Das Schweigen der Merkel

Bild: http://www.fluechtlingsrat-bayern.de/tl_files/Fotos/15-08-07_Passau.jpg

Am 19.8.15 meldet die SZ auf der Seite 1: „Die Bundesregierung muss ihre Prognose für 2015 nach oben korrigieren. Es wird erwartet, dass womöglich bis zu 750.000 Menschen Asyl beantragen werden.“
Schon am 27.7.15 sagte die Tagesschau unter dem Titel „Fast täglich ein Angriff“, dass vor allem im Osten und im Süden des Landes die ablehnende Haltung mancher Bürger gegenüber Flüchtlingen sich zunehmend in fremdenfeindlicher Gewalt äußere.

Da ist Anja Reschke, Moderatorin bei Panorama, der Geduldsfaden gerissen. Sie beklagt die verbale Hetze, die sich gerade in den sozialen Medien im Internet breit macht und vermisst, dass hochrangige Politiker Stellung beziehen. Bei Sandra Maischberger, in der ARD – Talkshow, führt sie aus, bei Charlie Hebdo, dem fürchterlichen Attentat in Paris hätten sie Arm in Arm demonstriert. (Sie haben uns sogar als Erinnerung ein „gefaketes“ Foto von der Demo hinterlassen.) Und beim Oderhochwasser 2007 habe man die hohen Volksvertreter in langen Stiefeln und im hohen Schlamm agieren sehen. Aber nun: öffentliche Fehlanzeige. Am 20.8 bemerkt die SZ: „In der Flüchtlingsfrage fehlt Merkels Stimme.“

Anja Reschke und der Schauspieler Til Schweiger wehren sich gegen den offenen Rassismus, der in der Flüchtlingsdebatte hoch kommt. Endlich sind da zwei, die öffentlich Stellung beziehen, so schreibt Sonja Zekri in der SZ vom 21.8.

Endlich kein parteipolitisches Einerseits-Andererseits, sondern befreiende appellative Wucht.

Und Zekri stellt fest, dass die Gräben in der Bevölkerung so tief sind und man reden müsste. Auch wohl darüber, dass sie über Til Schweiger sagt: „Und, ja, seine außenpolitischen Analysen über Fluchtursachen sind oft blühender Unsinn.“ Schweiger hatte auch über die Kriege des Westens im Irak, in Afghanistan, in Lybien und in Syrien gesprochen.
Zekri fordert den Dialog.

Das aber ist mehr als eine diskursive Verstimmung, es ist eine dramatische Entfremdung, ein Anschweigen in einer Zeit, die konstruktiven Konflikt verlangt.

Bayerns Politiker wollen die Probleme auf ihre Art lösen. Sie wollen im Herbst diesen Jahres in zwei gesondert einzurichtenden Lagern (in Manching und in Bamberg) die Asylantragsverfahren beschleunigen, weil Asylsuchende aus den Balkanstaaten nur geringe Chancen auf eine Anerkennung hätten. Dabei sprechen die bayerischen Politiker offen von Asylmissbrauch. Das ist nun etwas, was es gar nicht geben kann. Asyl in Deutschland kann jeder Mensch auf der Welt beantragen, entweder es wird gewährt oder es wird abgelehnt. Missbrauchen kann man es also nicht, genauso wenig wie das BAföG. In diesem Zusammenhang fallen auch immer wieder die Worte „Balkanflüchtlinge“ oder „Wirtschaftsflüchtlinge.“ Was damit gemeint ist, verstehen wir. Aber diese Begriffe sind juristisch nicht relevant.

Obendrein, warum kann man die Beschleunigung der Verfahren nicht generell bewirken? Warum benötigt man dazu besondere „Abschiebelager“? Dass in Deutschland ca 240.000 Asylanträge offen sind – genauso viel wie im Rest Europas – ist ein politisches Versagen. Das soll nun durch populistische Maßnahmen kompensiert werden. Und wenn – dann kann man doch auch die Verfahren der Syrer mit der hohen Anerkennungsquote beschleunigen und damit deren Integration, deren Aus- und Weiterbildung forcieren.

Aber es ist nicht die wirkliche Beschäftigung mit den Herausforderungen in der Flüchtlingsfrage, die viele umtreibt. Nein, das Jammern und Klagen nimmt kein Ende. Pegida lässt grüßen. Viele sagen, wir haben doch Probleme genug, wir haben Straßenkinder, Obdachlose, Altersarme, Hartz-IV-Bezieher, die gesellschaftlich abgeschrieben sind. Und vor diesem Hintergrund fragen sie nun, warum helfen wir den Flüchtlingen? Wer bislang auf diese sozialen Verwerfungen im sonst doch so reichen Deutschland aufmerksam machte, wurde achtlos als Gutmensch verschrien. Heute haben viele die „Armen“ in Deutschland entdeckt, warum nur so spät? Und ich fürchte, sie werden sie auch bald wieder vergessen haben.

Es wird wirklich sehr ausführlich informiert in diesen Tagen. Den Bürgern ist früh gesagt worden, dass Flüchtlinge kommen werden und wo wir sie unterbringen wollen. Aber diejenigen, die ihre Einwände und Vorurteile pflegen, die habe ich auf der Bürgerversammlung nicht gesehen oder sie haben sich nicht zu Wort gemeldet.
Abgesehen davon, über die wirklichen Fluchtursachen wird viel zu wenig gesprochen. Wie sagte doch ein Stammtischbesucher, als die Frage aufgeworfen wurde, ob nicht unser Wohlstand, die ausgebeuteten Ressourcen, die einseitigen Handelsbeziehungen, die Kriege des Westens, der von den Industriestaaten zu verantwortende Klimawandel zu den Fluchtursachen zu zählen seien, nein, er wolle sich nicht entschuldigen.

Bei SPON mahnt Anna Reimann unter dem Titel „Flüchtlingsdebatte: Was Deutschland jetzt tun sollte“, wir sollten ehrlich sein. Es werden noch mehr Flüchtlinge kommen, zur Zeit sind 60 Mio Menschen weltweit auf der Flucht, so viel wie seit dem zweiten Weltkrieg nicht mehr. Traumatisierte Menschen werden kommen, sagt sie, sie seien in der Gewalt aufgewachsen und ihre Integration sei eine große Herausforderung und die Politiker wüssten das und sie müssten das der Bevölkerung sagen.
Aber Merkel schweigt weiter, während der Landrat auf der Bürgerversammlung von 80% der Flüchtlinge sprach, die jung und schwarz seien.

Ein weiterer Aspekt in der Flüchtlingsdebatte muss sein, dass es sich um eine europäische Herausforderung handelt, die von den Nationalstaaten isoliert nicht bewältigt werden kann. Neben den Flüchtlingsquoten für alle europäischen Länder muss es auch tatkräftige Unterstützung für andere Länder, z. B. für Griechenland geben. Wo ist der Einsatz unseres Technischen Hilfswerks auf den Inseln Kos und Lesbos? Wo ist der Plan, der gesicherte Fluchtwege nach Europa zusichert? Derartige Hilfeleistungen und Infrastrukturmaßnahmen würden allerdings noch mehr Flüchtlingen den Weg nach Europa weisen. Sind wir doch so ehrlich, das zu gestehen.

Frau Merkel weiß das schon längst – schweigt sie deswegen immer noch?

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