Auf der Suche nach dem rechten Maß

Vorbemerkung der Redaktion: viele Menschen denken darüber nach, was in unserer Gesellschaft falsch läuft. Und schreiben darüber. Zum Teil in eigenen Blogs, die nur eine begrenzte Reichweite haben. Das geht uns im Moment auch noch so. Deshalb wollen wir hier interessante Beiträge in Form einer Zweitveröffentlichung bzw. eines Crossposts vorstellen. Auch dies trägt bei zum Entstehen der so dringend notwendigen Gegenöffentlichkeit – und so dazu beitragen, dass diese immer größer wird.

von Iris Liedl

Die Notwendigkeit eines Wertewandels hin zum menschlichen Maß beinhaltet viele Aspekte.

Einer der wichtigsten ist ohne Zweifel der der begrenzten Ressourcen auf unserem Planeten. Und die Tatsache, dass wir, wenn wir nicht schleunigst unser Handeln an die bereits gewonnenen Erkenntnisse anpassen, den Kürzeren ziehen werden. (Kein Angstszenario – reine Faktenlage!).

“Vielleicht werden sich kommende Generationen mit Verwunderung an eine relativ kurze Phase in der Geschichte der Menschheit erinnern, in der ständiges Wirtschaftswachstum für möglich und nötig gehalten wurde.” Zitat Horst Köhler, ehem. Bundespräsident

Ich wünsche mir, dass er Recht behält. Soviel vorab.

Fast gebetsmühlenartig wiederholen alle Parteien und nicht nur in Deutschland, dass das Wirtschaftswachstum die allein selig machende Lösung für alle bestehenden Probleme ist.

Ein Gesellschaftssystem, das davon ausgeht immer weiter expandieren zu können auf einen endlichen Planeten, ist aber zwangsläufig zum Scheitern verurteilt. Sorry, das ist gesunder Menschenverstand!

Ökonomie versus Ökologie – ein Dilemma, das bisher recht einseitig gelöst wurde – zu Gunsten des Wirtschaftswachstums.

Allerdings ahnen bereits viele von uns, dass es nicht ewig so weiter gehen kann. Schon heute verbrauchen wir 50% mehr Ressourcen als sich erneuern kann! Chinesen, Inder, Brasilianer haben hier noch gar nicht angefangen zu konsumieren!

Harald Welzer, Sozialpsychologe und Professor für Transformationsdesign an der Uni Flensburg: Man muss sich schlicht und ergreifend mit den Realitäten konfrontieren, dass die Fortsetzung dieser Form von Wachstumswirtschaft die Überlebensbedingungen mittelfristig zerstört.

Der Kern der wachstumskritischen Debatten ist es, Konzepte für eine Wirtschaft zu entwerfen, die einerseits zwar nicht ständig wachsen muss, in der aber andererseits die Lebensqualität der Menschen erhalten bleibt. Wohlstand ohne Wachstum?!

Aber wie soll das gehen?

Indem wir Wohlstand NICHT mit Konsum verwechseln!  

Das bedeutet im Klartext: Bewusstseinswandel! Hier ist jeder einzelne von uns gefordert.

Die Form des Wirtschaftswachstums, so wie wir es momentan als selbstverständlich erachten, ist ein relativ junges Phänomen, nämlich erst seit der industriellen Revolution, Mitte des 18. Jhd. Hier leiten die technischen Erfindungen den Umbruch in der Arbeitswelt ein. Der Wachstum beginnt: das der Wirtschaft und des CO2-Ausstoßes.

In seinem Buch “Wohlstand für alle“ schreibt Ludwig Erhard bereits 1957: “Wir werden sogar mit Sicherheit dahin gelangen, dass zurecht die Frage gestellt wird, ob es noch immer nützlich und richtig ist, mehr Güter, mehr materiellen Wohlstand zu erzeugen oder ob es nicht sinnvoller ist unter Verzichtleistung auf diesen Fortschritt mehr Freizeit, mehr Besinnung, mehr Muße und mehr Erholung zu gewinnen.

Damals blieben Erhards kluge und zukunftsweisende Überlegungen weitgehend unbeachtet. Die Wachstumsparty ging da erst richtig los!

Der Club of Rome veröffentlichte dann Anfang der 70er Jahre den Bericht “Die Grenzen des Wachstums”. Eine ständig wachsende Wirtschaft werde letztendlich zum ökologischen Kollaps führen, warnten die Wissenschaftler also schon vor rund 40 Jahren. Und jetzt ist es endlich wieder ein Thema!

Besonders hinderlich für die Lösung ist jedoch die Tatsache, dass unser Wirtschaftssystem momentan noch ausschließlich Messgrößen vorsieht, die sich in Geld beziffern lässt. Die Maßzahl für die wirtschaftliche Leistung eines Landes ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP).

Das BIP ist jedoch kein wirkliches Maß für unsere tatsächliche Lebensqualität.

Und klar ist aber auch, wie wichtig eine intakte Umwelt für unsere Zufriedenheit (und letzten Endes unser Fortbestehen!) ist.

Und gerade bei ökologischen Katastrophen werden die eklatanten Schwächen des BIP besonders deutlich. Denn es berücksichtigt nur Güter die verkauft werden, also Konsumgüter, die in Marktpreisen bewertet werden können.

Die Umwelt hat aber kein Preisschild.

Ein Beispiel:

Wenn eine Ölplattform leck schlägt und tonnenweise Öl ins Meer fließt, dann ist das erst einmal gut für das BIP. Denn Aufräumarbeiten müssen bezahlt, Chemikalien müssen gekauft werden, um das Öl in Schach zu halten. Die verendeten Meerestiere und die verunreinigten Strände haben jedoch keinen Einfluss auf das BIP. Bisher gibt es keine Messgrößen, die Schäden an der Natur, der Umwelt in irgendeiner Weise als solches bewerten! (Und da ist die Politik aufs Schärfste gefordert! Aber die Natur hat keine einflussreiche Lobby! Nur engagierte Aktivisten.)

Erst wenn die Touristen ausbleiben und die Fischer keine Fische mehr fangen, dann hat das wieder – in diesem Fall negative – Auswirkungen auf das BIP. Und dann erst wird vermehrt gehandelt.

Es können also in unserer bestehenden Gesellschaftsordnung Ökosysteme kaputtgehen und Arten aussterben und dennoch steigt das Bruttoinlandsprodukt und die Regierungen können sich als erfolgreich feiern lassen. Gleichzeitig ziehen wir uns aber genau mit diesen “Erfolgsstrategien” den Boden unter den Füßen weg…

Meine Forderung daher: Die Maßnahmen der Politik und der Wirtschaft müssen endlich dem Menschen dienen und nicht in erster Linie Geld bezogenen Messgrößen wie dem Bruttoinlandsprodukt. Denn ganz abgesehen davon, dass die Zahl nichts über den wirklichen Zustand einer Gesellschaft aussagt, ist das Zustandekommen solcher Zahlen sowieso mit Vorsicht zu genießen. Das wissen wir ja spätestens seit dem ADAC-”Skandal”!

Menschlich geht anders…

Zur ursprünglichen Veröffentlichung des Beitrags geht es hier.

Iris Liedl bloggt hier in Oberbayern regelmäßig auf Dilettanti – Hin zum menschlichen Maß. Auch sie liest die NachDenkSeiten.

Beitrag versenden

Drucken

This page as PDF