frei nach dem Buch „Die Vorsorgelüge“ von Holger Balodis und Dagmar Hühne
Wie schafft man es, ein funktionierendes System wie die gesetzliche Rentenversicherung binnen eines Jahrzehnts kaputt zu machen ?
Man braucht zunächst den richtigen Zeitpunkt und der war definitiv Ende der Neunziger Jahre gekommen. Nicht nur in Deutschland traten neoliberale Ideen ihren Siegeszug an. Ihr Credo war die Deregulierung, das Schaffen freier Märkte, der Rückbau des Sozialstaats und nicht zuletzt die Chancen, die die Finanzmärkte eröffneten.
Im Gegensatz dazu wurden die Vertreter der solidarischen, umlagefinanzierten Altersvorsorge als Blockierer und ewig Gestrige dargestellt, die die Herausforderungen der Zukunft nicht erkannten hätten und in Sozialromantik verharrten.
Die Demontage der gesetzlichen Rentenversicherung begann eigentlich mit dem Rücktritt von Oskar Lafontaine als Finanzminister im Frühjahr 1999; der Weg war frei für den Einstieg in die Privatisierung.
Klassische Sozialpolitiker wie Blüm, Dreßler, Engelen-Kefer wurden in der Folge auf Abschiebeposten kaltgestellt.
Dann geht es darum, die öffentliche Meinung gezielt zu manipulieren:
Zuerst wird die gesetzliche Rentenversicherung schlechtgeredet – sie sei den Herausforderungen der Zukunft nicht gewachsen, zu wenige Kinder, zu wenige Beitragszahler, zu viele Rentner, die zudem immer älter werden.
Sodann wurden die Ziele des gesetzlichen Rentensystems verändert; stand vor 1998, dem Beginn der rot-grünen Regierung, die Absicherung des Lebensstandards und die Armutsvermeidung an erster Stelle, so wurden sie jetzt durch das neue Ziel Beitragssatzstabilität ersetzt.
Mit Horrorprognosen über künftige Beitragssätze von bis zu 26 % konnte man auch das Thema Lohn-Nebenkosten ins Feld führen und damit das allzeit beliebte Argument der Gefahr des Abbaus von Arbeitsplätzen und die Gefährdung des Standorts Deutschland.
Dann braucht man die sog. Experten und die Mithilfe der Medien:
Das Ziel der “Rentenprofessoren” war es, für gutes Geld die entsprechenden Gutachten zu liefern und als scheinbar unabhängige Experten in Talkshows die Angst vor der Altersarmut zu schüren und die umlagefinanzierte Rente als nicht mehr zeitgemäß darzustellen.
Beliebt waren vor allen Dingen scheinbar wissenschaftliche Langzeitprognosen über 30 oder gar 50 Jahre mit denen man die Bevölkerung verunsicherte – alles Unfug weil niemand weiß wie groß die Bevölkerung in diesen Zeiträumen sein wird.
In Wirklichkeit sind diese sog. Experten in verschiedenen Funktionen eng mit der Versicherungswirtschaft verbunden wie z. B. Raffelhüschen mit HDI und Gerling, Miegel mit AXA und Rürup mußte als Vorsitzender der sog. Wirtschaftsweisen zurücktreten weil er mit dem AWD von Maschmeyer einen Beratervertrag hatte.
Wie steht es da um die wissenschaftliche Glaubwürdigkeit, wenn die Hochschulen auf das Hereinholen von Fremdgeldern drängen und damit die Wissenschaft käuflich machen?
Und dann gibt es auch noch die scheinbar unabhängigen Institute wie die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, das Deutsche Institut für Altersvorsorge, das Institut der deutschen Wirtschaft, die Bertelsmann-Stiftung, die mit einem Netzwerk an Politikern und Wissenschaftlern unterstützt werden und die Medien entsprechend briefen. Diese griffen das Thema gerne populistisch auf im Sinne „die Alten plündern die Jungen aus“.
In der Öffentlichkeit änderte sich dadurch in etwas mehr als einem Jahrzehnt die Meinung völlig; die staatlich organisierte Rente galt als wenig zukunftssicher und die Finanzmärkte und die private Vorsorge durchweg positiv.
Und schließlich mußte man auch Hand anlegen an die gesetzliche Rentenversicherung, damit sie so schlecht wird wie man sie vorher geredet hatte:
Eingriffe in die Rentenformel sorgen dafür, daß das Rentenniveau bis 2030 um rund 25 % sinken wird.
Zudem wurde durch die Anhebung der Altersgrenze auf 67 Jahre de facto eine Rentenkürzung von 4 % eingeführt. Diese Kürzung betrifft alle Rentner, obwohl nicht einmal die Hälfte davon einen Riester-Vertrag hat bzw. zulagenberechtigt ist.
Begleitet wurden diese Reformen noch durch die sog. Entgeltumwandlung von Gehaltsanteilen (damit fließenTeile des Gehalts in eine betriebliche Altersvorsorge oder Direktversicherung, von denen man bei Auszahlung noch die ca. 17,5 % Kranken-und Pflegebeitrag verteilt auf 10 Jahre bezahlen darf). Damit profitieren aber nur die Gutverdienenden zu Lasten der Geringverdiener, da das damit niedrigere Durchschnittsentgelt auch das Rentenniveau für alle senkt und auch die Kranken- und Pflegeversicherung weniger Geld bekommen. Die Arbeitgeber sparen sich hingegen einen Teil der Sozialabgaben.
Und damit tritt dann, quasi als selbst erfüllende Prophezeiung das ein was seit Jahren gepredigt wurde – die staatliche Rente reicht nicht aus und eine zusätzliche private Absicherung ist nötig.
Der schöne Schein der Riester-Rente
Mit solchen Beispielen wurden die Kunden gelockt:
Eine junge Familie mit 2 Kindern: Nur 400 € im Jahr müssen sie selbst aufbringen, 800 € gibt’s vom Staat an Zulagen und bis zum Rentenbeginn hat man dann ein Kapital von 250 Tsd € – dank eines Investmentplans, der in 37 Jahren eine Durchschnittsrendite von 7,8 % p.a. bringen müßte. Riester müßte es eigentlich besser wissen: Bei Union-Investment, bei der er im Aufsichtsrat saß, ist man die letzten 10 Jahre gerade mal auf 3 % Durchschnittsrendite gekommen.
Ganz zu schweigen, daß es nicht 37 Jahre lang Kinderzulagen gibt.
Zitat Albrecht Müller:
Ich halte Riester für einen Täuscher, der ein ganzes Volk in die Irre geführt hat – die ständig wiederholte Behauptung, damit ginge es allen im Alter besser, ist das Ergebnis einer geschickten politischen Kampagne.
Wir sollen die sich anbahnende Rentenlücke mit einer Riester-Rente schließen und darüberhinaus noch weiter vorsorgen – so hat uns ein Jahrzehnt lang Wissenschaft, Politik, Versicherungswirtschaft und Medien das eingetrichtert.
Damit wird ein Kapitalstock gebildet, der stetig anwächst und Sicherheit schafft sowie deutlich höhere Renditen erzielt.
34 Millionen Rentenverträge (davon 11 Mio Riesterverträge und 1,5 Mio Rürup-Verträge) zeugen davon, daß die teilweise Privatisierung der Rentenversicherung geglückt ist.
Wie sieht es aber in Wirklichkeit aus ?
Dazu die Einschätzung von Winfried Schmähl, langjähriger Chef des Sozialbeirats der deutschen Bundesregierung:
Die Absenkung des Rentenniveaus war nicht notwendig, sie war politisch gewollt um die Menschen zu einer Privatvorsorge zu bringen. Die wesentlichen Finanzprobleme des Rentensystems waren bereits gelöst und mit moderaten Beitragssteigerungen hätten wir das Niveau halten können und das wäre preiswerter gewesen als die kostenträchtige Riester-Rente, die nur der Finanzindustrie nützt und den Arbeitgebern weil sie Beiträge sparen.
(Winfried Schmähl wurde übrigens im Jahr 2000 nach 14 Jahren von Riester entlassen und durch Rürup ersetzt).
Für die Kunden gibt es aber ein Problem, daß sie jahrzehntelang einzahlen müssen. Bei vorzeitigem Storno verdienen die Versicherer sog. Stornogewinne, weil die Kunden oftmals weniger Geld herausbekommen als sie eingezahlt haben. Und gefördert wird das Ganze mit Steuermilliarden.
Weitere Kosten-Killer
Der Kosten-Klau
Ca. 10 % Kosten entstehen bei einem Rentenvertrag – bei Riesterverträgen sogar noch mehr, wo viel Förderung reinfließt kann auch viel Geld abgezogen werden.
Storno-Klau
Abbruchquoten von bis zu 80 % sorgen dafür, daß die Kunden meist nicht einmal das Geld zurückerhalten, das sie eingezahlt haben, die Versicherer freuen sich aber auf das lukrative Neugeschäft.
Lebenserwartungs-Klau
es wird mit hohen Sterblichkeitswerten in der Kalkulation gerechnet, damit die garantierte Rente niedriger ausfällt (diese sog. Sterblichkeitsgewinne addierten sich zusammen mit Kostengewinnen in 2010 7,6 Mrd. €).
Ein Plädoyer für die gesetzliche Rente
Die gesetzliche Rente basiert auf Beiträgen auf Löhne und Gehälter und ist damit stabiler als Kapitalmarktanlagen, wird niemals massiv einbrechen oder ausfallen, es gibt kein Inflationsrisiko, der Volkswirtschaft werden keine Gelder entzogen. Sie ist ein solidarischer Gesellschaftsvertrag ohne Gewinnstreben, die Verwaltunskosten liegen unter 1,5 % also nur bei ca. ein Zehntel der privaten Rente.
Wenn wir noch mehr privat sparen, wird das Kapitalanlageergebnis der Versicherungen noch schlechter, der Volkswirtschaft werden Einkommen entzogen, die Konsumquote sinkt. Wenn man heute die Rente durch den Aufbau eines Kapitalstocks ersetzen wollte, so wären ca. 5 Bio € notwendig, die nicht nur für den Konsum fehlen, sondern auch den Kapitalmarktzins dauerhaft in den Keller treiben würden ganz – zu schweigen von Finanzkrisen.
Ostdeutschland: Mit einer privaten Altersvorsorge wäre der Großteil der ostdeutschen Rentner ohne Rentenzahlungen geblieben, weil der dafür nötige Kapitalstock nicht vorhanden war; auch wurden die teuren Frühverrentungsprogramme der Rentenversicherung angelastet statt über Steuergelder zu finanzieren, damit stieg der Beitragssatz was wiederum als Beweis galt für das Versagen der Rentenversicherung.
Zudem sank durch Minijobs und Scheinselbständigkeit die Anzahl der sozialversicherungspflichtigen Jobs, was wiederum zu einem Anstieg der Beitragssätze führte, was man dann als überzogene soziale Absicherung deutete.
Die zunehmenden Rentenausgaben durch die Alterung der Gesellschaft wurden durch die gewaltigen Produktivitätsentwicklungen und die Lohnsteigerungen aufgefangen. 10 % Arbeitnehmer-Beitrag von einem heutigen Jahreseinkommen von 30 Tsd€ ist leichter zu verkraften als ein 7 %-iger Arbeitnehmerbeitrag in 1960 bei einem Einkommen von 3 Tsd €.
Es kommt auf das Verhältnis von Beitragszahlern zu Rentenempfängern an und wieviele Arbeit haben sowie auf die Produktivität.
Was müßte man ändern ?
Sofortiger Stop der Riester-Rente
Die Standardrente nach 45-jähriger Berufstätigkeit sollte wieder auf 70 % des durchschnittlichen Nettoeinkommens angehoben werden.
Mehr Beitragszahler in die gesetzliche Rentenversicherung einbeziehen, das wären die Geringbeschäftigten und Schein-Selbständigen aber auch eine Ausweitung der Versicherungspflicht auf alle Selbständigen und Beamten;
Ein Blick in andere Länder der EU wagen: nirgends sonst als in Deutschland werden Niedrig-Verdiener bei der Rente so schlecht behandelt.
Wer privat vorsorgen will könnte das auch über ein Vorsorgekonto bei der Deutschen Rentenversicheurung und das zu deutlich günstigeren Konditionen, da keine Gewinne oder Vertriebskosten wie bei der privaten Versicherungswirtschaft entstehen.
Die beiden Zitate sind dem Buch entnommen.
Am 14. September erscheint – quasi als Fortsetzung – das neue Buch von Holger Balodis und Dagmar Hühne: “Garantiert beschissen! Der ganz legale Betrug mit den Lebensversicherungen” im Westend Verlag.
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