Solidarische Demokratie statt neoliberalem Feudalismus der Superreichen

Foto: iwishmynamewasmarsha

Gestern hat eine Meldung Aufregung gesorgt. Der ehemalige VW-Vorstandschef  Martin Winterkorn bekommt eine Rente in Höhe von fast 3100 Euro pro Tag, also von rund 1,2 Millionen Euro im Jahr. Der Wirtschaftsjournalist Stefan Sauer bezeichnet in der Frankfurter Rundschau „die Zahlungen aber nachgerade obszön.“ In Winterkorns Zeit bei VW fällt der Diesel-Skandal, er ist „also zumindest mittelbar für Strafzahlungen in Milliardenhöhe und den resultierenden Abbau zigtausender Arbeitsplätze verantwortlich“.

Ist die Höhe der Zahlungen wirklich so verwunderlich? Die Familien Porsche und Piëch haben trotz Krise bei VW schließlich 2016 mehr als 150 Millionen Euro Dividende bekommen.

Still war es dagegen am Heiligabend. Die Rente ist mittlerweile für mehr als die Hälfte der Beschäftigten nicht mehr sicher, berichtete die Saarbrücker Zeitung. Manchen von uns wird es beim Gang in den Gottesdienst und der anschließenden Bescherung glatt entgangen sein:

„Mehr als die Hälfte der Beschäftigten in Deutschland kann im Alter nur mit einer gesetzlichen Rente auf Grundsicherungsniveau rechnen. Das geht aus Zahlen der Bundesregierung und des Statistischen Bundesamtes in Wiesbaden hervor, die unserer Redaktion vorliegen.

Den Angaben zufolge ist aktuell ein monatliches Bruttogehalt von 2330 Euro notwendig, um im Laufe eines durchschnittlich langen Arbeitslebens (gegenwärtig 38 Jahre) eine Rente in Höhe der staatlichen Grundsicherung im Alter zu erzielen.

Von den gut 37 Millionen Beschäftigungsverhältnissen, die in der aktuellen Verdienststrukturerhebung des Statistischen Bundesamtes für das Jahr 2014 erfasst wurden, verdienten jedoch rund 19,5 Millionen Beschäftigte weniger als 2330 Euro im Monat. Damit bekämen 52 Prozent der Beschäftigten im Alter eine Rente von weniger als 795 Euro. Das ist der aktuelle bundesdurchschnittliche Grundsicherungsbedarf im Alter.“

Eigentlich müsste ein Aufschrei durch die Gesellschaft gehen, aber bis heute bleibt es ruhig. Stattdessen gibt es Widerstand der üblichen Verdächtigen gegen die äußerst bescheidenen Pläne der Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles, das Absenken des Rentenniveaus auf 46% statt auf 43% zu begrenzen. Der BDA schimpft, das sei eine Mehrbelastung für die Beitrags- und Steuerzahler in Höhe von 90 Milliarden Euro.

Friedrich Merz war nicht nur Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und hat nicht nur für die Bierdeckel-Steuerreform geworben. Seit März 2016 arbeitet er für Blackrock, dem weltgrößten Vermögensverwalter. „Das bedeutet Macht und Einfluss; immerhin verwaltet Blackrock für seine Kunden Anteile an allen DAX-Unternehmen.“ Blackrock verwaltet fünf Billionen Dollar, „eine fünf mit 15 Nullen – das deutsche Bruttoinlandsprodukt betrug im Jahr 2015 etwas mehr als drei Billionen Euro.“ Eine unvorstellbar hohe Summe, eine unvorstellbare wirtschaftliche Macht, die Blackrock im Sinne der Kunden einsetzen kann. Und nicht genug, eine Tochterfirma hat den Bankenstresstest der EZB im vergangenen Frühjahr verantwortet. Alles  nachzulesen auf Seite 16 im Wirtschaftsteil der Süddeutschen Zeitung vom 04.01.2017.

Und der Mindestlohn ist zum 1. Januar 2017 um 34 Cent auf 8,84 Euro gestiegen. Das ist so wenig, dass ein Single selbst mit einer 50-Stunden-Woche (!) in München so arm ist, dass er beim Jobcenter aufstocken kann.

Meldungen, die gegensätzlicher nicht sein können. Wer jetzt noch glaubt, wir leben in einer „Sozialen Marktwirtschaft“, weiß die Zeichen der Zeit nicht richtig zu deuten. Der Journalist Harald Schumann spricht bei den Quandts, Haniels, Henkels und anderen Eigentümern von deutschen Großkonzernen von Oligarchenfamilien, der Sozialethiker Prof. Dr. Franz Segbers von einer Re-Feudalisierung unseres Landes. Willkommen im Neoliberalismus. Unter dem Deckmantel der „Freiheit“ für die Wirtschaft, die Märkte von staatlicher „Überregulation“ findet eine dramatische Zerstörung der Gesellschaft und des sozialen Zusammenhalts statt. In Deutschland – und erst recht in Europa. Formal funktionieren die demokratischen Institutionen noch, aber in den Zeiten der „Post-Demokratie“ spielen die Interessen der Menschen nur noch eine nachrangige Rolle. In einer Keynote beim Kongress Macht.Geld.Politik am 01.10.2016 in Bielefeld hat es Harald Schumann so formuliert:

„Meine Hypothese lautet, aber ich lasse mich da gerne eines Besseren belehren: Die gesamte politische Klasse in Europa einschließlich jener bei Grünen und sogar eines Teils der Linken hat im Grunde kapituliert. Sie wissen, dass es die Konzerne, Banken und Superreichen sind, die mit ihren Investitionen über das Wohl und Wehe ihrer Staaten, Bundesländer und Kommunen entscheiden. Sie haben erfahren, dass es eben die Vermögenden und deren Sachwalter an den Schaltstellen der großen Unternehmen sind, die ganz wesentlich die öffentliche Meinung beeinflussen können. Denn sie verfügen nicht nur über die Investitionen, sie verfügen auch über die Mittel sich dafür das richtige gesellschaftliche Klima zu schaffen.“

Was also ist zu tun – nicht nur im Hinblick auf die Bundestagswahlen 2017? Wir müssen die vermeintliche Zwangsläufigkeit des Neoliberalismus in Frage stellen und den Konflikt mit dem Kapital suchen. Die „marktkonforme Demokratie“ ist eben keine Antwort, erst durch die Umkehr wird ein Schuh daraus. Die Verteilungsfrage muss in den Mittelpunkt der Auseinandersetzung gestellt werden. Dazu müssen wir uns – gerade im Hinblick auf das Erstarken der AfD – die Ausgangslage vor Augen führen:

„Schon bevor die Flüchtlinge ins Land kamen, gab es keine günstigen Wohnungen. Man hat den sozialen Wohnungsbau von 6 Millionen auf 1,6 Millionen geschrumpft. Schon vor den Flüchtlingen gab es einen ausufernden Niedriglohnsektor. Sie haben nichts getan: Unter dem Diktat der Schuldenbremse unterblieben dringend notwendige Investitionen in die soziale und materielle Infrastruktur für alle, ob Geflüchtete oder nicht.

Die Kanzlerin hat im vergangenen September eine humanitäre Geste gewagt. Das war auch gut so. Es genügt nicht zu sagen „Wir schaffen das“. Wir brauchen einen Aufbruch zu Solidarität und Gerechtigkeit.

Der arme Teil der deutschen Gesellschaft darf nicht gegen die Arme, die als Flüchtlinge zu uns kommen, ausgespielt werden. Es darf keine Konkurrenz geben zwischen Flüchtenden und den Niedriglöhnern in unserem Land um dieselben schlecht bezahlten, prekären Jobs, nicht um dieselben schlechten Wohnungen. Wenn wir das nicht wollen, dann müssen wir die Gerechtigkeitsfrage stellen.

Mit den Flüchtenden und mit den arm Gemachten in unserem Land müssen wir gemeinsam die Gerechtigkeitsfrage auf die Tagesordnung setzen.

Die Flüchtenden sind Botschafter weltweiten Unrechts.“

So hat es Franz Segbers in seiner Rede zum 1. Mai 2016 formuliert. Für den Neoliberalismus ist Solidarität und Zusammenhalt eine Gefahr. Er lebt davon, dass Gesellschaften zerfallen und das Individuum überhöht wird, und davon, dass „die Märkte“ als interessenlose Sachwalter der Vernunft zum Maß aller Dinge erhoben werden. „Die Märkte“ als neuer Gott, dem wir zu dienen haben, weil dies alternativlos ist, wenn es um unser Wohlergehen geht. Trotz der massiven Bankenkrise seit nunmehr zehn Jahren verfügt die neoliberale Ideologie nach wie vor über die Deutungshoheit, und das gerade in Deutschland, wo die herrschenden Politiker sich mit einer penetranten Überheblichkeit als diejenigen verstehen, die alles richtig gemacht haben. Was natürlich völliger Unsinn ist, wenn wir uns die Unterfinanzierung der Kommunen, des Bildungssystems, den Niedriglohnsektor usw. näher ansehen. Der Zuspruch zur AfD zeigt ja auch, dass die Menschen dies nicht mehr glauben. Was fehlt, ist eine linke, solidarische Alternative, die verständlich und durchsetzungsstark vertreten wird.

Es muss darum gehen, individuelle Freiheit und gesellschaftliche Solidarität in Einklang zu bringen und über die Interessen des Kapitals zu stellen. Die Wirtschaft hat uns zu dienen, nicht wir der Wirtschaft. Und – entgegen allen Geschreis der Lobbyisten der Großkonzerne – natürlich ist es finanzierbar in einem der reichsten Länder der Welt. Franz Segbers hat es so zusammengefasst:

„Das Geld muss dort genommen werden, wo es ungerechterweise in den letzten Jahren mit Unterstützung der herrschenden Politik aufgestapelt wurde: bei den Reichen und Superreichen. Es geht um das superreiche eine Prozent der exklusiv Reichen in unserer Gesellschaft. Er muss sich wieder gesellschaftlich nützlich machen.

Deshalb ist Mut gefordert. Denn Vermögen ist mit Macht ausgestattet.

Hätte die Politik den Mut, dann stünde Geld zur Verfügung für eine bessere Bildung, Kinderbetreuung und Pflege alter Menschen, eine würdige Rente, für die Abschaffung von Armut und die Beschäftigung im öffentlichen Dienst, bezahlbaren Wohnraum, eine Mindestrente von 1.050 Euro und Hartz-IV-Regelsätze, die vor Armut schützen. Würde man nur den Zuwachs an Vermögen, das die Millionäre Jahr für Jahr erzielen, dem Staat zuführen, dann wäre der Bund bereits nach sechs Jahren und zweieinhalb Monaten schuldenfrei!“

Wir müssen dabei europäisch denken und handeln, so wie bei den Protesten gegen TTIP und Ceta oder bei der Europäischen Bürgerinitiative gegen die Privatisierung der Trinkwasserversorgung. Wir brauchen Instrumente wie eine Arbeitslosenversicherung auf europäischer Ebene, wir brauchen einen demokratischen Umbau der EU hin zu einer „Europäischen Republik“ (Ulrike Guérot).

Nochmals Harald Schumann:

„Wenn die Verteidigung der Demokratie gelingen soll, dann müssen die vielen Organisationen und Gruppen, die dafür streiten, viel enger zusammen arbeiten als bisher, und zwar europaweit. Das Kapital, um mal diesen altmodischen Ausdruck zu gebrauchen, ist auf Europa-Ebene perfekt organisiert und verfügt über unbeschränkte Mittel. Das wird den Verteidigern der Demokratie niemals gelingen, aber dafür können sie ihre Gegner in der Öffentlichkeit, auf der Straße, im Netz und in den Medien bloßstellen – vorausgesetzt sie ziehen an einem Strang.“

Das Ziehen an einem Strang: im Moment stehen die Aussichten auf der parlamentarisch-politischen Ebene schlecht. Ein Regierungswechsel hin zu Rot-Rot-Grün kann nur gelingen, wenn SPD und Grüne ihren Frieden mit dem Neoliberalismus, den sie 1999 unter Schröder geschlossen haben, aufkündigen und die Einführung des Niedriglohnsektors sowie der Hartz-IV-Gesetzgebung als historischen Fehler anerkennen. Das wird schwierig bis zum kommenden Herbst. Aber wenn sich die beiden Parteien nicht bewegen, tragen Gabriel, Oppermann, Özdemir, Göring-Eckardt und Co. zum Abbruch der Demokratie bei statt sie zu verteidigen.

Bildquelle: iwishmynamewasmarsha|CC BY-NC 2.0

Beitrag versenden

Drucken

This page as PDF

13 Gedanken zu „Solidarische Demokratie statt neoliberalem Feudalismus der Superreichen

  1. blog1

    Grundsätzliche Zustimmung zu dem Blog.
    Ich möchte aber etwas Öl ins Feuer gießen und zwar mit folgenden Anmerkungen:
    1. Die Rentenzahlungen an Martin Winterkorn basieren auf einer vertraglichen Grundlage, die zwischen dem Aufsichtsrat und dem jeweiligen Vorstand vereinbart wurden. Im Aufsichtsrat sitzt m.W. auch das Land Niedersachsen, das mit einem Aktienanteil von 20% sogar über eine Sperrminorität verfügt. Für das Land Niedersachsen sitzt Herr Weil von der SPD im Ausichtrat von VW, also hat er diese Vereinbarung mitgetragen.
    2. Derartige Pensionsansprüche für Vorstandsmitglieder aber auch für die nächste Führungsriege, den Bereichsleitern, sind Gang und Gebe bei Dax Unternehmen. Als Grund für derartige hohe Zahlungen wird allzu gerne der internationale Vergleich angeführt. Ein System züchtet sich also selbst, in dem es den internationalen Vergleich als Rechtfertigungsgrund für abstruse Abfindungs- und Rentenzahlungen anführt. Jüngstes Beispiel ist die 180 Millionen Abfindung an den künftigen Außenminister der USA Rex Tillerson, der bislang seine Brötchen bei Exxon Mobil verdient hat. Rex Tillerson kommt damit möglichen Vorwürfen zuvor, denen sich Vizepräsident Dick Cheney ausgesetzt sah, der während seiner Amtszeit von der Ölfirma Halliburton Zahlungen in Millionenhöhe erhielt. Unverblümter kann Korruption in höchsten Staatsämtern nicht praktiziert werden. Wir brauchen also nur über den Teich zu schauen, um zu ahnen, was uns noch bevorsteht.
    3. Zu den Regularien einer Dividendenzahlung: Der Vorstand schlägt die Höhe der Dividende vor, die von der Hauptversammlung genehmigt werden muss. In der Hauptversammlung von VW sitzen die Aktionäre und die bestehen zu mehr als 50% aus dem Porsche/Piech-Clan, der auch einen Großteil der Mitglieder im Aufsichtsrat stellt, ergo hat sich der Porsche/Piech-Clan seine Dividende selbst genehmigt.
    In der Tat fehlt eine linke Alternative, weil von Ausnahmen einmal abgesehen, es an Personen mangelt, die diese Alternative nach außen repräsentieren. Deshalb läuft ein gewisser Teil zu der AfD über, weil für sie die Linke zum politischen Establishment gehört und damit nicht als Teil der Lösung, sondern als Teil des Problems angesehen wird.
    Ich befürchte, dass der Peak für ein Zurückdrängen der Rechtspopolisten in Europa und teilweise auch weltweit längst überschritten ist. Deshalb sind Forderungen nach einer „Europäischen Republik“ eher kontraproduktiv, weil sie dem normalen Wahlbürger nicht vermittelbar sind. Stattdessen sollte man sich auf eine spürbare Besserstellung von den Benachteiligten in der Gesellschaft konzentrieren, die laut diesem Artikel bei einem Bruttoverdienst von 2.330 € gerade mal einen Rentenanspruch von knapp 800 € erwerben und zum zweiten sollte das Augenmerk auf Kapitalsammelstellen wie Blackrock gerichtet werden, die sich derzeit jeglicher Kontrolle entziehen. Da zieht ein Monster-Fonds mit einem Kapitalvolumen von 5 Billionen USD über die Lande und kauft alles auf, was nicht niet- und nagelfest ist und erzielt traumhafte Renditen für seine Anleger, denn dafür ist er da. Wenn man Bundeskanzlerin Merkel nach Blackrock befragen würde, würde sie wahrscheinlich antworten „Also ich bin der Fels in der Brandung und wenn dieser auch noch schwarz ist, habe ich nichts dagegen“

    1. blog1

      Fast hätte ich es vergessen:

      Martin Winterkorn wird dafür bezahlt, dass er den Mund hält. Anderenfalls wird es für VW noch teurer.
      Rex Tillerson wird dafür bezahlt, was er in Zukunft tun wird. Obama hat nämlich für Alaska ein Verbot der Ausbeutung von Bodenschätzen erlassen. Nachdem die rapide fortschreitende Eisschmelze immer mehr Rohstoffvorkommen freigibt, muss man kein großer Prophet sein, wenn dann Exxon Mobil – nach erfolgter Rückgängigmachung des Obama-Dekrets – die Bohrrechte zugesprochen bekommt. Dagegen sind die 180 Mio. USD geradezu Peanuts im Vergleich zu den milliardenschweren Einnahmen aus der Ölförderung.

  2. Andreas Schlutter

    Das mit Martin Winterkorn empört mich gar nicht – anders als die Kommentatoren und die “sozialen Netzwerke”. It’s capitalism, isn’t it?

    Ein linker Gegenentwurf kann meines Erachtens nur ein europäischer sein, er muss letztlich auch die weltweiten ökonomischen Verwerfungen und ökologischen Verwüstungen mitbedenken. Das sind vielleicht nicht die Themen, die man in der innerdeutschen Debatte nach vorne stellen muss. Hier geht es vorrangig um Verteilungsfragen, um die Wiederherstellung vom Recht auf ein würdiges Leben und sozialer Teilhabe. Aber Deutschland ist eingebunden in eine EU und fährt diese mit ihere Austeritätspolitik vor die Wand.
    Der britische Deutschlandexperte Hans Kundnani sagt in einem Interview in der taz:

    “Eine meiner Frustrationen mit der Debatte über Europa in Deutschland ist dieses lineare Denken: Entweder ist man für mehr Europa oder weniger. Ich sehe in Deutschland aber vor allem einen „Pro German Europeanism“. Das heißt: Man ist proeuropäisch, will aber ein deutsches Europa. Man ist zu weiteren Integrationsschritten bereit, aber nur nach deutschem Vorbild. Bestes Beispiel ist die Schuldenbremse. Die hat in Deutschland Steinbrück 2009 eingeführt, also schon vor Anfang der Euro-Krise, und wurde dann den anderen europäischen Länder aufoktroyiert.”

    Kundnani bezeichnet Deutschland als Halb-Hegemon, der mit seiner wirtschaftlichen Macht die EU destabilisiert. Deshalb müssen wir hier als Linke eine andere Antwort finden.
    Darüber hinaus sind die Möglichkeiten der Besserstellung der Benachteiligten in der Gesellschaft begrenzt, solange die europäischen Natinalstaaten einzeln versuchen sich dem internationalen Kapital entgegenzustellen. Ich bin überzeugt davon, dass wir hier (ein anderes) Europa brauchen.

    1. Andreas Schlutter Beitragsautor

      Kurz ergänzt: natürlich könnten wir (theoretisch) durchsetzen Erbschaften, Kapitalerträge und Vermögen höher zu besteuern. Und Gewerkschaften könnten in einem anderen politischen Klima höhere Löhne und zugleich eine moderate Arbeitszeitverkürzung durchsetzen. Aber dafür stehen derzeit zumindest weder SPD noch Grüne zur Verfügung. Ich zitiere noch einmal aus der Rede von Harald Schumann, mit der er ja den Grünen ist Gewissen geredet hat:

      “Bei einem bin ich mir aber ganz sicher: Wenn die verbliebenen demokratischen Parteien, sozialen Bewegungen und zivilgesellschaftlichen Kräfte in Europa so weitermachen wie bisher, werden sie scheitern. Dann ist es nur eine Frage Zeit, bis auch in einem der Kernländer Europas Figuren wie Marine Le Pen an die Macht kommen, die der Unmenschlichkeit den Weg bahnen und sich dann vermutlich, genauso wie einst die Nazis, mit den Wirtschaftsmächtigen arrangieren werden, um autoritäre Regime zu errichten.
      Wenn wir diesen drohenden Rückfall in Nationalismus und Rassismus wirklich verhindern wollen, dann müssen also auch wir uns verändern. Und das heißt zuallererst: Wir müssen uns viel besser und vor allem europäisch organisieren.”

      Schumann plädiert übrigens dafür, sich parteipolitisch zu engagieren, wenn wir wirklich etwas ändern wollen. Mir wäre es ja schon Recht, wenn sich mehr Menschen bei Attac, in den Gewerkschaften und anderen Organisationen politisch engagieren.

  3. Stefan Frischauf

    Lieber Andreas Schlutter,
    Du sprichst im Prinzip die richtigen Themen an. Der erste Kommentar von “blog 1” hier liefert auch durchaus richtige Ergänzungen. Auch Ludger Ellmers Artikel hier – zuletzt der zu “Auch Lesbische, Schwarze Behinderte können ätzend sein” – klasse.
    Und – der mehrmals von Dir zitierte Harald Schumann – klar – der ist schon lange ein eifriger “Mahner in der Wüste”. Mit zweifelhaftem Erfolg. Wie wir alle.
    Habe hier im Sommer letzten Jahres “einen Testballon steigen lassen” – habe mich um ein SPD-Bundestagsmandat für den Wahlkreis im Düsseldorfer Norden beworben. Die Tour mit (etablierten, aber außenpolitisch recht “unbeleckten”, zumal jungen, beruflich unerfahrenen, aber parteipolitisch lokal gut vernetzten) Mitbewerbern durch die Ortsvereine – das war spannend. Aber – es zeigte mir auch, wo wir stehen. Le Pen und Fillon und Merkel und Frauke Petry ante portas – und – der Wähler wird sie hereinwinken. Als “Zivilgesellschaften” müssen wir uns auf vielen Ebenen (neu) formieren. Die “Etablierten” sind jedoch zumeist damit im “Tagesgeschäft” völlig überfordert – (wert-)neutral gesagt. Sprich – viele Deiner / Eurer Anregungen und Punkte sind stimmig. Aber – wir werden die Dinge selbst in die Hand nehmen müssen. Das wird hart – aber – war es jemals in Zeiten wie diesen anders?
    Abgesehen davon – in den US wird dies auch merklich weitergehen nach Trumps Einzug ins Weiße Haus. Und – auch dort sind bessere Vernetzungen erforderlich – mit Partnern dort.
    Eines war einmal mehr frappierend in den Ortsvereinen und – das treibt mich schon lange um – die Ahnungslosigkeit und Überforderung mit anderen Kulturen – auch europäischen Kulturen – und den damit verbundenen Lebensentwürfen – dem Leben an sich an anderen Orten in Europa.
    Trotz allem – bin optimistisch für 2017. Die nächsten Jahre werden hart – aber – die Konflikte sind endlich deutlicher ablesbar – für immer mehr Menschen – nicht nur in D!
    Insofern steigt auch die Erfordernis für solidarische Bemühungen. Deutschland-, Europa- und Weltweit.
    Wir werden’s erleben.
    Herzliche Grüße vom Niederrhein nach München!
    Stefan Frischauf

    1. Ludger Elmer

      Hallo Stefan!
      Danke für die Blumen! Wir freuen uns doch über jeden Leser und Kommentator!
      Ging dein Name nicht mal’ durch die Medien mit einem Abschiedsbrief an die SPD?

      1. Ludger Elmer

        Hallo Andreas,
        was du sozialpolitisch feststellst und forderst, damit stimme ich voll überein. Aber Sozialpolitik ist eben nicht das einzige Thema, das bei der BTW 2017 zur Abstimmung steht. Nur aus dieser einseitigen Sicht kann man einfach fordern, nur SPD und Grüne müssten sich bewegen, wenn R2G eine Chance haben soll.
        Schumann’s Beitrag in den Blättern wirkt doch gerade wie eine Aufforderung an die LINKE (Partei), es aufzunehmen mit dem Kampf für Steuerhöhungen, gegen den Lobbyismus anzutreten und damit auch das Risiko eines Scheiterns einzugehen.

        Von der SPD zu erwarten, dass sie historische Schuld auf sich lädt, das wird auch nicht aufgehen – obwohl ich in allen Diskussionen innerhalb der SPD sage, dass man zugeben müsse, mit der Agend2010 Fehler gemacht zu haben. Es wird dann weiterhin um Korrekturen an der Agenda gehen, mehr wird das Selbstbewusstsein der SPD nicht hergeben.
        Der Mindestlohn wird von einer Kommission festgelegt – was im Prinzip ja im Sinne der Tarifpartnerschaft richtig ist, eine neue Regierung könnte hier immerhin die Besetzung neu regeln.
        Ein wichtiges Thema für R2G wäre doch die Fragen der Konzernbesteuerung und der Steueroasen. Allein dies würde schon R2G rechtfertigen, und jede zustande gekommene R2G – Koalition ist doch weitaus besser als eine Koalition mit den C-Parteien.
        Gespannt bin ich auf die Wahlplattformen. Was wird eigentlich in der Programmatik der LINKEN stehen bzgl. der Flüchtlingsfrage? Wer wagt es, zu sagen, dass wir im Mittelmeer total versagt haben? Welche Konsequenzen werden daraus gezogen?
        Anbei ein Auszug aus der SZ von gestern:
        http://www.sueddeutsche.de/politik/linke-zu-viele-versprechen-1.3321545
        “Auch zur Frage der Migration muss die Linke eine Haltung finden. Die eine Hälfte glaubt an Internationalismus und an eine Politik der offenen Grenzen, die andere Hälfte beißt die Zähne zusammen und akzeptiert, dass die Mehrheit der Wähler strengere Kontrollen und Regulierungen von Migrationsbewegungen möchte. “

    2. Andreas Schlutter

      Lieber Stefan,

      ich weiß auch nicht, ob der Vorschlag von Harald Schumann in die Parteien zu gehen und quasi von innen die Veränderung zu betreiben erfolgversprechend – oder ob Ansätze wie SYRIZA und Podemos die besseren sind. Zumal sich dann die Frage stellt, wo wir in Deutschland bei der zerspliterten Landschaft zwischen Bürgerbewegungen und linken Kräften anfangen sollen. Auf jeden Fall braucht es aber ein breites Zusammenwirken, was nur gelingt, wenn wir beim Aushalten von anderen Positionen gerade im linken Lager besser werden.
      Darüber hinaus denke ich, zum Beispiel gerade das konkrete Erleben, dass Flüchtlinge mit nichts außer der Kleidung am Leib zu uns gekommen sind, hat viel an Solidarität in unserer Gesellschaft wachsen lassen. Es ist schon beindruckend, wie Menschen, die selber auf der Verliererseite in unserer Gesellschaft leben, anpacken um zu helfen.
      Recht gebe ich dir auf jeden Fall, dass auch die Entscheidungsträger auf den unterschiedlichsten Ebenen der Parteien überfordert sind. Schließlich leben wir in Zeiten multipler Krisen, ohne dass sich bisher ein Ausweg abzeichnet, der gangbar erscheint und zugleich politische Mehrheiten halbwegs sicherstellt.
      Gruß zurück an den Niederrhein

  4. Andreas Schlutter

    Ludger, Harald Schumann hat die Rede gehalten auf dem Kongress Macht.Geld.Politik von Bündnis 90 / Die Grünen am 01.10.2016 in Bielefeld, den der Europaabgeordnete Sven Giegold mitorganisiert hat.
    Insofern hat Schumann hier ganz direkt die Grünen angesprochen wie übrigens auch schon im März 2011 mit seiner damaligen bemerkenswerten, einige Entwicklungen bis heute vorwegnehmenden Rede “Wirtschaftliche Macht und Demokratie

    Recht gebe ich dir, dass DIE LINKE ihr Verhältnis in der Flüchtlingsfrage wird klären müssen. Sahra Wagenknecht bezieht ja regelmäßig Prügel aus den eigenen Reihen, wenn sie hier Position bezieht. Wobei sie ganz klar auch die Gretchenfrage nach der deutschen Verantwortung und Beteiligung an den Konflikten stellt, die erst zu den Flüchtlingen führt. Wenn deshalb SPD und Grüne der LINKEN die Regierungsfähigkeit auf Bundesebene abspricht, wird es meiner Einschätzung nach kein R2G geben können. Im Übrigen geht es Sahra Wagenknecht nicht viel besser als aktuell Simone Peter von den Grünen.
    Zu den von dir verlinken Beitrag in der SZ: das Entscheidende ist doch, den Internationalismus ernst zu nehmen (manche sprechen auch von Weltinnenpolitik) und zugleich ungehinderte Migration zu verhindern. Notwendig wäre es also auch, auf die Wahlkampfplattformen neben der Massiven Begrenzung der Rüstungsexporte ein Einwanderungsgesetz zu setzen.

  5. Stefan Frischauf

    Hallo Ludger und Andreas,

    erst einmal – schönen Samstagmorgen,
    ich verlinke hier einfach mal meine Rede zu zu meiner Bewerbung als Bundestagskandidat der SPD, Wahlkreis 106 – Düsseldorf-Nord und das Fazit dazu und auch einen offenen Brief Brief / Mail an Sigmar Gabriel und Frank-Walter Steinmaier vom März 2016
    http://www.anyupae.com/deutsch-1/an-die-spd/

    Schönes Wochenende nach München!

    1. Andreas Schlutter

      Hallo Stefan,

      danke für den Link, eine lesenswerte Rede. Und auch deinen Brief an Gabriel und Steinmeier finde ich interessant.

      Dir einen schönen Sonntag

      1. Ludger Elmer

        Hallo Stefan
        … finde das auch super, was du gesprochen und geschrieben hast. Wir können das doch bei uns veröffenftlichen, das ist doch wirklich ein Zeit – Dokument, oder?
        Schönen Sonntag! Ludger

        1. Stefan Frischauf

          Oh – vielen Dank für die Blumen, Euch beiden, Andreas und Ludger!
          Und – klar, könnt Ihr das veröffentlichen – will sagen – ist eine Ehre für mich.
          Also – Ihr könnt das gerne per copy and paste herausziehen.
          Wenn Ihr die Originaldatei möchtet, kann ich Sie Euch auch gerne per Mail zusenden.
          In jedem Falle – fühle mich wirklich geehrt durch Eure Worte. Vielen Dank!
          Denke, Ihr in München seid als sozialdemokratische Insel im CSU-Land immer sehr stark gefordert und – die Freiheitsliebe gegenüber dem (neu-) preußischen Duktus – zumindest das haben wir Rheinländer und Ihr da in Bayern in jedem Falle gemein!
          Insofern – nochmals vielen herzlichen Dank und – klar – ihr habt alle Rechte, dieses “Zeit-Dokument” zu veröffentlichen!
          Schönen Sonntagabend erst einmal! Stefan

Kommentare sind geschlossen.