Trumps Sieg ist auch unsere Niederlage

Karikatur vom 09.11.2016

Zeichnung: Klaus Stuttmann

Wie konnte das geschehen? Ein Kandidat, der sich rassistisch zeigt, der frauenfeindlich ist, als unberechenbar eingestuft wird, Mexikaner und Muslime beleidigt und für die USA eine Mauer der Abschottung errichten will, der wird gewählt.

Ein Argument, das immer wieder genannt wird: Es sind diejenigen, die abgehängt sind oder fürchten abgehängt zu werden, es sind vorwiegend die weißen Männer, die Trump gewählt haben. Sie haben die Wahl entschieden, vor allem in den Regionen, die eine lange Phase der wirtschaftlichen Destabilisierung erfahren mussten.

Marco Bülow, Hoffnungsträger in der SPD, sagt sehr deutlich in seinem Blog: “Wir brauchen eine neue soziale Bewegung.” Wählerbeschimpfung, so sagt er, das macht keinen Sinn und wir müssen uns fragen, welchen Beitrag haben wir geleistet, dass die weißen Männer in den USA dem Rechtspopulisten folgen. Sie haben in der Mehrheit seit 30 Jahren keine höheren Löhne bekommen trotz großer Produktivitätsfortschritte. Steigende Löhne sind durch Schulden ersetzt worden, die ein unbarmherziger Finanzkapitalismuss ihnen aufgebürdet hat. Es ist der soziale Abstieg und die Angst davor, die die Wähler zu Trump getrieben haben.

Auch bei uns hat die AfD längst die sozialen Defizite, die nicht nur Sozialdemokraten und Grüne zu verantworten haben, genutzt. Die Angst der 50jährigen vor der Arbeitslosigkeit, dem noch halbwegs erträglichen Zustand als ALG1-Empfänger, mit der Furcht vor dem Absturz auf das HartzIV-Niveau und der Anrechnung des kleinen ersparten Vermögens, dies alles haben die Rechtspopulisten erkannt und sie setzen noch eins drauf, indem sie die Fremden als die eigentlichen Sündenböcke darstellen, und sie sind froh, dass wir die Grenzen geschlossen haben, so wie Trump die Mauer zwischen den USA und Mexiko unüberwindbar machen will. Er hat immerhin erkannt, dass der sog. Freihandel im NAFTA-Abkommen ein Auslöser der steigenden Perspektivlosigkeit in Mexiko war.

Mir tut sich da ein Dilemma auf: Wie wird die Wahlplattform der SPD für die Bundestagswahl 2017 aussehen? Werden Sozialdemokraten bei der nächsten Wahl auf der Straße stehen, um gegen die Rechten standzuhalten? Haben wir dann schon vergessen, dass wir für ihr Erstarken mitverantwortlich sind?

Hohe Mauern haben noch nie – auch kurzfristig nicht – eine politische Lösung befördert. Immerhin, nach nun drei Jahren Großer Koalition haben wir das schärfste Asylrecht aller Zeiten und wir haben es gerade geschafft, einen kleinen MIndestlohn gesellschaftlich zu vereinbaren, in einer Größenordnung, die nicht ausreicht zum anständigen Leben und schon gar nicht zur Vorsorge für’s Altwerden. Was ist das für ein Land, so hat Dachau’s junger SPD-Bürgermeister Florian Hartmann gefragt, in dem wir 10 Jahre über einen kleinen Mindestlohn streiten mussten.

Was hilft es, dass wir uns auf sozialdemokratische Werte berufen, wenn diese Werte sich nicht in den Rechten der Arbeitnehmer, der Niedriglöhner, der Leiharbeiter widerspiegeln, ob bei uns oder in Südeuropa, wo die Austeritätspolititik der EU eine Jugendarbeitslosigkeit von 50% geschaffen hat. Wenn diesen Menschen jemand etwas verspricht, dann werden sie hellhörig.

Marco Bülow sagt: “Wer so intransparent Politik macht, wer die Ungleichheit auf solche Höhen treibt und die Chancengleichheit untergräbt, der weckt Ängste und Abneigung.”

Ist es nicht genau das Fatale in dieser Situation, dass mit Hillary Clinton die Vertreterin des Finanzkapitalismus und des militärisch-industriellen Komplexes abgewählt wurde, aber an ihre Stelle ein Mann tritt, der mit seiner Partei von den gleichen Strukturen abhängig sein wird, da mag er noch so laut tönen? Es werden die Lobbyisten und die Verteter der Konzerne sein, die Trump auffordern werden, den Militärhaushalt unverändert hoch zu halten und die ca 1000 weltweiten militärischen Stützpunkte abzusichern.

Bernie Sanders, dem im Nachhinein gute Chancen für das Präsidentenamt attestiert wurden, ist von der eigenen Partei ausgebremst worden. Aber wir haben nicht mal einen Bernie Sanders, der uns z.B. auffordern würde, endlich der umlagefinanzierten und lohnbasierten Rente die politische Priorität EINS zu geben und die dafür erforderliche Basis der Löhne deutlich noch oben zu korrigieren, indem der Niedriglohnsektor drastisch reduziert wird.

Das Feld, das die Sozialdemokraten aufgegeben haben, wird mittlerweile besetzt von den Rechtspopulisten und eine Rückeroberung kann nur über konsequente sozialdemokratische Politik erfolgen. Das sieht so auch Hilde Mattheis, die Vertreterin der DL21:

Die Lehre aus den Wahlen in den USA, aber auch aus den jüngsten Ereignissen in Europa muss gerade für uns SozialdemokratInnen lauten, dass wir uns auf unseren Markenkern, die soziale Gerechtigkeit zurückbesinnen müssen. Das heißt, dass wir uns vor allem auf Verteilungsgerechtigkeit und die Aufstiegschancen für alle Menschen konzentrieren müssen. Wir müssen allen glaubwürdig die Perspektive auf ein besseres Leben bieten, wenn wir ein weiteres Erstarken der Rechtspopulisten auch hier bei uns verhindern wollen.

Jonathan Freedland bemerkt im Freitag, es genüge nicht, den Wahlsieg von Trump mit dem Wahlverhalten der weißen Männer zu erklären.

Es reicht nicht zu sagen, es gehe dabei um die Angst derjenigen, die wirtschaftlich abgehängt sind. Auch wenn das in den Staaten des Rustbelt mit Sicherheit eine Rolle gespielt hat. Doch die Erklärung ist unvollständig, denn Trump hat nicht einfach nur diese Wähler gewonnen. Er hat die Stimmen von 63 Prozent der weißen Männer und 52 Prozent der weißen Frauen gewonnen. Viele von ihnen fühlen sich von der Botschaft angezogen – zumindest zum Teil und nur sehr dünn kodiert –, dass Trump ihnen, den Weißen, ihre einstigen Privilegien wieder zurückzugeben will.

Wenn wir die soziale Balance der Gesellschaft nicht sichern können, laufen wir die Gefahr der Spaltung – zwischen Weißen und Schwarzen, zwischen Arm und Reich, zwischen Migranten und Einheimischen, auch zwischen Jung und Alt.

Bildquelle: Klaus Stuttmann

 

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23 Gedanken zu „Trumps Sieg ist auch unsere Niederlage

  1. Uwe Detemple

    Bei dieser Wahl ging es darum, H. Clinton zu verhindern. Die Sanders-Anhänger sind damit gescheitert, Trump hat es geschafft. Was wäre gewonnen, wennn Clinton Gewählt worden wäre? Vielleicht dämmert es jetzt unseren Politikern, dass Deutschland und die USA nicht gemeinsame Werte und Interessen teilen, wie es auch im neuen CSU-Parteiprogramm steht.

    1. Andreas Schlutter

      Uwe Detempele, dem würde ich in Teilen widersprechen. Sanders wäre sicher die bessere Wahl für die Demokraten gewesen. Hillary Clinton war als Person unglaubwürdig, sich für ein sozialeres Land einzusetzen und sich mit dem Großkapital anzulegen. Somit war sie für die sich abgehängt fühlbare weiße Arbeiterklasse, hier vor allem für die Männer (die mit deutlicher Mehrheit Trump gewählt haben) nicht wählbar. Die Unterstützung der Schwarzen, Latinos und Frauen war deutlich geringer als erwartet. Insofern hat Clinton die Wahl mehr verloren als Trump sie gewonnen hat – angesichts von gerade mal gut 25% der Stimmen aller Wahlberechtigten.
      Deutschland und USA – ich denke, es gibt Gemeinsamkeiten und Unterschiede. Eine Gemeinsamkeit liegt darin, in den letzten 30-35 Jahren auf den Neoliberalismus gesetzt zu haben und dabei die sozialen Verwerfungen im eigenen Land (und für uns bedeutsam: in Europa) zu ignorieren. Wir haben Entsprechungen zu den Mc-Jobs in den USA – und auch bei uns findet sich die Entsprechung im Wahlverhalten, wie z.B. bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg:

      Zwar geht es neben allen Befragten den meisten AfD-Anhängern finanziell gut, überproportional viele befürchten aber eine Verschlechterung ihrer eigenen Wirtschaftslage. Besonders stark ist die AfD unter Arbeitern und Arbeitslosen sowie bei Männern jüngeren und mittleren Alters.

      Zu den Interessen: was hat Deutschland denn für Interessen? Hat die Automobilindustrie nicht ganz andere Interessen als das Friseurhandwerk? Die Rüstungsindustrie nicht ganz andere Interessen als die Altempflegerinnen? Der AfD-Wähler nicht ganz andere als die ehrenamtliche Flüchtlingshelferein? Es gibt doch in jeder Gesellschaft verschiedene und häufig gegensätzliche Interessen, z.B. auch den Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit. Die Frage der Verteilung desgesellschaftlichen Reichtums ist relevant für den gesellschaftlichen Zusammenhalt – oder ihr Zerbrechen. Und auch das ist bei uns gar nicht so grundsätzlich anders als in den USA.

  2. J.C.

    In den letzten Tagen ärgert es mich sehr, immer wieder zu hören/zu lesen, wie “Trump nur passieren konnte”, begleitet von Unverständnis und Entsetzen aufseiten des Sprechers/des Schreibers. Ich denke, die Gefahr war erkennbar, seit er sich zur Wahl hat aufstellen lassen; und spätestens als Sanders seine Kandidatur zurückgezogen hat, war logisch, dass es entweder Clinton oder Trump wird. Also keine große Überraschung. (Nebenbei: Was hätten Sie und Ihre KollegInnen wohl geschrieben, wenn es Clinton geworden wäre? Hätten Sie dann schriftlich aufgeatmet: “Zum Glück nicht Trump”? Oder hätten Sie ebenfalls titutliert “Clintons Sieg ist auch unsere Niederlage” und hätten bestürtzt die Frage aufbegracht, wie das nur passieren konnte? Denn meiner Meinung nach wäre ein Sieg Clintons ebenso fürchterlich gewesen. Mit Trump und Clinton wurde i.m.h.o. das amerikanische Volk vor die Wahl zwischen Pest und Cholera gestellt. Nun haben sie die Pest.)
    Im Grunde war die Gefahr in Form von abgehobenen, volksfernen Eliten, die sich gefühlt ausschließlich um ihren Machterhalt kümmern, global schon nicht nur vor der Tür, sondern hat bereits seit Längerem ganz real Einzug in unser aller Leben gehalten (siehe z.B. Frankreich, auch USA, und auch hier bei uns). Hat sich jemand von den sogenannten Sozialdemokraten in Deutschland wirklich ernsthaft und glaubwürdig und vehement für einen Wandel eingesetzt? Ich finde nicht. Vielmehr haben sie als “etablierte Partei” jahre- und jahrzehntelang munter im elitären Spiel um die Macht und ihrer Erhaltung mitgemischt. Daher verwundert es mich sehr, wenn ich jetzt bei Ihnen lese, dass Sie nach den Sozialdemokraten rufen und davon schreiben, dass Deutschland der Corbyn oder der Sanders fehlt. Ich würde mir sehr für Sie wünschen, dass Sie es schaffen, Ihren Blick zu öffnen für die Möglichkeiten, die wir in Deutschland beispielsweise mit Frau Wagenknecht haben könnten. Vielleicht könnten Sie dann auch einen wichtigen, differenzierten Artikel dazu schreiben, wie wichtig sie als echte Alternative ist und dass aber gerade versucht wird, ganz wie bei Corbyn, sie zudiffamieren und somit als Alternative schon im Vorfeld unmöglich zu machen. Hoffen wir, dass es, ebenfalls wie bei Corbyn, ganz anders kommt. Vielleicht könnte ein solcher Artikel aus Ihrer Feder sein Quäntchen dazu beitragen, dass sie eine echte Chance bekommt und eine echte Alternative bieten kann.

    Und noch zu Ihrem letzten Absatz “Wenn wir die soziale Balance der Gesellschaft nicht sichern können, laufen wir die Gefahr der Spaltung – zwischen Weißen und Schwarzen, zwischen Arm und Reich, zwischen Migranten und Einheimischen, auch zwischen Jung und Alt.”:
    Ich denke, aus der sozialen Balance ist schon lang eine soziale Schieflage geworden, die sich immer weiter verschärft. Nicht die Gefahr der Spaltung droht, sondern wir leben seit Jahren in einer bereits gespaltenen Gesellschaft (sowohl in Deutschland als auch global gesehen) und -hier wiederhole ich mich- das Ausmaß dieser Spaltung nimmt weiter zu. Es gibt ganz klaren Handlungsbedarf, aber unsere “Etablierten” ändern nichts (wollen nicht? naja..), sondern verschärfen diese Situation noch durch ihr Handeln.

    1. Ludger Elmer Beitragsautor

      Hallo liebe J.C.! Dankeschön für Ihren Beitrag.
      Tja – was hätte ich geschrieben, wenn Hillary gewonnen hätte? Gute Frage, aber ein Teil der Antwort steckt schon im Text: “Ist es nicht genau das Fatale in dieser Situation, dass mit Hillary Clinton die Vertreterin des Finanzkapitalismus und des militärisch-industriellen Komplexes abgewählt wurde, …” Unsere “lieben” Medien hätten in diesem Fall von Kontinuität und Berechenbarkeit geschrieben. Klaro, es gibt Unterschiede zwischen den Demokraten und den Republikanern, sogar gewaltige, z.B. in der Beurteilung des Klimawandels und der Frage der Krankenversicherung. Das Entsetzen über Trump heisst nun aber nicht, dass mit Clinton die Erlösung gekommen wäre. Einen Artikel wie denjenigen in der SZ von gestern (“Großer kleiner Mann”) hätte es sicherlich nicht gegeben. Hier wird endlich – nach der Wahl – auf die soziale Lage vieler Amerikaner – gerade auf dem Lande und im Rostgürtel – aufmerksam gemacht und was wirklich hinzukommt: die Wut auf die Etablierten und die Eliten. Abzuwarten bleibt ja nun wirklich, ob Trump daran etwas ändern kann und will?
      Zu Sahra Wagenknecht und den Linken: Dass sie in den Medien zu kurz kommen, kann man wirklich nicht sagen, dass die Maintream – Medien sie verteufeln, das ist Fakt. Sollte es wirklich zu ernsthaften Gesprächen über R2G kommen, dann wird auch bei den Linken eine grosse Bereitschaft zum Kompromiss erforderlich sein, womöglich auch mit personellen Konsequenzen, so wie bei den Sozialdemokraten. Aber ich bleibe bei meiner These, ohne Sozialdemokraten wird es auch kurzfristig mit dem Blick auf die Bundestagswahl 2017 keine auch nur geringfügige Verbesserung im Lande geben – alles was realisterweise bei R2G herauskommen wird, ist besser als eine Koalition mit einer C-Partei, die den rechten Populisten den Hof macht. Soviel Realismus und auch Bescheidenheit müssen sein!

      1. Andreas Schlutter

        @J.C.
        Volle Zustimmung.

        Wenn ich Ludgers Beitrag ein zweites Mal lese, macht er Sinn, wenn er sich vor allem an die Mitglieder der SPD wendet. Das Problem ist doch, um auf den von Hilde Mattheis beschworenen “Markenkern” zurückzukommen, dass die deutsche und die europäische Sozialdemokratie ihn ohne Not vor mittlerweile fast 20 Jahren aufgegeben hat. Erinnert sein nur an das Schröder-Blair-Papier von 1999.
        Die SPD muss erkennen, dass sie derzeit weiterhin Teil des Problems ist. Sie hat gerade wieder Verschärfungen im Hartz-IV-Sanktionssystem zugestimmt. Ludger sagt es zu Recht, wir haben mittlerweile das schärfste Asylrecht – und der gesetzliche Mindestlohn (er wurde erst fast zehn Jahre nach Start der Kampagne der Gewerkschaften ver.di und NGG eingeführt) reicht für die meisten nicht für ein Leben ohne Armut.
        Wenn es ab 2017 einen Politikwechsel geben soll, dann muss sich wohl die SPD sehr viel mehr inhaltlich bewegen als DIE LINKE, denn von letzteren ist die soziale Schieflage korrekt beschrieben und sie bietet dafür auch politische Maßnahmen an.
        Und noch ein Wort zur SPD – das gilt letztlich auch für die GRÜNEN: die Bundestagswahl 2013 ist meiner Meinung nach nicht so enttäuschend für SPD und Grüne ausgegangen, weil es Ansätze einer Umfairteilung in den Wahlprogrammen gab, sondern weil vor allem ein Spitzenkandidat Peer Steinbrück nie glaubhaft für einen Politikwechsel stehen konnte – dies vielleicht eine Parallele zur Niederlage von Hillary Clinton. Meine Schlussfolgerung für 2017: mit Sigmar Gabriel als Spitzenkandidat wird es keine Mehrheit für Rot-Rot-Grün geben. Und auch bei Martin Schulz wäre ich da sehr skeptisch. Immerhin könnte dieser vielleicht dafür stehen, dass Deutschland in der EU eine andere Rolle einnehmen muss, um in ganz Europa dem Nationalismus die Stirn zu bieten.

        1. Rudolf Winzen

          Wenn man sich in Erinnerung ruft, wie sehr sich Schulz am Griechen-Bashing beteiligt hat, und das teilweise auch noch sehr emotional, bekommt man Zweifel , ob man Deinem letzten Satz zustimmen kann, Andreas. Worauf gründet sich Dein Optimismus?

          1. Andreas Schlutter

            Optimismus würde ich es nicht nennen. In der Abwägung mit Gabriel hat er vielleicht eher Chancen. Im Grunde bräuchte es aber einen personellen Neuanfang, der den Bruch mit dem Neoliberalismus und dem deutschen Egoismus zu Lasten der anderen EU-Staaten glaubhaft transportieren kann. Vielleicht gehört Marco Bülow zu einem solchen Team. Aber auch Andrea Ypsilanti könnte einen Neuanfang glauhaft mitgestalten.

  3. Christa Scholtissek

    Eine schöner Ergänzung dazu ist der Beitrag von Stefan Lessenich, der gerstern (11. 11.16) in der Kulturzeit interviewt wurde. Er weist vor allem auch daruaf hin, dass es nicht nur um tatsächlichen Abstieg geht, sondern auch vor der Angst davor, nicht mehr so privilegiert zu sein, nicht mehr auf andere herabsehen zu können. Dies trifft auch für den Teil der AFD-Wähler zu, die j aus der gehobenen Mittelschicht kommen.
    Die Antwort darauf wäre wie so oft “Solidarität” – oder wie es Lessenich formuliert: “teilen”
    In der Mediatek von 3SAT kann man Beitrag anschauen

    1. Ludger Elmer Beitragsautor

      Hallo Christa!
      Das ist wohl der gleiche Effekt wie bei der SZ: Die besten Beiträge – gesellschaftskritisch gesehen – finden sich in den Kultursendungen: Die Kulturzeit – jeden Abend um 19:20 bei 3Sat oder auch TTT (Titel, Thesen. Tempramente) jeden Sonntag abend kurz nach 23:00 Uhr in der ARD.

  4. Willi

    Die USA haben einen Vorteil gegenüber Deutschland: Sie haben zwei politische Lager, die auf Augenhöhe miteinander um die beste Politik ringen könnten. Die Erfahrung der letzten Jahre zeigt allerdings, dass es meistens nicht um die beste Lösung geht, sondern vor Allem darum, der gegnerischen Partei zu schaden. Ich kann Trump nicht einschätzen. Bislang kennen wir kaum mehr, als seine Wahlkampfsprüche. Er hätte die Chance, manches besser zu machen…

    In Deutschland haben wir eigentlich nur ein politisches Lager, nämlich die GroKo plus die Grünen und die FDP, die gerne auch in dem Lager mitspielen wollen (ohne wesentliche Veränderungen der Politik zu fordern). AfD und Linke werden medial einfach so lange zu “Pfui” erklärt, bis die Mehrheit der Bevölkerung das auch glaubt. Wenn jetzt ein Teil der Linken sagt: “Wir wollen auch noch bei Euch mitspielen”: Wo sollen dann grundlegende Veränderungen herkommen? Für Deutschland sehe ich auf absehbare Zeit keine Chance für grundlegende Veränderungen.
    Willi

  5. blog1

    Ich möchte mich auf deine Ausführungen. lieber Ludger, zu dem Blog von Marco Bülow konzentrieren, die ja durch das Statement von der demokratischen Linken DL 21 ergänzt wird.

    Bülow fordert ja eine neue soziale Bewegung und wenn ich ihn richtig verstehe innerhalb der SPD. Das hat bei mir ein gewisses Schmunzeln ausgelöst. Ich möchte in dem Zusammenhang den Vergleich von Don Quijote und Sancho Panza bemühen. Das zum Thema Rot/Rot/Grüne Allmachtsfantasien. Jetzt müssen wir sehen, dass die Verhältnisse in den USA nicht unbedingt mit denen in Deutschland vergleichbar sind. In Deutschland gibt es soziale Systeme, die es so in den USA nicht ansatzweise gibt. In den USA gilt nach wie die weitverbreitete Vorstellung, vom Tellerwäscher zum Millionär aufzusteigen zu können. Diesen amerikanischen Traum hat Trump quasi wiederbelebt, auch wenn klar ist, dass es für viele nur ein Traum bleiben wird. Es geht hier jedoch um die Chance, nicht um die tatsächliche Verwirklichung. Das ist im Übrigen das süße Gift des Neoliberalismus, der suggeriert, dass man sich nur genügend anstrengen muss, um es ganz nach oben zu schaffen. Deshalb die Slogans „Wettbewerbsfähigkeit“, „sozial ist, was Arbeit schafft“ und vieles mehr. Es findet sozusagen tagtäglich eine mediale Indoktrination statt, die zwar bei einigen auf Ablehnung stößt, mehrheitlich aber für richtig empfunden wird.

    Gleichwohl gibt es sehr wohl Parallelen zu den USA. Das Aufkeimen der Rechtspopulisten in Deutschland, aber auch in Europa ist ein deutliches Zeichen für die wachsende (bestehende) Unzufriedenheit mit dem Politikestablishment und das obwohl in Deutschland die soziale Lage weitaus weniger problematischer ist als in den USA. Während in den USA ca. 65% sozial abgehängt sind, sind es in Deutschland „nur“ ca. 1/3 der Bevölkerung. Dass die Vermögensschere, d.h. die Kluft zwischen arm und reich fast genauso stark wie in den USA auseinanderklafft, ist zwar zutreffend, sie wird aber durch die sozialen Absicherungssysteme als nicht so gravierend empfunden. Aus meiner Sicht ist dar Kipppunkt dann erreicht, wenn 50% der Bevölkerung die kritische Marke überschreiten. Darauf bewegen wir aber zu, wenn nicht eine radikale Abkehr von der neoliberalen Denkweise stattfindet.
    Aus meiner Sicht wird die soziale Frage in dem Beitrag überbetont. Sie ist zwar zentral wichtig. Die Frage der kulturellen Identität sollte jedoch unterschätzt werden. Das erklärt im Übrigen, warum durchaus gut situierte Bürger mit den Rechtspopulisten sympathisieren. Ein Drittel der AFD-Wähler sind Gutverdiener und ich bin jetzt nicht der Meinung, dass diese Leute die AFD wegen ihrer neoliberalen Ausrichtung wählen.

  6. gerhard dengler

    Einige Gedanken speziell zur Situation in Deutschland:
    – leider ist das neoliberale Gedankengut schon sehr weit vorgedrungen sodaß man gerne jede
    soziale Gruppe gegen die andere ausspielen kann und sie als Sündenbock herhalten muß –
    Solidarität – das würde ja was kosten.
    – Ich bin leider sehr skeptisch was den Erkenntnisgewinn der etablierten Politiker, Parteien anbelangt
    Man müßte ja erkennen daß es die eigene Politik der ewigen Reformen, Konkurrenzzwang, Sozial
    abbau ist, die den Boden für die rechten Parteien vorbereitet (gibt es eigentlich dazu Studien die den
    Zusammenhang untersuchen ?) Solange man sich nur damit beschäftigt, die Programme der Rechts-
    parteien teilweise zu kopieren wie die CSU oder lamentiert daß man es nicht geschafft hat die
    eigenen “Heldentaten” dem “blöden Wähler” zu vermitteln, wird sich nichts ändern.
    – Bei der SPD ist der Leidensdruck für eine Rückkehr zu den Werten, für die sie früher gestanden hat,
    noch nicht groß genug. Ob der Leidensdruck dann bei Wahlergebnissen unter 20 % was bewirkt, ist auch
    noch offen.
    – Liege ich verkehrt, wenn ich Populismus i. d. R. bei rechten Parteien in Verbindung bringe ?
    Die Linke verharrt bei ca. 10 % der Stimmen und bei den Grünen (wenn man die überhaupt noch
    für eine andere Sozial-und Wirtschaftspolitik mitzählen kann) ist es nur wenig mehr. Vielleicht braucht
    es wirklich eine neue “Alternative Partei” gegen den Neoliberalismus und wenn möglich auch mit
    einem Populisten im positiven Sinn.

    1. blog1

      Weitestgehende Zustimmung. Folgende Ergänzungen hierzu:
      Die soziale Schieflage ist eine Folge der Neoliberalismus und der Rechtspopulismus ist eine Folge des Neoliberalismus. Das zum Thema Ursachenforschung.

      Die versammelte Linke in Europa und in Deutschland hat politisch komplett versagt. Teile dieser Linken sind in das neoliberale Lager übergelaufen, so wie auch ein Teil der Demokraten in den USA lupenreine Neoliberale (z.B. H. Clinton) sind. Der andere Teil der Linken ergötzt sich in intellektuelle Scheindebatten, ist unter sich zutiefst zerstritten, so dass die Marginalisierung immer mehr voranschreitet, so zu beobachten bei den letzten Landtagswahlen in den neuen Bundesländern.
      Die Rechtspopulisten sind gerade dabei bzw. haben es geschafft, die Parlamente zu kapern. Da hat Frau Ypsilanti Recht. Ob Frau Ypsilanti allerdings eine Person ist, die den Karren aus dem Dreck ziehen kann, wage ich zu bezweifeln. Zu einer politischen Person nach meinem Verständnis gehört Integrität und die hat Frau Ypsilanti nicht. Frau Wagenknecht würde ich wesentlich mehr zutrauen, nur sie ist in der falschen Partei. Frau Wagenknecht hat auch ökonomischen Sachverstand, eine Fähigkeit, die einem Großteil der Linken fehlt.

      Die versammelte Linke in Europa hat sich also gründlich geirrt in der Meinung, die sozialen Verhältnisse müssten sich nur weiter verschlechtern, dann schlägt ihre Stunde. Noch schlimmer, in Griechenland, wo sie regieren, haben sie abgewirtschaftet. In Spanien bekommen sie auch nichts auf die Reihe und was eigentlich aus dem Hoffnungsträger Jeremy Corbyn geworden?

      In dieses Vakuum sind die Rechtspololisten hineingesprungen. Dort glauben diejenigen, die vom Politikestablishment die Schnauze gestrichen voll haben, eine Heimat gefunden zu haben. Einmal sind es die sozial Benachteiligten, dann die weißen alten Männer, dann die Nationalisten, dann wieder die Wertkonservativen und so weiter …. Populismus heißt, dem Volke nach dem Munde reden. Populisten sagen das, was die Leute hören wollen und loten je nach Gemengelage aus, wie weit sie gehen können. Einen Vorgeschmack auf das, was uns in Europa erwartet, hat Trump ja geliefert. Wenn sie tatsächlich an der Macht sind, gehen sie fast zwangsläufig in eine autokratische Richtung, weil sie ihre Versprechungen nicht einhalten können. Im Übrigen. Der Rechtspopulist verschwindet unter Umständen, der Neoliberalismus bleibt, wenn man Warren Buffet Glauben schenken soll. Es ist den Neoliberalen völlig egal, wer unter ihrer Direktive regiert.

      Die Antwort auf den Rechtspopulismus ist aber nicht eine machtpolitische Option beispielsweise über Rot/Rot/Grün herbeizureden, sondern die Antwort besteht darin, eine andere Politik zu machen. Wenn es jedenfalls so weitergeht, dann kann in Deutschland ohne die AFD nur noch eine Regierung gebildet werden, wenn beispielsweise die CDU/CSU, die SPD und die Grünen zusammengehen. Aber das finden manche auch bei den Nachdenkseiten ganz toll, dass die Demokratie durch die AfD wiederbelebt wurde, weil doch jetzt die Wahlbeteiligung gestiegen ist.

      Nächstes Jahr kommen zuerst die Präsidentschaftswahlen in Frankreich, dann folgt die Niederlande, dann haben wir in NRW die Landtagswahl und dann kommt die Bundestagswahl. Jede diesen Wahlen außerhalb Deutschlands stahlen natürlich auch auf Deutschland ab. Sollte Le Pen Staatpräsidentin werden, bedeutet das nicht nur den Brexit, sondern der Exit. Trump hat den Rechtspopulisten in Europa einen enormen Rückenwind beschert, aber auch ohne Trump wäre es eng geworden.
      Es wird also höchste Zeit, dagegen etwas zu unternehmen, anstelle darüber zu philosophieren, wo denn gerade die Medien uns wieder mal desinformiert haben.

      1. Ludger Elmer Beitragsautor

        Hallo Werner, in welcher Partei wäre denn Sahra Wagenknecht richtig? Eins ist wohl wahr: an volkswirtschaftlichem Sachverstand hat die Linke mehr zu bieten als die SPD, nachdem sie mit Oskar L. auch H. Flassbeck verlassen hat. Wer ist da sonst, der einem Karl Schiller gerecht werden würde? Bei den Linken sehe ich immerhin neben Sahra W. auch noch Michael Schlecht. Vom Stabilitäts- und Wachstumsgesetz (Schiller und Strauß) sind wir meilenweit entfernt, denn das war ein magisches Viereck damals: Vollbeschäftigung, Preisstabilität, angemessenes Wachstum und — man höre und staune — aussenwirtschaftliches Gleichgewicht. Davon spricht heute niemand mehr. Also, wohin sollte Sahra W. gehen?

        1. blog1

          Interessante Frage, die ich Dir nicht beantworten kann. Wagenknecht ist nicht parteikonform, weil sie eigene Positionen vertritt, die immer mit einem Teil ihrer Partei kollidieren. Das wäre in einer anderen etablierten Partei nicht anders.
          Wahrscheinlich verstehen sich Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht deshalb so gut, weil sie beide eine ähnliche Vorgehensweise haben, politische Sachverhalte zu hinterfragen und interpretieren. Ich traue Frau Wagenknecht einen Parteiaustritt zu und zwar dann, wenn die Linkspartei einem Regierungsbündnis Rot/Rot/Grün zustimmen sollte. Sie ist m.E. momentan der entscheidende “Bremsklotz” innerhalb der Linkspartei, wenn es um diese Machtoption geht. Die Linkspartei will mit aller Macht in die Regierungsverantwortung, weil sie spürt, dass sie als reine Oppositionspartei ausgedient hat. Mit anderen Worten, sie begeht Selbstmord aus Angst vor dem Tod.
          Zum ökonomischen Sachverstand der SPD kann man festhalten, dass dieser ausgelagert wurde und zwar an die neoliberalen Kräfte (Professoren, NGOs, Konzerne). Das ist ja das Fatale. Glaubt denn irgendjemand, dass an der CETA-Vereinbarung SPD-Abgeordnete oder Beamte des Wirtschaftsministeriums aktiv mitgewirkt haben?
          Die alten Zeiten sind im Übrigen vorbei. Solche Figuren wie Schiller und Strauß würden heute nicht in Regierungsverantwortung kommen. Sie wären zu unbequem. Heute bestimmen Lobbyisten das politische Geschehen und wenn es dem Wahlbürger zu viel wird, dann wählt er die Rechtspopulisten.

          1. Andreas Schlutter

            Vor acht Jahren hat Volker Pispers das politische Elend in Deutschland wunderbar beschrieben:

            Vieles davon ist heute nach wie vor aktuell. Auch das Problem, dass DIE LINKE die richtigen Forderungen stellt, aber kaum jemand bei uns glaubt, dass diese auch durchsetzbar sind. Auch das macht deren Schwäche bei den Wahlen aus. DIE LINKE muss auf Rot-Rot-Grün setzen, aber nicht um jeden Preis. Und dass vor allem die SPD sich bewegen muss, habe ich schon in einem anderen Kommentar ausgeführt .

    2. Ludger Elmer Beitragsautor

      Gibt es einen Populisten im positiven Sinne? Ich glaube nicht. Wikipedia nennt als wesentliche Merkmale des Populismus:
      “Populismus ist geprägt von der Ablehnung von Machteliten und einigen Institutionen, Anti-Intellektualismus, einem scheinbar unpolitischen Auftreten, Berufung auf den „gesunden Menschenverstand“ (common sense) und die „Stimme des Volkes“, Polarisierung, Personalisierung, Moralisierung und Argumenten ad hominem.” (Was ist das?) Wir sollten schon darauf setzen, dass wir unsere Institutionen — auch die Parteien — wieder stärken. Manchmal denke ich, es ist besser, bei der FDP zu sein als politisch überhaupt nichts zu tun. Aber es gibt doch auch noch Attac, Amnesty International, Transparency International, Foodwatch, um nur einige NGO’s zu nennen. Je weniger wir uns den Kopf zerbrechen, desto einfacher sind wir zugänglich für simple Argumente und Lösungen. Auch die Forderung nach einem grundsätzlichen Politikwechsel kommte manchmal so radikal daher, daß es wirklich unrealistisch ist. Da mag ich mich sogar noch freuen, wenn die Grünen die Vermögenssteuer wiederentdecken, die HartzIV-Sanktionen ablehnen, das Ehegattensplitting abschafffen wollen — mit Bestandsschutz — und Frank-Walter Steinmeier Bundespräsident wird — jaja ich weiss schon der Architekt der Agenda2010. Vielleicht müssen wir ja auch im nächsten Jahr alle Demokraten zusammenkratzen, wenn es gegen die rechten Vereinfacher, die eben auch Nationalisten und Fremdenhasser sind, geht. Da werden dann wohl Grüne, Sozialdemokraten und Linke zusammenstehen müssen, wie es bei den Pegida-Demonstrationen im Dez. 2014 war.

      1. Andreas Schlutter

        Ludger, ich bin mir da nicht so sicher. Zum einen gibt es ja auch den Eintrag “Linkspopulismus” bei Wikipedia – und auch Oskar Lafontaine wurde ja schon als Populist bezeichnet.
        Interessanter finde ich, was z.B. Heribert Prantl heute in der Süddeutschen geschrieben hat:

        Auf die demagogische Mobilisierung bezogen würde das bedeuten: man hält mit demokratischer Mobilisierung dagegen. Man bekämpft also das Feuer mit Feuer, man nutzt die Mittel (nicht die Ziele) des Populismus, also etwa die Mittel der Komplexitätsreduktion, um für rechtsstaatliche Grundrechte und Grundwerte glühend zu werben und so die Gesellschaften zu immunisieren gegen den nationalistisch-rassistischen Brand.
        Was sind denn die Mittel des Populismus? Da ist die Vereinfachung der Erklärungen, um die Dinge “dem kleinen Mann” begreiflich machen. Da ist der Versuch, die Leute wieder in ein “Wir” zusammenbinden. Da sind Appelle an Gefühle und Leidenschaft. Da sind die Versprechen, Kränkungen aufzuheben; Arbeitsplätze zu schaffen; sich mit Putin zu vertragen; den Lobbyismus einzuschränken; wieder mehr zu regulieren und Kontrolle zurückzugewinnen.

        Und Jakob Augstein hat bereits im August in seiner Spiegel-Kolumne geschrieben:

        Was in Deutschland jedoch fehlt, ist ein positiver Populismus von Links, der die demokratischen und sozialen Rechte der normalen Leute gegenüber Eliten und Oligarchen artikuliert – und der diese Aufgabe nicht den Rechten überlässt.
        Wir haben uns einreden lassen, dass jeder Populismus abzulehnen sei. Das ist ein Irrtum. Populismus ist eine Strategie des Widerstands.

        Und dann ist da noch Oliver Nachtwey (“Die Abstiegsgesellschaft. Über das Aufbegehren in der regressiven Moderne”). Er hat im Mai für Zeit Online einen Gastbeitrag veröffentlicht, den er mit folgendem Satz beendet:

        Ein linker Populismus, der die Ängste der Bürger ernst nimmt und sie in einen Kampf für ein solidarisches Gemeinwesen lenkt, könnte in der europäischen Abstiegsgesellschaft sich deshalb als Glücksfall für die Demokratie erweisen.

        Die Schwäche der Linken ist ja auch, das alles so komplex ist, das eine mit dem anderen zusammenhängt. Identitätsstifteend wirkt das nicht gerade. Und gerade die soziale Identität, das Klassenbewusstsein, um an Didier Eribons Erkenntnisse anzuknüpfen,sind ja verloren gegangen. Die Klasse der Armen, das Prekariat, verbindet nichts außer dem Tatbestand, arm zu sein. Jetzt noch einmal Jakob Augstein:

        Die Politologin Chantal Mouffe hat gesagt: “Um eine kollektive Identität zu konstruieren, muss ein ‘wir’ von einem ‘sie’ unterscheidbar sein. ‘Das Volk’ wird immer politisch konstruiert. Dazu braucht es einen Gegner.”
        Die Leute im Osten haben sich den falschen Gegner ausgesucht: Sie sollten sich in die Demonstrationen gegen die Banken einreihen – nicht in die gegen Ausländer. Nur dann wird aus “Wir sind das Pack” wieder “Wir sind das Volk”.

  7. Andreas Schlutter

    Das erste Mal, dass ich lese, Marco Bülow sei Hoffnungsträger in dre SPD. Ich finde seine persönlichen Statements des Öfteren auch recht gut, aber um Hoffnungsträger zu werden, müsste er sich mit der in der SPD herrrschenden Clique von Oppermann bis Gabriel anlegen. Ein, wie ich finde, sehr interessanter Beitrag von Paul Mason im Freitag zum Ausgang der US-Wahlen schließt hierzu genau mit den passenden Worten:

    Hört auf, diskreditierte Repräsentanten der Elite an eure Spitze zu stellen.

    Das, was an der Entscheidung der US-Demokraten falsch war, auf Hillary Clinton zu setzen, trifft in Deutschland auf Sigmar Gabriel genauso zu. Er ist Teil der herrschenden Politikerklasse, die für die Deregulierungen der letzten gut 20 Jahren in Deutschland steht. Wenn es überhaupt eine Chance für einen Politikwechsel im Herbst geben soll, dann tatsächlich mit einem anderen Team an der Spitze. Eines, dass die Zumutungen des Hartz-IV-Systems schon immer als solches benannt hat, dass glaubhaft für Umfairteilen steht. Die derzeitige Fraktionsspitze ist Teil des Problems, auf Neoliberalismus und Deregulierung gesetzt zu haben und die berechtigten Interessen der arbeitenden Klasse auf soziale Sicherheit aus dem Blick verloren zu haben, sie kann nicht Teil der Lösung sein. Auch nicht in einem rot-rot-grünen Bündnis.

  8. Uwe Detemple

    Da in den Kommentaren öfters die SPD erwähnt wird: Auch Frau Ypsilanti hat sich wieder zu Wort gemeldet. Sie ruft die Sozialdemokratie auf, zu kämpfen, “Unmögliches” zu fordern und in kleinen Schritten umzusetzen. “Man kann eine andere Gesellschaft wollen.” Diese Gesellschaft muss eine offene Gesellschaft sein, die sich durch Freiheit, Gleichheit (Gerechtigkeit), Individualität und Säkularität definiert. Dafür lohnt es sich zu streiten.

    “Die Utopie muss jedoch weit darüber hinaus gehen.” Richtig, und auch was die EU angeht. Es muss um die Überwindung der Nationalstaaten gehen. An ihre Stelle treten die Regionen als konstitutionelle Träger Europas, unter dem Dach einer Europäischen Republik in einer transnationalen Demokratie vernetzt.

    1. Andreas Schlutter

      Die Zeilen von Andreas Ypsilanti sind klar und deutlich, ich kann den ganzen Beitrag empfehlen.
      Hier der Schluss:

      Entweder die europäische Sozialdemokratie kämpft, oder sie verliert weiter.
      Darum geht es nach Trump. – Nicht um Krokodilstränen, nicht um Abscheu, nicht um Belehrungen.
      Es geht ums Ganze.

      Öffentlich – auch ohne Konto – nachzulesen bei Facebook

  9. Andreas Schlutter

    Jens Berger hat es gestern in seinem Beitrag “Populisten und dumme Wähler? Ihr habt nichts, aber auch rein gar nichts verstanden” treffend auf den Punkt gebracht:

    Man sollte die Geschichte nicht durch einen Mangel an Phantasie beleidigen. Die selbsternannten Parteien der Mitte haben die Empathie verloren und sich von den meisten ihrer Wähler entfremdet. Die Grünen dienen sich dem bürgerlichen Milieu an, dem sie entsprungen sind, die Sozialdemokratie existiert derweil nur noch auf dem Papier – verkauft von gierigen Parteikadern für ein Linsengericht. Und dies nicht nur in Deutschland. Wundern wir uns wirklich darüber, dass solch erbärmliche Karikaturen wie Hillary Clinton, Ed Miliband, François Hollande oder Sigmar Gabriel bei den Wählern durchfallen? Und ist es wirklich so verwunderlich, dass die Getäuschten und Enttäuschten dann sogenannten „Rechtspopulisten“ hinterherlaufen?

    und:

    Gibt es denn gar keine Alternativen? Doch natürlich. Ein Bernie Sanders hat gezeigt, dass es anders geht. Ein Jeremy Corbyn und eine Sahra Wagenknecht zeigen, dass es anders geht. Doch interessanterweise werden die Sanders, Corbyns und Wagenknechts genau von denen torpediert, die dem linksliberalen Bürgertum angehören. Die Ausverkäufer der Sozialdemokratie machen sich so zu den eigentlichen Steigbügelhaltern der Rechten. Die entscheidende Frage dürfte es da sein, ob dies volle Absicht ist oder ob unsere selbsternannten Eliten in und links der Mitte es wirklich nicht besser wissen?

    Der gesamt Beitrag ist lesenswert – und auch die heutige Ergänzung von Albrecht Müller

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