Archiv für den Monat: Mai 2015

Reiche Länder, Arme Menschen

“Es geht darum, politische Forderungen zu stellen”

Elisa Ludwig, Mitherausgeberin des Blogzines Políticas im Gespräch mit Kathrin Hartmann

Armut in reichen Ländern wird selten thematisiert und wenn doch, dann meist nur möglichst distanziert. Kaum nehmen wir wahr, dass sie ein unumgänglicher Teil unserer Wirtschaftsordnung ist und nicht pauschal als selbstverschuldet gelten kann. Immer wieder verdrängen wir die Realität der Armut und tun sie als Problem von sogenannten Faulen, von Arbeitslosen oder von „irgendwelchen Zugereisten“ ab, die sich alle miteinander angeblich selbst in ihre Misere hineingeritten hätten. Die Täter-Opfer-Umkehr wird somit perfekt, der Gegenspieler Reichtum gerät aus dem Blick, die gesamtgesellschaftlichen Konsequenzen von Armut erreichen – als solche – gar nicht erst unsere Aufmerksamkeit und das zugrunde liegende System, das diese Zustände überhaupt ermöglicht, bleibt weiterhin unbehelligt.

Die Journalistin und Autorin Kathrin Hartmann macht mit ihrem Buch „Wir müssen leider draußen bleiben“ genau darauf aufmerksam, weshalb sie im Themenmonat „Armut, Hunger & Ethik“ der Nachhaltigkeits-Reihe der Wiener Volkshochschulen zu Vortrag und Podiumsdiskussion „Essen ist Selbstbestimmung!“ geladen wurde. Im Vorfeld traf auch ich sie zu einem höchst interessanten Gespräch.

Ludwig: In Ihrem letzten Buch „Wir müssen leider draußen bleiben“ beschäftigen Sie sich unter anderem auch mit Armut. Europaweit steigen die Zahlen, sowohl was die Armutsgefährdung, die Einkommensarmut und die manifeste Armut betrifft. Was aber heißt es überhaupt, arm zu sein? Was impliziert Armut?

Hartmann: Kurz zusammengefasst bedeutet Armut die Unmöglichkeit, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Armut heißt keinen Zugang zu den Dingen zu haben, die ein gutes Leben ermöglichen. Das beginnt fundamental beim Essen, geht weiter über die medizinische Versorgung, Bildung, kulturelle Angebote und reicht zum Teil auch bis zum politischen Engagement. Es gibt einen sehr irreführenden Begriff mit dem Armut in reichen Ländern definiert wird, den der „relativen Armut“. Das klingt wie „relativ arm“, also harmlos. Im Sinne von: Im Vergleich zu Afrika geht es uns hier doch eigentlich ganz gut, wenigstens haben wir ein Dach über dem Kopf und genügend zu Essen. Aber der Begriff „relative Armut“ bezieht sich in Wahrheit nicht auf die Armut in sogenannten Entwicklungsländern, sondern stellt einen Bezug zum Durchschnitt der Gesellschaft her, in der man selbst lebt. Das Problematische ist, dass er Armut in reichen Ländern kleiner erscheinen lässt, als sie tatsächlich ist, weil er sich am Durchschnittseinkommen orientiert. Aber Armut in reichen Ländern bedeutet mehr, als zu wenig Geld zu haben, es bedeutet eben auch einen Mangel an gesellschaftlicher Teilhabe und Anerkennung. Weiterlesen

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So brutal ist die Anti-Griechen-Kampagne

„Gerade einmal 100 Tage ist die griechische Regierung jetzt im Amt, aber es ist mittlerweile schon längst sonnenklar, dass die tonangebenden Eliten in der Eurozone nicht gewillt sind, auch nur den geringsten kleinsten Kompromiss mit einer Linksregierung zu machen, die ihre bisherige Politik in Frage stellt.“

Ein sehenswertes Video von Robert Misik auf derstandard.at.

Dazu passt auch sein Blogeintrag „Varoufakis benimmt sich echt unmöglich (behaupten anonyme Quellen)…“, der sich ebenfalls mit dem Infokrieg gegen die griechische Regierung beschäftigt.

Der Punkt ist also: Alles, was Sie über angebliches fragwürdiges Verhalten von Varoufakis wissen, ist ziemlich sicher von den immer gleichen vier, fünf, vielleicht auch zehn Leuten gestreut, die immer anonym zitiert werden, was ja auch den praktischen Vorteil hat, dass nicht auffällt, dass es immer die selben Leute sind.

Es wird auch immer gestreut, die griechische Regierung und Varoufakis besonders würden keine konkreten Vorschläge auf den Tisch legen. Das ist schon richtig: Die “konkreten Vorschläge”, die Schäuble und seine Satrapen Djisselbloem, Schelling & Co. gerne auf den Tisch vorfinden würden, legt die griechische Regierung nicht vor. Würde sie Vorschläge zu weiteren Rentenkürzungen und anderen krisenverschärfenden Maßnahmen auf den Tisch legen, wären die Eurozonen-Finanzminister durchaus zufrieden. Solange sie das nicht tun, wird dann gesagt, sie hätten keine konkreten Maßnahmen auf den Tisch gelegt.

Es ist mehr als bedenklich, wie viel Macht offensichtlich Merkel und Schäuble innerhalb der EU besitzen und wie mit Regierungen von den kriselnden EU-Ländern umgegangen wird, wenn sie es wagen, sich dem Diktat von Austerität, von Kürzungen, von Abbau der Sozialleistungen, der Gewerkschaftsrechte etc. zu widersetzen.

Misiks Frage ist berechtigt. Wie soll man es nennen, wenn nicht Putsch?

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Thomas Piketty, Das Kapital im 21. Jahrhundert

Die Aussagen auf der Rückseite des Buchumschlages sprechen für sich, sollen allerdings auch werben und Aufmerksamkeit erzeugen:
„Diese Buch wird die Ökonomie verändern und mit ihr die ganze Welt“. (Paul Krugman, Nobelpreisträger)
„Es ist DAS Buch, das die Welt im Sturm erobert hat.“ (The Economist)
„Eine brillante Erzählung über Reichtum und Armut.“ (Süddeutsche Zeitung)

Aber auch die Rezensionen in den verschiedenen Medien loben in hohen Tönen. Die TAZ sagt, es sei ein „umstürzlerischer Werkzeugkasten“, den Thomas Piketty in seinem Buch „Das Kapital des 21. Jahrhundert“ empfiehlt, um die weltweite Ungleichheit von Vermögen und Einkommen, die das Ergebnis von kapitalistischer Marktwirtschaft ist, abzubauen. Weiterlesen

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Merkels Worte sind unerträglich

Dieses Wort der Bundeskanzlerin hat mich wirklich geärgert. Beim Gedenken an die 27 Millionen russische Bürger, die dem Nazikrieg zum Opfer gefallen sind, sagt sie, die russische Politik sei verbrecherisch. Wie kann man sich in der Wortwahl nur so vergreifen? Wir veröffentlichen daher den offenen Brief von Jürgen Todenhöfer.

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Kapitalismus in der Wachstumsfalle

Foto: Johannes Ortner

Erst heute bin ich auf einen interessanten Artikel von Ulrike Herrmann, Wirtschaftsredakteurin der taz, in der April-Ausgabe von Le Monde diplomatique gestoßen: „Über das Ende des Kapitalismus“. Schon mit dem Einstieg macht sie deutlich, in welchem derzeit unauflösbaren Dilemma wir feststecken.

Der Kapitalismus ist zum Untergang verdammt. Er benötigt Wachstum, aber in einer endlichen Welt kann es unendliches Wachstum nicht geben. Viele Kapitalismuskritiker frohlocken, sobald sie diese Prognose hören, doch darf man sich das Ende nicht friedlich vorstellen. Der Kapitalismus wird chaotisch und brutal zusammenbrechen – nach allem, was man bisher weiß.

Die Energieeinsparungen der letzten Jahrzehnte haben sich aufgrund des „Rebound Effect“ in der Summe nicht positiv ausgewirkt, unser Energieverbrauch ist durch mehr Konsum gestiegen. Herrmann beschreibt, warum uns all die vielen guten und sinnvollen Ansätze wie nachhaltiges Wachstum, wie Grundeinkommen, wie Gemeinwohlökonomie nicht aus der Wachstumsfalle befreien. Viele Ideen setzen beim individuellen Handeln, auf regionaler und lokaler Ebene an. Was fehlt, ist ein volkswirtschaftlich vernünftiger Ansatz. Weiterlesen

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