Ein Gastbeitrag von blog1
Sondierungsgespräche
Die Sondierungsgespräche zwischen der Union und der SPD sind beendet. Die beiden Wahlverlierer wollen eine Verteidigungsgemeinschaft gegen die AfD bilden.
Präambel
Donnerstagnacht gingen die Sondierungsgespräche zwischen der CDU/CSU und der SPD zu Ende. Fast hatte man den Eindruck, als ob das Ergebnispapier der Sondierungsgespräche bis auf wenige noch zu füllende Stellen bereits fertig war, bevor die Sondierungsgespräche überhaupt begonnen hatten. Zu viel stand für die Verhandlungsführer der beteiligten Parteien auf dem Spiel. Der Macht- bzw. Bedeutungsverlust wiegt oft schwerer als die Verantwortung für das Land. Wichtige Entscheidungen mit einer enormen Tragweite für Deutschland, Europa und die Welt dulden nun mal keinen Aufschub. Insofern waren die versammelten Medien froh, endlich etwas vermelden zu können und zwar die bahnbrechende Erkenntnis, dass die beiden Lager wiederum eine Große Koalition anstreben.
Nun ist ja eine Koalition immer eine Zusammenarbeit auf die nächsten 4 Jahre. In diesem Fall scheint es aber so zu sein, dass man sich nach 2 Jahren trennen will, wenn die Bestandsaufnahme der Regierungszusammenarbeit nicht so ausfällt, wie man sich das vorgestellt hat oder die AfD sich bis dahin selbst zerlegt hat.
Aber der Reihe nach, hier einige Auszüge aus dem Ergebnispapier, das der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde:
Europa
Selbstverständlich enthält das Papier ein Bekenntnis zu Europa, Ein Europa der Demokratie und der Solidarität soll es sein, aber auch ein Europa der Wettbewerbsfähigkeit und der Investitionen, der Chancen und Gerechtigkeit und des Friedens und der globalen Verantwortung. Neben dem üblichen Geblubbere wird es auf der Seite 5 etwas konkreter, in dem von einer finanziellen Stärkung der EU die Rede ist, die bei der Erstellung des nächsten mehrjährigen Finanzrahmens Berücksichtigung finden soll. Wie hoch dieser Finanzrahmen ausfallen soll, wird allerdings nicht gesagt.
Auch soll der Europäische Stabilitäts-Mechanismus (ESM) zu einem parlamentarisch kontrollierten Europäischen Währungsfonds ausgebaut werden. Hier wittern die Kritiker bereits eine Schuldenunion, bei der der deutsche Staat für die Schulden anderer Länder haften soll. Das kann man herauslesen, muss man aber nicht, weil dafür die Bemerkung zu unkonkret ist.
Natürlich darf auch das Bekenntnis zu einer stärkeren Zusammenarbeit mit Frankreich nicht fehlen. Dabei stellt sich jetzt die Frage, wer in dieser Konstellation das Sagen haben wird. Macron hat jedenfalls bislang die mangelnde Handlungsfähigkeit der geschäftsführenden Bundesregierung zu seinen Gunsten genutzt, in dem er europapolitisch vorgeprescht ist und auch außerhalb Europas zu punkten versucht.
Wirtschaft, Digitalisierung, Bürokratie, Verkehr und Infrastruktur
Langsam scheint bei den größten Parteien angekommen zu sein, dass die Digitalisierung unsere Lebensbereiche massiv verändern wird. Der Breitbandausbau soll jetzt endlich in Gang kommen, nachdem Verkehrsminister Dobrindt jetzt als Vorsitzender der CSU-Landesgruppe die bürgerliche Revolution eingefordert hat, weil die linken Eliten, die sich seit 1968 mit dem Marsch durch die Institutionen im öffentlichen Sektor wie eine Made im Speck festgesetzt haben. Hätte Dobrindt anstelle sich um die sinnlose PKW-Maut zu kümmern, dafür gesorgt, dass die Glasfaser-Verkabelung flächendeckend in Deutschland vorankommt, dann müsste er jetzt nicht nach Ersatzschuldigen suchen.
Der Breitbandausbau soll zwischen 10 und 12 Mrd. € kosten und über einen Fonds finanziert werden. Die Finanzierung soll aus den Versteigerungserlösen der 5G-Lizenzen stammen.
Auch sollen die Sozialabgaben bei unter 40% stabilisiert werden, obwohl sie aktuell bei knapp über 40% liegen. Jetzt soll ja der Beitragssatz bei der Arbeitslosenversicherung um 0,3% gesenkt werden und in der Krankenversicherung soll die paritätische Finanzierung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer (Wegfall des Zusatzbeitrags beim Arbeitnehmer) wieder reaktiviert werden.
Was die Arbeitslosenversicherung betrifft, wird jetzt der Beitragssatz an die Realität angepasst. Wenn die Lohnfortzahlung im Rahmen des ALG I im Regelfall nur ein Jahr gewährt wird, dann macht es auch keinen Sinn, den Beitragssatz hoch zu halten. Das ist nun mal neoliberale Logik. Von dem ALG Q, das Schulz im Wahlkampf noch gefordert hatte, ist nichts übrig geblieben.
Die Aussagen zur Verkehrspolitik sind eine einzige Bankrotterklärung. Was die Fahrverbote betrifft, wird im Februar diesen Jahres das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts erwartet. Dann werden wir sehen, wie es weiter geht und wer die Zeche für die Dieselnachrüstung zu bezahlen hat.
Arbeitsmarkt und Arbeitsrecht
Das Ziel heißt Vollbeschäftigung und dieses Ziel ist erreicht, wenn höchstens 3% der Erwerbspersonen arbeitslos gemeldet sind. Wie viele Personen sich in Mini/Midi-Jobs befinden, einer Teilzeitbeschäftigung nachgehen oder aus der Arbeitslosenstatistik herausfallen, spielt keine Rolle. Das ist nichts anderes als Zahlentrickserei, die den Menschen vorgaukeln soll, dass es den Deutschen doch gut geht. Gewiss, einem Teil der Bevölkerung geht es gut bis sehr gut und für diesen Personenkreis wird Politik gemacht.
Kein einziges Wort zum Niedriglohnsektor in Deutschland, der im letzten Jahrzehnt massiv gewachsen ist, kein Wort über prekäre Arbeitsverhältnisse, die gerade junge Menschen betreffen. Die Wahrheit wird totgeschwiegen. Stattdessen Placebos in Sachen Tarifbindung und neue Geschäftsmodelle.
Für 150.000 Langzeitarbeitslose soll ein Wiedereingliederungsprogramm gestartet werden, für das 1 Mrd. € pro Jahr zur Verfügung gestellt werden. Von diesem Programm werden – so meine Prognose – primär die Bildungsträger profitieren.
Was ist eigentlich aus der SPD-Forderung geworden, die sachgrundlose Befristung bei Zeitverträgen zu streichen?
Nicht zu vergessen ein Rückkehrrecht für Teilzeitbeschäftigte in Vollzeit, das jedoch stark eingeschränkt wird und erst ab einer Mitarbeiterzahl von über 200 Beschäftigten so richtig gelten soll. Dieses Rückkehrrecht wird nur dazu führen, dass die Zahl von Neueinstellungen beschränkt wird, weil der Arbeitgeber die Rückkehrquote in seine Personalplanungs-überlegungen mit einbeziehen muss.
Es wäre allen geholfen, wenn man die Hartz IV Sanktionsmaßnahmen weitestgehend zurückschraubt und die frei werdenden Ressourcen für eine aktive Arbeitsvermittlung einsetzt. Einem Hartz IV-Empfänger wird vermögens- und einkommenstechnisch mehr auf den Zahn gefühlt als einem Vermögensmillionär, der seinen Millionen und Milliarden in Steueroasen verstecken kann, ohne dass ihm Gefahr der Entdeckung droht, es sei denn, investigative Netzwerke bringen über die Panama und Paradise Papers etwas Licht ins Dunkel.
Dabei müsste sich eine künftige Bundesregierung ernsthaft Gedanken darüber machen, wie die weiter voranschreitende Digitalisierung und Automatisierung die Arbeitswelt massiv verändern wird und wie man die zwingend daraus entstehende Arbeitszeitverkürzung so gestaltet, dass sie sozial verträglich ist.
Familie, Frauen und Kinder
Das Kindergeld wird in 2 Stufen um sage und schreibe 25 € monatlich erhöht. Damit die Hocheinkommensbezieher auch etwas davon haben, wird der Kinderfreibetrag ebenfalls nach oben angepasst.
Zur Bekämpfung der Kinderarmut, die in Wahrheit Familienarmut ist, wird der Kinderzuschlag ebenfalls erhöht und bürokratiemäßig entschlackt. Dafür stehen in den nächsten 4 Jahren insgesamt 1 Mrd. € zur Verfügung. Das sind allenfalls Almosen, in Anbetracht der Tatsache, dass jedes 4. Kind von der Kinderarmut betroffen ist.
Diese Gießkannenpolitik hilft keinem weiter, weil das „Wasser“, was unten ankommen soll, bereits in der Atmosphäre des Neoliberalismus verdampft ist.
Die Kinderbetreuung soll bis hinein in das Grundschulalter ausgebaut werden. Auch soll ein Rechtsanspruch definiert werden. Dabei ist unklar, ob dieses Betreuungsangebot gebührenfrei gestellt werden soll und woher die Milliarden in diesem Fall kommen sollen. 3,5 Mrd. € werden wohl kaum reichen.
Ansonsten das übliche Geblubbere zur Gleichstellung von Frauen und Männern, die Stärkung von Kinderrechten und die Bekämpfung von Gewalt gegenüber Frauen und Kinder. Im Übrigen kann eine Angleichung in der Bezahlung auch nach unten durchgeführt werden. Dann sind Frauen und Männer gleich schlecht bezahlt.
Bildung und Forschung
Das Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern wird teilweise aufgehoben, indem der Artikel 104c GG neu gestaltet wird. Das war bereits eine Minimalforderung der FDP. Inwieweit private Bildungseinrichtungen der Nutznießer über finanzielle Zuwendungen des Bundes sein werden, wird sich zeigen.
Was die Hochschulförderung betrifft, soll der Artikel 91b GG neu gefasst werden. Auch hier geht es um Zuwendungen aus Bundesmitteln, wobei auch privatwirtschaftliche Einrichtungen gemeint sein können.
Wenn es um die Chancengerechtigkeit im Bildungswesen geht, dann spielt das BaföG eine entscheidende Rolle. Hier sollen die Finanzmittel um 1 Mrd. € in 4 Jahren erhöht werden. Was nützt es, die Finanzmittel um 250 Mio. € im Jahr zu erhöhen, wenn gleichzeitig die Mietsituation in Hochschulstädten alles andere als zufriedenstellend zu bezeichnen ist. Studenten von vermögenden Eltern sind hier eindeutig im Vorteil.
Soziales, Rente, Gesundheit und Pflege
Jetzt kommt sie doch die Mindestrente, die 10% über der Grundsicherung liegen soll, allerdings verbunden mit einer Bedürftigkeitsprüfung. Es setzt sich also das fort, was schon mit den Hartz IV Empfängern praktiziert wird.
Auch die Erwerbsminderungsrente soll nachbessert werden, indem die Zurechnungszeit schrittweise erhöht wird.
Das Rentenniveau von derzeit 48% soll bis 2025 garantiert werden, eine Zusage, die nichts wert ist, weil das Rentenniveau erst ab 2025 absinkt.
Allerdings wird das 3 Säulen-Konzept in keiner Weise in Frage gestellt, Dabei ist längst klar, dass die betriebliche und private Vorsorge (Riester) in der jetzigen Ausgestaltung primär ein Provisionsbeschaffungsprogram für die Versicherungswirtschaft darstellt. Dabei wäre eine grundlegende Reform des Rentensystems mit einer Stärkung der Umlagefinanzierung dringend von Nöten.
Dafür wird das Lieblingsprojekt der Union, die Mütterrente, weiterhin protegiert, ohne eine Aussage darüber zu treffen, woher die finanziellen Mittel kommen sollen.
Bei der Pflege werden 8.000 Stellen neu geschaffen. Wenn es dann um die Bezahlung dieser Pflegekräfte geht, wird es relativ dünn. Dabei sind mafiöse Strukturen im Pflegebereich verantwortlich dafür, dass von den überhöhten Pflegesätzen fast ausschließlich die Träger profitieren.
Das von SPD neu entdeckte Projekt, die Bürgerversicherung, blieb völlig auf der Strecke.
Finanzen und Steuern
Es gibt keine Steuererhöhungen, auch keine Anhebung des Spitzensteuersatzes, eine Forderung der SPD, die in der Versenkung verschwunden ist. Der Solidaritätszuschlag (SolZ) wird teilweise abgeschafft, wobei 90% der SolZ-Zahler entlastet werden sollen. Für 10% der SolZ-Zahler kommt es also zu keiner Entlastung. Nachdem aber der SolZ laut gesetzlicher Vorgabe zwingend abgeschafft werden muss und die FDP bereits eine Verfassungsklage vorbereitet, ist es nur eine Frage der Zeit, dass auch die restlichen 10 Mrd. Entlastung zur Anwendung kommen. Wenn 10% der Einkommensteuerzahler und Körperschaftsteuerzahler 50% des gesamten SolZ entrichten, sieht man auch daran, wie sehr die Schere zwischen Arm und Reich bereits auseinander gegangen ist.
Um die Gemüter der SPD-Basis etwas zu beruhigen, werden die Zinserträge wieder normal besteuert, die derzeit mit einem Abgeltungssteuersatz von pauschal 25% + SolZ belastet werden. Kein Wort über eine Wiederinkraftsetzung der Vermögenssteuer, Anhebung der Erbschaftsteuer. Geradezu ein Witz ist die Forderung nach einer Finanztransaktionssteuer auf europäischer Ebene, wo doch jeder weiß, dass hierfür die Zustimmung aller EU-Länder niemals zu realisieren sein wird.
Was die Erweiterung der mittelfristigen Finanzplanung betrifft, lässt sich feststellen, dass ca. 46 Mrd. € mehr ausgegeben werden sollen. Vieles davon ist Stückwerk und alles andere als der große Wurf.
Innen, Recht und Verbraucherschutz
Es werden 15.000 neue Stellen bei Polizei – verteilt je hälftig auf Bund und Länder – sowie 2.000 neue Stellen bei der Justiz geschaffen. Wenn die soziale Spaltung in der Gesellschaft weiter voranschreitet, werden die Stellen nicht reichen.
Die Finanzierung ist nicht geklärt.
Migration und Integration
In diesem Punkt hat sich die CSU vollumfänglich durchgesetzt. Obwohl das Asylrecht nicht angetastet werden soll, gibt es den Korridor einer Obergrenze zwischen 180.000 und 220.000 Personen, die als Kriegsflüchtlinge im Sinne der Genfer Flüchtlingskommission gelten. Wie geht das zusammen?
Beim Familiennachzug für subsidiär Schutzbedürftige dürfen maximal 1.000 Personen pro Monat unter weitreichenden Beschränkungen nachkommen. Zeitlich wird der Familiennachzug so lange verschleppt, bis die Landtagswahlen in Bayern vorbei sind. Diese Haltung kann man nur als zynisch bezeichnen. Das ist nicht nur menschenverachtend, sondern auch kontraproduktiv im Hinblick auf die Gefahr eines Anstiegs krimineller Taten von jungen, männlichen Migranten ohne familiären Hintergrund in Deutschland.
Asylantragsteller werden in speziellen Einrichtungen kaserniert, damit sie schneller abgeschoben werden können. Das Ganze nennt sich dann ANkER (Aufnahme-, Entscheidungs- und Rückführungszentren).
Auch wird der Kreis der sicheren Herkunftsländer auf die Länder Algerien, Marokko und Tunesien erweitert. Dabei scheint klar zu sein, dass Länder mit einer Anerkennungsquote von bis zu 5% ebenfalls zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden.
Es sollen zwar Fluchtursachen bekämpft werden, es fehlt jedoch die finanzielle Ausstattung. Das sind lediglich Lippenbekenntnisse.
Es wird ein Einwanderungsgesetz kommen, das die Erwerbsmigration regelt. Kanada lässt grüßen.
Wohnungsbau. Mieten, Kommunen und ländlicher Raum
Dass viel zu wenig Wohnungen im bezahlbaren Bereich zur Verfügung stehen, ist eine Tatsache. Insgesamt fehlen mindestens 1,5 Mio. Wohnungen.
Der Bund stellt für die nächsten 4 Jahre insgesamt 4 Mrd. € zur Förderung des Wohnungsbaus zur Verfügung. Davon sind aber nur 2 Mrd. € für den sozialen Wohnungsbau vorgesehen, obwohl sich der Bestand von 3,9 Mio. Sozialwohnungen auf ca. ein Drittel reduziert hat und das bei gestiegener Nachfrage.
2 Mrd. € gehen also in die steuerliche Förderung. Das nützt den betroffenen Mietern überhaupt nichts.
Der große Teil des Maßnahmenpakets sind Prüfaufträge. So begegnet man weder der Land-Stadtflucht noch der Mietpreisentwicklung in Ballungsräumen.
Landwirtschaft
Man muss sich das einmal auf der Zunge zergehen lassen. Landwirtschaftsminister Schmidt stimmt auf der EU-Ebene dem Glyphosat-Einsatz zu und eine kommende Bundesregierung will den Einsatz auf nationaler Ebene wieder einschränken.
Klimaschutz, Energie und Umwelt
Das Klimaschutzziel bis 2020 40% des CO2-Ausstoßes gegenüber 1990 zu reduzieren, wird de facto aufgegeben. Der Rest sind Absichtserklärungen und Prüfaufträge.
Außen, Entwicklung und Bundeswehr
Die Bundeswehr bekommt 2 Mrd. € mehr.
Ansonsten gibt es nicht viel Neues, außer dass die am Jemen-Krieg beteiligten Staaten keine Waffen erhalten sollen. Ok, dann erfolgen die Waffenlieferungen über Drittstaaten, die nicht am Jemen-Konflikt beteiligt sind.
Fazit
Wie geht es weiter? Am 21.01. findet der Bundesparteitag der SPD statt. Es rumort unter den Delegierten. Die SPD hat sich in eine ausweglose Situation gebracht. Zweimal hat die SPD-Führungsspitze eine GroKo abgelehnt, um dann doch in Verhandlungen einzutreten, die angeblich ergebnisoffen sein sollten.
Jetzt unterstützt der Parteivorstand eine GroKo, obwohl das Sondierungspapier kein einziges Leuchtturmprojekt enthält, das den SPD-Mitgliedern glaubhaft vermittelt werden kann.
Auf der anderen Seite können die SPD-Mitglieder nur gute Miene zum bösen Spiel machen, weil eine Ablehnung des Koalitionsvertrages unweigerlich den gesamten Rücktritt der SPD-Führungsspitze zur Folge hätte. In diesem Fall würden Neuwahlen zu einem Desaster führen.
Die Jusos mit ihrem Vorsitzenden Kevin Kühnert haben sich am vehementesten gegen die GroKo in Position gebracht.
Die SPD steht vor einer Spaltung. In dieses politische Vakuum stößt die Initiative von Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht zur Bildung einer linken Sammelbewegung. Wagenknecht und Lafontaine sehen offenbar auch keine Zukunft in der Linkspartei, die in ihren ideologischen Positionen verharrt. Die politische Landschaft in Deutschland ist in Bewegung geraten.
blog1 ist ein Pseudonym. Unter diesem Namen veröffentlicht ein uns bekannter kritischer Geist regelmäßig Beiträge in der Freitag-Community.
Bildquelle: Markus Spiske | CC BY 2.0
Hallo Werner,
Danke mal wieder für Deinen Beitrag!
Schon am Sonntag hatte ich meinen hiesigen Parteifreunden (Ortsverein, Unterbezirk) die nachfolgende Email geschickt. Tatsache ist, dass sie immer noch nicht kapiert haben, worum es bei der SPD geht, nämlich um 15%!
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” Nun haben wir uns also faktisch doch auf eine Obergrenze für Flüchtlinge eingelassen. Dass die CSU jubelt, ist kein gutes Zeichen. Und den Familiennachzug “stottern” wir dann monatlich ab. Ein – mir nicht bekanntes – Vorstandsmitglied hat das mit dem Ausdruck “schäbig” bezeichnet. Dem kann ich mich nur anschliessen. Wie weit sind wir eigentlich gekommen, dass wir christliche, humane und soziale Prinzipien so verrraten? Allein dieser Punkt muss mich zu einem NEIN zum Sondierungsergebnis bewegen – was habe ich da doch oft für Begriffe gehört, “die Familie ist die Keimzelle der Gesellschaft” – aber die zu uns gekommen sind, gehören offenbar wohl gar nicht zur Gesellschaft – politisch gesehen.
Andere Themen: Trotz hohen Investionsbedarfs bei unserer Infrastruktur inklusive Bildung wird hier nur gekleckert. Kevin Kühnert, Vorsitzender der Jusos drückt es so aus:
“Schau dir zum Beispiel das Thema Investitionen an. Die bräuchten wir dringend im Bereich der Bildung, der Verkehrsinfrastruktur und der digitalen Infrastruktur. Angela Merkel ist aber nur ein ausgeglichener Haushalt wichtig. Unsere Generation wird irgendwann die ganze Infrastruktur erben. Wenn die im Eimer ist, bringt uns das ausgeglichene Konto auch nichts.”
Ein Fehler, den die SPD schon seit Jahren macht. Schuldenbremse und Schwarze Null sind wichtiger als der nächsten Generation eine intakte Infrastruktur zu übergeben. Wir vererben den steigenden Instandhaltungsbedarf. Eine Absage an Privatisierungen der Daseinsvorsorge (Wasser, Bildung, Gesundheit, Innere Sicherheit) finde ich in dem gesamten Dokument nicht. Aber Privatisierungen sind ja nur das Mittel, um die Schuldenbremse zu umgehen, Schattenhaushalte aufzubauen und den privaten Anbietern hohe Renditen auf Jahrzehnte hinaus zu ermöglichen. Der unbegrenzte Lobbyismus lässt grüßen.
Auch die Privatisierung der Rentenversicherung ist nicht gestoppt. Anstatt das einzige effektive System – das Umlagesystem zu fördern – gehen wir einen anderen Weg – voran Frau Nahles: auch betriebliche Renten sind kapitalgedeckt, also nicht sicher vor Finanzcrashs und Niedrigzinsperioden. Mit der Altersgrundsicherung ist die steigende Altersarmut nicht gestoppt.
Themen wie “sachgrundlose Befristung” – nämlich deren Abschaffung, wie “Leiharbeit”, wie “Niedriglohnsektor” finde ich in dem Dokument ebenfalls nicht. Die SPD hat diese Themen wohl völlig von der Agenda gestrichen.
Die steigende bzw. enorm hohe Ungleichheit bei Einkommen und Vermögen hat nicht zu einer Erhöhung des Spitzensteuersatzes (das ist eh’ nur ein Grenzsteuersatz, was oft vergessen wird) geführt. Eine effektive Besteuerung von Erbschaften und Vermögen wird es auch in Zukunft nicht geben.
Beim Wohnungsbau vermisse ich staatliche Initiativen: 2”0 für den sozialen Wohnungsbau ist viel zu wenig. Wo bleibt die Förderung von Wohnungsbaugenossenschaften, von staatlichen Wohnungsbaugesellschaften anstatt sich hinter die Unterstützung von Familien (Wohngeld etc.) zu verstecken. Der Staat subventioniert so die Spekulation – schon wieder klarer Lobbyismus.
Zu Europa: Wohin soll die immer wieder beschworene Integration führen? Das Wort “Jugendarbeitslosigkeit” taucht nur einmal auf. Da sind viele löbliche Vorhaben und Ankündigungen dabei: gegen Steuerdumping und -betrug, Mindestlohnregelungen, nationale Grundsicherungssysteme. Wohl ist dies der stärkste Teil des Sondierungspapiers, aber rechtfertigt er eine Zustimmung, wenn die nationalen Aufgaben zur sozialen Gerechtigkeit (Armut vererbt sich.) nicht angegangen werden?
Kein Thema ist die Frage unserer hohen Exportüberschüsse, die Schulden für andere Länder bedeuten. Karl Schiller hätte das erkannt – aber es gibt offenbar in der SPD – und in der CDU schon gar nicht – irgendeinen profilierten Nationalökonomen.
Auch fairer Handel wird gefordert. Hat das unsere Einstellung zu CETA geändert? Haben wir die EU-Subventionen für den Handel mit Afrika in Frage gestellt? Fluchtursachen sollen bekämpft werden – geht es bitte ein wenig konkreter? Kriege? Waffenhandel? Klimaveränderung? Handelsbeziehungen? Ausbeutung von Rohstoffen? Unterstützung der korrupten Despoten?
Die Klimaziele für 2020 sind aufgegeben. Was fehlt, ist ein wirklich ehrgeiziges Programm, so nahe wie möglich an die Zielsetzung heranzukommen.
Weiterhin fehlt ein umfassendes Konzept und entsprechende Mittelzuweisung für die Förderung des öffentlichen Personennahverkehrs. Ein Bekenntnis dazu reicht nicht aus.
Überhaupt nicht adressiert ist die Frage der internationalen Beziehungen. Es gibt nicht mal Ideen zu einer Friedenspolitik. Oskar Lafontaine erinnert an die Friedenspolitik von Willy Brandt:
“Hat die SPD vergessen, warum Willy Brandt den Friedensnobelpreis erhalten hat? Soll die Einkreisung Russlands – Nato-Truppen und US-Raketen an der russischen Grenze – weitergehen? Ja es ist richtig: „Europa muss sein Schicksal mehr als bisher in die eigenen Hände nehmen.“ Das kann aber nur heißen, dass die Ost- und Entspannungspolitik Willy Brandts wieder aufgenommen und die Politik der Einkreisung Russlands beendet wird. Eine neue Sicherheitsarchitektur unter Einbeziehung Russlands muss das Ziel der deutschen Politik sein. Der Großmeister der US-Diplomatie George Kennan bezeichnete die Osterweiterung der Nato als „den verhängnisvollsten Fehler der amerikanischen Politik in der gesamten Ära nach dem Kalten Krieg“. Zumindest hätten die Sozialdemokraten durchsetzen müssen, dass die auf Betreiben der US-Administration beschlossenen Sanktionen gegen Russland beendet werden. Wenn die SPD unter diesen Bedingungen die „große Koalition“ fortsetzt, schaufelt sie sich ihr eigenes Grab.”
Und auch kein Wort zur derzeitigen Hochrüstung auf allen Seiten. Die USA arbeiten daran, ihre atomare Erstschlags- und Vernichtungskapazität auszubauen. Haben wir wirklich nicht verinnerlicht, dass deutsche Soldaten wiederum an der Grenze zu Rußland stehen? Diese Dinge machen mir wirklich Angst. Und ein Sondierungspapier der beiden grössten deutschen Parteien spricht nicht einmal darüber, genauso so wenig wie unsere Mainstream – Medien.
Es sei daran erinnert: bei der Bundestagswahl haben Gewerkschaftsmitglieder mehr AfD als SPD gewählt. Der SPD – Parteivorstand – in seiner Mehrheit – hat diese Tatsache verdrängt. Die versprochene ERNEUERUNG der Partei findet nicht statt. Wie soll das auch gehen, wenn sich alle nur mit der Frage “GroKo – Ja oder Nein” beschäftigen.
Der Weg zu den 15% ist so vorgezeichnet.
Wir haben eine Abkehr vom Neoliberalismus – Sozialabbau, Steuererleichterung für Reiche und Konzerne, mehr Privatisierungen, Dominanz der Finanzmärkte – immer nach der Devise, der Markt kann es besser als der Staat und nach Merkel’s Wort von der marktkonformen Demokratie – nicht vollzogen und werden es in einer GroKo schon gar nicht nicht schaffen. Wir sollten nicht auf Trump schimpfen, sondern fragen, was ihn erst ermöglicht hat, es war der Neoliberalismus.
Schöne Grüße! Ludger
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Die SPD-Mitglieder stehen vor der Wahl zwischen Pest und Cholera. Kommt es zu einer Fortsetzung der GroKo, dann erhält die SPD die Quittung spätestens in 2021.
Kommt es zu Neuwahlen, kommt der Absturz sofort.
Eine inhaltliche Erneuerung der Partei kommt nur außerhalb der GroKO in Frage. Dabei stellt sich automatisch die Frage nach einer personellen Erneuerung. Mit der jetzigen SPD -Führungsspitze ist das nicht zu machen. Nur 6 Mitglieder des Parteivorstandes haben m.W. einer Aufnahme von Koalitionsgesprächen nicht zugestimmt. Das sagt alles. Selbst eine Malu Dreyer ist jetzt für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen, allerdings mit der Forderung auf Nachbesserungen. Dies zeigt die ganze Konfusion innerhalb der SPD-Führung. Die Glaubwürdigkeit der SPD ist also so oder verspielt.
Man könnte dieses Gesamtversagen jetzt auf den Parteivorsitzenden abwälzen, wenn sich eine Alternative erkennen ließe. Nur die gibt es nicht, zumindest nicht durch eine Person, die populär genug ist.
Die einzige Chance, die ich sehe, ist in der Tat eine linke Sammlungsbewegung unter Führung von Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine. Diese Sammlungsbewegung würde aus dem Stand um die 10% erhalten, wenn sie in Lage wäre, sich entsprechend zu organisieren.
Lieber Ludger,
Du hast ja sooo recht!
Eine GroKo mit diesem Personal und auf Basis dieser Sondierungsgespräche wäre ein Desaster für Deutschland, für große Teile der Bevölkerung und für anderes mehr. Ich fürchte allerdings, dass genau das eintritt!
Mir kam eben ein Wunschtraum: Alle SPD-Mitglieder, die dieser GroKo zustimmen, wird die Mitgliedschaft gekündigt. Nur ein Traum, klar. Raus mit der neoliberalen Denke! Gäbe es dann in der SPD noch genügend Denker und Anführer, damit diese Partei wieder als echte sozialdemokratische Partei wirken kann? Gibt es vielleicht Gruppierungen in der SPD, die in der richtigen Richtung aktiv sind (und die man evtl. unterstützen kann)?
Im Moment fällt mir dazu nur die #NoGroko-Kampagne ein:
https://www.br.de/nachrichten/no-groko-juso-kampagne-100.html
Die SPD wird durch ein Tief gehen müssen, so oder so. Eine GroKo würde das Siechtum nur verlängern und keinen Beitrag für eine echte Neuaufstellung bringen.
Viele Grüße, Willi
Stimme Euch voll und ganz zu. Man kann sich das Verhandlungsergebnis von Seiten der SPD auch schön-trinken, braucht davon aber eine Menge. Anstatt die ganzen Themen, die Blog1 genannt hat, auf den Verhandlungstisch zu legen und sich vorher zu überlegen, bei welchen Themen Kompromißbereitschaft eingegangen werden kann und was die Gegenseite für Strategien hat (lernt man im übrigen in guten Managementkursen) wurde die Bürgerversicherung aus dem Ärmel gezaubert (die bei der letzten Wahl keine Rolle gespielt hat) und auch gleich wieder einkassiert – das ist einfach mutlos.
Es werden aber von keinen Parteien übrigens weder Visionen noch Strategien entwickelt, wohin sich die deutsche Gesellschaft entwickeln soll – nur Klein-Klein-Themen – hier was für die Familien, da was gegen die Flüchtlinge, nichts was nach Umverteilung ausschaut und schon gar nicht die Wirtschaft verärgern.
So geht Demokratie heute.
Lieber Gerhard,
würden sich die beiden politischen Lager einander vertrauen, dann würden 4-5 Seiten genügen, um die Grundlagen für Koalitionsverhandlungen zu legen. Das Gegenteil ist der Fall. Die beiden Lager sind sich nur darüber einig, dass Neuwahlen die schlechteste Alternative wäre.
Die GroKo, sofern sie denn zustande kommt, wäre somit eine Koalition der Schwäche und der Mutlosigkeit. Genau das spiegelt das Sondierungspapier wider.
Das Ergebnispapier mit 28 Seiten ist im Prinzip bereits die Blaupause für einen Koalitionsvertrag. Da gibt es wenig Spielräume im Rahmen eines Koalitionsvertrages. Deshalb werden sich mögliche Nachverhandlungen allenfalls auf Themen beziehen, die in dem Sondierungspapier bereits genannt sind. Das hat die SPD-Fraktionsvorsitzende Nahles bereits klar gemacht.
Das Risiko; dass die AFD durch die GroKo stärker wird, wird bewusst in Kauf genommen, weil das Risiko, dass die AfD in Neuwahlen nochmals massiv zulegt, höher bewertet wird. Unionsseitig und auch von Seiten der SPD spielt man auf Zeit, was man aus dem Ergebnispapier aus dem Punkt Migration und Integration klar ablesen kann. Im Grunde genommen sind die CDU und SPD froh darüber, dass die CSU hier die Rolle des Beelzebuben einnimmt.
Was nun die soziale Frage und die wachsende Ungleichheit in Deutschland betrifft, lässt sich festhalten, dass die Sondierungspartner durch und durch neoliberal geprägt sind. Es werden allenfalls Almosen verteilt, die primär das Ziel haben, die wachsende Zahl der Niedriglöhner, prekär Beschäftigten, Armutsrentner und Armutsfamilien ruhig zu stellen. Nicht einmal ein Mindestmaß an Umverteilung durch eine andere Steuerpolitik wird angestrebt.
Nur kurz angesprochen die Pressekonferenz der Bayern SPD aus dem Kloster Irrsee mit Martin Schulz, der dort die Sondierungsergebnisse vehement verteidigt hat. Von Natascha Kohnen, der SPD-Vorsitzenden der Bayern-SPD war fast nichts zu hören.
Die Landtagsfraktion der Bayern SPD stehen wohl geschlossen hinter den Sondierungsergebnissen, wohl auch deshalb, weil Natascha Kohnen auch in der Verhandlungsdelegation der SPD vertreten war.
Mit anderen Worten, es werden die Stimmen der Entscheidungsträger damit erkauft, dass Spitzenfunktionären Ämter in einer künftigen GroKo zugeschanzt werden.
Schulz versucht darüber hinaus den Eindruck zu erwecken, dass die Sondierungsergebnisse nicht maßgebend für einen Koalitionsvertrag sind und insofern ein noch erheblicher Verhandlungsspielraum für so genannte Nachbesserungen besteht.
Die CSU tagt ja mit der Landtagsfraktion im Kloster Banz. Wenn man in das selbstzufriedene Gesicht von Alexander Dobrinth blickt, kann man nur konstatieren, dass die CSU sich mit ihren Punkten vollständig durchgesetzt hat. Nur einmal verrät er wirklich, was er über die SPD denkt, als er vom Zwergenaufstand spricht.
Bundeskanzlerin hält sich wie immer zurück und Fraktionsvorsitzender erteilt Ratschläge. Kurz gesagt „Weiter so“.
Meines Erachtens ist kaum damit zu rechnen, dass der SPD-Parteitag am Wochenende die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen ablehnt. Aber genau das wäre für die SPD der notwendige Schritt zur Erneuerung und zur Ablösung all derer, die in den letzten nunmehr fast 20 Jahren dazu beigetragen haben, dass immer größere Teile der Bevölkerung Einkommenseinbußen haben verkraften müssen, dass immer mehr Kinder von Armut betroffen sind. Zudem hält die SPD an einer Industrie- und Verkehrspolitik fest, die eine Bankrotterklärung für die Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft sind. Konsequenterweise ist hier nahezu Fehlanzeige im Ergebnispapier. Solch eine SPD braucht es nicht. Schröder hat damals bei Rot-Grün gesagt, adss kar sei, wer der Koch und wer der Kellner sei. Bei den jetzigen Sondierungsgesprächen hat es für die SPD gerade noch zum Hilfskellner gereicht.
Ob allerdings Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht eine Chance haben mit ihrer Idee einer linken Sammlungsbewegung, wage ich zu bezweifeln. Zu massiv sind die Widerstände in Teilen der eigenen Partei, die sich zwischen10%-Nische auf Bundesebene, kommunalen Ämtern und gelegentlicher Beteiligung an Landesregierungen in den neuen Bundesländern eingerichtet haben. Dass die meisten Stimmen für DIE LINKE bei den Bundestagswahlen aus dem Westen kamen, ist noch nicht wirklich angekommen. Und dass – gerade für die Linke – ein Zusammengehen zwischen Gewerkschaften, Ökologie- und Bürgerbewegungen zwingend Voraussetzung ist, um erfolgreich zu sein, findet leider kaum Niederschlag in praktische Politik.
Was den Ausgang des SPD-Parteitages betrifft, teile ich deine Meinung. Die Gegner der GroKo haben ja inhaltlich betrachtet keinen echten Gegenentwurf zu bieten. Sie argumentieren primär machttaktisch und fürchten um ihre möglichen Posten nach 2021, wenn die SPD auf 15% oder noch weniger abrutscht.
Was die linke Sammlungsbewegung betrifft, vertrete ich eine differenzierte Meinung. Oskar Lafontaine hat ein untrügliches Gespür für politische Machtkonstellationen. Ohne ihn wäre Schröder niemals Kanzler geworden.
Seine Popularitätswirkung ist jedoch eingeschränkt, ganz im Gegenteil zu Sahra Wagenknecht, die zwar heftig polarisiert, die aber gleichzeitig die Fähigkeit besitzt, ein breiteres linkes Spektrum anzusprechen, das über die Wählerschaft der Linkspartei hinausgeht.
Es geht also nicht primär darum, wie viele klassische Wähler der Linkspartei sich einer linken Sammlungsbewegung anschließen, sondern darum, wie viele Wähler der SPD, der Grünen und letztendlich auch der AfD bereit sind, die Bewegung zu unterstützen. Wagenknecht ist innerhalb ihrer Partei längst isoliert und hat sich den Fraktionsvorsitz nur aus machttaktischen Erwägungen sichern können.
Nachdem alles auf eine GroKo hinausläuft, werden die Kreise der SPD, die sich nicht durchgesetzt haben, überlegen müssen, wie es weiter geht. Es kommt ja noch die SPD-Mitgliederbefragung, die am Ende der Koalitionsverhandlungen stehen wird. Diese Abstimmung geht relativ knapp zugunsten einer GroKo aus. Beim letzten Mal waren es auch nur ca. 75% der SPD-Mitglieder. Meine Prognose ist, dass die Zustimmungsrate deutlich unter 60% liegen wird. In dem Fall hat die linke Sammlungsbewegung gute Startbedingungen, um sich zu organisieren.
Insofern wären Neuwahlen kontraproduktiv, weil die Zeit bis dahin für eine Parteiformierung zu kurz ist. Die Zeiten, in denen ein fester Wählerstamm immer die gleiche Partei gewählt hat, sind vorbei. Das gilt für Deutschland und auch für Europa. Anderenfalls hätte Macron nicht aus dem Stand den Erfolg haben können.
Wagenknecht und Lafontaine haben zum richtigen Zeitpunkt einen Testballon steigen lassen, um auszuloten, was möglich ist. Die Reaktion der Führungsspitze der Linkspartei und auch diverser NGOs (ISM) war zu erwarten und ist im Prinzip ein gutes Zeichen.
Brief an die Parteifreunde nach der gestrigen geglückten” Operation WeiterSo:
Die Spaltung der SPD geht (mit Ausnahmen) zwischen Alt und Jung, zwischen Parteiführung und Basis, zwischen Prominenz und No Names. Es gibt allerdings keine wirkliche Erkenntnis, was die Ursache für die derzeitige Situation ist. Sie liegt begründet in den letzten 15 Jahren.
Das Wort ERNEUERUNG habe ich einige Male gehört gestern. Aber offenbar haben wir unterschiedliche Vorstellungen, was damit gemeint ist. Auf jeden Fall habe ich den Tenor, wie Michael Schrodi ihn letzte Woche vermittelt hat, so nicht gehört:
“Ich gehe konform mit Gesine Schwan, Vorsitzende der
SPD-Grundwertekommission: Die SPD hat unbestritten Anteil an den
sozialen Rückschritten und der neo-liberalen Dominanz, nur wir aber
können und müssen es auch sein, die das Zeitalter des Neoliberalismus
überwinden und für sozialen Fortschritt in Deutschland und Europa
sorgen. Es wird die Aufgabe sein, die SPD zu erneuern, und das heißt vor
allem, sie inhaltlich zu erneuern. Daran müssen wir arbeiten, ob in
Regierungsverantwortung oder Opposition. Für diese Erneuerung der Partei
werde ich mich einsetzen.”
Wenn es nur die Art und Weise der Diskussion ist, die offenen Debattenbeiträge, die Streitkultur, ein paar organisatorische Veränderungen – dass man z.B. nicht mehr unbedingt in einem Ortsverein sein muss, das ist doch alles geschenkt. Es geht um die Inhalte – und davon habe ich leider auch bei Kevin Kühnert und Johanna Ükermann viel zu wenig vernommen.
Und es ist heute auch nicht so wichtig, dass die SPD immer eine Partei mit Flügeln ist und war. Die Herrschaft haben eindeutig die Seeheimer – früher die Kanalarbeiter – übernommen. Selbst die Führung der parlamentarischen Linken hat richtig gekniffen gestern – und dann bleiben nur noch ein paar Jusos und Hilde Mattheis von der DL21. Dass es aber gegen die Parteiführung, also gegen das Establishment und gegen die prominenten Alten zu 44% gereicht hat, erhöht einerseits den Druck auf die Verhandler und verspricht nichts gutes für die abschließende Befragung der Basis.
Was 2013 verpasst wurde, ist auch diesmal nicht geschafft worden. Wenn wir jedesmal so weit sind, dass wir uns aussuchen können, welchen Weg wir Richtung 15% gehen wollen – dann muss doch mal die Erkenntnis kommen, was und warum da etwas schief gelaufen ist. Und der Ruf nach der charismatischen Persönlichkeit, liebe Christiane [eine Parteifreundin], der hilft doch nicht weiter, wenn wir ihr nicht vorgeben, was die Inhalte sind. Ansonsten wären wir wirklich verführbar! Du erinnerst ja gerade an frühere Zeiten, ich will das zitieren:
“Wenn ich daran denke, wie die Mitglieder, zusammen mit den Grünen in den 70er und 80er Jahren gekämpft haben gegen Atomkraft, gegen den Nato-Doppelbeschluss, für Schulreformen, für die Gleichstellung der Frauen, um nur die bekanntesten zu nennen”
Sie haben also für Inhalte gekämpft. Dagegen ist das bischen, was wir jetzt der Union abringen, doch eigentlich Peanuts. Das geht dann so weit, dass die Leute nicht mehr erkennen, wer wir sind. Und wenn wir als Erfolge feiern müssen, dass wir Dinge zurückführen, die wir selber angeschafft haben (sachgrundlose Befristung, Parität bei der KV), dann sagt das wohl alles. Oder anders gesagt: Solange Schröder und Müntefering in der ersten Reihe sitzen, haben wir nicht verstanden! Dann ist das nach wie vor die Endlosschleife (Kevin Kühnert), in der wir uns befinden. Auf ein Neues in vier Jahren!