Helferkreis

Foto: Helferkreis Asyl Weichs

Sie kommen mit einem Reisebus aus Fürstenfeldbruck, 50 junge eritreische, somalische, syrische und afghanische Männer. Sie stellen sich brav in der Reihe an und werden in ihre kleinen Unterkünfte in der Containeranlage eingewiesen. Eine Begrüßung durch einen Vertreter der Gemeinde findet nicht statt. Die Organisation vor Ort übernimmt der Helferkreis.
Für sie alle war eine große Portion Reis vorbereitet worden, sie hatten in FFB die Dienste eines Catering in Anspruch genommen. Nun wird umgestellt auf Selbstversorgung und entsprechend höhere Taschengeldzuweisung. Der Reis allerdings war nach kurzer Zeit wie vom Erdboden verschlungen, es musste neuer besorgt werden.
Die ersten Maßnahmen, die geplant werden, sind die Anmeldung bei der Gemeinde, ein Rundgang durchs Dorf, vorbei an der Sparkasse, am Zahnarzt und dem praktischen Arzt. Die Jungen empfangen ihre WLAN-Karten gegen Gebühr, der Hotspot an der Wohnanlage ist soeben erst installiert worden.

Ein dringender Besuch beim Zahnarzt ist angesagt. Wir werden allerdings am vereinbarten Termin wieder zurückgeschickt, der Anamnese-Bogen mit Aussagen über vorliegende oder vorherige Krankheiten muss erst ausgefüllt werden. Mit Hilfe eines syrischen Geflüchteten, der gut Deutsch spricht und in seiner Heimat schon Deutsch unterrichtet hat, fülle ich den Bogen aus. Der Junge bietet mir sogar einen Tee an, wir kommen ins Gespräch, seine Familie, Eltern und Geschwister sind noch in Syrien, er wartet ungeduldig auf seinen Termin beim BAMF, lernt ständig Deutsch und wünscht sich, in einer deutschen Familie unterzukommen. Wir werden ihn auf jeden Fall als Deutschlehrer für den zu planenden Deutschunterricht für seine Landsleute verpflichten. In Erlangen und München gibt es schon Modelle, wo jugendliche Geflüchtete im Haushalt von alten Menschen untergekommen sind und bei den täglichen Dingen geholfen haben, beide Seiten haben dazugewonnen.

Am nächsten Wochenende findet zunächst eine weitere Kleiderversorgung statt, es ist kalt geworden. Am gleichen Tag werden die sehnlichst erwarteten Räder zugeteilt, für eine Leihgebühr von 10€ werden sie verlost, das Team „Fahrräder“ hatte schon im Vorfeld mehr als 70 Räder über den Spendenaufruf gewonnen. Nun werden im Schneegestöber erste Rundfahrten unternommen. Für die Unterstellung der Räder gibt es keine geeigneten Vorkehrungen, einige stellen sie im Gemeinschaftsraum der Unterkunft ab, den werden wir für den Deutsch-Unterricht benötigen.

Schon bald kommen erste Beschwerden bei der Gemeinde an, die Geflüchtete würden auf dem Bürgersteig fahren, sich ihr Vorfahrrecht erklingeln und sie hätten die Rad-Beleuchtung nicht angeschaltet. Wir organisieren eine Rundfahrt durchs Dorf, bleiben an jeder Kreuzung stehen, erklären die Vorfahrt, im Zweifel rechts vor links und den Bürgersteig als verbotene Zone. Auf der Hauptstraße verstehen die Jungs schnell, dass sie hintereinander fahren müssen: one by one. Auch die Unterscheidung zwischen Geh- und Radweg lernen sie schnell. Aber das Radfahren tut ihnen gut, eine willkommene Abwechslung im langweiligen Alltag.

Die behördliche Betreuung in der Unterkunft erstreckt sich auf reine „Hausmeisterfunktionen“ innerhalb der Wohnanlage, die Vertreter der Caritas schauen einmal in der Woche vorbei, erklären sich zuständig für die Bearbeitung von sog. blauen Briefen, also behördlichen Bescheiden aller Art für die Geflüchteten. Die ersten Bußgeldbescheide vom MVV liegen schon vor – gnadenlos werden 60€ abkassiert. Ein erster Unterricht über die Nutzung des MVV, Fahrkartenbeschaffung, Gruppenkarte und Tageskarten findet statt.

Das Landratsamt hat die Auszahlung des monatlichen Taschengelds zeitlich gestreckt und auf den 7.3. verschoben, um zu großen Andrang der Geflüchteten zu vermeiden. Die Jungen werden in der ersten Märzwoche kaum noch Geld haben. Der Helferkreis überlegt, wie er die Grundversorgung mit Nahrungsmitteln sicherstellen kann. Schnell werden die Restbestände eines Supermarktes ausgemacht. WhatsApp hilft mal wieder, die Beschaffung zu organisieren.
Wie werden die Jungen zum Landratsamt nach Dachau kommen, ihr Geld abzuholen, wenn sie sich keine Fahrkarte mehr kaufen können? Ein Fahrdienst wird organisiert, nun sagen sie, sie würden mit dem Rad fahren. Hoffentlich spielt das Wetter mit.

Für den Deutschunterricht ist die bildungsspezifische Einstufung der Asylbewerber erforderlich: Wer ist Analphabet, wer kann etwas französisch oder englisch? Für die Ausstattung der Deutschlehrer stehen mannigfach Bücher und Dokumente im Internet zur Verfügung. Mit der Volkshochschule ist zu vereinbaren, wer kann an einem Kurs teilnehmen? Das würde Entlastung für den Helferkreis bedeuten. Werden die weiblichen Deutschlehrer ohne Scheu den Unterricht aufnehmen? Wir sprechen darüber. Es gibt kaum Bedenken.

Der Internetauftritt des Helferkreises ist erfolgt. Hier werden die Organisation des Kreises und die wichtigen Treffen veröffentlicht. Hinweise auf die verschiedenen Links für den Deutschunterricht sind geplant.

Diskutiert wird innerhalb des Helferkreises, ob eine persönliche Verschwiegenheitserklärung erforderlich ist. Einige sagen, das sei nicht notwendig, weil es eh‘ selbstverständlich sei, dass man persönliche Dinge über die Geflüchteten für sich behält.

Der Helferkreis wird geleitet von zwei Ehepaaren, deren Engagement großartig und bewundernswert ist: die vielen zu begleitenden Arztbesuche, die langen Wartezeiten bei den Ämtern. Andere Mitglieder fragen sich, ob ihr Einsatz auch ausreichend ist? Wir haben für die Deutschlehrer eine Unterrichtsstunde je Woche vereinbart. Daran wollen wir uns halten. Wir müssen die Akzeptanz der freiwilligen Helfer sicherstellen, nach dem Motto, dass jede(r) das tut, was sie/er kann und will. Niemand darf das Gefühl mit nach Hause nehmen, dass von ihm mehr erwartet wird.

Wo würde die Gesellschaft ohne die Helferkreise stehen?
Die Arbeit der vielen Helferkreise leistet einen entscheidenden Beitrag zur inneren Stabilität der Gesellschaft und zur anstehenden Integration der Flüchtlinge, auch wenn so manch einer das gar nicht gerne sieht.

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2 Gedanken zu „Helferkreis

  1. Willi

    Die Arbeit dieser Helferkreise ist großartig und bewundernswert!
    Umso beschämender ist das Versagen vieler staatlicher Organe bei der Organisation der notwendigen Hilfen.
    Statt dessen steckt unsere Regierung alle Energie in einen Kuhhandel mit der Türkei, die in diesem Konflikt eine menschenverachtende, verbrecherische Rolle spielt. Der gleiche Fehler, den die USA immer wieder machen:
    – Die Taliban aufgebaut um den Russen zu schaden, Ergebnis bekannt.
    – Osama bin Laden aufgebaut, weil er nützlich war, Ergebnis bekannt.
    – Den Schah aufgebaut, weil er nützlich war, Ergebnis bekannt.
    – Saddam Hussein aufgebaut, weil er nützlich war, Ergebnis bekannt.
    – Den IS aufgebaut (hieß damals noch anders), weil er nützlich war, Ergebnis bekannt.

    Anstatt bekannte Fehler der USA immer nach zu machen (und damit genauso zu scheitern), könnte doch mal jemand in der deutschen Politik darauf kommen, bekannte Fehler zu vermeiden. Oder sein eigenes Geschwätz von den “westlichen Werten” ernst zu nehmen.
    Willi

    1. Ludger Elmer Beitragsautor

      Wer Michael Lüders gehört und gelesen hat, der erinnert sich, dass er die Zustände im Nahen Osten mit zwei wesentlichen Entwicklungen begründet: a) die Unfähigkeit dieser Gesellschaften, sich selbst zu organisieren, die Stammesinteressen zu überwinden und staatliche Stabilität zu gewährleisten und eben b) mit den Interventionen des Westens.
      Und in Anja Reschke’s Buch “Und das ist erst der Anfang” finden sich viele Belege für die unsäglichen Leiden, die Assad seinem Volk zugefügt hat. Da wird der Faktor 10 genannt, mit den der Terror Assad’s die Gewalttätigkeiten des IS überstiegen hat. Nur, der IS inszeniert seine Gewalt eben sehr, sehr medienwirksam und steigert damit die Effekte bei uns.
      Eine eigene Diskussion wäre es ja mal wert, die Stellung der Helferkreise in der Gesellschaft zu beleuchten. Wenn sich die Flüchtlinge nicht unbedingt von ihrer besten Seite zeigen (ja, sie sind manchmal unordentlich, sie schlagen sich, sie saufen), so sagt dann der besorgte Bürger, ihr müsst ihnen zeigen, wo’s hier lang geht, sprich was unsere Leitkultur (oder Leidkultur?) uns und ihnen vorgibt. Aber, da gibt es wenigstens jemand, der ihnen sagt, was wir erwarten, der sie auffordert, beim Ramadama (die alljährliche gemeindliche Veranstaltung, die Natur vom menschlichen Unrat zu befreien) mitzumachen, denn sie selber kennen noch nicht den Umgang mit unserer Mülltrennung oder sie haben sie noch nicht verinnerlicht. Integration ist ein Prozess, das hört sich so klug an. Aber es geht eben nicht auf Knopfdruck, wenn die Asylbewerber (die Männer) sagen, dass sie nicht ein Damenfahrrad benutzen wollen. Und der besorget Bürger moniert dann, dass sie immer noch auf dem Bürgersteig daherradeln, während der Helferkreis alle Hände voll zu tun, ihnen unsere Benimmregeln, z.B. dass man nicht auf dem Toilettenrand steht, beizubringen.
      Ich weiss, wie gerade in den 90’er Jahren die Empörung in der Bevölkerung riesengross war, weil die Zustände in den sog. “Asylantenheimen” katastrophal waren, und damals gab es keine Helferkreise.
      Nur wer engagiert sich in den Helferkreisen? CSU – nahe Leute sind es bei weitem nicht. Die Spezies des Helfers ist eher sehr unpolitisch, nach dem Motto, bitte lasst uns keinen Ärger mit dem Landratsamt bekommen. In meinem obigen Beitrag “Helferkreis” habe ich nachträglich zwei Passagen auf Wunsch der “Helferkreisleitung” entfernt. Warum wohl? Weil mir der innere Frieden in diesem Kreis so wichtig ist. Aber so ist das: die einen bauen Traglufthallen und wundern sich über Konflikte, die in diesen zwangsläufig entstehen, die anderen gehen auf den Deeskalationskurs, um zu lernen, wie man abwiegelt. Die einen wollen Integration erschweren, damit sie generell abgelehnt wird, die anderen werden wegen der gezeigten Willkommenskultur als “Gutmenschen” verunglimpft.

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