Focus-Online berichtete am 15.7. 2014 unter dem Titel
Schwere Vorwürfe im NSU-Prozess: Verfassungsschutz soll Nazi-Trio finanziert haben
” … Der Thüringer Verfassungsschutz soll kurz nach dem Abtauchen der drei mutmaßlichen NSU-Terroristen 1998 Geld an das Trio in den Untergrund geschickt haben. Das sagte der frühere Verfassungsschutz-V-Mann und damalige Kopf des rechtsextremen „Thüringer Heimatschutzes“, Tino Brandt, am Dienstag als Zeuge im Münchner NSU-Prozess. Das Geld habe er selber in Empfang genommen und weitergeleitet. …”
Am 16.4.2014 berichtete die Rechtsanwältin Angelika Lex (Richterin am Bayerischen Verfassungsgerichtshof und Anwältin des ermordeten Theodoros Boulgarides im NSU-Prozeß) in Pfaffenhofen in einem Vortrag über den Verlauf des Prozesses und die bisherigen Erkenntnisse.
Die Aussagen von Frau Lex in diesem Vortrag lassen sich wie folgt zusammenfassen:
- Der Prozess wird bis mindestens bis Ende dieses Jahres dauern, von über 600 Zeugenvernehmungen sind gute 200 durchgeführt.
- Es gibt eine Festplatte mit 10.000 (Zehntausend) E-Mails, die noch nicht ausgewertet sind.
- Während der Mordserie sind in den polizeilichen Untersuchungen niemals Verknüpfungen zwischen den Taten hergestellt worden – obwohl die Methode der Rasterfahndung dies hätte gebieten müssen.
- Die Ermordeten und ihre Familien sind alle beschuldigt worden, im kriminellen Milieu (Prostitution, Mafia, Drogenhandel, Waffenhandel) verstrickt zu sein.
- Es besteht weiterhin der begründete Verdacht, dass der Verfassungsschutz nicht nur nicht die Taten verhindert hat, sondern direkt oder indirekt durch die Unterstützung der Nazi-Organisationen die Morde zumindest ermöglicht hat.
- Vernehmungen von Polizisten und Verfassungsschützern im Prozess zeigen immer wieder eine rechtsradikale Einstellung, indem Ausländer zunächst Täter, Lügner und Kriminelle sind. Frau Lex spricht hier wörtlich von institutionellem Rassismus in Polizei und Verfassungsschutz. Dieser sei nur möglich, weil das gesellschaftliche Umfeld diesen Rassismus zumindest toleriere.
- Als Beispiel nannte Frau Lex u.a. das Umfeld der ermordeten Polizistin Kiesewetter, das in Dorf und Familie rassistisch ist und war. Es sei aber kaum untersucht worden. Frau Kiesewetter habe als Polizistin Nazi-Demos begleitet – diese Tatsache sei nie ausgewertet worden.
- Der Verfassungsschutz hat insgesamt sicherlich einen siebenstelligen Euro-Betrag in das NSU-Umfeld geschleust.
- Hinzu kommen die Todesfälle eines Polizisten und eines Verfassungsschützers (Sept. 2013, März 2014, also während des Prozesses), bevor diese als Zeugen auftreten konnten.
- Frau Zschäpe müsse man zugestehen, dass sie sich emotionslos verhalte und nicht aussagen wolle. Aber wenn sie aussagen würde, könnte das sehr schnell in die Richtung Polizei und Verfassungsschutz gehen.
- Frau Lex sagt, es gebe kein wirkliches Argument für die Existenz eines Verfassungsschutzes. Er blieb eh’ immer im Dunkeln, sei nie transparent und sichere nur die „Herrschenden“ ab.
- Ein Verbot von NPD, etc. würde nichts bringen, weil sich diese Leute dann anders und neu organisieren würden.
Frau Lex arbeitet seit 20 Jahren im Ausländerrecht.
In der folgenden Anlage ist beigefügt eine Stellungnahme der Nebenklagevertreter (darunter Frau Lex) im NSU – Prozess, die den Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses des Bundestages zu den NSU – Morden als inkonsequent bezeichnen.
13_08_NSU_ANWÄLTE_Der_Fehler_liegt_im_System
Angelika Lex ist in der Münchner „Gegen Rechts und Pro Asyl“ Aktivistenszene eine von zwei Kanzleien, die ohne Ansicht von Person, Herkommen und finanziellen Möglichkeiten Mandate übernimmt.
Auf dem Podium in Pfaffenhofen haben wir eine sehr ernste, sehr aufmerksame, aber auch sehr konzentrierte und entschlossene Frau erlebt, die jede Minute und jedes Forum nutzt, um aufzuklären. Und deren zweieinhalbstündiger Vortrag die 20 Zuhörer (!) von der ersten Minute bis zur letzten Minute in Bann gezogen hat. Oder, um es anders auszudrücken: sie schreckt vor keinem noch so aussichtslosen Fall zurück. Ihr Arbeitstag hat mehr als 16 Stunden, zu Hause kann niemand mehr das Wort NSU-Prozess hören, wie sie auf dem Heimweg in der S-Bahn erläutert hat.
Gleichwohl verpasst sie keinen Prozesstag, steht in engem Austausch mit dem Netz der Nebenklägervertreter und hält unermüdlich Vorträge, gibt Interviews, nimmt Stellung: für ihre „normalen“ Mandanten hat sie dann „zwischen 23.30 Uhr und 5.00 Uhr früh“ noch Zeit. Vielleicht liegt es an ihrem bedingungslosen Engagement, dass dann auch am Ende der Veranstaltung Menschen zu Wort gekommen sind in der Fragerunde, die ebenso bewegende, wie authentische Geschichten aus ihrem Alltag zu berichten wussten. Auch ihnen hat Angelika Lex zugehört, hat deren Erlebnisse und Erkenntnisse (eine Security-Mitarbeiterin, die gekündigt wurde, hat vom alltäglichen Rassismus berichtet, ein Vater aus dem Iran von seinem Baby, das keinen Pass bekommt, eine absurde Geschichte mehr aus dem Asylrecht) ohne zu unterbrechen angehört – und dies nach einem langen Prozesstag, einem langen Arbeitstag und vor der Heimfahrt mit der S-Bahn.
Selten ist mir ein Mensch von dieser Kompetenz gepaart mit Menschlichkeit, aber auch Mut und Entschlossenheit begegnet. Das gibt Hoffnung in einem durch und durch deprimierenden, ja schockierenden Prozessbericht, den man teilweise gar nicht glauben möchte.
Dazu nur eine kleine Meldung aus der SZ vom 22.7.2014, Teil München-Dachau-Bayern unter der Überschrift:
SPD: Polizei verharmlost Gefahr von rechts
München – Neben den Grünen kritisiert nun auch die Landtagsfraktion der SPD die Sicherheitsbehörden scharf für ihren Umgang mit Rechtsextremen in München. “Beim Verfassungsschutz gibt es eine systematische Verharmlosung, was das Gefährdungspotenzial von Rechtsextremen angeht”, sagt Florian Ritter. Der SPD – Abgeordnete reagiert damit auf einen Bericht der SZ, wonach in den vergangenen Monaten häufig Waffen und Sprengstoff bei Personen gefunden wurden, die offenbar eine Affinität zum Rechtsextremismus haben. Polizei, Verfassungsschutz und Innenministerium beharren in allen Fällen darauf, dass die Beschuldigten nicht Mitglied in rechtsextremen Organisationen sind. “Neonazis sind nicht nur gefährlich, wenn sie sich einer rechtsradikalen Gruppierung angeschlossen haben”, sagt dazu Ritter. Die Staatsregierung habe aus den NSU-Morden offenbar nichts gelernt und das Konzept des führerlosen Widerstands nicht verstanden. “Ich fordere die Staatsregierung auf, der Realität ins Auge zu blicken und Maßnahmen zu ergreifen.”
Unter dem Tilel “Ein einziges Desaster” berichtet die SZ am 18.8.2014 auf der Seite 1 von den Ergebnissen des NSU-Untersuchungsausschusses in Thüringen.
“Sie [die erfolglose Fahndung] sei ‘in einem so erschreckenden Ausmaß von Desinformation, fehlerhafter Organisation, Abweichungen von üblichem Vorgehen und Versämnissen’ geprägt, dass es nicht mehr vertretbar sei, nur von Pannen zu sprechen, heißt es in dem fast 1800 Seiten starken, von allen Fraktionen des Landtags mitgetragenen Bericht. […] Die Vielzahl falscher Entscheidungen und Regelverstöße lasse aber auch den Verdacht ‘gezielter Sabotage’ zu. Die Abgeordneten kritisierten nicht nur den Verfassungsschutz, sondern auch das Landeskriminalamt und die Justiz.”
Auf der Seite 5 der SZ schreibt Tanjev Schultz:
“Die Abgeordneten hatten damit zu kämpfen, dass einige Akten verschwunden sind oder vernichtet wurden und nicht sicher ist, wie vollständig das vorgelegte Material war. […] Für den Ausschuss, über dessen Bericht am Freitag im Landtag debattiert werden soll, steht nun fest: Man hätte das untergetauchte Trio finden können. Dies sei nicht geschehen, weil die Behörden wichtige Hinweise nicht richtig verarbeitet hätten. Der Verfassungsschutz habe Informationen nicht an die Polizei weitergegeben, und diese habe ihrerseits Fahndungsansätze ungenutzt gelassen. Vorwürfe erheben die Abgeordneten zudem gegen das Innenministerium in Erfurt. Dort habe zumindest bis zum Jahr 2000 faktisch keine funktionierende Fachaufsicht existiert. […] Dafür, dass die Behörden Neonazi-Strukturen gezielt selbst aufgebaut hätten, hat der Ausschuss zwar keine Belege gefunden. “Allerdings gibt es hinreichend Gründe, von einer mittelbaren Unterstützung und Begünstigung” durch den Verfassungsschutz zu sprechen, heißt es in dem Bericht. […] Zweifel an der Version der Bundesanwälte haben die Thüringer Abgeordneten noch in einem anderen Punkt: dem Tod von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Ihre Leichen wurden am 4. November 2011 in einem brennenden Wohnmobil in Eisenach gefunden, nachdem sich zwei Polizisten dem Fahrzeug genähert hatten. Die NSU-Terroristen sollen sich selbst erschossen haben. Gegen einen Suizid spreche aber, so der Ausschuss, dass die beiden sonst kaltblütig und gewaltbereit gewesen seien.
Es sei nicht überzeugend, dass die Männer sich kampflos und ohne einen Versuch, zu flüchten, umgebracht hätten. Die Bundesanwaltschaft sieht dagegen keine Hinweise dafür, dass Mundlos und Böhnhardt von einer dritten Person getötet worden sein könnten.”
Quelle: http://www.sueddeutsche.de/politik/gravierende-fahndungsfehler-thueringer-untersuchungsausschuss-prangert-nsu-ermittlungen-an-1.2092028
Angelika Lex ist viel zu früh verstorben:
http://www.sueddeutsche.de/muenchen/nachruf-beruf-und-berufung-1.2775690?reduced=true