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TTIP – Was ist ein Handelshemmnis?

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„Wo bleibt die Demokratie?“ So fragt Heribert Prantl in der SZ in seiner Rezension des Buches von Thilo Bode, Die Freihandelslüge[2].

Es ist die größte Bürgerinitiative[3] aller Zeiten, mittlerweile gehören ihr in ganz Europa über 2,3 Mio Bürger an. Aber es geht eben auch um wohl eins der größten Projekte des Kapitalismus. Von TTIP (Transatlantic Trade and Investor Partnership) werden 800 Mio Menschen in den USA und in der EU betroffen sein. Um was geht es dabei eigentlich? Ja, es geht um alles und das ist kaum übertrieben. Fast sämtliche Lebensbereiche und Politikfelder werden von TTIP tangiert:

Umweltschutz, Landwirtschaft, Arbeitsrecht, Gesundheitswesen,
Energieversorgung, Kommunale Dienstleistungen, Lebensmittelrecht, Umgang
mit Chemikalien, Verpackungen, Patent- und Datenschutz, Regulierung der
Finanzmärkte, Justizwesen, Tierschutz, Bodenschutz, Klimaschutz, Zulassung
von Medikamenten, Kultur, Bücher, Theater-Subventionen, Sparkassen und
Raiffeisenbanken, Fracking, Wasserversorgung

Eine Frage, die dabei nicht umstritten sein sollte, ist die nach den technischen Normen. Angleichung der Normierung von Blinkerfarben für die Autos oder die Konsistenz von Kabelbäumen, das muss möglich sein. Wenn unsere Kleinen und Mittleren Unternehmer auf TTIP bestehen, sollten wir ihnen das zugestehen. Und ein Auto, das in die USA exportiert wird, zweimal vom TÜV untersuchen zu lassen, macht auch wohl keinen Sinn – aber bei diesem Punkt beginnt es schon, ernst zu werden. Dazu später mehr.

Warum geht es denn dann bei TTIP? Die Antwort lautet, letztlich geht es um alle Regelungen und Regulierungen, die in unserem täglichen Leben eine Rolle spielen, z.B.

Nun wird doch jeder sagen, was gehen diese Regeln den Handelspartner eigentlich an? Wir haben unsere Parlamente, in der EU, in der Bundesrepublik oder im Freistaat Bayern, und die Parlamentarier regeln das, dazu sind sie ja da.

Nun, die Verhandlungen zu TTIP laufen doch in etwa so: Die EU möchte z.B. ihre Exportquoten in die USA für Birnen und Äpfel erhöhen und muss im Gegenzug die Lizenzierung von genmanipuliertem Getreide, etwa Weizen, Soja oder Mais schneller durchführen. Ist das mal in TTIP geregelt, steht es unwiderruflich fest.

Eine Änderung dieser Regulierungen kann dann nicht mehr einseitig vom EU-Parlament, vom Bundestag oder einem Landtag beschlossen werden ohne das Einverständnis des Handelspartners, der das als ein Handelshemmnis ansehen und widersprechen wird. TTIP ist Völkerrecht, das geht vor Europa- oder Bundesrecht. Das ist ganz selbstverständlich für ein Handelsabkommen. Unsere Parlamente können dann aber diese Standards nicht mehr erhöhen. Die demokratischen Rechte unserer Parlamente werden also durch TTIP in allen ausgehandelten Punkten massiv eingeschränkt.

Die FAZ schreibt dazu in einem Artikel vom 27.1.2015[4]:

„Europäer und Amerikaner wollen mit TTIP Neuland begehen. Sie wollen nicht nur Handelshürden abbauen, sprich: Standards angleichen oder Standards des Partners als gleichwertig akzeptieren. Sie wollen verhindern, dass überhaupt Regeln und Standards entstehen, die den Handel behindern. Kein Gesetz, kein Umweltstandard, keine Verbraucherschutzregel soll mehr erlassen werden, ohne dass der Partner vorher einen Blick darauf geworfen hat. Die Amerikaner sollen ein Mitspracherecht in der Gesetzgebung von EU, Staaten und Bundesländern bekommen.“

Und Heribert Prantl bemerkt dazu in der SZ am 24.3.2015[5]:

„Nach allem, was man darüber lesen kann, wird dieses Freihandelsabkommen weit mehr sein als ein klassisches Freihandelsabkommen – weit mehr als ein Abkommen also, das den unbeschränkten Zugang zu den Märkten regelt, das die Handelsbeschränkungen zwischen den Staaten aufhebt, sie aber in ihrer Souveränität nicht einschränkt. Beim TTIP-Abkommen ist das anders: Es will auch auf die politischen Entscheidungen der Vertragsstaaten einwirken. Eines der Instrumente dafür soll der “Rat für regulatorische Kompensation” sein – ein Gremium, das in keiner Verfassung vorgesehen ist, das aber künftig schon im Frühstadium der Gesetzgebung gehört werden soll. Das Ziel: nicht nur die wirtschaftlichen, auch die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse in der EU und in den USA sollen einander angeglichen werden. Zu diesem Zweck soll so viel wie möglich dereguliert werden. Den genannten “Rat” kann man sich vorstellen wie einen gewaltigen Rührhaken, der die Rechts- und Gesellschaftsordnungen kneten und rühren soll. Wo bleibt dann der Primat der Politik? Wo bleibt die Demokratie?“

Es gibt viele Punkte, die bei TTIP zu kritisieren sind. Einige davon will ich kurz anreißen:

Zurück zu den Autos und der Zulassung beim TÜV. In den USA sind in den letzten Jahren außerordentlich viele Fahrzeuge von Rückrufaktionen aufgrund technischer Mängel betroffen gewesen. Kann das darauf zurückzuführen sein, dass die technischen Überprüfungen nicht streng genug gewesen sind? Wollen oder müssen unsere TÜVs sich dann diesem niederen Niveau anpassen?

Über TTIP wird nun schon seit Jahren verhandelt und einen Abschluss der Verhandlungen wird es voraussichtlich vor den US-Präsidentschaftswahlen im Herbst 2016 nicht geben. Danach ist Bundestagswahlkampf in Deutschland und in einer solchen Phase scheint ein Abschluss der Gespräche nicht wahrscheinlich zu sein. Beobachter glauben, dass es angesichts der vielen Kritikpunkte danach allenfalls ein „TTIP light“ geben wird, also ein TTIP, das sich auf die technischen Normierungen beschränkt. Die große Bürgerinitiative könnte dann aufatmen.

 

Endnotes:
  1. [Image]: http://www.randomhouse.de/content/edition/covervoila_hires/Bode_TDie_Freihandelsluege_158947.jpg
  2. Die Freihandelslüge: http://www.randomhouse.de/Buch/Die-Freihandelsluege-Warum-TTIP-nur-den-Konzernen-nuetzt-und-uns-allen-schadet/Thilo-Bode/e475347.rhd
  3. Bürgerinitiative: https://stop-ttip.org/de/
  4. Artikel vom 27.1.2015: http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/ttip-und-freihandel/ttip-amerika-soll-bei-unseren-gesetzen-mitreden-13391816.html
  5. SZ am 24.3.2015: http://www.sueddeutsche.de/politik/die-freihandelsluege-mobilmachung-gegen-ttip-1.2406627
  6. acht ILO-Kernarbeitsnormen: https://de.wikipedia.org/wiki/Internationale_Arbeitsorganisation
  7. Investorenschutz: http://www.ipg-journal.de/kommentar/artikel/die-roten-linien-von-ttip-559/
  8. Sozialversicherungsabgaben: http://www.nachdenkseiten.de/?p=22297
  9. Datenschutz: http://www.sueddeutsche.de/politik/die-freihandelsluege-mobilmachung-gegen-ttip-1.2406627
  10. Dienstleistungen Kommunen: http://www.attac.de/startseite/teaser-detailansicht/news/200-kommunen-mit-ttip-kritischen-resolutionen/?no_cache=1&cHash=769d179df5ddd37af3829d82736109e4
  11. regulatorischen Kooperation: http://www.nachdenkseiten.de/?p=26363
  12. Negativlisten-Ansatz: http://www.ttip-leak.eu/de/i-marktzugang/dienstleistungshandel-und-niederlassung.html#daseinsvorsorge