Flüchtlinge und Vorurteile

Flüchtlingslager „Höffner”, Fürth bei Nürnberg

Dieser Mann will also bayerischer Ministerpräsident werden. Markus Söder hatte scharfsinnig nach den Attentaten in Paris erkannt: „Zwar sei nicht jeder Flüchtling ein IS-Terrorist, aber es sei naiv zu glauben, unter den Flüchtlingen befinde sich kein einziger Bürgerkrieger.“ (SZ, 19.11.15)

Dass die Fluchtbewegung und der Terrorismus zum großen Teil identische Ursachen haben, nein, das hat er nicht erkannt, das hat er sogar bestritten, als er sich noch einmal zum Thema erklärt hat: „ … dass es ihm absolut fern gelegen habe, einen Zusammenhang zwischen den Terrorereignissen und dem Flüchtlingsproblem darzustellen.“

Der Zusammenhang besteht zweifellos aufgrund der Kriegssituation im Nahen Osten. Darauf zu verweisen, das war aber gar nicht seine Absicht. Sein Anliegen war, ein Vorurteil in die Welt zu setzen, weil es nach Wikipedia eben einem Zweck dient:

Alltagssprachlich ist ein Vorurteil ein vorab wertendes Urteil, das eine Handlung leitet und in diesem Sinne endgültig ist. Es ist eine meist wenig reflektierte Meinung – ohne verstandesgemäße Würdigung aller relevanten Eigenschaften eines Sachverhaltes oder einer Person. Anders als ein Urteil ist das wertende Vorurteil für den, der es hat, häufig Ausgangspunkt für motivgesteuerte Handlungen, manchmal zweckdienlich, ein andermal zweckwidrig.

Da nutzt dann eine nachträgliche Relativierung oder auch ein Anpfiff durch den Ministerpräsidenten wenig. Das Vorurteil ist dann schon unterwegs.

Befördert werden Vorurteile durch Gerüchte, an denen, auch wenn ihnen widersprochen wird, immer etwas hängenbleibt, also der gleiche Effekt erzielt wird wie beim Vorurteil. Die Tagesschau räumt in ihrem Beitrag vom 22.10.15 mit einigen Vorurteilen auf:

1) Es gibt keine erhöhte Kriminalitätsrate, seitdem die Flüchtlinge im Land sind. Das Staatsministerium in Sachsen sagt dazu:

Wenn eine Gruppe innerhalb der Bevölkerung wächst, dann wächst auch deren Anteil an Straftaten. Wir können daraus aber nicht den Schluss ziehen, dass Asylbewerber krimineller sind als Deutsche.

Zugenommen hat allerdings die Anzahl der Straftaten gegen Asylbewerberheime:

Laut BKA gab es in den ersten drei Quartalen dieses Jahres 461 Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte – bereits jetzt eine Verdoppelung gegenüber dem Jahr 2014.

2) Flüchtlinge stehlen nicht in Supermärkten.

Die Konzernzentralen von Aldi, Rewe, Penny, Lidl und Real bestätigen auf Anfrage, dass es keine größere Anzahl von Ladendiebstählen gebe.

Ein Real-Supermarkt in Rendsburg hängte sogar ein Schild im Eingangsbereich auf, auf dem die Behauptungen allesamt zurückgewiesen werden. Es handle sich durchweg um böswillige und falsche Gerüchte, wird der Geschäftsleiter in der Lokalpresse zitiert. Er sei – im Gegenteil – überrascht, wie unkompliziert es mit den Asylbewerbern laufe.

3) Der Sportunterricht in bayerischen Turnhallen findet überwiegend statt. Es gibt in Bayern zwar einige belegte Turnhallen. Das Kultusministerium stellt aber klar:

Häufig finden sich andere Lösungen, damit der Sportunterricht dennoch stattfinden kann, beispielsweise durch Ausweichturnhallen, Zusammenlegung von Gruppen oder – je nach Witterung – auch draußen.

4) Flüchtlinge bekommen nicht mehr Geld als einheimische Hartz IV-Empfänger. Die Tagesschau sagt dazu:

Leben Asylbewerber in Wohnungen oder provisorischen Unterkünften, die die Kommunen errichtet haben, erhält ein Erwachsener für Essen, Kleidung und Hygiene 216 Euro. Hinzu kommen die 143 Euro Taschengeld, insgesamt also 359 Euro monatlich. Zum Vergleich: Der Regelsatz für Hartz IV-Bezieher liegt bei 399 Euro pro Monat.

5) Ausgerechnet der Bundesinnenminister hat zuletzt geäußert, „30 Prozent“ der Asylsuchenden würden sich fälschlicherweise als Syrer ausgeben. Das ist barer Unsinn! Richtig ist:

Im Jahr 2015 zählte das Bundesamt für Flüchtlinge und Migration (BAMF) 116 falsche syrische Pässe, die Grenzschutzagentur Frontex 170. Bemerkenswert daran ist: Mehr als achtzig Prozent der Inhaber dieser falschen syrischen Papiere sind laut Frontex tatsächlich Syrer gewesen, wie eine Recherche des NDR-Magazins Panorama ergab. Viele Syrer besitzen keinen Reisepass und können in der Kriegssituation im Heimatland auch keinen beantragen.

Als Gerücht muss man wohl auch die Behauptungen der bayerischen Staatsregierung ansehen, dass der Freistaat den Kommunen alle Kosten für die Unterbringung der Asylbewerber erstatten würde.

Wolfgang Rzehak, grüner Landrat im Landkreis Miesbach sagt:

So wie es aussieht, werden allein wir im Landkreis Miesbach 2016 auf wenigstens 4,5 Millionen Euro sitzen bleiben. „Der Freistaat darf sich da nicht weiter einfach aus der Verantwortung stehlen“, schimpft Rzehak. „Er muss endlich nicht nur alle Kosten übernehmen, sondern auch dafür sorgen, dass die Milliardenhilfe des Bundes für den Flüchtlingszuzug ohne Abstriche an uns Landkreise und die Kommunen geht“. (SZ, 19.11.15)

Es ist eine Zeit, in der es sichere Planungen nicht gibt. Niemand weiß, was in den nächsten Tagen passieren wird. Wie viele Asylbewerber werden kommen? Wie viel Betreuungskapazität wird erforderlich sein? Hier im Helferkreis gibt es die Ankündigung, dass die unbegleiteten jungen Flüchtlinge weitergehen werden. Stattdessen sollen die Zimmer im Containerdorf, die für zwei Personen gerade mal ausreichen, mit drei bis vier Flüchtlingen belegt werden. Wann das sein wird, weiß niemand.

Ist es da verwunderlich, dass das Thema „Betreuung und Integration“ Konflikte heraufbeschwört?

Der Bundestagsabgeordnete Bernhard Seidenath (CSU), der gleichzeitig auch BRK-Kreisvorsitzender ist, hatte unlängst gefordert, die Flüchtlinge von der Nutzung der Tafeln, die vom Bayerischen Roten Kreuz angeboten werden, auszuschließen. Seidenath konnte sich nicht durchsetzen.

Dachaus Landrat Stefan Löwl (CSU) plädierte für Sanktionen gegen Flüchtlinge, die sich nicht bereitwillig erklären, ihren Putzdienst in der Unterkunft zu leisten. Die SZ schreibt dazu:

Es gibt, wie aus Helferkreisen zu hören ist, eine ganz einfache Alternative: Man muss mit den Betreffenden reden, was auch geschieht, und in der Regel zu Erfolg führt. Aber der Landrat nimmt alle Flüchtlinge quasi unter Generalverdacht und bedient damit die Ressentiments derjenigen, die ohnehin gegen Flüchtlinge eingestellt sind. Gerade Politiker der CSU warnen stets vor einem Kippen der Willkommenskultur, gefährden sie aber selbst durch stigmatisierende Maßnahmen und Äußerungen. Deshalb haben auch 45 katholische Ordensobere in einem offenen Brief an den Ministerpräsidenten und CSU-Vorsitzenden Seehofer appelliert, “dringend von einer Rhetorik Abstand zu nehmen, die Geflüchtete in ein zwielichtiges Licht stellt”.

Auch die jugendlichen Flüchtlinge hier sind morgens schwer aus den Betten zu kriegen, wenn zum Deutschunterricht gerufen wird. Anstatt an Sanktionen zu denken, sollten wir überlegen: Unsere Kleinkinder lernen spielerisch, mit Zahlen und Buchstaben umzugehen. Der afrikanische Junge, der einfache Feldarbeit verrichtet hat, sieht nicht ein, dass er dazu das Alphabet benötigt. Integration bedeutet auch, dass wir es ihm beibringen.

Bildquelle: Bayerischer Flüchtlingsrat / Lagerinventur

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