Wie viele Flüchtlinge und Asylbewerber werden in diesem Jahr nach Deutschland kommen? Es werden sicherlich doppelt soviel sein wie im letzten Jahr, da waren es ca 250.000. Unterdessen erklären viele Gemeinden, dass schon bald die Grenze der Aufnahmefähigkeit erreicht sein wird.
Die gesellschaftliche Diskussion über die wirklichen Ursachen der Flüchtlingsbewegung hat aber noch gar nicht richtig begonnen. In zwei Leserbriefen an die Redaktion der SZ fand ich dazu allerdings Bemerkenswertes.
Norma Mattarei aus München erinnert an die Verantwortung der westlichen Politik. Unter dem Titel “Abgeschottete Märkte” schreibt sie:
Wieder sind Hunderte Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken. Viel Betroffenheit und Erschütterung werden geäußert. Seenotrettungsprogramme stehen ebenso im Mittelpunkt. Weniger gesprochen wird stattdessen über die Ursachen der Flucht. Diese haben nämlich viel mit der Politik der westlichen Länder zu tun. Kriege, die den Zerfall früher stabiler Staaten verursacht haben, sind von der Nato durchgeführt oder provoziert worden, so zum Beispiel in Libyen, Afghanistan und im Irak. Zudem ist der Waffenhandel ein enormes Geschäft und wandelt Kriege in gewinnträchtigen Profitmaschinen. Weiterhin zwingen die Strukturprogramme von Weltbank und Internationalem Währungsfonds afrikanische Länder zu drastischen Sparprogrammen – Entlassungen, Privatisierungen, Kürzungen -, die, statt die Armut zu bekämpfen, diese geradezu herbeiführen. Auch die Liberalisierung der Märkte führt zu paradoxen Folgen, indem zum Beispiel europäische Länder mit ihren billigen Waren Märkte in Afrika überschwemmen und die Lokalproduktion vernichten. Gleichzeitig haben Produkte aus Entwicklungsländern kaum Chancen auf den abgeschotteten EU-Märkten. Die Pharmaindustrie mit ihrer Patentregelung ist ein weiteres Beispiel, wie arme Länder daran gehindert werden, an den Fortschritten der Medizin teilzuhaben. Im Übrigen nehmen nicht unbedingt die reichsten Länder die meisten Flüchtlinge auf: 1,6 Millionen in Pakistan, 1,1 Million in Libanon, 982 000 in Iran; 824 000 in der Türkei; 737 000 in Jordanien; 588 000 in Äthiopien.
Walte Beeck aus Duisburg erinnert an die Ausbeutung der Rohstoffe durch die Industrieländer und er glaubt, dass es einer Afrikanischen Revolution bedarf.
Zweifellos steht fest, dass eine Abwanderung der afrikanischen Bevölkerung aus wirtschaftlichen und politischen Gründen erfolgt, aufgrund der Ausbeutung der Rohstoffe durch die Industrieländer. Es ist nicht damit zu rechnen, dass diese Nutznießer und Profiteure an einer Änderung der Situation interessiert sind. Milliardenprofite stehen hier auf dem Spiel. Gewaltige Mengen von Rohstoffen wie Erdöl, Uran, Gold, Phosphat, Mineralien, Seltene Erden, Platin, Diamanten usw. werden von den dortigen Despoten außer Landes gebracht. Die Eliten dieser Länder werden von den europäischen Industrieländern und ehemaligen Kolonien gegen die eigene Bevölkerung in Schutz genommen (Lieferung von Polizeiausrüstung und Polizeiausbildung). Wie kann es sein, dass Elend und Armut in einem Land wie Nigeria herrschen, das seit Jahrzehnten in Öl schwimmt? Warum müssen Generäle in Ägypten auch gleichzeitig noch Industrielle sein? Warum ist der Besitz von gutem Agrarland im Maghreb nur auf wenige Personen beschränkt? Warum sind die Fischereirechte an der afrikanischen Westküste an fremde Länder vergeben, sodass die eigenen Fischer keinen Fang mehr haben?
Wann beginnen wir, die Ungerechtigkeiten in Afrika zu beseitigen, damit die Afrikaner in Frieden mit ihren eigenen Bodenschätzen leben können? Bestimmt bedarf es einer Afrikanischen Revolution ähnlich der Französischen Revolution.
In einer Fernsehrunde, die immer am Sonntag mittag stattfindet, forderte der Chefredakteur eines Nachrichtenmagazins – den Namen will ich gar nicht nennen – , dass die in Libyen aufgebauten Schlauchbootfabriken bombardiert werden müssten. Wer so etwas sagt, der zeigt, dass er nicht verstanden hat, dass es die Gewalt, nämlich die der Kriege und die der Ausbeutung ist, die die Menschen ins Mittelmeer treibt.
Wenn wir wirklich nicht in der Lage sind, diese Ursachenforschung zu betreiben und die erforderlichen Maßnahmen daraus abzuleiten, dann werden wir feststellen, dass an der Grenze unserer Belastbarkeit, wie realistisch diese auch immer definiert sein mag, die Flüchtlingsbewegung nicht enden wird. Und dann?
Bildquelle: Vito Manzari / CC BY 2.0
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Einen ausführlichen Beitrag zum Fischfang vor den Küsten Afrikas hatten wir schon veröffentlicht:
https://nachdenken-in-muenchen.de/?p=1005
Titel: Butter bei die Fische: Oder ein paar Fakten zur EU-Fischereipolitik
Zum Thema ein Interview mit Wofgang Bittner:
http://www.neues-deutschland.de/artikel/970902.fluechtlingssterben.html
Auszug:
” Die meisten Flüchtlinge kommen aus Afrika, Libyen, dem Irak, Afghanistan und Syrien. Es ist heute für viele Länder ein Unglück, wenn sie über Öl oder sonstige Bodenschätze verfügen; sie werden derer enteignet und die Menschen fallen grenzenloser Armut ohne jede Perspektive anheim. In ihren Ländern herrschen Chaos und Krieg, wovor sie dann flüchten, denn wer will schon an einem Ort bleiben, an dem man hungern und tagtäglich um sein Leben fürchten muss.
Die USA und ihre Verbündeten müssen also aufhören, für ihre machtpolitischen und wirtschaftlichen Interessen andere Länder zu ruinieren. Es ist doch klar, dass dadurch immer mehr Flüchtlinge entstehen.
…
Den ruinierten Herkunftsländern muss geholfen werden, neue Strukturen aufzubauen. Die Mittel dafür wären da, wenn nicht wieder Unsummen in die Rüstung und in völkerrechtswidrige Kriege fließen würden.”