TTIP – Was ist ein Handelshemmnis?

„Wo bleibt die Demokratie?“ So fragt Heribert Prantl in der SZ in seiner Rezension des Buches von Thilo Bode, Die Freihandelslüge.

Es ist die größte Bürgerinitiative aller Zeiten, mittlerweile gehören ihr in ganz Europa über 2,3 Mio Bürger an. Aber es geht eben auch um wohl eins der größten Projekte des Kapitalismus. Von TTIP (Transatlantic Trade and Investor Partnership) werden 800 Mio Menschen in den USA und in der EU betroffen sein. Um was geht es dabei eigentlich? Ja, es geht um alles und das ist kaum übertrieben. Fast sämtliche Lebensbereiche und Politikfelder werden von TTIP tangiert:

Umweltschutz, Landwirtschaft, Arbeitsrecht, Gesundheitswesen,
Energieversorgung, Kommunale Dienstleistungen, Lebensmittelrecht, Umgang
mit Chemikalien, Verpackungen, Patent- und Datenschutz, Regulierung der
Finanzmärkte, Justizwesen, Tierschutz, Bodenschutz, Klimaschutz, Zulassung
von Medikamenten, Kultur, Bücher, Theater-Subventionen, Sparkassen und
Raiffeisenbanken, Fracking, Wasserversorgung

Eine Frage, die dabei nicht umstritten sein sollte, ist die nach den technischen Normen. Angleichung der Normierung von Blinkerfarben für die Autos oder die Konsistenz von Kabelbäumen, das muss möglich sein. Wenn unsere Kleinen und Mittleren Unternehmer auf TTIP bestehen, sollten wir ihnen das zugestehen. Und ein Auto, das in die USA exportiert wird, zweimal vom TÜV untersuchen zu lassen, macht auch wohl keinen Sinn – aber bei diesem Punkt beginnt es schon, ernst zu werden. Dazu später mehr.

Warum geht es denn dann bei TTIP? Die Antwort lautet, letztlich geht es um alle Regelungen und Regulierungen, die in unserem täglichen Leben eine Rolle spielen, z.B.

  • Welche Kennzeichnungen und Inhaltsangaben dürfen und sollen auf der Verpackung unserer Lebensmittel stehen?
  • Welche Tests müssen vorliegen und dokumentiert sein, wenn neue Medikamente in den Markt eingeführt werden?
  • Darf festgeschrieben sein, dass nur eine Kommune für die Müllabfuhr oder die Straßenbahn zuständig ist?
  • Darf man die Versorgung der Bürger mit den Gütern der täglichen Daseinsvorsorge (Wasser, Bildung, Verkehr, Sicherheit) privatisieren?
  • Wie viel Gentechnik darf in Lebensmittel enthalten sein und wie ist das zu kennzeichnen?
  • Wie viele und welche Chemikalien dürfen in unseren Produkten enthalten sein und was ist davon anzuzeigen?
  • Welche Subventionen dürfen im Theaterbetrieb gewährt werden?
  • Welche Regulierungen der Finanzmärkte sollen gelten, welche Derivate dürfen konstruiert, genutzt und verkauft werden?
  • Welche Vorschriften des Tierschutzes, z.B. zu artgerechte Tierhaltung in der Landwirtschaft, sollen verbindlich sein?
  • Welcher Mindestlohn soll in welcher Branche gezahlt werden?
  • Ist die Buchpreisbindung noch berechtigt?

Nun wird doch jeder sagen, was gehen diese Regeln den Handelspartner eigentlich an? Wir haben unsere Parlamente, in der EU, in der Bundesrepublik oder im Freistaat Bayern, und die Parlamentarier regeln das, dazu sind sie ja da.

Nun, die Verhandlungen zu TTIP laufen doch in etwa so: Die EU möchte z.B. ihre Exportquoten in die USA für Birnen und Äpfel erhöhen und muss im Gegenzug die Lizenzierung von genmanipuliertem Getreide, etwa Weizen, Soja oder Mais schneller durchführen. Ist das mal in TTIP geregelt, steht es unwiderruflich fest.

Eine Änderung dieser Regulierungen kann dann nicht mehr einseitig vom EU-Parlament, vom Bundestag oder einem Landtag beschlossen werden ohne das Einverständnis des Handelspartners, der das als ein Handelshemmnis ansehen und widersprechen wird. TTIP ist Völkerrecht, das geht vor Europa- oder Bundesrecht. Das ist ganz selbstverständlich für ein Handelsabkommen. Unsere Parlamente können dann aber diese Standards nicht mehr erhöhen. Die demokratischen Rechte unserer Parlamente werden also durch TTIP in allen ausgehandelten Punkten massiv eingeschränkt.

Die FAZ schreibt dazu in einem Artikel vom 27.1.2015:

„Europäer und Amerikaner wollen mit TTIP Neuland begehen. Sie wollen nicht nur Handelshürden abbauen, sprich: Standards angleichen oder Standards des Partners als gleichwertig akzeptieren. Sie wollen verhindern, dass überhaupt Regeln und Standards entstehen, die den Handel behindern. Kein Gesetz, kein Umweltstandard, keine Verbraucherschutzregel soll mehr erlassen werden, ohne dass der Partner vorher einen Blick darauf geworfen hat. Die Amerikaner sollen ein Mitspracherecht in der Gesetzgebung von EU, Staaten und Bundesländern bekommen.“

Und Heribert Prantl bemerkt dazu in der SZ am 24.3.2015:

„Nach allem, was man darüber lesen kann, wird dieses Freihandelsabkommen weit mehr sein als ein klassisches Freihandelsabkommen – weit mehr als ein Abkommen also, das den unbeschränkten Zugang zu den Märkten regelt, das die Handelsbeschränkungen zwischen den Staaten aufhebt, sie aber in ihrer Souveränität nicht einschränkt. Beim TTIP-Abkommen ist das anders: Es will auch auf die politischen Entscheidungen der Vertragsstaaten einwirken. Eines der Instrumente dafür soll der “Rat für regulatorische Kompensation” sein – ein Gremium, das in keiner Verfassung vorgesehen ist, das aber künftig schon im Frühstadium der Gesetzgebung gehört werden soll. Das Ziel: nicht nur die wirtschaftlichen, auch die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse in der EU und in den USA sollen einander angeglichen werden. Zu diesem Zweck soll so viel wie möglich dereguliert werden. Den genannten “Rat” kann man sich vorstellen wie einen gewaltigen Rührhaken, der die Rechts- und Gesellschaftsordnungen kneten und rühren soll. Wo bleibt dann der Primat der Politik? Wo bleibt die Demokratie?“

Es gibt viele Punkte, die bei TTIP zu kritisieren sind. Einige davon will ich kurz anreißen:

  • Die acht ILO-Kernarbeitsnormen, zu den Versammlungsfreiheit, die Bildung von Gewerkschaften und die Schaffung von Betriebsräten gehören, sind in den USA, weder von der Zentralregierung noch in den einzelnen Staaten ratifiziert und umgesetzt.
  • Der sog. Investorenschutz (ISDS = Investor-State Dispute Settlement) würde es ermöglichen, „die EU oder einzelne Mitgliedsstaaten jenseits des normalen juristischen Verfahrens vor intransparenten internationalen Schiedsgerichten direkt auf Entschädigung für entgangene Gewinne zu verklagen. Private Investoren könnten gegen die Gesetzgebung souveräner Staaten auch in den wichtigen Bereichen Gesundheit, Umwelt oder Verbraucherschutz vorgehen.“
  • „Die Quote der Sozialversicherungsabgaben in der Bundesrepublik ist 2013 auf 38,4 Prozent angestiegen. Sie wird infolge der Reformen in Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung auf Kosten der Beitragszahler sowie den willkürlichen Transfers zur Konsolidierung des Bundeshaushaltes weiter steigen. Die Gefahr ist deshalb groß, dass US Konzerne in der Bundesrepublik jegliche Klagemöglichkeit gegen die Bundesregierung suchen und nutzen werden, um den erheblich höheren Sozialversicherungsbeiträgen an den Arbeitskosten auszuweichen.“
  • „Der [Datenschutz] liegt bekanntlich in den USA weit unter europäischem Niveau. Gabriel und Co. garantieren nun (siehe oben), dass der EU-Standard gesichert sei und durch TTIP keinerlei Abstriche gemacht würden. Aber: Die EU-Datenschutzgrundverordnung ist noch nicht in Kraft; und es kann gut sein, dass vorher TTIP in Kraft tritt. Sie soll datenschutzrechtliche Verbesserungen im Bereich der Privatwirtschaft bringen. Werden Investoren dann, auf den TTIP-Investorenschutz pochend, Schadenersatz wegen erhöhter datenschutzrechtlicher Anforderungen geltend machen können?“
  • „TTIP kann verändern, welche Dienstleistungen Kommunen weiter selbst erbringen dürfen und welche sie in einem internationalen Wettbewerbsverfahren ausschreiben müssen. So hat die EU in ihrem Verhandlungsmandat für TTIP festgelegt, dass nur wenige öffentliche Dienstleistungen wie Justiz, Polizei oder der Strafvollzug von einer Liberalisierung ausgenommen werden sollen, nicht aber Bildung, Kultur, Wasser und Abwasser. Gerade die Privatisierung der Wasserversorgung könnte so durch die Hintertür erzwungen werden.“
  • „Bei der regulatorischen Kooperation geht es darum, dass noch bevor ein Gesetzesvorschlag dem Parlament vorgelegt wird, interessierte Parteien die Möglichkeit haben, ihre Änderungswünsche vorzulegen. Das gibt gerade großen Lobbygruppen unfassbare Einflussmöglichkeiten.“
  • „Die EU-Kommission hat sich auf Lobby-Druck und Betreiben der USA von ihrer bisherigen Liberalisierungsmethode verabschiedet. Sie hat im Frühjahr 2014 zugestimmt, im TTIP den sogenannten „Negativlisten-Ansatz“ bei der Liberalisierung von Dienstleistungen und Investitionen zu verfolgen. Dieser sieht vor, dass grundsätzlich alle Dienstleistungssektoren geöffnet werden müssen, während Bereiche, die weiter geschützt bleiben sollen, einzeln aufzulisten sind. Die EU dagegen wandte in ihren bisherigen Freihandelsabkommen einen dem GATS-Modell folgenden „Positivlisten-Ansatz“ an, bei dem nur jene Dienstleistungssektoren anzugeben waren, die man liberalisieren wollte. Der risikoreichere Negativlisten-Ansatz wird auch mit dem Slogan „list it or lose it“ beschrieben. Die Folge ist, dass nunmehr alle Bereiche, die die EU nicht explizit als schutzwürdig auflistet, für die Liberalisierung freigegeben werden.“
    (Die vorhergehenden Zitate sind jeweils den verlinkten Quellen entnommen.)

Zurück zu den Autos und der Zulassung beim TÜV. In den USA sind in den letzten Jahren außerordentlich viele Fahrzeuge von Rückrufaktionen aufgrund technischer Mängel betroffen gewesen. Kann das darauf zurückzuführen sein, dass die technischen Überprüfungen nicht streng genug gewesen sind? Wollen oder müssen unsere TÜVs sich dann diesem niederen Niveau anpassen?

Über TTIP wird nun schon seit Jahren verhandelt und einen Abschluss der Verhandlungen wird es voraussichtlich vor den US-Präsidentschaftswahlen im Herbst 2016 nicht geben. Danach ist Bundestagswahlkampf in Deutschland und in einer solchen Phase scheint ein Abschluss der Gespräche nicht wahrscheinlich zu sein. Beobachter glauben, dass es angesichts der vielen Kritikpunkte danach allenfalls ein „TTIP light“ geben wird, also ein TTIP, das sich auf die technischen Normierungen beschränkt. Die große Bürgerinitiative könnte dann aufatmen.

 

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3 Gedanken zu „TTIP – Was ist ein Handelshemmnis?

  1. Ludger Elmer Beitragsautor

    … heute wissen wir die Antwort … oder doch nicht … der Käfer ist ja nicht mit Diesel gelaufen …

  2. Andreas Schlutter

    Netter, berechtigter Seitenhieb auf VW.

    Mir ging es eher darum, dass beispielsweise die deutsche Automobilindustrie ja auch ohne die gemeinsamen Standards in der Lage war, Autos in die USA zu liefern. Oder dass Hersteller von Handys und PCs Netzteile benutzen, die sowohl mit den Stomspannungen von 110/120/220/230 Volt klarkommen.

    Oder man nehne die EU, sie funktioniert ja nicht deshalb schlecht, weil es in Deutschland andere Steckdosen als in Frankreich git. Und ganz andere in Italien, die sich aber wiederum von Dänemark unterscheiden. Ganz zu schweigen vom Vereinigten Königreich…

    Das Argument von den technischen Normierungen trägt meines Erachtens nicht.

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