“Es geht darum, politische Forderungen zu stellen”
Elisa Ludwig, Mitherausgeberin des Blogzines Políticas im Gespräch mit Kathrin Hartmann
Armut in reichen Ländern wird selten thematisiert und wenn doch, dann meist nur möglichst distanziert. Kaum nehmen wir wahr, dass sie ein unumgänglicher Teil unserer Wirtschaftsordnung ist und nicht pauschal als selbstverschuldet gelten kann. Immer wieder verdrängen wir die Realität der Armut und tun sie als Problem von sogenannten Faulen, von Arbeitslosen oder von „irgendwelchen Zugereisten“ ab, die sich alle miteinander angeblich selbst in ihre Misere hineingeritten hätten. Die Täter-Opfer-Umkehr wird somit perfekt, der Gegenspieler Reichtum gerät aus dem Blick, die gesamtgesellschaftlichen Konsequenzen von Armut erreichen – als solche – gar nicht erst unsere Aufmerksamkeit und das zugrunde liegende System, das diese Zustände überhaupt ermöglicht, bleibt weiterhin unbehelligt.
Die Journalistin und Autorin Kathrin Hartmann macht mit ihrem Buch „Wir müssen leider draußen bleiben“ genau darauf aufmerksam, weshalb sie im Themenmonat „Armut, Hunger & Ethik“ der Nachhaltigkeits-Reihe der Wiener Volkshochschulen zu Vortrag und Podiumsdiskussion „Essen ist Selbstbestimmung!“ geladen wurde. Im Vorfeld traf auch ich sie zu einem höchst interessanten Gespräch.
Ludwig: In Ihrem letzten Buch „Wir müssen leider draußen bleiben“ beschäftigen Sie sich unter anderem auch mit Armut. Europaweit steigen die Zahlen, sowohl was die Armutsgefährdung, die Einkommensarmut und die manifeste Armut betrifft. Was aber heißt es überhaupt, arm zu sein? Was impliziert Armut?
Hartmann: Kurz zusammengefasst bedeutet Armut die Unmöglichkeit, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Armut heißt keinen Zugang zu den Dingen zu haben, die ein gutes Leben ermöglichen. Das beginnt fundamental beim Essen, geht weiter über die medizinische Versorgung, Bildung, kulturelle Angebote und reicht zum Teil auch bis zum politischen Engagement. Es gibt einen sehr irreführenden Begriff mit dem Armut in reichen Ländern definiert wird, den der „relativen Armut“. Das klingt wie „relativ arm“, also harmlos. Im Sinne von: Im Vergleich zu Afrika geht es uns hier doch eigentlich ganz gut, wenigstens haben wir ein Dach über dem Kopf und genügend zu Essen. Aber der Begriff „relative Armut“ bezieht sich in Wahrheit nicht auf die Armut in sogenannten Entwicklungsländern, sondern stellt einen Bezug zum Durchschnitt der Gesellschaft her, in der man selbst lebt. Das Problematische ist, dass er Armut in reichen Ländern kleiner erscheinen lässt, als sie tatsächlich ist, weil er sich am Durchschnittseinkommen orientiert. Aber Armut in reichen Ländern bedeutet mehr, als zu wenig Geld zu haben, es bedeutet eben auch einen Mangel an gesellschaftlicher Teilhabe und Anerkennung. Weiterlesen →
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