Ein Gastbeitrag von blog1
SPD-Parteitag
Die Delegierten des SPD-Parteitages haben sich mit 56,3% für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der Union ausgesprochen. Eine Rückendeckung der Parteiführung sieht anders aus.
Sondierung aber keine Koalitionsverhandlungen?
Die „Tinte“ unter dem Ergebnispapier der Sondierungsgespräche war noch nicht ganz trocken, da begann schon der Kampf um die Deutungshoheit. Schulz sprach von hervorragenden Ergebnissen und die Union war zufrieden. Die CSU konnte ihr triumphales Lächeln über das Verhandlungsergebnis im Hinblick auf das Migrationsthema kaum verbergen. Die CDU hielt sich zurück, betonte aber stets, dass auch sie bis an die Schmerzgrenze gegangen sei und dass die Spielräume in Koalitionsverhandlungen weitestgehend erschöpft sind.
Der SPD-Parteitag
Der SPD-Parteitag wurde komplett in Phönix ausgestrahlt. Insofern konnte jeder politisch Interessierte beobachten, wie sich die GroKo-Befürworter bzw. -Gegner argumentativ auseinandersetzten. Der Ton war zu keinem Zeitpunkt ausfallend und es war auffällig, dass die Kontrahenten um einen sachlichen Ton bemüht waren.
Gleichzeitig wurde schnell klar, dass sich die beiden Lager unversöhnlich gegenüberstehen. Nach der Eingangsrede von Malu Dreyer folgte Parteichef Schulz mit einer langatmigen Rede, die im Plenum keinen vom Hocker riss. Schulz ist gelinde gesagt beschädigt, er taumelt und schleppt sich regelrecht in die Koalitionsverhandlungen. Hätten ihn nicht die amtierenden Ministerpräsidenten Dreyer, Schwesig und Weil und vor allem die Fraktionsvorsitzende Nahles in seiner Argumentation massiv unterstützt, dann wäre der Schuss in Richtung GroKo nach hinten losgegangen. Andrea Nahles war dabei die entscheidende Figur, weil sie mit ihrem relativ kurzen und emotionalen Statement einen Großteil der unentschlossenen Delegierten erreichte und das Blatt zugunsten von GroKo-Verhandlungen wenden konnte. Sie ist jetzt schon die heimliche Parteivorsitzende und ihre Daumenbewegung entscheidet darüber, wie lange Schulz noch Parteivorsitzender sein darf.
Der Meinungsführer der NoGroKo-Bewegung ist unbestritten der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert. Kühnert ist ein politisches Talent, der sich rhetorisch geschickt in Szene setzen kann und trotz seiner Jugend über ein erstaunliches Standing verfügt. Die Mitglieder der Jusos haben sich geschlossen gegen die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen ausgesprochen. Ihre Argumentation läuft in die Richtung, dass die SPD in keinem Fall eine Regierungsbeteiligung eingehen darf, weil die Gemeinsamkeiten mit der Union aufgebraucht sind und die erforderliche Erneuerung der Partei nur in der Opposition gelingen kann.
Wenn es um die inhaltliche Erneuerung geht, wird es allerdings ziemlich dünn mit der Argumentation der Jusos. Es blitzen allenfalls einzelne Punkte auf, wie beispielsweise die Statements zu den Ergebnissen des Sondierungspapiers beim Thema Migration und Integration oder einzelne Kritikpunkte zu der Arbeitsmarkt-, Renten- bzw. Steuerpolitik. Eine komplette Abkehr der Jusos von der Agenda 2010-Politik ist nicht erkennbar. Das kann taktisch bedingt sein, weil die SPD seit 1998 zwar 20% ihrer Wählerschaft verloren hat, es aber immer noch gut 20% der Wählerschaft gibt, die die SPD gewählt haben.
Die Parteispitze wiederum argumentiert rein machttaktisch und möchte um jeden Preis Neuwahlen verhindern. Dahinter steht auch die Mehrheit der SPD-Fraktion, deren frisch gewählte Mandatsträger um ihr Mandat fürchten müssen, weil sie überwiegend über die Liste in den Bundestag gekommen sind. Vordergründig wird natürlich die staatspolitische Verantwortung bemüht. „Zuerst kommt das Land und dann die Partei“ so die Argumentation der GroKo-Befürworter. Jede Partei spiegelt jedoch in ihrer Gesamtheit einen Teil der Gesellschaft wider und der Anspruch einer Volkspartei – wie es denn die SPD sein will – muss bedeuten, dass ein möglichst großes Spektrum der Gesellschaft innerhalb der Partei abgebildet werden soll. Eine Partei, die aber keine Antwort auf den fortschreitenden Neoliberalismus in den Gesellschaftsstrukturen gefunden hat, die als Wählerschicht für die SPD in Frage kommt, kann nur verzwergen, so wie es seit 1998 der Fall war.
Die Brücke im Leitantrag der SPD-Führungsspitze
Um den GroKo-Gegnern entgegen zu kommen und um den einen oder anderen Delegierten noch umzustimmen, aber auch um den abschließenden Mitgliederentscheid in Richtung GroKo positiv zu beeinflussen, wurden drei Punkte genannt, in denen Nachbesserungen in den bevorstehenden Koalitionsverhandlungen gegenüber dem Sondierungspapier erreicht werden sollen:
- Wegfall der sachgrundlosen Befristung bei Zeitarbeitsverhältnissen
- ein Einstieg in die Bürgerversicherung
- die Verbesserung der Situation von subsidiär Schutzbedürftigen durch die Festlegung von Härtefallregelungen
Man muss kein großer Prophet sein, um vorherzusagen, dass in den drei genannten Punkten wiederum Kompromisse erzielt werden.
Der Wegfall der sachgrundlosen Befristung in Zeitverträgen wird nur für bestimmte Zielgruppen möglich sein. Beim Einstieg in die Bürgerversicherung werden die Arzthonorare zwischen den Privatversicherten von durchschnittlich dem 2,5-fachen gegenüber den gesetzlich Versicherten auf durchschnittlich das 1,75-fache für Privatversicherte und gesetzlich Versicherte angepasst. Bei dem Thema subsidiär Schutzbedürftiger werden Härtefallregelungen zugelassen, die sicherstellen, dass nicht mehr als 12.000 Personen im Jahr kommen können.
Es ist schon so, wie Hilde Mattheis es auf dem SPD-Parteitag formuliert hat. Es ist der Kompromiss vom Kompromiss vom Kompromiss ….
Mehr als dieses Ergebnis kann und wird in den Koalitionsverhandlungen nicht herauskommen. Insofern wird es die GroKo-Gegner nicht überzeugen, allenfalls diejenigen, die sich noch nicht entschieden haben und in Neuwahlen das größere Übel sehen.
Die Verhandlungsführer der Koalitionsverhandlungen
Es ist auffällig, dass die Verhandlungsführer der Koalitionsverhandlungen bereits entmachtet, faktisch entmachtet oder stark angezählt sind. Das ist nicht weiter verwunderlich, wenn man konstatiert, dass hier die Wahlverlierer über eine mögliche Regierungsbildung verhandeln. Jetzt ist es nicht zwingend so, dass die Nachwuchskräfte in den betroffenen Parteien eine bessere Politik machen. Aber viele Menschen spüren, dass wir in ein neues Zeitalter gehen, in der die Digitalisierung und damit die weiter voranschreitende Automatisierung unsere Arbeitswelt fundamental verändern werden. Das einzige, was die Altvorderen noch anstreben können, ist die Erkenntnis, ihren Ausstieg und evtl. ihre Nachfolgerin/ihren Nachfolger noch selbst bestimmen zu können. Das hat im Übrigen nichts mit Respektlosigkeit oder Jugendwahn zu tun, aber Personen, die sich zu lange in politischen (Führungs-)Positionen bewegen, entwickeln eine Art Tunnelblick, der den gesellschaftlichen Entwicklungen nicht mehr ausreichend Rechnung trägt.
Fazit
Aber zurück zum Tagesgeschäft. Es werden quälende Koalitionsverhandlungen werden, immer begleitet durch die Mainstreammedien, die eine GroKo regelrecht herbeischreiben und gleichzeitig ein ätzendes Bashing der handelnden Personen betreiben. Auf der einen Seite eine SPD-Führungsspitze, die ihre Glaubwürdigkeit komplett eingebüßt hat, sowohl in ihrer Wählerschaft als auch in ihrer Parteibasis und bei ihrer Jugendorganisation. Dabei wäre es ein Leichtes gewesen, nach den gescheiterten Jamaika-Verhandlungen für einen Moment inne zu halten und abzuwarten, wie Bundespräsident Steinmeier reagiert.
Auch bei der Union kriselt es. Nachdem sich aber der innere Zustand der SPD noch schlimmer darstellt, kann die Union von ihren Problemfeldern elegant ablenken. Der immer wiederkehrende Slogan „Wir brauchen jetzt endlich eine stabile Regierung“ lenkt doch nur davon ab, dass die Union nicht einmal in der zweiten Reihe Personen zur Verfügung hat, die die programmatische Inhaltsleere füllen kann. Wenn man sich dann die Vorschläge zur Migration und Integration näher betrachtet, muss ernsthaft die Frage gestellt werden, ob nicht die CDU/CSU ihr C im Parteinamen streichen sollte. Wer in Europa von einem Zerfall der Wertegemeinschaft redet, der darf deren Wortführer nicht zu einer Klausurtagung ins Kloster einladen. Wer die Drecksarbeit andere erledigen lässt, der darf sich am Ende nicht wundern, wenn die AfD-Brüder im Geiste die rechte Flanke schließen werden.
Bildquelle: Klaus Stuttmann
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