Realsatire
Die BND-Affäre zieht Kreise. Die Wirtschaft ist verunsichert. Das wird Folgen haben. Steht die Bundeskanzlerin vor dem politischen Aus?
Ein Gastbeitrag von blog1
Manche Ereignisse beginnen eher unscheinbar und nehmen im Laufe der Zeit immer mehr an Fahrt auf, vergleichbar mit einer Schneelawine, die zunächst klein beginnt und in der Folge immer mehr Schneepartikel mit sich reißt, um sich am Ende zu einer tonnenschweren Schneemasse aufzutürmen, die jeden erdrückt, der unter ihr begraben wird. Es braut sich etwas zusammen gegen die Bundeskanzlerin, die bislang als unangreifbar galt, fast schon übermächtig, so dass jeder politische Gegner von ihr allein marginalisiert wurde.
In der Nobelherberge „Badrutt´s Palace“ in St. Moritz treffen sich Ulrich Grillo, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Ingo Kramer, Präsident der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Thomas Enders, Konzernchef von EADS/Airbus, Joe Kaeser, Vorstandschef von Siemens und last but not least Friedrich Merz, Vorstandschef der Stiftung Atlantik-Brücke und seit nicht allzu langer Zeit Mitglied der CDU-Parteikommission „Gesellschaftlicher Zusammenhalt“. Das Treffen steht unter dem Thema „Industriestandort Deutschland – Perspektiven und politische Hindernisse“.
Grillo: Meine Herren, es freut mich sehr, dass sie meiner Einladung alle gefolgt sind. Ich habe mit meiner Äußerung „das Vertrauensverhältnis zwischen Staat und Wirtschaft ist durch die BND-NSA-Affäre erheblich belastet“ massiv Staub aufgewirbelt. Zu dieser Äußerung stehe ich nach wie vor. Sollten sich die Verdachtsmomente erhärten, dass der BND der NSA mit Wissen der Bundesregierung aktive Schützenhilfe beim Ausspionieren deutscher Unternehmen geleistet hat, dann müssen Konsequenzen ohne Rücksicht auf die Person gezogen werden.
Kramer: Dem kann ich mich nur anschließen, mein lieber Ulrich.
Enders: Wir haben bereits reagiert und Anzeige erstattet. Das hat den Sigmar Gabriel immerhin aus der Deckung gelockt.
Kaeser: Gabriel ist zwar SPD-Vorsitzender, Wirtschaftsminister und Vizekanzler, aber ein Königsmörder taugt niemals zum neuen König.
Merz: Ich bin ja, wie jedermann weiß, nicht gerade ein Freund unserer Bundeskanzlerin, aber unterschätzen sollten wir sie nicht. Sie verfügt über einen Machtinstinkt, der seinesgleichen sucht. Meine Vermutung geht dahin, dass Thomas de Maizière als Bauernopfer herhalten muss. Ronald Pofalla, der ein noch geeigneter Kandidat wäre, ist ja nicht mehr greifbar. Er hat sich offensichtlich rechtzeitig in den wohlverdienten politischen Ruhestand bei der Deutschen Bahn zurückgezogen.
Enders: Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr könnte man auch die These vertreten, dass Pofalla den Braten rechtzeitig gerochen hat. Schließlich war Snowden zu dem Zeitpunkt kein Unbekannter mehr.
Grillo: Zurück zum Hauptthema. Ich habe mit Gabriel bereits gesprochen. Er hat mir versichert, dass er Frau Merkel nicht beerben will. Er möchte zunächst einmal die SPD aus dem Stimmungstief in der Wählergunst herausholen. Die Bremen-Wahl wirkt bei ihm noch nach. Ich zitiere ihn mit den Worten: „Die SPD kann doch nicht auf Dauer die Mehrheitsbeschafferin der CDU sein“.
Kramer: Ja, so ist das nun mal, wer nicht weiß, wo er hingehört, der findet auch seinen Platz nicht.
Enders: Umso mehr ist es wichtig, dass wir solchen Leuten wie Herrn Gabriel eine Orientierungshilfe anbieten. Es scheint ja so, dass Herr Gabriel gerne kommuniziert. Mit mir hat er auch gesprochen und mich tatsächlich gefragt, ob ich denn etwas verärgert bin wegen seiner ablehnenden Haltung in Sachen Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien.
Kaeser: Ich habe mich auch schon des Öfteren gefragt, warum Herr Gabriel beispielsweise bei Russlands Staatspräsident Putin aufschlägt. Aus Putins direktem Umfeld habe ich erfahren, dass Gabriel stets bemüht ist, seinem Vorbild Gerhard Schröder nachzueifern, dabei aber zu vergessen scheint, dass allein seine politische Vergangenheit in Niedersachsen dazu nicht ausreicht.
Merz: Meine Herren, wir sind doch nicht zusammen gekommen, um über die Fähigkeiten von Herrn Gabriel zu debattieren. Es geht doch hier um Frau Merkel, die ein seltsames Staatsverständnis an den Tag legt, das mit ihrem Amtseid nicht im Ansatz kompatibel ist. Ich habe ja über die Atlantik-Brücke einen sehr guten Draht zu meinen US-amerikanischen Freunden. Die sagen mir immer, Deutschland muss nur mehr militärische Verantwortung übernehmen und die USA vor allem in dem Ukraine-Konflikt entsprechend entlasten. Dann lässt sich über vieles reden, was heute noch tabu ist.
Grillo: Treffend formuliert, mein lieber Friedrich. Wenn Deutschland seine führende Rolle in der Welt als Exportnation behaupten will, dann können staatliche Behörden nicht im vorauseilenden Gehorsam Geheimnisverrat begehen. Der wirtschaftliche Schaden, der durch Industriespionage verursacht wird, geht in die Milliarden. Das können und werden wir nicht hinnehmen. Aber auch die militärische Präsenz Deutschlands muss deutlich erhöht werden. Wer sich aus allem heraushält, sitzt am Ende zwischen allen Stühlen.
Kramer: Wer am Stuhl der Kanzlerin sägt, muss auch einen Nachfolger in petto haben, mein lieber Ulrich.
Enders: Das ist schon ein Problem. Alle politischen Widersacher innerhalb der CDU hat unsere Bundeskanzlerin weggebissen. Man nennt sie nicht umsonst die „schwarze Witwe“ der CDU. In der CSU tun sich auch keine Alternativen auf, wenn ich an den Alpentaliban Seehofer denke. Der Guttenberg hat sich auch verabschiedet. Ja und über die SPD haben wir schon geredet.
Kaeser: Dann muss eben jemand aus dem Hut gezaubert werden, der zwar die politische Bühne mit tatkräftiger Unterstützung der Bundeskanzlerin verlassen hat, der aber einer von uns ist und der, wenn ich mich recht entsinne, schon einmal eine Steuerreform auf dem Bierdeckel konzipiert hat.
Alle Teilnehmer außer Merz: blicken vielsagend auf Friedrich Merz.
Merz (etwas konsterniert und nach Worten ringend, schnell aber wieder die Fassung erlangend): Nein, meine Herren, ich mache das nicht, nicht zu dem Gehalt und mit dieser Verantwortung und Zeitbeanspruchung. Wie soll denn das Ganze ablaufen, wenn ich denn zustimmen würde, was ich aktuell zwar ausschließen würde, aber dem ich u.U. näher treten würde, wenn die Rahmenbedingungen sich für mich schlüssig darstellen würden.
Grillo: Also, über Deine zukünftige Apanage solltest Du Dir keine Gedanken machen, mein lieber Friedrich. Aktuell ist es doch so, dass es bei einem Rücktritt der Bundeskanzlerin aller Wahrscheinlichkeit nach zu Neuwahlen kommt, weil ein konstruktives Misstrauensvotum keinen neuen Kanzler oder neue Kanzlerin hervorbringen würde. In diesem Kontext müsste dann über die Medien unser Freund Friedrich ins Spiel gebracht werden.
Kramer: Die Medienlandschaft ist ja überschaubar. Wenn wir Frau Springer und Frau Mohn hinter uns bringen, dann ist die Chose praktisch gelaufen. Ein Großteil der Deutschen geht ohnehin nicht zum Wählen. Das wäre in diesem Fall eher förderlich.
Enders: Wir könnten ja die Anzeige gegen die Bundesregierung zurückziehen, wenn die Bundeskanzlerin freiwillig zurücktritt. Das könnte den Entscheidungsprozess bei Frau Merkel deutlich beschleunigen.
Kaeser: Über das Wahlkampfbudget sollte wir uns auch Gedanken machen. Aber da verfügt Siemens ja über ausreichend Erfahrung, wie Gelder mit kritischem Verwendungszweck gesammelt und vor allem diskret wieder verteilt werden.
Merz: Mein lieber Ulrich, da hast Du Dir ja ein schönes Plätzchen für unser Sondierungsgespräch ausgesucht. Auch der Slogan des Hotels „Your Wish, Our Spirit“ gefällt mir. Hier sollen ja die Schönen und die Reichen ein- und ausgehen, wobei mich eher ersteres interessiert. Also, meine Herren, stürzen wir uns in das Vergnügen. Gemeinsam Erlebtes soll ja bekanntermaßen zusammenschweißen.
Die Sitzung ist beendet. Hinter dem Hotel geht die Sonne unter und taucht die Bergwelt in ein mattgelb-orangefarbenes Licht. Wie wir alle wissen, sind die Alpen ein so genanntes Faltengebirge, das vor Millionen von Jahren durch die Verschiebung der tektonischen Platten entstanden ist. Es mag zwar sein, dass in Berlin kurzfristig ein politisches Beben zu verzeichnen ist. Es ist aber nichts gegen die Kräfte, die gewirkt haben müssen, ein solches Gebirge entstehen zu lassen.
blog1 ist natürlich ein Pseudonym. Unter diesem Namen veröffentlicht ein uns bekannter kritischer Geist regelmäßig Realsatiren in der Freitag-Community. Dieser Beitrag ist zeitgleich ebenfalls dort erschienen.
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