Neue Macht und Neue Verantwortung?

Peter Struck habe ich gemocht: Er war ein Mann, der eine Meinung hatte, auch wenn sie seinem Bundeskanzler nicht immer gefallen hat. Aber er hat auch gesagt, dass Deutschland am Hindukusch verteidigt werde. Und den Satz hab‘ ich mir gemerkt, wohl auch, weil ich ihn nie verstanden habe. Denn der Hindukusch ist ein Gebirge in Afghanistan. Wörtlich hat der Satz so gelautet: „Die Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt.“

Während im nächsten Jahr die amerikanischen Soldaten aus Afghanistan abziehen werden, soll die Mission der Bundeswehr im Dezember 2014 beendet sein. Welche Beweggründe gibt es überhaupt für den Einsatz deutscher Soldaten im Ausland?

Im Herbst des letzten Jahres ist dazu eine Studie erschienen. Sie war beauftragt von der Bundesregierung, erstellt von zwei Denkfabriken, der SWP (Stiftung Wissenschaft und Politik) und der GMF (German Marshall Fund of the United States). Der Titel des Papiers lautet: „Neue Macht – Neue Verantwortung“.

Der erste Satz lautet:

„Deutschland war noch nie so wohlhabend, so sicher und so frei wie heute. Es hat – keineswegs nur durch eigenes Zutun – mehr Macht und Einfluss als jedes demokratische Deutschland vor ihm. Damit wächst ihm auch neue Verantwortung zu.“

Das stimmt sicherlich, aber was soll dieser Zusatz „keineswegs nur durch eigenes Zutun“? Andere haben uns geholfen, die US-Amerikaner nach dem 2.Weltkrieg, meinen die Autoren das? Müssen wir jetzt endlich etwas zurückgeben?

In einer Welt voller Umbrüche, der Auflösung alter Ordnungen nach der Wende 1990, der weiterschreitenden Globalisierung, dem stockenden europäischen Einigungsprozess verweist die Studie auf die Institutionen, die Vereinten Nationen, die NATO und die Europäische Union. Es folgt:

„Auf diese Veränderungen muss Deutschland reagieren. Bekenntnisse zur existierenden internationalen Ordnung reichen nicht mehr aus.“

Was kommt nach den Bekenntnissen? Offenbar sind nun Handlungen gefragt, nach den Worten sollen nun die Taten folgen! Welche Taten sind gemeint?
Die Studie betont die Abhängigkeit Deutschlands vom Welthandel und vom Zugang zu den Rohstoffen.

„Deutschland mit seiner freien und offenen Bürgergesellschaft lebt wie kaum ein anderes Land von der Globalisierung. Seine gegenwärtige Stärke beruht wesentlich auf seiner Fähigkeit zu Reformen, die seine Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit erhalten haben – aber noch mehr auf seinem Erfolg als Handels- und Exportnation. Es ist existenziell abhängig vom Austausch (von Menschen, Gütern, Ressourcen, Ideen und Daten) mit anderen Gesellschaften. Deutschland braucht also die Nachfrage aus anderen Märkten sowie den Zugang zu internationalen Handelswegen und Rohstoffen.“

Die Autoren haben damit die sog. Reformen der Agenda-2010 gemeint. Diese hätten unsere „Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit“ erhalten. Davon bin ich wirklich nicht überzeugt, denn die deutschen Exporte sind begünstigt worden durch den neu geschaffenen Niedriglohnsektor, und umso mehr müssen wir nun also besorgt sein um die Sicherheit unserer Lieferungen in alle Welt, so soll mich die Studie glauben machen.
Ich erinnere mich an einen Bundespräsidenten, der wohl zu laut nachgedacht hatte über die Möglichkeiten, deutsche Handelsschiffe durch den Einsatz der Bundesmarine abzusichern und sich somit dem Verdacht aussetzen musste, einen grundgesetzwidrigen Einsatz der Bundeswehr befürwortet zu haben. Dieser Bundespräsident trat zurück. Welche Folgen ziehen nun die Vordenker einer neuen deutschen Außenpolitik aus der spezifischen Lage und der wirtschaftlichen Situation der Bundesrepublik?

„Deutsche Außenpolitik wird sich weiterhin der gesamten Palette der außenpolitischen
Instrumente bedienen, von der Diplomatie über die Entwicklungs- und Kulturpolitik bis hin zum Einsatz militärischer Gewalt.“

Das klingt so selbstverständlich. Als sei es einfach eine kausale Kette, es seien es Schritte, die man einfach nacheinander geht, erst Diplomatie, dann Politik und dann eben militärische Gewalt, nach dem Motto, wer A sagt, muss auch B sagen.
Sehr deutlich wird die Studie dann, wenn es um die Einhaltung der internationalen Ordnung geht, auch wenn diese nur „in Frage gestellt wird“ oder „die kritische Infrastruktur der Globalisierung“ betroffen ist.

„Da aber, wo Störer die internationale Ordnung in Frage stellen; wo sie internationale Grundnormen (etwa das Völkermordverbot oder das Verbot der Anwendung von Massenvernichtungswaffen) verletzen; wo sie Herrschaftsansprüche über Gemeinschaftsräume oder die kritische Infrastruktur der Globalisierung geltend machen oder gar diese angreifen; wo mit anderen Worten Kompromissangebote oder Streitschlichtung vergeblich sind: Da muss Deutschland bereit und imstande sein, zum Schutz dieser Güter, Normen und Gemeinschaftsinteressen im Rahmen völkerrechtsgemäßer kollektiver Maßnahmen auch militärische Gewalt anzuwenden oder zumindest glaubwürdig damit drohen zu können.“

Dass deutsche Politik dem Frieden verpflichtet ist, kann man durchaus der Studie entnehmen, z.B. hier:

„Eine deutsche Rolle bei der Fortentwicklung der internationalen Ordnung muss sich an den Grundwerten von Menschenwürde, Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und gutem Regieren, demokratischer Partizipation, globaler sozialer Marktwirtschaft, nachhaltiger Entwicklung, Frieden und menschlicher Sicherheit orientieren.“

Aber: das Wort Friedenspolitik, geschweige denn aktive Friedenspolitik, finde ich in dem Dokument nicht.
Da muss ich nicht lange suchen, bis ich fündig werde in einer Studie der AG Friedensforschung, die fragt, warum ist denn im Einzelfall der Frieden gefährdet? In den 60 Thesen für eine europäische Friedenspolitik steht:

„Denn eine Friedenspolitik, die diesen Namen verdient, muss bei den Ursachen der Konflikte
im globalen System ansetzen, nicht aber deren Symptome militärisch bekämpfen. Schon bei der Ausarbeitung der Charta der Vereinten Nationen wurden diese Ursachen benannt als ‚Probleme wirtschaftlicher, sozialer, kultureller und humanitärer Art‘, ganz wie die Achtung der (auch materiellen) Menschenrechte als Fundament einer friedensfähigen internationalen Ordnung bezeichnet wurden.“

Die Thesen der Studie „Neue Macht – Neue Verantwortung“ sind von der Politik, vor allem vom Bundesaußenminister, von der Verteidigungsministerin und vom Bundespräsidenten positiv aufgegriffen worden.

Aber das war noch nicht alles. Zugleich ist ein Prozess angestoßen worden, der die Entsendung deutscher Soldaten ins Ausland vereinfachen und beschleunigen wird. Der sog. Parlamentsvorbehalt soll aufgehoben werden, dass würde heißen, der Bundestag müsste nicht mehr ausdrücklich zustimmen bei einem Auslandseinsatz der Bundeswehr. Dann wird es möglich sein, dass der Oberbefehlshaber der NATO einen Einsatz der neu geschaffenen schnellen Eingreiftruppe anordnet und deutsche Soldaten stehen im Krieg, ganz im Sinne von „Neuer Macht“ und „Neuer Verantwortung.“

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2 Gedanken zu „Neue Macht und Neue Verantwortung?

  1. Ludger Elmer Beitragsautor

    Deutschland’s Rolle in der Welt kann man auch in Zahlen / Rankings festhalten:
    –> Exportweltmeister
    –> 0,38% vom BIP für Entwicklungshilfe anstatt 0,7% wie geplant und zugesagt
    –> 20.000 tote Flüchtlinge im Mittelmeer
    –> drittgrösster Waffenexporteur

  2. Pingback: Fluchtursachen mit der CSU | Nachdenken in München

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