Da staune ich doch nicht schlecht, als ich am Montag die Süddeutsche aufschlage. Auch Familien mit geringen Einkommen sollen beim Steuerkonzept der Mittelstands- und Wirtschaftsvereinigung der CDU/CSU (MIT) deutlich entlastet werden. Ich traue meinen Augen nicht, aber: “Steuerprofessor Frank Hechtner von der Freien Universität Berlin hat für die SZ ausgerechnet, wie hoch die Entlastungen für die Einzelnen sein würden.”
In der Grafik finde ich dann die Zahl, die mich hat zweifeln und nachrechnen lassen: Eheleute mit zwei Kindern sollen bei einem monatlichen Lohn von 1.000 € im Monat um jährlich 864 € entlastet werden. Dabei zahlen Familien mit derart geringem Einkommen überhaupt keine Lohn- bzw. Einkommensteuer. “Die Wirkung der kalten Progression hat Hechtner berücksichtigt und einen Anstieg des Kindergeldes um zwei Euro unterstellt.” Aha. Macht also bei zwei Kindern und zwölf Monaten 48 € zusätzliches Kindergeld. Also besteht die steuerliche Entlastung faktisch nur 816 € – aber von nichts? Die negative Einkommensteuer, also ein Zuschuss vom Finanzamt bei zu geringem Lohn ist ja nicht vorgesehen, denn für solche Fälle haben wir doch das demütigende Hartz-IV-System. Denn eine Familie mit einem solchen Einkommen kann ja nicht einmal in der abgelegensten ländlichen Region davon überleben, geschweige denn hier im Großraum München.
Für Eheleute mit zwei Kindern setzt die Lohnsteuerpflicht erst bei 1.865 € ein, darunter befinden wir uns im Bereich des steuerlichen Existenzminimums. Betrüge das Einkommen monatlich 2.000 €, würden nach derzeitigem Recht 196 € Lohnsteuer jährlich fällig. Inklusive der angenommenen Kindergelderhöhung wäre also – wohlgemerkt bei 2.000 € – eine maximale Entlastung von 244 € möglich.
Merkwürdig, wie ein Steuerprofessor zu seinen Zahlen kommt bzw. diese Zahlen von der SZ dann gelesen worden sind. Seriös gerechnet kann dies auf jeden Fall nicht sein – und Familien mit geringem Einkommen bräuchten ganz andere Entlastungen – aber darum geht es mutmaßlich der MIT ja gar nicht.
Man könnte zum Beispiel nachdenken über ein Kindergrundeinkommen:
Es setzt sich zusammen aus dem so genannten „sächlichen” kindlichen Existenzminimum plus dem steuerlichen Betreuungs-, Erziehungs- und Ausbildungs-freibetrag, insgesamt 502 Euro pro Monat. Das Kindergrundeinkommen würde einen Kindern und Jugendlichen endlich Regelsätze zugestehen, die den tatsächlichen Bedarf abdecken. Auch Kinder mit Eltern aus dem Niedriglohnsektor kämen in den Genuss eines armutsfesten Kindergrundeinkommens.”
Quelle: Prof. Franz Segbers
Man könnte über die Erhöhung oder den Wegfall der Beitragsbemessungsgrenzen bei den Sozialversicherungen reden, vielleicht gleich die Umgestaltung der bestehenden Krankenversicherung in eine Bürgerversicherung auf den Weg bringen, wie SPD, Grüne und Die Linke es favorisieren. Denn – um zum Ursprungsbeispiel Eheleute mit zwei Kindern sollen bei einem monatlichen Lohn von 1.000 € zurückzukommen, sie können davon zwar nicht leben, müssen aber über 200 € monatlich an Sozialabgaben zahlen, die sie über Hartz IV – nach Vorlage aller Gehaltszettel und Kontoauszüge etc. – dann wieder zurückbekommen. Ach ja, das Kindergeld und ein etwaiger Kinderzuschuss werden hier natürlich angerechnet bzw. verrechnet.
Man müsste über Existenz sichernde Löhne reden, die für Familien ganz sicher nicht mit 8,50 € Mindestlohn zzgl. Kindergeld realisierbar sind. Selbst bei 10 € wären wir im Beispiel immer noch unter 1.865 € – also im steuerfreien Bereich. Abgesehen davon, nur wenn unsere Beispielfamilie weniger als 330 € Warmmiete zahlt, hätte sie keinen Anspruch auf einen Aufstockungsbedarf nach Hartz IV.
Weit verbreitete Armut (gerade bei Alleinerziehenden sowie Familien mit mehreren Kindern) sowie die Angst der Mittelschicht, dorthin abzurutschen, dass sind die größten Gefahren für den sozialen Zusammenhalt und die Sicherheit in unserem Land. Eine Politik, die hier nicht Klartext redet und keine tatsächliche Lösungen anbietet, wird nicht funktionieren. Im Gegenteil, dies wird nur Auftrieb für die AfD bedeuten.
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