Heiner Flassbeck – 10 Mythen der Krise

Heiner Flassbeck, ein deutscher Wirtschaftswissenschaftler, der von 1998 bis 1999 beamteter Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen und von Januar 2003 bis Ende 2012 Chef-Volkswirt (Chief of Macroeconomics and Development) bei der UNO-Organisation für Welthandel und Entwicklung (UNCTAD) in Genf war (siehe Wikipedia), hat 2012 ein kleines Büchlein mit dem Titel „10 Mythen der Krise“ herausgegeben. Das Buch ist erschienen im Suhrkamp-Verlag.
Nachfolgend sind wichtige Aussagen und Zitate von Heiner Flassbeck aufgeführt. Der Autor dieses Artikels hat wenige eigene Gedanken hinzugefügt.

1. Der “Mainstream-Ökonom” sucht nach Ursachen für die Krise, die mit staatlichem Handeln zu tun haben, er sucht nicht nach Problemen im Markt, “weil er ja weiß, dass der Markt effizient ist.”
2. “Aus der Finanzkrise wurde die Schuldenkrise”. Staatliche Schulden waren aber “eindeutig erst im Gefolge der Krise” gestiegen.

  • … was mir dazu einfällt …

Griechenland’s Schuldenlast ist seit Ausbruch der Krise nicht wirklich gesunken, es ist nur umgeschuldet worden. Die privaten Gläubiger, nämlich Banken, Versicherungen, Hedgefonds sind entlastet worden. Die öffentlichen, vom Steuerzahler zu tragenden Institutionen, wie EZB (Europäische Zentralbank) und ESM (Europäischer Stabilitätsfonds) haben übernommen. In Deutschland haben die staatlichen Haushalte, und damit der Steuerzahler mehrere Hundert Milliarden € durch die Rettung der maroden Banken, die in sog. Bad Banks überführt wurden, übernehmen müssen.

3. An Finanzmärkten handelt man mit Dingen, die man nicht braucht für den eigenen Lebensunterhalt oder die Produktion.
4. Man kauft und verkauft Vermögenstitel. “Es werden also nicht Verbrauchs- oder Produktionsentscheidungen getroffen, sondern Vermögensentscheidungen.”
5. Kauf und Verkauf einer Aktie finden nicht statt anhand von Fundamentaldaten der Unternehmen sondern wenn man glaubt, daß die Aktie steigen wird. Man kauft deswegen, weil man erwartet, daß andere das gleiche tun: das ist Herdenbildung.

  •  … es war doch immer schon so …

Die klassischen Aufgaben einer Bank, so wie sie Sparkassen und Raiffeisenbanken ausführen, sind Verwaltung der Ersparnisse, Organisation des Zahlungsverkehrs und Gewährung von Krediten für wirtschaftliche Projekte. Investmentbanken schaffen „Produkte“ (z.B. Derivate), die keiner braucht, die aber große Risiken beinhalten. George Soros, US-amerikanischer Investor, der sicherlich weiß, wovon er spricht, sagt: „Derivate sind Massenvernichtungsmittel!“ Und wie verrückt ist es, dass die durchschnittliche Haltedauer einer Aktie an der New Yorker Börse 22 Sekunden beträgt. Der Radiosender BR5 berichtet immerhin „nur“ jede halbe Stunde über das Börsengeschehen.

6. Im Jahr 2008, das BIP war um 5% gesunken, war ein kurzer lichter Moment, es gab tatsächlich kein anderes Mittel als Keynesianismus in der Form staatlicher Anreize, die Nachfrage nach Konsumgütern zu steigern.

  •  … obwohl …

Ökologisch ist die Abwrackprämie allerdings ein falscher Schritt gewesen, weil 25% des CO2-Ausstosses eines Autos bei seiner Herstellung erzeugt werden.
Kurzarbeitergeld und die Abwrackprämie waren aber in der Krise sicherlich die richtigen keynesianischen Werkzeuge.

7. “Weltweit sind die Staatsschulden erst nach dem Ausbruch der Krise” und wegen der Rezession gestiegen. Aber dem Staat wird “wieder die Schuld in die Schuhe geschoben und der Markt reingewaschen.”
8. Weil nach dem bereits “früher etablierten Dogma des Neoliberalismus gilt, daß Steuererhöhungen für alle Zeiten verboten, Steuersenkungen jedoch jederzeit geboten sind,” erzwingt diese Politik das permanente Kürzen staatlicher Ausgaben.
9. Anstatt die Krisenursachen anzugehen, wird die Schuldenbremse – auch europaweit – über die sog. Stabilitätspolitik eingeführt.
10. Aber, wenn investiert werden soll, muß einer sparen und ein anderer sich verschulden.
11. “Wenn der Staat sich nicht verschuldet, die privaten Haushalte aber sparen, muß man eine Wirtschaftspolitik betreiben, bei der die Unternehmen gezwungen sind, sich zu verschulden und in Sachanlagen zu investieren.”
12. Steuererleichterungen für Unternehmen und Lohnzurückhaltung führen aber dazu, daß auch die Unternehmen als Gruppe sparen, also höhere Gewinne machen anstatt zu investieren.

  • … für Deutschland gilt …

Die realen Lohnsteigerungen sind in den letzten zwanzig Jahren weit hinter den Produktivitätssteigerungen zurückgeblieben. Die Lohnquote ist gesunken. Die Nachfrage hat sich dementsprechend nicht wie das gesamte Volkseinkommen entwickelt, auch weil der hohe Niedriglohnsektor (mit Leiharbeit, befristeten Verträgen, Minijobs und Werkverträgen) geschaffen wurde.

13. Deutschland erzeugt Überschüsse im Außenhandel: Wir leben unter unseren Verhältnissen, ein Teil der Reserven, die anderen zur Verfügung gestellt werden, sind endgültig verloren. Wir verteidigen aber unsere Überschüsse und zwingen die anderen, sich an ihre Verhältnisse anzupassen.
14. Einzelwirtschaftlich stimmt es: der Schuldner kann seine Position meist revidieren, ohne den Markt oder den Einflussbereich des Gläubigers zu berühren. Gesamtwirtschaftlich ist das praktisch nicht möglich.

  •  … die Geschichte …

von der Schwäbischen Hausfrau sagt, daß der private Haushalt sehr wohl eine zeitlich befristete Einkommensminderung überwinden kann. Wenn aber eine große Gruppe von Bürgern, etwa Rentner, Studenten, Arbeitslose oder Beamte auf Dauer Einkommenskürzungen hinnehmen müssen, führt dies über Konsumeinschränkungen, nachfolgende Steuermindereinnahmen und weiteren staatlichen Einsparungen zu einer andauernden Spirale nach unten, zu Wachstums- und Wohlstandsverlusten.

15. “Eine Währungsunion ist auch eine Inflationsgemeinschaft.” Die Entwicklung der Löhne ins Verhältnis gesetzt zur Entwicklung der jeweiligen nationalen Arbeitsproduktivität (die sog. Lohnstückkosten) erklärt die Inflation: “Es gibt eine eindeutige Kausalität von den Löhnen zu den Preisen.”
16. Deutschland unterlief das gemeinsam festgesetzte Inflationsziel, um durch Lohnsenkungen seine Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. Die Produktivität ist in Deutschland von 1999 bis 2011 jährlich um 1,2% gestiegen, die Reallöhne (inflationsbereinigte Nominallöhne pro Stunde) um 0,7% jährlich. In Frankreich stiegen im gleichen Zeitraum die Reallöhne mit 0,8% etwas stärker als die heimische Produktivität. “Damit hat sich die Wettbewerbsfähigkeit von Frankreich gegenüber Deutschland erheblich verschlechtert.”
17. In Deutschland produzierte Waren und Dienstleistungen sind um 25% (gegenüber Südeuropa) und 20% (gegenüber Frankreich) billiger geworden. Ein Nachziehen dieser Länder führte sie in die Rezession.
18. “Die Neoliberalen sagen, der Staat tue etwas grundsätzlich Unanständiges, wenn er Schulden macht.”
19. Aber den Schulden entsprechen immer Vermögen bzw. Infrastruktur in der gleichen Größenordnung. Zu jeder Schuldenuhr gehört im gleichen Maßstab eine Vermögensuhr. Das heißt: Die Forderungen an den Staat wachsen in gleichem Maße wie seine Schulden.
20. Vererbt werden also nicht nur die Schulden des Staates, sondern auch die diesen Schulden gegenüberstehenden Forderungen der Kreditgeber sowie die Infrastruktur, also die Straßen und die Brücken, das Gesundheits- und das Bildungssystem, das Rechtssystem, die Innere Sicherheit, die Wasserversorgung.
21. “Es gibt einen Zusammenhang zwischen Konjunktur und Einkommenserwartungen.” In den USA, in Europa und in Japan stockt die Konjunktur, weil der private Konsum stockt. “Große Wirtschaftsräume haben nur diesen Motor”, anders ist es in Deutschland, das 40% seines BIP’s exportiert.
22. Der Konsum stockt, weil die Löhne nicht steigen! Die Löhne steigen nicht, weil die Arbeitslosigkeit hoch ist.

  • … da fällt mir ein …

Norbert Blüm hat einmal gesagt, das deutsche Nachkriegswirtschaftswunder sei in Wirklichkeit ein Lohnwunder gewesen.
Wir müssen also den Gürtel nicht enger schnallen! Wir leben also nicht übersondern eher unter unseren Verhältnissen, weil wir eine hohe Sparquote und eine hohe Exportquote haben. (Was den Verbrauch von natürlichen Ressourcen, also Rohstoffen aus dem Wasser, aus dem Boden, aus dem Wald angeht, da leben wir über unseren natürlichen Verhältnissen.)

23. “Weltweit ist die Arbeitslosigkeit gestiegen, obwohl die Löhne nicht gestiegen sind. Die Arbeitslosigkeit sinkt nicht, obwohl die Löhne sinken.”
24. Wachstum kann es so nur über staatliche Ankurbelungsprogramme geben, aber die „Märkte“ und die Politik fürchten neue staatliche Schulden, also werden wir Stagnation und Deflation wie in Japan haben.
25. Unternehmen verschulden sich heute nicht, investieren zu wenig. “Sie wissen nicht mehr wohin mit dem Geld, sie investieren nicht in Sachanlagen, sondern in den Kapitalmarkt.”
26. “Die neoliberale These, Unternehmen müssten erst über einen längeren Zeitraum Gewinne machen, bevor sie zu einer verstärkten Investitionstätigkeit bereit sind, ist völlig haltlos.” Sachinvestitionen werden nur durch eine gute aktuelle Auslastung und positive Absatzaussichten ausgelöst.

  • … Also gilt folgendes …

Die Löhne müssen in Deutschland kräftig steigen, damit die Unternehmen im deutschen Binnenmarkt wieder Mut zum Investieren haben.
Gefordert ist also die Wiedereinführung einer produktivitätsorientierten Lohnpolitik, in der die Löhne wie die Produktivität plus Inflationsrate steigen!
Und der Student der Volkswirtschaftslehre lernt im ersten Semester, daß die Unternehmen investieren, wenn die Nachfrage steigt.

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