Gabriele Krone-Schmalz: Russland verstehen

Im Kapitel „Die Idee vom Frieden“ zählt Krone-Schmalz die Einbindungen Russlands in internationale Organisationen auf: (S. 94)
1990 die „Charta von Paris für ein neues Europa“ auf einem Sondergipfel der KSZE (Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa), unterzeichnet von den USA, Kanada, der Sowjetunion und 31 europäischen Ländern. „Darin wurde die Spaltung Europas für beendet erklärt.“
1992 die Aufnahme Russlands in den IWF und in die Weltbank
1997 das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen zwischen der EU und Russland
1898 wird aus der G7, den sieben führenden Industrienationen, mit Russland die G8
Als „Knackpunkt“ bezeichnet Krone-Schmalz die NATO-Osterweiterung. Zwischen 1997 und 2009 treten Polen, Tschechien, Ungarn, Bulgarien, Rumänien, die drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen sowie die Slowakei und Slowenien der NATO bei. Im Westen wird immer wieder gesagt, all diese Staaten seien freiwillig beigetreten. (S. 95)

„Aber in Russland, und zwar nicht nur in der politischen Elite, sondern auch in weiten Teilen der Bevölkerung, wird diese Geschichte nach wie vor mit einem Wortbruch verbunden.“ (S. 96)

„Hochrangige deutsche Politiker“ so Krone-Schmalz, „haben im persönlichen Gespräch die NATO-Osterweiterung … als den größten Fehler nach dem zweiten Weltkrieg bezeichnet.“ (S. 96)
Sehr enttäuscht ist Krone-Schmalz darüber, dass derartige Zitate niemals autorisiert werden durften. Sie fragt nach „der Qualität eines politischen Systems … in dem Zivilcourage zwar als Wert gilt, aber nur so lange sie in den vorgegeben Rahmen passt?“ (S. 96)
Geht es hier wirklich nur um Sicherheit, so fragt Krone-Schmalz, oder auch um Macht und Rüstungsaufträge?

„Die ehemaligen Ostblockländer mussten – im wahrsten Sinne des Wortes – von Grund auf umgerüstet werden, um ‚NATO-kompatibel‘ zu sein. Ein tolles Geschäft für die entsprechenden westlichen Firmen.“ (S. 101)

Die Ereignisse im September 2001 verändern auch das Verhältnis der USA zu Russland. Beide Länder arbeiten im Kampf gegen den internationalen Terrorismus zusammen, Russland ist einverstanden mit dem westlichen Vorgehen in Afghanistan.
Aber – im Dezember 2001 kündigt die USA einseitig den ABM-Vertrag von 1972. Russland und die USA hatten sich in diesem Vertrag auf die Abrüstung von Raketenabwehrsystemen geeinigt. Der Plan des Westens, in Polen und der Tschechien ein Raketenabwehrsystem – angeblich gegen Raketen aus dem Iran – einzurichten, war mit dem ABM-Vertrag nicht zu vereinbaren. (S. 106)
Und Russland wird weiterhin als „Störenfried oder als Aggressor wahrgenommen“. Dies zeigt sich zum Beispiel beim Georgien-Krieg 2008. Georgien hatte Südossetien angegriffen. Russische Friedenstruppen waren dort im internationalen Auftrag stationiert und sie griffen Georgien an. „Politisch und medial wurde daraufhin nicht etwa Georgien abgestraft sondern Russland.“ (S. 107)

Anfang 2012 lehnte Russland eine Beteiligung an einem militärischen Eingreifen gegen Syrien mit einem Veto im Weltsicherheitsrat ab. (S. 112) Im Libyen-Konflikt hatte Russland lediglich einer UN-Resolution zugestimmt, die eine Flugverbotszone zum Schutz der Zivilbevölkerung gewährleisten sollte. Daraus wurden dann ein Krieg gegen Libyen, es erfolgten Luftschläge und ein „Regimechange“ wurde herbeigeführt. (S. 114)
Hat dieses westliche Vorgehen in Syrien und in Libyen wirklich der Stabilität im Nahen Osten gedient? Sicherlich nicht – In Libyen streiten verschiedene Stammeskräfte, im Irak und in Syrien ist der Islamische Staat (IS) entstanden. Das Vorgehen des Westens war hier immer einseitig – ohne Abstimmung mit Russland.
Die Ereignisse in der Ukraine sind in jüngster Erinnerung: Die Unruhen auf dem Maidan, der Putsch gegen die Machthaber, die ein westliches EU-Assoziierungsangebot abgelehnt hatten. Im Osten des Landes wurden die Volksrepubliken Donezk und Lugansk ausgerufen. Die Zentrale in Kiew will die abtrünnigen Gebiete zurückerobern, eröffnet den bewaffneten Kampf gegen die eigenen Landsleute, die Separatisten im Osten werden von Russland unterstützt:

„Man kann auch die russische Unterstützung der Aufständischen kritisieren, durch die ein Konflikt angeheizt wurde, der für die betroffene Region inzwischen eine humanitäre Katastrophe darstellt. Es geht jedoch völlig an der Realität vorbei, wenn man behauptet, der Aufstand in der Ostukraine sei ausschließlich das Werk russischer Agenten, die eine ansonsten einige Ukraine von außen destabilisiert haben.“ (S. 141)

Einen wesentlichen Faktor für die Entwicklung in der Ukraine sieht Krone-Schmalz im geopolitischen Interesse der USA. Diese hatte Russland als Regionalmacht bezeichnet und die Sanktionspolitik gegen Russland forciert. Über diese sagt der US-Vizepräsident Joe Biden 2014: „Die Europäer wollten keine Sanktionen gegen Russland, wir mussten sie wirklich dahin treiben.“ (S. 159) Letztendlich haben die USA Waffenlieferungen für die ukrainischen Armee gefordert und bis heute teilweise durchgeführt.
Und wiederum spielt der Kampf um Rohstoffe eine große Rolle:

„Die Ukraine verfügt über große Mengen an Schiefergas, vom drittgrößten Vorkommen in Europa ist die Rede. Eines der beiden großen Gasfelder liegt in der Ostukraine. ‘Amerikanische Firmen brennen darauf’ konnte man in einer Schweizer Wochenzeitung lesen, ‘diese von ihnen perfektionierte Fracking-Technologie auch in Europa zum Einsatz zu bringen, und in der Ukraine ist mit dem geringsten Widerstand zu rechnen.’“ (S. 156)

Im Schlusskapitel erinnert Krone-Schmalz an zwei deutsche Politiker, die außenpolitisch den Mut hatten, neue Wege zu gehen und sich dem westlichen „Gruppendruck“ entzogen haben: Konrad Adenauer war 1955 nach Russland gereist, um die Befreiung deutscher Kriegsgefangener zu erreichen. Willy Brandt hatte durch die Versöhnung mit Polen und Russland die Entspannungspolitik eingeleitet und letztendlich auch dadurch die deutsche Einheit ermöglicht. (S. 162)
Ob den USA wohl noch an ein Zitat von Bill Clinton gegenwärtig ist, der sagte: „Wir Amerikaner sollten an einer Weltordnung mitbauen, in der wir uns auch dann wohl fühlen, wenn wir einmal nicht mehr das alleinige Sagen haben.“ Oder hat Russland doch das Erbe der Sowjetunion angetreten, die nach Ronald Reagan das „Reich des Bösen“ war? (S. 163)
Hoch interessant der Anhang des Buches mit dem Titel „Wie es auch hätte laufen können.“ Ende der neunziger Jahre hatte Krone-Schmalz mit einem Intendanten einer öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt ein Fernsehmagazin geplant, das einmal im Monat in der Länge von 45 – 60 Minuten auf einem „ordentlichen Sendeplatz“ über die Länder der ehemaligen Sowjetunion berichten sollte. Krone-Schmalz hatte dazu ein Konzept, u.a. mit den Themenschwerpunkten Russisches Fernsehen, Regionen, Wirtschaft, Raumfahrt, Militär, Jugend, Frauen, Wissenschaft, Medizin, Kultur, Religion, Tourismus, Geschichte vorgelegt. Wir wissen, wie diese Geschichte ausging. (S. 168)
Ihr Schlusswort lautet:

„Im Grunde halte ich das Prinzip einer solchen Informationsschiene nach wie vor für eine gute Idee, um platten Freund-Feind-Bildern etwas Substantielles entgegenzusetzen. Gerade in einer Zeit, in der sich eine neue Ost-West-Teilung andeutet, in der ukrainische Politiker, die sich doch angeblich der Demokratie und rechtsstaatlichen Prinzipien so verpflichtet fühlen, wären öffentlich-rechtliche Sender mit ihrer gesetzlich verankerten Verpflichtung genau die richtige Adresse, sich Gedanken zu machen, wie man aus der Sackgasse herauskommt, in der wir nicht nur politisch, sondern auch medial stecken.“

In einem Interview mit artour, dem Kulturmagazin des MDR, bekräftigt Garbriele Krone-Schmalz: „Man hat Putin nur als KGB-Mann wahrgenommen.“

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Ein Gedanke zu „Gabriele Krone-Schmalz: Russland verstehen

  1. Willi

    Bravo Frau Krone-Schmalz, bravo Ludger, und vielen Dank für die Hintergrundinformationen! Das macht mir deutlich, wieviel ich in der Zwischenzeit vergessen hatte und wieviel ich wohl niemals vorher erfahren habe.
    Und es macht die schmähliche Rolle der deutschen Medien deutlich, auch der öffentlich-rechtlichen, die ihrem eigentlichen Auftrag nicht wirklich gerecht werden.
    Willi

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