Gabriele Krone-Schmalz: Russland verstehen

Gabriele Krone-Schmalz ist überall. Sie war bei Jauch, in der Süddeutschen, im Bayerischen Rundfunk und bei Sandra Maischberger. Wir stellten ihr neues Buch „Russland verstehen“ am Tag des Erscheinens vor und wir empfahlen, es Frau Merkel auf den Nachttisch zu legen, bevor sie zu den Friedensgesprächen nach Minsk aufbrach. Vielleicht hat es geholfen, der vereinbarte Waffenstillstand hält bis heute.
Ich möchte hier die Argumente und die Motive vorstellen, die den Leser dazu bewegen können, Russland zu verstehen. Es geht nicht darum, die politischen Absichten und auch das militärische Vorgehen Russland zu akzeptieren. Wichtig sind die Hintergründe und die Zusammenhänge. Diese ergeben ein Bild, das ich verstehen will.

Krone-Schmalz hält das Zitat Putins über das Ende der Sowjetunion 1991 für zentral: „Der Zusammenbruch der Sowjetunion war die größte Katastrophe seit dem Zweiten Weltkrieg.“ (Seite 11)

„Ihnen [den russischen Menschen] wurden drei Revolutionen gleichzeitig zugemutet – der Begriff Reform wäre zu harmlos dafür. Die erste: von der Planwirtschaft zur Marktwirtschaft. … Die zweite: Von der Diktatur der Kommunistischen Partei zu rechtsstaatlichen Strukturen. … Die dritte: Von der Sowjetunion zum Nationalstaat. Wenn sich plötzlich ca. 25 Millionen Russen außerhalb der eigenen Landesgrenzen befinden und sich in neuen souveränen Staaten behaupten müssen, in denen weite Teile der Gesellschaft nur darauf gewartet haben, es den ‚Russen‘ endlich heimzuzahlen, dann lässt sich das nicht einfach beiseite wischen.“ (S. 11)

Die Sowjetunion ist am 21.12. 1991 als Union, bestehend aus 15 Unionsrepubliken, aufgelöst worden. Sie hatte 1988 286,7 Mio Einwohner. Allein in der Ukraine wurden im Jahr 2014 8,3 Mio Russen von insgesamt von 45 Mio Einwohner gezählt.

Tabelle                                   Gesamte Bevölkerung                       Russische Bevölkerung

Weissrussland (2012)          9‘5                                                          8% / 700.0
Usbekistan (2013)                30‘0                                                        5% / 1‘5
Kasachstan (2014)               17‘7                                                        23% / 4‘5
Aserbaidschan (2014)          9‘5                                                         1% / 90.0
Litauen (2014)                       2‘9                                                         5% / 150.0
Estland (2014)                       1‘3                                                         25% / 324.0
Lettland (2014)                     2,0                                                         27% / 556.0
Baltische Staaten (2014)     6‘2                                                         16% /1‘0

Tabelle: ausgewählte Staaten der ehemaligen Sowjetunion, Quelle: Wikipedia

Den größten Anteil an der Bevölkerung des Landes bilden die Russen in Kasachstan (2014: 4,5 von 17,7 Mio). In den baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen, die seit 2004 zur EU und zur NATO gehören, sind heute von insgesamt 6,2 Mio Einwohnern ca 1,0 Mio russisch.
Ein wichtiges Kriterium für ein zukünftiges friedliches Zusammenleben der verschiedenen Ethnien in den ehemaligen Ländern der Sowjetunion wird die Frage sein, inwieweit Rechte der Minderheiten gewährleistet sind. In der Ukraine war noch 2012 ein Gesetz erlassen worden, das regional begrenzt Russisch als Amtssprache garantierte, wenn es für mehr als 10% der Bevölkerung die Muttersprache war. Nach den Maidan-Unruhen wurde dieses Gesetz durch einen Mehrheitsbeschluss im Parlament gekippt, aber nach Massenprotesten weigerte sich der Übergangspräsident Turtschinow, das Gesetz zu unterzeichnen. Die Regelung von 2012 besteht also weiterhin fort.
Wie wird Russland im Westen gesehen? Darauf geht Krone-Schmalz immer wieder ein. Sie verweist auf den Sprachgebrauch in unseren Medien, die oft die EU und Europa verwechseln. Obwohl Russland zweifelsfrei zu Europa gehört, wird in der Diskussion um die Ukraine aus Europa und Russland oft ein Gegensatz konstruiert. (S. 14)
Im Kapitel „Enttäuschte Hoffnungen – verpasste Chance“ beleuchtet sie die Entwicklung Russlands in den 90er Jahren, als die Sowjetunion aufgelöst wurde und dieses im „Wesentlichen ohne Blutvergießen“ (S. 58) geschah und es sei schon immer der russische Wunsch gewesen, ein gemeinsames europäisches Haus zu bauen.
Russland ist der logische Rechtsnachfolger der Sowjetunion geworden, auch wegen der erforderlichen Rückzahlung von Schulden. Aber das Image der Sowjetunion als kommunistisch, beherrschend, gewalttätig, auch interventionistisch zu gelten, ist Russland nie losgeworden. (S. 59)
Die in vielen wirtschaftlichen Bereichen erfolgte Privatisierung konnte, so Krone-Schmalz, nicht erfolgreich sein, so z.B. in der Landwirtschaft:

„Privatbauern unter Stalin und Lenin wurden nicht nur zur Kollektivierung gezwungen, die Reicheren unter ihnen, die Kulaken, wurden Ende der zwanziger, Anfang der dreißiger Jahre des vorigen Jahrhunderts systematisch vernichtet. Die Erinnerung, dass florierender Privatbesitz einem Todesurteil gleichkam, löscht eine Gesellschaft nicht so schnell aus dem Gedächtnis.“ (S. 60)

Jelzin hatte 1992 in einem Erlass angeordnet, alle landwirtschaftlichen Staatsbetriebe zu privatisieren. Der Westen hatte das begrüßt. Nur einen wirtschaftlichen Sektor zu privatisieren, konnte nicht gut gehen und es gab keinen Zwischenhandel. Die Betriebe mussten ihre Produkte selbst verteilen und verkaufen. Das hatte sie überfordert. Die Reform misslang.
Krone-Schmalz zitiert einen polnischen Abgeordneten: „Privatisierung unter unseren östlichen Bedingungen, das ist der Verkauf von herrenlosem Vermögen mit unbekanntem Wert an Leute, die kein Geld besitzen.“ (S. 62)
Die Privatisierung einer verglichen mit der Sowjetunion kleinen DDR ist nicht wirklich gut gelungen, weil zu wenig an Industrie erhalten wurde oder in einer Übergangszeit wettbewerbsfähig gemacht konnte. Krone-Schmalz: „Wie soll es im russischen oder gar sowjetischen Maßstab funktionieren?“ (S. 62)
Die Unterstützung des Internationalen Währungsfonds (IWF) tat ein übriges, ein Beispiel: Der IWF hatte Anfang der neunziger Jahre empfohlen, dass Russland maximal 10 000 Rubel für eine Tonne Weizen bezahlen solle. Den heimischen Erzeugern war dies zu wenig, sie vernichteten lieber ihre Ernte. Russland musste den Fehlbedarf importieren, in diesem Fall für 120 US-Dollar – umgerechnet 35 000 bis 40 000 Rubel – also für wertvolle Devisen.

„Es wäre besser gewesen, den russischen Bauern etwas mehr zu zahlen, und es hätte die Menschen wesentlich mehr für den Westen eingenommen, wenn sie gespürt hätten, dass den ihre Lebensrealität wirklich interessiert.“ (S. 63)

Somit hat Russland mit den Getreidekäufen die amerikanischen und kanadischen Bauern unterstützt. Würde Russland sich selbst versorgen können, mit einer landwirtschaftlichen Nutzfläche von 215 Mio Hektar – die gesamte EU hat 172 Mio – hätte dies schwerwiegende Konsequenzen für die westlichen Getreideexporte. Russland verfügt bei 2% der Weltbevölkerung über 9% der Ackerfläche.

Helmut Schmidt, Ex-Bundeskanzler sagte im Jahr 2000, dass die Politik des IWF für die Krisen in Südamerika und Russland verantwortlich sei, „denn es ist nicht darum gegangen, diesen Ländern zu helfen, sondern die eigenen Märkte abzusichern. “(S. 63)
Die vielen Kredite in Milliardenhöhe, die Russland und dem ehemaligen Ostblock gewährt wurden, sind zum großen Teil wieder in den Westen zurückgeflossen. Neue Kredite ersetzten alte, mit denen wiederum westliche Konsumgüter gekauft wurden. (S. 70)
Die neunziger Jahre unter Präsident Jelzin gelten als die Zeit des Raubtierkapitalismus, vom Westen empfohlen und begrüßt. Jelzin hat die Oligarchen geschaffen, Schüsselindustrien wurden privatisiert. „Weit verbreitete existenzielle Not“ stand „bombastischem Luxus einer Geldelite“ gegenüber. „Staatliche Strukturen zerfielen, Korruption und kriminelle Netzwerke bestimmten das Leben.“ (S. 72)
In der Verfassungskrise 1993 hatte das Parlament die Zustimmung zur sog. „Schocktherapie“, einer Reformpolitik, die eine galoppierende Inflation hervorgebracht hatte, verweigert. Jelzin ließ Panzer auffahren und beschoss das Parlament.
Krone-Schmalz zitiert dazu ihren eigenen Vortrag aus dieser Zeit:

„Unser Sprachgebrauch ist bemerkenswert. Wir reden von einem Putsch und bezeichnen damit nicht Jelzins Verfassungsbruch, sondern … bereits die legale Reaktion des Parlaments. Im Grunde ist es beinahe abenteuerlich, wie leicht wir geneigt sind, diktatorische Maßnahmen zu tolerieren, wenn wir meinen, sie dienen dazu, unser Wertesystem einzuführen.“ (S. 74)

Der wirtschaftliche Crash kam 1998. Hohe Inflation und Zinssätze sowie drastische Sparprogramme führten zur Abwertung des Rubel um 25%. Die Bürger verloren ihre Ersparnisse. Anerkannte Zahlungsmittel waren nur noch US-Dollar und Euro. In dieser Zeit übernahm Putin, der von Anfang an in der Wahrnehmung des Westens nicht der „russische Präsident“ sondern der „KGB-Mann“ war: „Hat es zum Beispiel irgendjemanden gestört, dass der ehemalige amerikanische Präsident George Bush senior zuvor Chef der CIA war?“ (S. 77)
Aber die Verhältnisse in Russland ändern sich. Sozialausgaben dominieren im Haushalt 2002, mehr Geld für Ausbildung als für Verteidigung wird ausgegeben. Das Leben in Russland stabilisiert sich, die hohen Rohstoffpreise ermöglichen den Abbau der Auslandsschulden.
Russland tat in dieser Zeit einen großen Schritt in eine Zivilgesellschaft, ein einfaches Steuersystem wurde eingeführt, „Bildung, Wohnungsbau, Gesundheit und Landwirtschaft wurden zu sog. nationalen Projekten erklärt und vom Staat gezielt unterstützt.“ (S. 81)
Aber der Westen sieht diese Entwicklung nicht, er zollt ihr keine Anerkennung. Als Putin 2002 die Superreichen an ihre gesellschaftliche Verantwortung erinnert, wird dieses als „Signal für bevorstehende Enteignungen“ gesehen. Wenn Putin von einer „besorgniserregenden demographischen Entwicklung“ spricht, wird das als „die Furcht vor dem Verlust der Wehrhaftigkeit“ interpretiert. (S. 84)

„Meine These lautet: Es hätte keine dritte Amtszeit Putins gegeben, wenn er bei seiner ersten und zweiten bei dieser Herkulesaufgabe, das größte Land der Welt von Grund auf umzustrukturieren, von außen vertrauensvoller unterstützt worden wäre.“

Krone-Schmalz erinnert auch an die russische Initiative für einen europäischen Sicherheitsvertrag im Jahr 2008. Sie wurde vom Westen „schlicht ignoriert“. (S. 87)
Russland orientiert sich weg von einer „euro-atlantischen“ hin zu einer „euro-asiatischen“ Ausrichtung. Die USA und Großbritannien starten – mit gefälschten Beweisen – den Irak-Krieg 2003, in Libyen wird 2011 Gaddafi gestürzt, in Syrien werden Rebellen unterstützt, um das Assad-Regime zu beseitigen:

„Und überall dort, wo ‚Regime-change‘ unter der Überschrift ‚Demokratisierung‘ gelungen ist, fliegt Russland aus alten Verträgen raus und vor allem westliche Industrienationen, allen voran die USA, bemächtigen sich der lukrativsten Geschäfte.“ (S. 87)

Im Kapitel „Die Idee vom Frieden“ zählt Krone-Schmalz die Einbindungen Russlands in internationale Organisationen auf: (S. 94)
1990 die „Charta von Paris für ein neues Europa“ auf einem Sondergipfel der KSZE (Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa), unterzeichnet von den USA, Kanada, der Sowjetunion und 31 europäischen Ländern. „Darin wurde die Spaltung Europas für beendet erklärt.“
1992 die Aufnahme Russlands in den IWF und in die Weltbank
1997 das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und Russland
1898 wird aus der G7, den sieben führenden Industrienationen, mit Russland die G8
Als „Knackpunkt“ bezeichnet Krone-Schmalz die NATO-Osterweiterung. Zwischen 1997 und 2009 treten Polen, Tschechien, Ungarn, Bulgarien, Rumänien, die drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen sowie die Slowakei und Slowenien der NATO bei. Im Westen wird immer wieder gesagt, all diese Staaten seien freiwillig beigetreten. (S. 95)

„Aber in Russland, und zwar nicht nur in der politischen Elite, sondern auch in weiten Teilen der Bevölkerung, wird diese Geschichte nach wie vor mit einem Wortbruch verbunden.“ (S. 96)

„Hochrangige deutsche Politiker“ so Krone-Schmalz, „haben im persönlichen Gespräch die NATO-Osterweiterung … als den größten Fehler nach dem zweiten Weltkrieg bezeichnet.“ (S. 96)
Sehr enttäuscht ist Krone-Schmalz darüber, dass derartige Zitate niemals autorisiert werden durften. Sie fragt nach „der Qualität eines politischen Systems … in dem Zivilcourage zwar als Wert gilt, aber nur so lange sie in den vorgegeben Rahmen passt?“ (S. 96)
Geht es hier wirklich nur um Sicherheit, so fragt Krone-Schmalz, oder auch um Macht und Rüstungsaufträge?

„Die ehemaligen Ostblockländer mussten – im wahrsten Sinne des Wortes – von Grund auf umgerüstet werden, um ‚NATO-kompatibel‘ zu sein. Ein tolles Geschäft für die entsprechenden westlichen Firmen.“ (S. 101)

Die Ereignisse im September 2001 verändern auch das Verhältnis der USA zu Russland. Beide Länder arbeiten im Kampf gegen den internationalen Terrorismus zusammen, Russland ist einverstanden mit dem westlichen Vorgehen in Afghanistan.
Aber – im Dezember 2001 kündigt die USA einseitig den ABM-Vertrag von 1972. Russland und die USA hatten sich in diesem Vertrag auf die Abrüstung von Raketenabwehrsystemen geeinigt. Der Plan des Westens, in Polen und der Tschechien ein Raketenabwehrsystem – angeblich gegen Raketen aus dem Iran – einzurichten, war mit dem ABM-Vertrag nicht zu vereinbaren. (S. 106)
Und Russland wird weiterhin als „Störenfried oder als Aggressor wahrgenommen“. Dies zeigt sich zum Beispiel beim Georgien-Krieg 2008. Georgien hatte Südossetien angegriffen. Russische Friedenstruppen waren dort im internationalen Auftrag stationiert und sie griffen Georgien an. „Politisch und medial wurde daraufhin nicht etwa Georgien abgestraft sondern Russland.“ (S. 107)

Anfang 2012 lehnte Russland eine Beteiligung an einem militärischen Eingreifen gegen Syrien mit einem Veto im Weltsicherheitsrat ab. (S. 112) Im Libyen-Konflikt hatte Russland lediglich einer UN-Resolution zugestimmt, die eine Flugverbotszone zum Schutz der Zivilbevölkerung gewährleisten sollte. Daraus wurden dann ein Krieg gegen Libyen, es erfolgten Luftschläge und ein „Regimechange“ wurde herbeigeführt. (S. 114)
Hat dieses westliche Vorgehen in Syrien und in Libyen wirklich der Stabilität im Nahen Osten gedient? Sicherlich nicht – In Libyen streiten verschiedene Stammeskräfte, im Irak und in Syrien ist der Islamische Staat (IS) entstanden. Das Vorgehen des Westens war hier immer einseitig – ohne Abstimmung mit Russland.
Die Ereignisse in der Ukraine sind in jüngster Erinnerung: Die Unruhen auf dem Maidan, der Putsch gegen die Machthaber, die ein westliches EU-Assoziierungsangebot abgelehnt hatten. Im Osten des Landes wurden die Volksrepubliken Donezk und Lugansk ausgerufen. Die Zentrale in Kiew will die abtrünnigen Gebiete zurückerobern, eröffnet den bewaffneten Kampf gegen die eigenen Landsleute, die Separatisten im Osten werden von Russland unterstützt:

„Man kann auch die russische Unterstützung der Aufständischen kritisieren, durch die ein Konflikt angeheizt wurde, der für die betroffene Region inzwischen eine humanitäre Katastrophe darstellt. Es geht jedoch völlig an der Realität vorbei, wenn man behauptet, der Aufstand in der Ostukraine sei ausschließlich das Werk russischer Agenten, die eine ansonsten einige Ukraine von außen destabilisiert haben.“ (S. 141)

Einen wesentlichen Faktor für die Entwicklung in der Ukraine sieht Krone-Schmalz im geopolitischen Interesse der USA. Diese hatte Russland als Regionalmacht bezeichnet und die Sanktionspolitik gegen Russland forciert. Über diese sagt der US-Vizepräsident Joe Biden 2014: „Die Europäer wollten keine Sanktionen gegen Russland, wir mussten sie wirklich dahin treiben.“ (S. 159) Letztendlich haben die USA Waffenlieferungen für die ukrainischen Armee gefordert und bis heute teilweise durchgeführt.
Und wiederum spielt der Kampf um Rohstoffe eine große Rolle:

„Die Ukraine verfügt über große Mengen an Schiefergas, vom drittgrößten Vorkommen in Europa ist die Rede. Eines der beiden großen Gasfelder liegt in der Ostukraine. ‘Amerikanische Firmen brennen darauf’ konnte man in einer Schweizer Wochenzeitung lesen, ‘diese von ihnen perfektionierte Fracking-Technologie auch in Europa zum Einsatz zu bringen, und in der Ukraine ist mit dem geringsten Widerstand zu rechnen.’“ (S. 156)

Im Schlusskapitel erinnert Krone-Schmalz an zwei deutsche Politiker, die außenpolitisch den Mut hatten, neue Wege zu gehen und sich dem westlichen „Gruppendruck“ entzogen haben: Konrad Adenauer war 1955 nach Russland gereist, um die Befreiung deutscher Kriegsgefangener zu erreichen. Willy Brandt hatte durch die Versöhnung mit Polen und Russland die Entspannungspolitik eingeleitet und letztendlich auch dadurch die deutsche Einheit ermöglicht. (S. 162)
Ob den USA wohl noch an ein Zitat von Bill Clinton gegenwärtig ist, der sagte: „Wir Amerikaner sollten an einer Weltordnung mitbauen, in der wir uns auch dann wohl fühlen, wenn wir einmal nicht mehr das alleinige Sagen haben.“ Oder hat Russland doch das Erbe der Sowjetunion angetreten, die nach Ronald Reagan das „Reich des Bösen“ war? (S. 163)
Hoch interessant der Anhang des Buches mit dem Titel „Wie es auch hätte laufen können.“ Ende der neunziger Jahre hatte Krone-Schmalz mit einem Intendanten einer öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt ein Fernsehmagazin geplant, das einmal im Monat in der Länge von 45 – 60 Minuten auf einem „ordentlichen Sendeplatz“ über die Länder der ehemaligen Sowjetunion berichten sollte. Krone-Schmalz hatte dazu ein Konzept, u.a. mit den Themenschwerpunkten Russisches Fernsehen, Regionen, Wirtschaft, Raumfahrt, Militär, Jugend, Frauen, Wissenschaft, Medizin, Kultur, Religion, Tourismus, Geschichte vorgelegt. Wir wissen, wie diese Geschichte ausging. (S. 168)
Ihr Schlusswort lautet:

„Im Grunde halte ich das Prinzip einer solchen Informationsschiene nach wie vor für eine gute Idee, um platten Freund-Feind-Bildern etwas Substantielles entgegenzusetzen. Gerade in einer Zeit, in der sich eine neue Ost-West-Teilung andeutet, in der ukrainische Politiker, die sich doch angeblich der Demokratie und rechtsstaatlichen Prinzipien so verpflichtet fühlen, wären öffentlich-rechtliche Sender mit ihrer gesetzlich verankerten Verpflichtung genau die richtige Adresse, sich Gedanken zu machen, wie man aus der Sackgasse herauskommt, in der wir nicht nur politisch, sondern auch medial stecken.“

In einem Interview mit artour, dem Kulturmagazin des MDR, bekräftigt Garbriele Krone-Schmalz: „Man hat Putin nur als KGB-Mann wahrgenommen.“

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Ein Gedanke zu „Gabriele Krone-Schmalz: Russland verstehen

  1. Willi

    Bravo Frau Krone-Schmalz, bravo Ludger, und vielen Dank für die Hintergrundinformationen! Das macht mir deutlich, wieviel ich in der Zwischenzeit vergessen hatte und wieviel ich wohl niemals vorher erfahren habe.
    Und es macht die schmähliche Rolle der deutschen Medien deutlich, auch der öffentlich-rechtlichen, die ihrem eigentlichen Auftrag nicht wirklich gerecht werden.
    Willi

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