Hände weg vom Streikrecht

Foto: gynti_46 / CC BY-NC-SA 2.0

“Ein solches Gesetz zur Tarifeinheit, wie es Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) für den Herbst ankündigt, hat viele Anhänger. Unternehmen finden so ein Gesetz gut, Politiker, Arbeitgeberverbände und auch der DGB. Eine unheilige Allianz. Als würden sich katholische Kirche und Kondomhersteller zusammentun. Oder Alice Schwarzer und Rainer Brüderle. Die Motive sind unterschiedlich: Arbeitgeberverbände und Unternehmen wollen Ruhe und am liebsten gar keine Streiks. Der Gewerkschaftsbund und so manche DGB-Gewerkschaft fürchten Konkurrenz im Tarifgeschäft von den Berufsgewerkschaften. Aber was ist dran an der Befürchtung, Deutschland würde durch viele kleine Gewerkschaften ins Streikchaos gestürzt? Nichts. Deutschland ist beim Streiken Schlusslicht in Europa. Noch seltener auf die Straße gehen nur die Schweizer. (…)

»Und so kann man nur staunen, mit welcher Selbstverleugnung DGB-Gewerkschaften ein Streikverbot unterstützen «, schreibt der ehemalige IG Medien-Vorsitzende Detlef Hensche.”

Quelle: ver.di | Druck und Papier

Die Auseinandersetzung rund um den Tarifkonflikt bei der Bahn hat eine gefährliche politische Dimension bekommen, es geht schon lange nicht mehr um den Streit zweier konkurrierender Gewerkschaften, nämlich der GDL und der EVG. Deshalb stellen wir hier einen Aufruf engagierter GewerkschafterInnen vor allem aus den Gewerkschaften ver.di und IG Metall vor.

Darin heißt es:

Ein Betrieb? Wer hat denn die großen ehemals bundeseigenen Betriebe Bahn, Post und Lufthansa privatisiert, filetiert und in viele Stücke zerschlagen? Wer zerlegt denn permanent große Betriebseinheiten durch Out-Sourcing, Teilverkäufe, Börsengänge, Standortschließungen, Werkverträge, Leiharbeit etc.? Waren es denn nicht die Konzerne und Banken, die Kapitalanlage-Fonds und Arbeitgeberverbände, die entsprechende Gesetze
forderten und durchsetzen konnten?
Eine Gewerkschaft? Wer hat denn große Belegschaften in viele kleine Einheiten gespalten und so eine gemeinsame Interessenvertretung der Beschäftigten immer schwieriger gemacht? Wer hat denn vor dem Hintergrund der Hartz-Gesetze einzelne Beschäftigte, kleinere Betriebseinheiten oder ganze Standorte erpresst und aus dem Flächentarif vertrieben? Und waren es nicht Unternehmensvorstände von Siemens oder Daimler,
die mit reichlich krimineller Energie selbst Interessenverbände nach ihrem Willen gründeten und diese korrumpierten?
Die Arbeitgeber haben – meist Hand in Hand mit allen Bundesregierungen der vergangenen Jahre – bewusst und ohne Skrupel eine gemeinsame Interessenvertretung von Beschäftigten nach Kräften behindert oder unmöglich gemacht. Jetzt sollen als nächste Schritte die Einschränkung der Koalitionsfreiheit und die Entsorgung der Tarifautonomie folgen. In Wahrheit lautet ihr Motto: „MEIN Betrieb – und eine Gewerkschaft MEINER Wahl“.

Den kompletten Aufruf gibt es hier als PDF zum Download. Wir meinen, der Aufruf hat Unterstützung und Verbreitung verdient. In dem Aufruf finden Sie auch die entsprechenden Kontaktadressen.

Bildquelle: gynti_46 / CC BY-NC-SA 2.0

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2 Gedanken zu „Hände weg vom Streikrecht

  1. Ludger Elmer

    Die Diskussion im Freundeskreis hat mir gezeigt, wo wir stehen. Ich hätte angeblich “gut reden”, weil ich mit meinem A.. hinter dem trockenen Ofen sitzen kann und nicht täglich warten muss auf die verspätete S-Bahn. Ja – ein Streik tut weh – und das muss er auch, denn sonst kann er garnichts bewirken. Und selbst wenn ich drei Stunden bei Wind und Wetter warten müsste, es darf nicht so weit kommen, dass ich das Recht auf Mobilität den grundgesetzlich verankerten Rechten auf Streik und Koalitionsfreiheit vorziehe. Aber 20 Jahre einer Politik, die ständig Arbeitnehmergrundrechte abgebaut hat, zeigt eben ihre Wirkung. 70% der Befragten haben sich gegen den Streik der GDL ausgesprochen. da gehöre ich gerne zu den verbleibenden 30% und bin ein GDL-Versteher, zumal wenn ich mir anschaue, was so ein Zugführer denn verdient. Aber selbst wenn sie vermeintlich Unsinniges und Ungehöriges fordern würden, sie haben das Recht zum Streik!

  2. Andreas Schlutter Beitragsautor

    Interessant ist hier auch ein Artikel von Detlef Hensche. Er war von 1992 bis 2001 Vorsitzender der Industriegewerkschaft Medien.

    “Der nunmehr von Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) vorgelegte Gesetzentwurf gibt nicht wie die frühere Rechtsprechung dem spezielleren Tarifvertrag den Zuschlag, sondern dem Tarifvertrag der Gewerkschaft mit den meisten Mitgliedern im Betrieb. Das Gesetz soll, so Nahles, die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie sichern, die durch Gewerkschaftskonkurrenz gefährdet sei. Hier flunkert die Ministerin. Gewerkschaftliche Spaltung und gegenläufige Tarifverträge gibt es seit Jahrzehnten. Schon immer haben sich Organisationen dazu missbrauchen lassen, bestehende Tarifverträge durch Dumpingtarife zu unterlaufen. Vor allem die Verbände des Christlichen Gewerkschaftsbundes haben sich hier hervorgetan. Diese und andere gelbe Gewerkschaften werden immer wieder von Unternehmern gefördert und von der Politik toleriert. Doch gegen diese Unterbietungskonkurrenz richtet sich der Gesetzentwurf gerade nicht. Im Gegenteil, Firmen, die sich zwecks Lohndrückerei gelbe Gewerkschaften ins Haus holen, wie lange Zeit einige Arbeitgeberverbände der Zeitarbeit oder die PIN AG, werden bei gesetzlich angeordneter Tarifeinheit leichtes Spiel haben, der Dumpinggewerkschaft zur Mehrheit zu verhelfen und so den Mitgliedern der DGB-Gewerkschaften den Tarifschutz zu entziehen. Wer auch immer im DGB meint, sich mit dem Gesetz arrangieren zu können, dürfte ein böses Erwachen erleben.”

    Koalitionsfreiheit unter Beschuss“, erschienen in der jungen Welt am 12.11.2014

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