Im fünften Kapitel des IMK-Buches “10 Mythen der Eurokrise” behandelt Andrew Watt die Frage, ob es Deutschland und den Krisenländern ohne den Euro besser ergangen wäre.
Vorbehalte gegen die Einführung des Euro hat es immer gegeben. Dass er ein „Teuro“ sei, ist immer wieder behauptet worden. Anzeichen dafür gibt es allerdings nicht. Die Inflationsrate in Deutschland ist von 2002 bis 2013 im Schnitt unter der Zielinflationsrate der EZB (1,9%) gelegen. Um eine gemeinsame Währung abzusichern, hätte dieser Wert von allen Ländern annähernd eingehalten werden müssen. Wir haben an anderer Stelle aufgezeigt, welche Folgen unterschiedliche Inflationsraten und davon abhängig auch die spezifische Entwicklung von Reallöhnen in Deutschland und Frankreich hatten. Zu hoch war die Inflation in Deutschland also auf keinen Fall.
Immer wieder diskutiert wird die Frage, ob es nicht aus deutscher Sicht sinnvoller ist, aus dem Euro auszusteigen und sich währungspolitisch unabhängig von den anderen, vor allem von den südeuropäischen Staaten, zu machen, also zur „guten, alten“ DM zurückzukehren.
Was würde passieren, wenn Deutschland sich vom Euro trennen sollte oder andere Länder, z.B. Griechenland einseitig den Euro verlassen würden?
- Zunächst weiß niemand, was überhaupt passieren würde in einem solchen Fall, denn er ist einfach nicht vorgesehen, nicht operativ und schon gar nicht juristisch. Es gibt keinen Plan dafür und keine abgestimmte Vorgehensweise.
- Sicher ist, dass neue Währungen, z.B. von südeuropäischen Ländern, mit einer massiven Abwertung zu rechnen hätten. Finanzanlagen und Wertpapiere dieser Staaten würden abgestoßen, Spareinlagen würden von den Banken abgehoben und zwar schon vor der geplanten Umstellung. Eine gewaltige Spekulation gegen diese Länder würde einsetzen und gegen weitere vermutete Austrittskandidaten.
- Sollte die eigentliche Umstellung der Währungen tatsächlich geglückt sein, dann würde die nachfolgende Abwertung der „Krisenwährungen“ diesen Staaten große wirtschaftliche Probleme bereiten. Eine Abwertung bedeutet, dass sich die Importe verteuern, dass die Inflation steigt und die Realeinkommen fallen. Es ist wohl erst mit einer zeitlichen Verzögerung damit zu rechnen, dass die Abwertung die erhoffte positive Wirkung auf die Exporte und damit auf Produktion und Beschäftigung haben würde.
- In den Aufwertungsländern würden Kapitalverluste zu verzeichnen sein aufgrund des erfolgten Werteverfalls der Finanzanlagen in den Krisenländern, die Exportnachfrage würde einbrechen, weil der Preisvorteil durch die Währungsumstellung verloren gegangen ist, Einbußen bei Investitionen, Produktion und Beschäftigung wären hier die Folge.
- Sollten diese beiden geschilderten Schocks – Spekulation vor, wirtschaftliche Rückschläge durch Auf- und Abwertungen nach der Umstellung – überwunden sein, müsste sich der Euroraum wieder auf einen Handel mit unterschiedlichen Währungen einstellen, mit allen Nachteilen der Unsicherheit, der Währungsanpassungen und der eigenständigen aber auch unabhängigen wirtschaftlichen Entwicklung der Länder.
Dann wären wir wieder zurückgekommen zu einem System mit flexiblen Wechselkursen. Die Nachteile dieses Systems, nämlich den Warenaustausch zu erschweren, hatten aber gerade für die Einführung des Euro gesprochen. Die Politiker, die ihn eingeführt haben, waren sicherlich guten Willens, sie wussten wohl aber nicht wirklich, was sie taten. Sie hätten die Folgen aus der gemeinsamen Währung ziehen müssen, und das wäre eine einheitliche Wirtschaftspolitik mit einer abgestimmten Entwicklung von Reallöhnen und Inflationsraten gewesen. Auch die Steuerpolitik und die Sozialpolitik hätten Schritt für Schritt angepasst werden müssen, um ein Preisdumping im Wettbewerb zu verhindern.
Allerdings, die Anpassung der Lohnstückkosten hat auch mit dem Euro schon stattgefunden. Die unsägliche Austeritätspolitik von EU, IWF und EZB hat dazu geführt.
Ob mit oder ohne Euro, die politische Aufgabe bleibt, annähernd gleiche Lebensverhältnisse in einem Gemeinwesen herzustellen. In Deutschland gibt es dazu den Länderfinanzausgleich, in Europa ein System von Strukturhilfen für schwache Regionen. Dieses reicht aber bei weitem nicht aus. Um annähernd den gleichen Stand wie vor der Eurokrise herzustellen, bedarf es eines riesigen Investitions- und Wachstumspakets.
Gregor Gysi hat die Folgen der EU-Politik in seiner Rede im Bundestag am 16.10.14 so beschrieben:
“Jetzt komme ich zu Ihrem Spardiktat gegenüber dem Süden Europas. Ich will Ihnen einmal wirklich aufzählen, was dort angerichtet worden ist. Die Folgen sind – zunächst in diesen Ländern und jetzt auch bei uns – erheblich: Über 26 Millionen Bürgerinnen und Bürger in der EU sind arbeitslos. Millionen junge Menschen haben keine Perspektive: In Griechenland und Spanien liegt die Jugendarbeitslosigkeit bei über 50 Prozent, in Italien bei 44 Prozent. In Griechenland bekommen nur 27 Prozent der Arbeitslosen Arbeitslosengeld. Beim Europäischen Gerichtshof habe ich die Folgen für Griechenland einmal konkret wie folgt benannt: Die Säuglingssterblichkeit stieg in der Zeit der Krise um 21 Prozent, die Kindersterblichkeit stieg um 43 Prozent, die HIV-Ansteckungsquote stieg um 52 Prozent. Die Selbstmordrate stieg um 37 Prozent.“
Dass dieses so gekommen ist, hat nichts mit dem Euro zu tun, sondern ist das Ergebnis von Politik. Die definierte gemeinsame Sparpolitik über den europäischen Fiskalpakt, der eine Neuverschuldung in Höhe von bis zu 3% des jährlichen BIP erlaubt, wird nun, da auch in Deutschland der Konjunktureinbruch droht, gelockert werden müssen.
Es wird aber wohl noch sehr lange dauern, bis vergleichbare Lebensumstände in allen Teilen der EU, in Griechenland und in Deutschland, in Nord- und in Süditalien, in Portugal und in Irland hergestellt sein werden, wenn dies überhaupt auf der politischen Agenda stehen sollte.
Neoliberale Politik hat von Anfang an einen Ansatz verfolgt, nämlich die Versorgung der Menschen mit den Gütern der Daseinsvorsorge (Infrastruktur, Verkehr, Gesundheit, Bildung, Erziehung, Energie) zu privatisieren und daran zu verdienen. Dieses ist, nicht nur in Deutschland über die Agenda 2010 sondern auch in Südeuropa gelungen und die Einführung des Euro hat dabei mitgeholfen. Ein Zurück zur DM würde daran nichts ändern.
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