Das Schlachthaus Europas

Foto: Johannes Lietz

Wir können nicht sagen, wir hätten nichts gewusst. Es hat so viele Artikel und Sendungen gegeben, die über Massentierhaltung und Tierquälerei berichtet haben. Dabei tun die Bilder und das Lesen schon weh, wie in den beiden folgenden Beispielen im „Ersten“ und in der Tagesschau.
Deutschland ist mittlerweile das Schlachthaus Europas geworden, so schreibt die Oldenburger Onlinezeitung und die Massentierhaltung dient dazu, unsere Produktions- und Exportstärke abzusichern.
Die Albert-Schweizer-Stiftung beschreibt, was wir unter Massentierhaltung zu verstehen haben. Tiere werden unter unnatürlichen und gewaltsamen Bedingungen gehalten: „Hörner, Ringelschwänze, Schnäbel und z. T. auch Zähne werden ohne Betäubung gekürzt/abgetrennt.“ Merke: Wenn du ein Schwein im Garten oder auf dem Balkon hast, darfst du ihm nicht den Ringelschwanz abschneiden. Wenn du mehrere Tausend davon in einer Fabrik hältst, dann darfst du das schon!
Von artgerechter Tierhaltung kann da keine Rede mehr sein. Um das Leiden der Tiere „erträglicher“ zu gestalten, werden Massen an Antibiotika eingesetzt. Der Tierarzt und die Pharmaindustrie gehören zur Tierhaltung dazu wie das Tierfutter. Spitzenreiter ist das Land Niedersachsen, wo im Jahre 2011 allein 700 von bundesweit 1.700 Tonnen Antibiotika für Tiere geliefert wurden.
Dabei haben die Antibiotika im Puten- und Schweinfleisch eine enorme Nebenwirkung. Es ist massiv mit antibiotikaresistenten Keimen belastet. Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland führt aus:

„Wenn zu viele Tiere auf zu engem Raum gehalten werden, sind diese Stress, Hitze, und Hygieneproblemen ausgesetzt. Intensivtierhaltung („Massentierhaltung“), bei der Tiere nicht artgerecht gehalten werden, funktioniert nicht ohne Hilfsmittel. Um das System der Fleischerzeugung in industriellem Maßstab aufrechterhalten zu können, werden sehr große Mengen Antibiotika eingesetzt. Beispielsweise zeigt die Evaluierung des Einsatzes von Antibiotika in der Putenmast des nordrhein-westfälischen Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz, dass 92 Prozent der Mastputen mit Antibiotika behandelt wurden. Mehr als jeder fünfte Einsatz in NRW erfolgte mit Medikamenten aus der Gruppe der so genannten Reserveantibiotika. So genannten Reserveantibiotika werden vor allem dann benötigt, wenn herkömmliche Antibiotika nicht mehr wirken.“

Wenn wir so brutal mit den Tieren umgehen, wie ergeht es dann den Menschen, die in den Tierfabriken arbeiten?
Das „Netzwerk für Menschenwürde“ beklagt „menschenunwürdige Arbeits-, Lebens- und Wohnverhältnisse der osteuropäischen Werkvertragsarbeiter in der Fleischindustrie“. Die Stundenlöhne betragen teilweise zwischen zwei und drei Euro oder „25 Euro für einen Zwölf-Stunden-Tag“. Im August 2013 waren zwei rumänische Arbeiter bei einem Brand in ihrer Wohnung in Papenburg ums Leben gekommen.
Somit ist das Fleisch, das wir essen, oft billig und ungesund zugleich. Wer beim Discounter kauft, muss wissen, was er sich antut. Wer den Verbraucher auffordert, der Massentierhaltung ein Ende zu bereiten, verkennt, dass derartige Praktiken verboten werden müssen.
Obendrein, die Fleischindustrie leistet ihren Beitrag zu unserer Exportstärke, gestützt durch Lohndumping. Im Oktober 2013 berichtet Die Welt über die französische Fleischindustrie, die in der Krise steckt:

„Hintergrund ist eine Entlassungswelle in der französischen Fleischindustrie, die zu großen Teilen in der Bretagne sitzt. Dort geraten immer mehr Schlachtbetriebe in Bedrängnis. Sie beklagen sich darüber, dass sie ihren Beschäftigten einen Mindestlohn bezahlen müssen, während die deutsche Konkurrenz sich auf Arbeiter vor allem aus Bulgarien und Rumänien stütze, die mit Billiglöhnen abgespeist würden.
Montebourg [der ehemalige französische Industrieminister] kritisierte: “Wenn unsere Schlachthäuser eines nach dem anderen schließen, dann liegt das auch daran, dass Deutschland Beschäftigte anwirbt, die 400 Euro im Monat bekommen.”

Angesichts dieser Misere der deutschen Agrarindustrie fordern die Grünen, „die Tierfabriken zu stoppen, indem wir Stallgrößen begrenzen und den Antibiotika-Missbrauch im Stall gesetzlich unterbinden.“ Und die Forderung nach dem Veggie Day sollten sie auch wieder erheben – aber diesmal mit Nachdruck!

Bildquelle: Johannes Lietz / CC BY-NC-ND 2.0

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6 Gedanken zu „Das Schlachthaus Europas

  1. Andreas Mirgel

    Ein sehr guter Artikel wie ich finde. Es bestärkt mich darin, dass das Land Huhn Darlehen beim Herrmannsdorfer richtig war. Jetzt muss ich es nur noch schaffen wie Karl Ludwig Schweisfurth ein Auswärts Vegetarier zu werden, nach dem Buch “Der Metzger, der kein Fleisch mehr isst…” Ich gebe zu es fällt mir schwer…
    Angesichts von ca 30.000 Toten im Jahr durch multiresistente Keime fragt man sich warum nicht geändert wird:
    https://www.ndr.de/nachrichten/Deutlich-mehr-Tote-durch-resistente-Keime,keime134.html
    Man stelle sich vor es gäbe jährlich 30.000 Tote durch Terrorismus, egal ob von links rechts oder pseudoreligiös motiviert. Was dann los wäre, was das für einen Zorn, eine Energie freisetzt…
    Aber “Fleisch ist ein Stück Lebenskraft”, nur halt nicht für alle…

  2. Andreas Schlutter

    Komplexes Thema, was sowohl die Arbeitsbedingungen als auch die Produktions- sprich Lebensbedingungen der Tiere betrifft. Ein interessantes Interview zum Thema im “Prager Frühling”:

    pf: Zum Schluss die Schlüsselfrage: Was soll jemand tun, der sich ökologisch und sozial nachhaltig versorgen, gut essen will und nur mäßig viel Geld hat?

    Eher pflanzliche als tierische Lebensmittel essen, die der Saison und in der Menge dem tatsächlichen Verbrauch entsprechend ausgewählt, möglichst aus ökologischem, vielleicht aus eigenem Anbau oder über eine Einkaufsgemeinschaft bezogen, fair gehandelt, zu Fuß oder mit dem Fahrrad eingekauft werden. Und das Wichtigste dabei ist: mit Genuss essen.

    Gibt es das richtige Essen im Falschen?
    Fragen an die Ernährungsökologin Dr. Katja Schneider

  3. Andreas Schlutter

    Im November letzten Jahres in der Neuen Osnabrücker Zeitung:

    Fleischbranche spart mit Werkverträgen trotz Mindestlohn
    Seit August gibt es in der Fleischbranche einen Mindestlohn von 7,75 Euro pro Stunde. Nach eigenen Angaben halten sich die Schlachthöfe in der Region daran. Das Problem ist jedoch die Kontrolle. Ein Brancheninsider berichtet, dass der Lohn sich nur erhöht, indem die Arbeitszeit auf dem Papier reduziert wird, effektiv arbeiteten Werkvertragler aber genauso lange. Außerdem arbeiten viele bei rumänischen Subunternehmen nach dem Sozialrecht des Heimatlandes, sodass für Schlachthöfe kaum Lohnnebenkosten anfallen. (…)
    Die Deutsche Zoll- und Finanzgewerkschaft BDZ bekräftigt die Missstände. Bundesgeschäftsführer Christof Stechmann sagt: „Ich denke, dass das Werkvertragsrecht in Deutschland aus dem Ruder gelaufen ist.“ Die klare Definition eines Gewerkes und vernünftige Abgrenzungskriterien zur Leiharbeit würden helfen. Bei Überprüfungen von Werkvertragsnehmern in der Fleischbranche habe der Zoll teilweise den Eindruck gewonnen, dass es bei den osteuropäischen Subunternehmern teilweise kriminelle Strukturen gebe.

    In der Tat bedarf es – auch hier – gesetzlicher Regelungen, solch eine Macht, dies zu verändern, haben Verbraucher nicht.

    Dennoch halte ich es auch für richtig, natürlich das eigene Kauf- und Essverhalten gegebenenfalls zu verändern. Fleisch muss man nicht im Discounter kaufen, noch gibt es Metzger, mit denen man reden kann, die Wert auf Qualität und Herkunft legen. Bio-Fleisch sollte man ebenfalls nicht im Discounter oder Supermarkt kaufen, da gelten nun mal harte Bedingungen des Preiskampfes, die mit zu den üblen Haltungsbedingungen beitragen. Weniger, dafür besseres Fleisch, das wäre schon ein Schritt in die richtige Richtung.
    Aber bewusstes und verantwortliches Verbraucherverhalten ersetzt nicht die Notwendigkeit, über die politisch zu setzenden Rahmenbedingungen zu ethisch verantwortbarer Tierhaltung zu kommen. Das gibt es nicht zum Nulltarif.
    Der EDEKA in der Dachauer Straße wirbt aktuell mit Hackfleisch für 0,47 € für 100 Gramm. Das ist – in absoluten Preisen – weniger als vor 30 Jahren, als ich studiert habe. Die Inflation eingerechnet wären die damaligen 9,99 DM pro Kilo heute 9,50 €, also das Doppelte dessen, was das Fleisch aktuell kostet. Oder andersherum: durch die von Ludger treffend beschriebene Industrialisierung zu unwürdigen Bedingungen ist es gelungen, den Preis auf die Hälfte zu drücken.
    Den Preis für dieses perfide System zahlen entweder später noch wir oder spätestens unsere Kinder, wenn es keine wirksamen Antibiotika mehr gibt.

  4. gerhard dengler

    Ein – perverses – System, das sich allein an den betriebswirtschaftlichen Interessen der mächtigsten Akteure, also der Fleisch- und Agrarindustrie orientiert ohne Rücksicht auf Mensch, Umwelt und Tiere.
    Alle anderen Akteure bzw. Beteiligten haben nichts als Nachteile und das sind jede Menge:

    Die Futtermittel: dafür werden in Brasilien und Argentinien riesige Flächen abgeholzt und die Kleinbauern vertrieben damit genmanipulierter Mais und Soja als Futtermittel angebaut werden können.

    Tier-Massenproduktion unter den im Artikel genannten Bedingungen unter massivem Einsatz von Antibiotika.

    Schlachtbetriebe, die mit Billiglöhnen und mit Billig-Schlachthöfen operieren und zudem die Gülle noch in die Umwelt ableiten

    EU-Agrarsubventionen die nur große Produzenten fördern, da ein Großteil der Subventionen nach Hektar ausgezahlt wird und damit die kleinen Bauern zum Aufgeben zwingt – immerhin 60 Mrd. € jährlich fließen an EU-Subventionen

    Afrika: die einheimische Landwirtschaft und Fleischproduzenten können nicht mit den subventionierten “Rest-Fleisch” das die EU exportiert, konkurrieren und sind bereits pleite gegangen. Und der IWF und die WHO zwingen diese Staaten zu niedrigen Importzöllen.

    Der Verbraucher erkauft sich für den Vorteil von billigen Fleischpreisen den Einsatz von Antibiotika und über die EU-Subventionen eine Verschleierung des wahren Preises.

    Dazu kommen noch die Transportwege rund um den Globus

    Und alles wird gefördert durch eine “marktkonforme Politik”.

    Dazu paßt noch ein besonderes “Bonmot” das ich kaum für möglich gehalten hätte:
    Für die Aufzucht von Kampfstieren für den spanischen Stierkampf werden pro Jahr 130 Mio € an EU-Subventionen gezahlt. Eine Initiative der Gründen scheiterte, zwar nur knapp, vor wenigen Monaten an den konservativen und sozialdemokratischen Stimmen (auch CDU/CSU, SPD) die für eine Beibehaltung gestimmt hatten.

    http://www.gruene-europa.de/cducsu-und-spd-sichern-eu-subventionen-fuer-stierkampf-13016.html

    Gerhard Dengler

    1. Ludger Elmer Beitragsautor

      Anne Kunze, Redakteurin der ZEIT, erhält den Herbert-Riehl-Heyse-Preis 2015 für ihren Artikel “Die Schlachtordnung”, der am 11.12.2014 in der ZEIT erschienen ist. Darin prangert sie die Zustände in der deutschen Fleischindustrie an: “Kunze hat recherchiert,” so die SZ am 28.3.15 “wie deren Söldner angeworben und wie ihre Arbeitsbedingungen ausschauen – nämlich so, als gäbe es kein Arbeitsrecht, als gäbe es überhaupt kein Recht. Die Autorin arbeitet heraus, wie ganze Produktionsschritte an Subunternehmer ausgelagert worden sind und wie ein Milliardenmarkt mit mafiösen Strukturen entstanden ist. Es handele sich, so Kunze, um die die Rückkehr des Manchester-Kapitalismus, weitgehend unbemerkt und mitten in Niedersachsen”.
      Hier der komplette Artikel:
      http://www.zeit.de/2014/51/schlachthof-niedersachsen-fleischwirtschaft-ausbeutung-arbeiter

  5. gerhard dengler

    Unter den vielen z. T. guten Artikeln über die Massenproduktion von Lebensmitteln und die Verschwendung von Ressourcen hat die Organisation “shoutoutloud” eine gut gemachte Reportage über bislang 5 Folgen erstellt, die den ganzen Wahnsinn komprimiert darstellt.
    http://shoutoutloud.eu/

    Gerhard Dengler 13.4.2015

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