Ein Gastbeitrag von blog1[2]
Regierungsbildung
Chaostage bei der SPD. Die SPD befindet sich in ihrer schwersten Krise seit ihrer Gründung. Eine Zustandsbeschreibung.
Die Koalitionsverhandlungen
Die Koalitionsverhandlungen verliefen inhaltlich wie erwartet. Das Sondierungspapier war die Blaupause für den Koalitionsvertrag. Die im Bundesparteitag der SPD im Januar aufgestellten Forderungen im Hinblick auf Nachverhandlungen wurden maximal zu 1/6 erfüllt. In der Flüchtlings- und Migrationspolitik wurden vor allem die Positionen der CSU bestätigt, sieht man von den Regelungen, dass 12.000 Familienangehörige von Flüchtlingen mit subsidiärem Schutz pro Jahr nachziehen können, einmal ab. Bei der Bürgerversicherung hat sich die Union in vollem Umfang durchgesetzt. Bliebe da noch das Thema sachgrundlose Befristung. Hier kann man von einem Teilerfolg der SPD sprechen, weil die so genannten Kettenverträge, die vor allem im öffentlichen Dienst Gang und Gebe sind, in Zukunft nicht mehr möglich sein werden. Das ist also die inhaltliche Bilanz des Koalitionsvertrages, die Kevin Kühnert, Meinungsführer der NoGroKo-Bewegung, richtig beschrieben hat. Es sind die inhaltlichen Gemeinsamkeiten mit der Union aufgebraucht.
Aber wen stören denn Inhalte, wenn es um die Posten geht. Und da hat die SPD in den Köder gebissen, den Merkel ihr hingehalten hat. 6 Ministerposten und davon auch das begehrte Finanzministerium. Kaum weniger begehrt das Außenministerium und das Arbeitsministerium.
Dieser Ministeriumszuschnitt veranlasste dann auch Generalsekretär Lars Klingbeil zu der Aussage „Wenn wir einen Tag länger verhandelt hätten, dann hätten wir auch das Bundeskanzleramt erhalten“. Im Hintergrund stand sein Förderer Scholz, der zufrieden grinste, weil er als designierter Finanzminister und Vizekanzler der eigentliche Gewinner in der SPD-Führungsriege ist. Scholz, ein überzeugter „Seeheimer“ hat allen Grund zufrieden zu sein, hat er doch als Regierender Bürgermeister von Hamburg denkbar schlechte Karten im Hinblick auf seine Wiederwahl, seit er den G20-Gipfel in den Sand gesetzt hat. Dem Vernehmen nach haben sich die Verhandlungspartner in dieser Phase stundenlang angeschwiegen. Hier bestätigt sich wieder einmal der Satz „Reden ist Silber, Schweigen ist Gold“.
Dieses Verhandlungsergebnis lässt gleichzeitig tief blicken, treffender und entlarvender könnten die Aussagen von Generalsekretär Klingbeil nicht sein. Es geht nur noch um den Machterhalt der SPD-Parteispitze und ihrer nachgelagerten Ebenen, sieht man von Ausnahmen (z.B. Hilde Mattheis, Marco Bülow) einmal ab.
Schulz der politische Rohrkrepierer
Kaum waren die Koalitionsverhandlungen vorbei, erklärte Schulz seinen Rückzug als Parteivorsitzender der SPD. Das schönste Amt nach dem Papst war für ihn zur Bürde geworden. Der politische Absturz von Schulz als Hoffnungsträger der SPD ist m.W. beispiellos in der Geschichte der SPD. Es ist noch nicht einmal ein Jahr her, da wurde Schulz mit 100% zum SPD-Vorsitzenden gewählt. Dieses Ergebnis hätte Schulz nachdenklich machen müssen. Stattdessen wähnte er sich in der Position, über Wasser gehen zu können, zumal die Umfragewerte für die SPD drastisch anstiegen. Als dann 3 Landtagswahlen, davon die wichtige Landtagswahl in NRW, in Folge verloren gingen, war Schulz in der politischen Realität angekommen. Gewiss, Schulz ist nicht allein verantwortlich für die verlorenen Landtagswahlen, aber es zeigte sich im Verlauf des Bundestagswahlkampfes, dass Schulz keine Vorstellung davon hatte, wie er die Partei inhaltlich neu ausrichten konnte. Er setzte ausschließlich auf die emotionale Komponente und unterfütterte seine Ankündigungen nach sozialer Gerechtigkeit nicht mit konkreten Inhalten und so konnte es passieren, dass er von der merkelschen Union und den Mainstreammedien ausgebremst werden konnte.
Als dann das desaströse Ergebnis der Bundestagswahl im September feststand, rettete sich Schulz in die Verweigerungshaltung der SPD, indem er eine erneute GroKo kategorisch ablehnte. Die Rückendeckung des gesamten Parteivorstandes war ihm gewiss, sollte sich doch die Partei in der Opposition nun endlich erneuern, nachdem sie ca. 50% ihrer Wählerschaft seit 1998 verloren hat. Aber schon da war klar, dass Schulz ein Parteivorsitzender auf Abruf war, weil er die Autorität innerhalb der Partei längst verloren hatte.
Schulz wie die gesamte Parteispitze schätzte die Lage in der Folgezeit völlig falsch ein. Die Sondierungen für eine Jamaika-Koalition scheiterten und die SPD-Führungsspitze hatte keinen Plan B, sondern ging fest davon aus, dass die Jamaika-Koalition zustande kommen wird.
Nur so lässt sich die anschließende Reaktion der SPD-Führung erklären, dass wiederum eine GroKo ausgeschlossen wurde, obwohl jedermann hätte wissen müssen, dass jetzt der Bundespräsident ins Spiel kommen würde. Dabei hätte es völlig ausgereicht, wenn die SPD-Führung für einen Moment inne gehalten und die Entscheidung des Bundespräsidenten abgewartet hätte, um dann zu einer Entscheidung, wie es weiter gehen soll, zu kommen.
Schulz als der dann noch amtierende Parteivorsitzende ließ also die Führungsqualitäten vermissen, die ein Parteivorsitzender dringend braucht. Für Schulz trifft also das so genannte Peter-Prinzip zu, das besagt, dass in einer Hierarchie jeder Funktionsträger dazu neigt, bis zur Stufe seiner eigenen Unfähigkeit aufzusteigen. Dass Schulz nach Abschluss der Koalitionsverhandlungen den Parteivorsitz hinwarf, um trotz anderslautender Bekundungen Außenminister zu werden, zeigt nur, wie wenig er in der Lage war, die Gemengelage an der Parteibasis richtig einzuschätzen. Wer im Loch sitzt, sollte tunlichst nicht noch tiefer graben.
Der geschäftsführende Außenminister Gabriel fiel jedoch auf die politische Selbstmordgeste von Schulz herein und erklärte sein Missfallen über die Entscheidung von Schulz, schließlich ist er als Außenminister unentbehrlich. Dabei ist es die Ironie des Schicksals, dass Gabriel nur einen Tag hätte warten müssen, um dem „Mann mit den Haaren im Gesicht“ sein eigenes politisches Scheitern selbst besiegeln zu lassen. Jetzt kostet es Gabriel das politische Amt, er der Meister des politischen Ränkespiels, der die SPD-Kanzlerkandidaten Steinbrück und Steinmeier hat über die Klinge springen lassen.
Aber auch die Rolle von Andrea Nahles ist dubios. Sie hat alle Entscheidungen der SPD-Führung mitgetragen und scheute sich nicht, die Hinterzimmerentscheidung von Schulz abzusegnen, weil sie die vermeintliche Nutznießerin des Verzichts von Schulz auf den Parteivorsitz sein würde. Wie sehr es in der SPD gärt, sieht man an der Entscheidung des SPD-Präsidiums und des SPD-Vorstandes, Nahles als zukünftige Parteivorsitzende zwar zu nominieren, kommissarisch aber den SPD-Vorsitz auf Olaf Scholz zu übertragen. Nicht zu vergessen der Vorstoß von Simone Lange, OB von Flensburg, auch für den SPD-Vorsitz zu kandidieren.
Der Mitgliederentscheid
Jetzt sind die Mitglieder der SPD gefragt, die in einem Mitgliederentscheid darüber entscheiden müssen, ob die SPD in eine GroKo eintreten soll oder nicht. Es ist eine Wahl zwischen Pest und Cholera. Die SPD steht aktuell in der Wählergunst bei 18% – x, gefährlich nah an den Umfragewerten der AfD.
Die Parteibasis wird also politisch erpresst, einer GroKo zuzustimmen, weil die Folgen einer NoGroKo noch schlimmer wären. Nur noch um diese Fragestellung geht es. Aber ist es wirklich so? Kevin Kühnert argumentiert ja dergestalt, dass eine Erneuerung der SPD nur außerhalb einer GroKo möglich sein wird. Dieser Argumentation ist grundsätzlich zuzustimmen.
Die Imponderabilie liegt aber in dem Wahlausgang von Neuwahlen, die dann nicht zu vermeiden wären, wenn der Koalitionsvertrag abgelehnt wird. Die SPD wird dann nicht in der Lage sein bis zu den Neuwahlen eine personelle und inhaltliche Neuausrichtung den Wählern glaubhaft zu vermitteln, zumal bei den letzten Bundestagswahlen immerhin noch 20,5% die SPD gewählt haben.
Der Pfad einer politischen Erneuerung und gleichzeitig den Komplettabsturz der SPD auf unter 20% zu vermeiden, erscheint als nicht gangbar.
Fazit
Meine Prognose geht dahin, dass der Mitgliederentscheid denkbar knapp zugunsten einer GroKo ausgehen wird. Die innerparteiliche Diskussion um eine Erneuerung wird weiter gehen. Dabei werden die Jusos eine wichtige Rolle einnehmen müssen. Der neoliberale Flügel rund um den Seeheimer Kreis wird nicht freiwillig das Feld räumen. Insofern wird auf die Kabinettsbildung ein besonderes Augenmerk zu legen sein, inwieweit Reformkräfte innerhalb der SPD eine Chance bekommen. Bei Andrea Nahles und vor allem Lars Klingbeil habe ich Zweifel, ob eine inhaltliche Erneuerung der SPD wirklich gelingen kann. Nahles ist u.a. zu sehr mit der Versicherungswirtschaft verstrickt, sonst wären ihre Kapriolen in Sachen betriebliche und private Altersvorsorge zulasten der umlagefinanzierten Rente nicht zu erklären. Lars Klingbeil ist Mitglied des Seeheimer Kreises und somit ein Verfechter der neoliberalen Denkrichtung. Er steht ausschließlich für eine organisatorische Neuausrichtung der SPD und pflegt gute Kontakte zur Rüstungsindustrie.
Ich sehe die SPD aber auch nicht vor einer Spaltung, weil die Reformkräfte immer noch daran glauben, dass die SPD von innen heraus reformierbar ist. Der Glaube stirbt bekanntermaßen zuletzt.
Bildquelle: SPD Schleswig-Holstein [1] |CC BY 2.0 [2]
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