrschenden Arbeitszeiten im Normalfall in Ordnung sind, und nur in einigen kürzeren Lebensphasen eingeschränkt werden müssen. Das aber ist eine fundamental falsche Aussage. Sie geht an der Lebensrealität von Millionen von Menschen vorbei, die in ihrem Alltag nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft von Überlastung und Stress geplagt sind.
Meines Erachtens gibt es hier nur eine fortschrittliche Forderung: die nach einer generellen Verkürzung der Normalarbeitszeiten. Das wäre eine bedeutende gleichstellungspolitische Hypothese, welche auf einer ganz allgemeinen Ebene die ungezählten Stunden von unbezahlt verrichteter Arbeit in Haushalt und Familie anerkennt – aber auch diejenigen im Sozialwesen, im politischen Engagement und in der Kulturarbeit. Arbeitszeitnormen sind eben nicht nur bedeutende Rechtsnormen, sondern auch die vermutlich wichtigsten symbolischen Normen in der Gesellschaft. Sie legen gleichsam die Wertschätzungshierarchien fest. Wenn das, was rhetorisch immer wieder beschworen wird: die Aufwertung von unbezahltem Engagement in Familie und Gemeinwesen, tatsächlich ernst gemeint sein soll, dann kommen wir um eine progressive Änderung herrschenden Arbeitszeitnormen in Richtung 30-Stunden-Woche und darüber hinaus nicht herum. Die im Rahmen von Industrie 4.0 und Digitalisierung der Arbeit erwartbaren Produktivitätsfortschritte legen dies ebenfalls nahe.
Die richtige Strategie der Arbeiterbewegung und der progressiven Teile der Gesellschaft insgesamt kann also nur in der fortschreitenden Verkürzung der Normalarbeitszeiten liegen. Das bedeutet, dass drei Leitideen miteinander verbunden werden: eine sozialpolitische, eine gleichstellungspolitische und eine kulturelle. Das Ziel wäre die möglichst gleichmäßige und faire Verteilung der Erwerbsarbeit auf alle Arbeitnehmer*innen; die möglichst gleichmäßige und faire Verteilung von Haushalts- und Familienarbeit auf alle; und schließlich die größtmögliche Lebensqualität aller. Oft wird von Seiten der Arbeitgeber, aber auch von Beschäftigten gegen generelle Arbeitszeitverkürzungen ins Feld geführt, dass viele gerne weiterhin in den heute üblichen Vollzeitnormen arbeiten möchten (je nach Branche also zwischen 35 und 40 Stunden). Solange es aber darum geht, eine gleichmäßige Erwerbsbeteiligung aller zu subsistenzsichernden Löhnen zu sichern (und damit auch eine möglichst allgemeine Teilhabe an den materiellen und sozialen Rechten, die mit Erwerbsarbeit verbunden sind), so lange wird man diesen Leuten antworten müssen: Wenn ihr findet, dass ihr weiterhin länger erwerbstätig sein wollt, wenn ihr also weiterhin weniger im Bereich der unbezahlten Arbeit in Familie und Gemeinwesen tätig sein wollt als die anderen, dann müsst ihr euch vielleicht nach Nebenjobs umsehen.
Man kann sich vorstellen, warum die IG Metall solche Aussagen und die damit verbundenen Auseinandersetzungen mit ihren zumeist männlichen Mitgliedern gescheut hat. Offensichtlich sind sie noch nicht so weit. Es muss klar sein: Hier geht es um einen paradigmatischen Kampf: den um die allgemein herrschenden gesellschaftliche Normen. Die IG Metall hat in der diesjährigen Tarifrunde ihre fortschrittlichen Gedanken in Details und Ausnahmeregelungen versteckt und den eigentlichen Konflikt auf die Zukunft verschoben. Das ist schade. Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben.
Michael Hirsch ist Politikwissenschaftler und Philosoph
Er unterrichtet Politische Theorie und Ideengeschichte an der Universität Siegen. 2016 hat er das Buch „Die Überwindung der Arbeitsgesellschaft“ publiziert. Er ist Mitglied des Arbeitskreises „Arbeit Fair Teilen“ von Attac und des Wissenschaftlichen Beirats von Attac.
Dieser Beitrag ist Mitte Januar während der Tarifrunde 2018 entstanden.
Bildquelle: Wzwz (Eigenes Werk) [CC0], via Wikimedia Commons
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Mein Eindruck war, es sei ein Fortschritt, wenn Arbeitnehmer unter gewissen Bedingungen – Pflege, Erziehung – zeitweise in Teilzeit arbeiten und wieder zurückgehen können. Hat irgendjemand geglaubt, dass wir Knall auf Fall mit der Gesamtheit der Arbeitnehmer in Teilzeit wechseln können? Produktivitätsorientiert wäre es zwar möglich – aber nicht machtpolitisch realisierbar. Wenn wir solche Schritte messen an einer idealtypischen Vorstellung, wird es immer ungenügend sein. Und es wird suggeriert, es lohne sich nicht für kleine Fortschritte zu kämpfen.
Ein nmittelständischer Unternehmer hat auf Facebook dazu geschrieben:
“Das sind doch absolut realitätsferne Forderungen. Was meinst du, wie die vielen mittelständischen Unternehmen der Metallindustrie mit diesen Forderungen umgehen können? Das sind Parolen von Leuten, die weder den betrieblichen Alltag noch die Strukturen in diesen Betrieben – die die Mehrzahl der Arbeitsplätze in D stellen – kennen und daher Metallindustrie mit Siemens gleichsetzen. 30h Normalarbeitszeit ohne Verlust von Einkommen. Tolle Idee, die den Alltag aller demnächst so weit entlastet, dass keiner mehr Arbeit hat und Maschinen überhaupt nicht mehr in Deutschland gefertigt werden.”
Hallo Ludger,
ich bin überrascht, dass du dir Arbeitgeberpositionen zu eigen machst. Die bereinigte Lohnquote liegt ca. 7 Prozentpunkte unterhalb des Wertes um 1980 (haben damals die Arbeitnehmer zu viel verdient?).
Das Arbeitsvolumen lag 2013 mit 58,072 Mrd. Stunden niedriger als 1992 mit 59,735 Mrd Stunden, die Zahl der Erwerbstätigen ist allerdings von 37,73 Mio. um gut 10 Prozent auf 41,55 Mio. gestiegen (WSI-Report 19/2014).
Sprich: wir haben eine Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich, die, so zeigt der WSI-Report auch auf, vor allem zu Lasten der Frauen geht.
Aus dem Memorandum 2017 der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik:
Zur Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik gehören namhafte Ökonomen wie Prof. Dr. Heinz-J. Bontrup, Prof. Dr. Mechthild Schrooten und Prof. Dr. Rudolf Hickel
Hallo Andreas,
das sind volkswirtschaftliche Daten. Ich möchte differenzieren zwischen Volkswirtschaft und Betriebswirtschaft. Die Entwicklung von Produktivitäten stellt sich unterschiedlich dar: in der Idustrie und in der Dienstleistung, bei den Konzernen und im Mittelstand, dem müssen Arbeitszeiten Rechnung tragen, branchenspezifische Lösungen sind gefordert.
Aktuelle Vereinbarungen belegen das und wenn sie Regelungen definieren, die an die Zahl der Beschäftigten gekoppelt sind, dann ist das im Prinzip richtig.: Das Rückkehrrecht in Vollzeit wird nur gelten für Betriebe mit mehr als 45 Beschäftigten. Das mögen wir für gut oder weniger gut halten.
Die aktuelle Tarifvereinbarung ist ein Stück Realpolitik – Michael Hirsch’s Ausführungen sind visionär und utopisch – aber nicht falsch. Und der Schritt war einer in die richtige Richtung.
Hallo Ludger,
du erklärst mir gerade, dass es okay ist, wenn in der Automobilindustrie 32, 30 oder gar 28 Stunden pro Woche gearbeitet werden, wenn es die dortige Produktivitätsentwicklung hergibt. Wer dagegen im sozialen Bereich arbeitet, hat Pech gehabt, weil es dort so gut wie keine Produktivitätsfortschritte geben kann, der kann von Glück sagen, wenn die 39 Stunden im Öffentlichen Dienst nicht verlängert werden. Oder verstehe ich dich jetzt falsch?
Zur aktuellen Tarifvereinbarung schreiben Heiner Flassbeck und Michael Paetz auf Makroskop:
Zudem hat die IG Metall etwas tarifieren wollen, was Manuela Schwesig als Bundesfamilienministerin Anfang 2014 als Familienarbeitszeit in die öffentliche Debatte eingebracht hat, was also politisch zu lösen ist.
Im Übrigen hat der Öffentliche Dienst eine weitaus bessere tarifliche Regelung für Teilzeitbeschäftigte als das, was die IG Metall jetzt erreicht hat. Im TVöD heißt es:
Zunächst einmal lese ich hier nichts zum Thema Lohnausgleich. Hinzu kommt jetzt die Thematik des Rückkehrrechts von Teilzeit in Vollzeit. Dann wird es zu Vorhalteeffekten kommen, weil der Arbeitgeber letztendlich nicht weiß, wer von Teilzeit in die Vollzeit wechseln will. Das behindert wiederum Anzahl der Neubesetzungen.
Ob es unbedingt weiterbringt, Vollzeitstellen in Teilzeitstellen umzuwandeln, wage ich zu bezweifeln. Diese Entwicklung war doch gerade im letzten Jahrzehnt zu verzeichnen. Dadurch ist zwar die Zahl der Beschäftigten gestiegen, mehr aber auch nicht. Die Lohnentwicklung blieb ja gerade hinter der Entwicklung der Unternehmensgewinne deutlich zurück.
Richtig, im Öffentlichen Dienst gibt es genau wie beim jetzigen Abschluss der IG Metall keinen Lohnausgleich.
Zur Frage Vollzeit vs. Teilzeit. reden wir doch mal zur Abwechslung nicht von dem Modell der Sozialen Moderne (Oliver Nachtwey: Die Abstiegsgesellschaft), als es üblich war, dass Männer Vollzeit gearbeitet haben, damit einen gewissen Wohlstand für ihre Familien erarbeiten konnten. Das ganze geschah doch um den Preis, dass Frauen in der Regel nicht oder nur geringfügig einer beruflichen Beschäftigung nachgehen konnten, sie also in der ökonomischen Abhängigkeit ihrer Männer festhingen.
Wie halten wir es mit der Gleichberechtigung von Frauen in Kombination mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie (Kinder, pflegebedürftige Angehörige)? Wie halten wir es damit, dass Frauen gerade wegen der fehlenden Möglichkeit mehr zu arbeiten, oft kaum Karriere machen können? Das WSI hat im Report 22 vom März 2015 Folgendes festgestellt:
Gerade deshalb wäre es ja vernünftig, die Arbeitszeit generell in Richtung “kurze Vollzeit” auf 30-32 Stunden zu verkürzen, natürlich verbunden mit einen Lohnausgleich in den unteren und mittleren Einkommensgruppen. Und so würden Teilzeitbeschäftigte auch mehr verdienen, die Schere zwischen der Lohnentwicklung und der Unternehmensgewinne ließe sich ein wenig schließen.
Mit der sogenannten “Individualisierung”, laufen wir in die falsche Richtung. Es klingt nach Freiheit und Fortschritt, beinhaltet aber Vereinzelung und Auseinanderdividieren, wie es in immer weiteren Teilen des Arbeitslebens sich vollzieht. Dass die Gewerkschaft das mitmacht und durchsetzt, ist fatal. Die Gewerkschaft sollte in Richtung Solidarität und eines höheren Organisierungsgrades arbeiten, Lösungen für alle mit einem Rechtsanspruch, statt jede/r für sich. Sie sollte Leiharbeiter, Leute mit Werkverträgen und andere, die ausgeschlossen wurden, wieder einbeziehen. Diese Gewerkschaft schafft sich selber ab.
Es gilt doch Unterschiede zu sehen und zu berücksichtigen bei der Lohnfindung und der Arbeitszeitvereinbarung. Hilft uns denn die von Michael Hirsch propagierte Gleichmacherei – generelle Arbeitszeitverkürzung – weiter? Wie viel Individualisierung und Flexibilisierung wollen wir selber, wie viel davon benötigt die Gesellschaft, damit sie funktioniert. Die einen wollen mehr arbeiten – ja das gibt es – die anderen benötigen in der Rush Hour des Lebens mehr Zeit für sich, die Familie und die Kinder. Das ist doch gut so.
Wie flexibel müssen Schichtarbeiter, Altenpfleger, Krankenschwestern, Zugbegleiter, Paketzusteller und viele andere sein? Ein Ausgleich in Form kürzerer Arbeitszeit ist hier erforderlich aber der Kampf gegen die unsinnigen Werkverträge, die jede zeitliche Regulierung unterlaufen, ist wohl noch wichtiger.
Wie wollen wir die Arbeitszeit regeln, wenn es gelingt auf dem Lande durch schnelles Internet attraktive Arbeitsplätze zu schaffen? Wird das Softwarebüro oder die StartUp – Firma, für die die Fähigkeit, mit dem Produkt schneller am Markt zu sein als die Konkurrenz, überlebenswichtig ist, sich an feste Arbeitszeiten halten? Oder nehme ich – wie oft passiert – die gerade aktuelle fachliche Fragestellung sowieso im Kopf mit nach Hause oder in die S-Bahn? Es gibt nach wie vor Leute, die gerne arbeiten.
Besprechungen werden organisiert im Zuge der Globalisierung – ja wir haben Globalisierung und bei aller Kritik daran bleibt die Aufgabe, sie zu gestalten – wenn es nachmittags 17:00 Uhr in München (im Büro), zugleich 23:00 Uhr in Singapur (in der Kneipe) und morgens 8:00 in San Francisco (im Auto) ist. Call Center folgen weltweit der Devise „Follow the Sun“ – reichen also die Anfrage weiter an das Büro, das gerade Dienst hat. Oder wollen wir auf What’s App oder die Suchfrage an Google verzichten?
Warum darf ich mit meinen 71 Jahren nicht mehr arbeiten? Doch ich darf: 4 Stunden die Woche Seminarunterricht, in jedem Semester ein neuer Auftrag. Ich bin prekär und sachgrundlos befristet beschäftigt und es macht mir Spaß. Andere im Alter müssen weiter jobben, damit es reicht im Leben oder sie sich noch etwas leisten können. Sie möchten sehr flexibel sein. Das wird bei vielen so bleiben, auch wenn die Rente ausreicht.
Das Wort “Gleichmacherei” in diesem Zusammenhang so zu nutzen ist unfair. Nach dieser Logik wäre es auch Gleichmacherei, dass alle ab 18 Jahren wählen dürfen. Sollen wir da auch individuelle Ausnahmen machen? Es geht um Rechtssicherheit und um Standards. Ohne die komme ich nicht aus, schon gar nicht als abhängig Beschäftigte.
“Gleichmacherei” in dem Sinne, daß die generelle Arbeitszeitverkürzung doch von manchem als Korsett, als Einschränkung der Freiheit empfunden wird. Hirsch empfiehlt da einen Nebenjob.
Ludger, du hast doch damals auch von der “Gleichmacherei” der Gewerkschaften profitiert, oder?
Ja, Rechtssicherheit und Standards sind wichtig als Schutz für ArbeitnehmerInnen, den Arbeitgebern sind sie oft herzlich egal, wie die vielen Angriffe auf Arbeitszeitgesetz immer wieder nur zu deutlich machen. Und manchmal ist es halt so, dass man KollegInnen auch davor schützen muss zu viel oder zu lange zu arbeiten. Das kann ich aus langjähriger Erfahrung als betrieblicher Interessenvertreter nicht anders ausdrücken. Und es kann – nochmals zum Stichwort “Gleichmacherei” auch nicht sein, dass der eine Kollege 40 Stunden und mehr arbeitet, die andere Kollegin deshalb eine Teilzeitstelle bekommt, von der sie nur mittels Aufstockung durch Hartz IV leben kann. Da muss in der Tat auch in meinem Verständnis die gewerkschaftliche Solidarität vor den Interessen Einzelner kommen.
Zunächst einmal sind Forderungen nach einer generellen Arbeitszeitverkürzung bei vollem (partiellen) Lohnausgleich in Tarifverhandlungen nicht das geeignete Mittel, um einen Fortschritt in dieser Debatte zu erreichen. Es wurden ja schließlich noch andere Forderungen aufgestellt, die sich auf eine Lohnerhöhung ohne Arbeitszeitverkürzung bezogen.
Bislang ist es in der Wissenschaft umstritten, wie sich die fortschreitende Automatisierung, die durch die Digitalisierung noch verstärken wird, auf die Arbeitswelt der Zukunft auswirken wird. Festzustehen scheint, dass sich diese Wirkungsammenhänge in der jeweiligen Branche unterschiedlich manifestieren werden, d.h. alte Berufsbilder werden verschwinden, neue werden entstehen und es wird zu Verlagerungseffekten kommen. Am Ende ist es eine Saldobetrachtung. Woran ich nicht glauben will, ist, dass es nicht zu massiven Freisetzungseffekten kommen wird. Insofern ist die IG-Metall nicht der richtige Ansprechpartner, weil sie ihrem Auftrag entsprechend nur ihr Klientel vertritt. Und da hat die IG-Metall in der Vergangenheit ganz gute Arbeit geleistet, wenn man sie mit den Gewerkschaften anderer Branchen vergleicht.
Aber auch innerhalb der gleichen Branche gibt es differenzierte Betrachtungsweisen, die in dem Statement des genannten Arbeitgebers zum Ausdruck kommt. Die Aussage des Arbeitgebers hierzu ist allerdings wenig substanziell.
Auf was ich hinaus will ist zunächst einmal die Klärung folgenden Fragen:
1. Welche Produktivitätsfortschritte können in privatwirtschaftlichen Unternehmen, getrennt nach Branchen, durch die fortschreitende Automatisierung bzw. Digitalisierung, erzielt werden und wie können diese Produktivitätsfortschritte auf die Arbeitnehmerschaft und Arbeitgeberschaft verteilt werden – entweder über Lohnerhöhung und/oder Arbeitszeitverkürzung -, dass die Schere zwischen Arm und Reich nicht weiter auseinander geht, sondern sich endlich wieder schleißt.
2. Wie können die Produktivitätsfortschritte in öffentlichen Bereich so genutzt werden, dass auch dort die dort tätigen Arbeitnehmer ein Nutzen haben. Daran schließt sich die Frage an, welche Tätigkeiten gemeinwohlorientiert und eben nicht gewinnorientiert ausgeführt werden sollen. Die Umwandlung von öffentlichen Aufgaben in privat organisierte Aufgaben (Privatisierung) ist jedenfalls nicht die Lösung. Daran schließt sich automatisch die Frage an, wie die Lücke zwischen Ausgaben und Einnahmen geschlossen werden kann.
Solange für diese Fragestellungen keine serösen Studien vorliegen, so dass man von einer gesicherten Datenlage ausgehen kann, solange ist das ein Streit um des Kaiser`s Bart.