PEGIDA: Einladung der Rechten statt den Gegner beim Namen zu nennen

Vergangenen Montag hat es BAGIDA, der Münchner Ableger von PEGIDA, geschafft, immerhin 1.500 Menschen auf die Straße zu bekommen. Darunter allerdings ca. 200 Neonazis, die zum Teil aus dem gesamten Bundesgebiet angereist sind. Rechtsextreme Münchner wie der Stadtrat Karl Richter (NPD, Bürgerinitiative Ausländerstopp) und Michael Stürzenberger (“Die Freiheit”) sowie ein Angeklagter im NSU-Prozess sowie ein verurteilter Rechtsterrorist waren dabei, ehemalige Mitglieder des verbotenen rechtsextremen Netzes “Freies Netz Süd” sind dabei gewesen. Merkwürdig schon, dass der Veranstalterin da so gar nichts aufgefallen ist, wie die Süddeutsche berichtet.

So unklar und indifferent PEGIDA zu Anfang war oder erschien (Ludger hatte hier ja schon nach einer Erklärung gefragt), so überdeutlich wird, dass immer mehr rechtspopulistische (AfD) und rechtsextreme (z.B. NPD) Gruppierungen und Parteien auf den Pegida-Zug aufspringen.

Was passiert hier eigentlich? Zum einen – schon beginnend bei der Namensgebung der PEGIDA (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes) in Dresden – eine Aggressionsverschiebung, wie Herbert Schui treffend darlegt.

“Würden aber tatsächlich weniger Leute an den Demonstrationen teilnehmen, wenn allen klar wäre, dass Migration kein „Verlustgeschäft“ ist, wenn bewiesen wird, dass die Altersrente nicht deswegen niedrig ausfällt, weil das Geld für Flüchtlinge aufgewendet wird? Oder sind die „Sorgen, Nöte und diffusen Ängste“ am Ende damit noch nicht ausgeräumt? Was sind die wirklichen, auch versteckten Motive der Demonstranten? Ist die Sache erklärt, wenn sie beim Wort genommen werden als patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes?

Eine Antwort auf diese Frage kann die Psychologie geben. Tatsächlich geht es nicht einfach gegen den Islam. Er ist der Ersatz für den eigentlichen, den objektiven Gegner. Wir haben es hier, so ist zu vermuten, mit einer Verschiebung, auch Aggressionsverschiebung zu tun. Das eigentliche Motiv für die Demonstrationen – ebenso wie für die Erfolge der AfD – ist die Vorstellung einer allgemeinen Bedrohung, nämlich durch Arbeitslosigkeit, niedrige Renten, Armut allgemein. Einen Anhaltspunkt hierfür liefert eine empirische Untersuchung aus dem Jahr 2011. (…)

Den wirklichen Gegner ausfindig zu machen, setzt allgemeine Bildung voraus – und den Mut dazu, den Gegner beim Namen zu nennen. Denn dieser Gegner ist mächtig. An der NPD-Parole „Deutsche Arbeitsplätze für Deutsche“ lässt sich das weiter verdeutlichen. Wer die Arbeitslosigkeit nicht erklären kann mit zu wenig privatem Konsum als Folge niedriger Löhne und die Ursache für die geringe Staatsnachfrage nicht erklärt mit niedrigen Unternehmenssteuern, wer also nicht erkennt, dass unzureichende Nachfrage als Folge der Verteilung des Volkseinkommens zugunsten des Gewinns die Ursache von Arbeitslosigkeit ist, und wer obendrein Angst davor hat, sich mit den Unternehmen anzulegen, der konzentriert sich auf etwas Nächstliegendes, irgendwie Plausiblen, wenngleich Falsches.  Da nehmen die Ausländer den Deutschen die Arbeitsplätze weg und machen sich ein schönes Leben zu Lasten der Sozialkassen. Und da sie anders als die Unternehmen keine Macht haben, fällt es leichter,  gegen sie zu agitieren. ”
Quelle: Die große Aggressionsverschiebung, hintergrund.de – Das Nachrichtenmagazin

Zum anderen ist dieser indifferente Protest, der ja auch tatsächliche Probleme benennt, anfällig. Zum Teil wird er getragen von Ressentiments – gegen Politik, Presse und halt auch den Islam. Dies Süddeutsche zitiert Miriam Heigl, Leiterin der beim Oberbürgermeister angesiedelten Fachstelle gegen Rechtextremismus:

“Auch die Mitte der Gesellschaft sei anfällig für rassistische Ressentiments – ohne dass gleich ein komplettes rechtsextremes Weltbild vorhanden sei. Strategen extremistischer Gruppierungen suchten ganz bewusst den Kontakt zu diesen Menschen, Feindbilder würden aktuell angepasst. In München wie im gesamten Bundesgebiet seien “Normalbürger” vor allem für anti-muslimische Parolen anfällig. Laut einer Studie der Universität München sind 51 Prozent der Bevölkerung stark oder mittelstark muslimenfeindlich. Neben Muslimen seien auch Flüchtlinge und Menschen mit schwarzer Hautfarbe typische Opfer von Alltagsrassismus. Aber auch Homosexuelle und Juden seien Anfeindungen ausgesetzt. Typisch für München sei es, dass nicht nur nach rassistischen Mustern ausgegrenzt werde, sondern auch nach sozialen.”

Was fehlt und damit für die Rechten Anknüpfungsmöglichkeiten bietet, ist eine Analyse der herrschenden Verhältnisse. Es geht eben nicht um den Islam oder gar die Islamisierung des Abendlands, auch nicht nach dem grauenvollen Anschlag auf die Redaktion des Satire-Magazins Charlie Hebdo.

Es muss stattdessen um Politik gehen, um Sozial- und Wirtschaftspolitik in Deutschland und in Europa. Die Schere zwischen Arm und Reich geht immer mehr auseinander, die begründete Angst vor Altersarmut steigt, Hartz IV ist entwürdigend mit seiner Sanktionspraxis, außerdem sind die Regelsätze viel zu niedrig. In ganz Europa muss die Existenzsicherung in Würde vorrangiges Ziel werden. Das wird nur gehen, wenn man neben der Einkommensverteilung auch über die mittlerweile obszöne Vermögensverteilung streitet. Thomas Piketty hat politische Lösungsvorschläge vorgeschlagen wie eine globale Vermögenssteuer, eine stärker progressive Einkommensbesteuerung mit wesentlich höheren Spitzensteuersätzen und Maßnahmen zur Eindämmung von Steueroasen. Es wäre aber auch schon ein Anfang, hier in Deutschland z.B. mit der Einführung der Vermögenssteuer zu beginnen.

Der CSU fällt nur ein, PEGIDA-Themen populistisch aufzugreifen. Somit stärkt sie wie schon vor 22 Jahren im Vorfeld der massiven Einschränkung des Grundrechts auf Asyl rechte Denkmuster und Forderungen statt sich mit den Ursachen auseinanderzusetzen. Wen wundert’s? Aber auch die SPD versteht nicht zu trennen zwischen den legitimen Themen der PEGIDA-Anhänger und den rechtspopulistischen Unfug. Das hieße ja, über die Folgen der Agenda 2010 und Hartz IV tatsächlich nachzudenken mit der Erkenntnis, dass man Fehler gemacht hat, als man den neoliberalen Einflüsterern nach der Abdankung von Lafontaine 1999 gefolgt ist.

Gegen Auländerfeindlichkeit - Für Freiheit und Vielfalt

Foto: Daniela Hartmann / CC BY-NC-SA 2.0

So wichtig die Gegenproteste wie letzten und kommenden Montag am Sendlinger Tor sind, um zu zeigen, dass München Stadt der Vielfalt und des Miteinanders ist, so wichtig ist es aber auch, über die tatsächlichen Ursachen des Auseinanderfallens unserer Gesellschaft zu reden. Also über Löhne, die die Existenz nicht sichern, über viel zu geringe Regelsätze beim Arbeitslosengeld II, über eine entwürdigende Sanktionspraxis, über Altersarmut, über Arbeitslosigkeit und über die Überbeanspruchung der Beschäftigten und die Entgrenzung der Arbeit. Wir können nicht Toleranz und Miteinander mit Muslimen, mit Flüchtlingen und Zuwanderern leben, wenn wir die soziale Frage unbeachtet oder unbeantwortet lassen.

Dazu braucht es aber eines emanzipativen Ansatzes, eines Ansatzes der Selbstermächtigung, des sich Einmischens in die Politik. Auf der Grundlage – und hier lässt sich ja anknüpfen an den Gegenprotesten – von gleichen Rechten und gleicher Würde für alle Menschen. Auch hier gilt, was Jean Ziegler in einem anderen Zusammenhang gesagt hat:

“Und in einer Demokratie gibt es keine Ohnmacht, der deutsche Finanzminister Schäuble ist schließlich nicht vom Himmel gefallen, sondern wurde vom Volk delegiert. Mit dem Grundgesetz wie es heute besteht oder mit den Verfassungsrechten in Frankreich, Italien oder Nordamerika könnten wir morgen früh alle Börsengesetze ändern. Aber dazu braucht es einen Aufstand des Gewissens. (…)

Die Entfremdung des Kollektivbewusstseins ist einer der großen Siege des Raubtierkapitalismus. Wenn man in der Zeitung etwas über den Hunger liest, hat man häufig das Gefühl, es handle sich um eine Naturkatastrophe, an der die Überbevölkerung, Meteorologie, Trockenheit usw. schuld seien. Und genau das glauben die Menschen auch, wenn sie keine anderen Informationen bekommen. Das Kollektivbewusstsein in der Demokratie ist unglaublich entfremdet. Nach meinen Lesungen in Paris, Berlin, Madrid kommen häufig gescheite Menschen zu mir und meinen: „Herr Ziegler, es stimmt ja alles, was Sie sagen, aber ich kann ja nichts tun“. Doch genau das ist falsch und ein Zeichen der Entfremdung. Uns wird die Ohnmacht gepredigt und wir glauben das.”

Eben, wir sind – anders als PEGIDA suggeriert – nicht ohnmächtig und angewiesen auf die Gnade der herrschenden Politiker. Der Entfremdung des Bewusstseins, wie Ziegler es nennt, können und müssen wir entgegenwirken. Spätestens 2017 können wir Mehrheiten für eine andere Politik durchsetzen. Dazu müssen wir aber jetzt anfangen, die tatsächlichen Gegner beim Namen zu nennen, die für die zunehmende Zerstörung des sozialen Zusammenhalts in unserer Gesellschaft verantwortlich sind. Da könnten die Gegenproteste hier in München und anderswo ein guter Anfang sein.

Bildquelle: Daniela Hartmann / CC BY-NC-SA 2.0

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Ein Gedanke zu „PEGIDA: Einladung der Rechten statt den Gegner beim Namen zu nennen

  1. Ludger Elmer

    Wenn ich jetzt Politiker wäre, müsste ich sagen, ja zum Dialog bin ich bereit mit Pegida! Aber warum sollte ich sprechen mit denjenigen, die sich dumpf national äußern oder die „Nazis in Nadelstreifen sind“? Sprechen würde ich auch nicht mit denjenigen, die nur wegen Ihrer Alterszufriedenheit auf die Straßen gehen, weil es ihnen so gut geht und die fürchten, andere könnten ihnen was wegnehmen. Und ich bin auch nicht bereit, in jenes Stammtischpalaver mit einzustimmen, das es schon immer gab. Wie sagten doch damals Strauß und Kohl, ja es sei wichtig, wieder die Hoheit über die Stammtische zu bekommen. Das war zu Willys Zeiten wirklich anders, aber daher musste es ja die „geistig moralische Wende“ geben! Nun findet also der Stammtisch auf den Straßen statt. Ich bin aber wirklich froh, daß angeblich 85% der Deutschen gegen Pegida sind. Aber was bedeutet das? Wir haben eine Wahlbeteiligung, die umso niedriger wird je konkreter und näher die Politik sich uns darstellt – bei den Kommunalwahlen ist sie am niedrigsten. Die Volksbegehren bringen ja meistens auch nur gute 25% an die Urnen! Und ich möchte schon gar nicht, dass das Volk darüber befindet, ob unser Mindestlohn auch mal flächendeckend gezahlt wird. Wenn’s die Politik nicht schafft, dann muss ich mich – wohl oder übel – damit zufriedengeben. Daß das Volk als Ganzes es besser kann, daran glaube ich nicht. Ich stehe zur repräsentativen Demokratie!
    Ich habe auch etwas dagegen, der Politik alles in die Schuhe zu schieben. Wer hätte sich denn wirklich die Mühe gemacht, mal ein Wahlprogramm zu lesen oder einen Koalitionsvertrag. Die Pegidas haben es bestimmt nicht getan! Und ich kenne auch so einige Politiker, die sich großartig engagieren, ob sie nun in meiner Gemeinde sich um die kulturellen Veranstaltungen verdient machen oder ob sie in der Münchner SPD versuchen, das Thema TTIP zu erklären. Ich lasse das nicht mehr gelten, wenn jemand sagt “ … die Politiker …“. Ein Mindestmaß an Differenzierung sollte schon sein. Das erwarten wir auch von Pegida und “Sich zu Informieren” ist aucheine Bürgerpflicht, sonst redet man ebenso unqualifiziert daher wie diese Dame am Sonntag abend bei Jauch.

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