Herrschaft und strategische Einbindung
In diesem “Klima der Angst” haben sich die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse in den letzten Jahren deutlich verschoben: Neoliberales Denken und der verordnete antimuslimische Rassismus haben sich in den Köpfen der Menschen verfangen und zeitigen ihre Wirkung inzwischen nicht zuletzt in Bezug auf die politische Aktion. So sind vor dem Hintergrund einer zunehmenden sozioökonomischen Spaltung und einer Außenpolitik, die sich mehr und mehr militarisiert, aktuell vor allem zwei soziale Bewegungen “von unten” auszumachen, die beide jedoch umgehend auf eine “Strategie der Einbindung” oder – wo dies nicht möglich war – der Dämonisierung und Diskreditierung von oben gestoßen sind: Da ist zum einen die verjüngte Friedensbewegung, die unter dem Label “Friedenswinter” zu landesweiten Demonstrationen aufruft; und zum anderen die Pegida-Bewegung.
Erstere wurde in den letzten Wochen und Monaten dank einer massiven medialen Kampagne, die insbesondere über Medien mit progressivem Image gespielt wurde, öffentlich fast vollständig diskreditiert. Offenbar waren die Analysen und hieraus abgeleiteten Forderungen der Friedensbewegten so konträr zu den Interessen und Leitlinien des politmedialen Establishments, dass diese Bewegung als nicht einbindbar mit überwiegend unlauteren Mitteln in Grund und Boden geschrieben worden ist.
Aus der Forderung nach der Einhaltung des Völkerrechts überall auf der Welt, explizit auch hinsichtlich des Palästinakonfliktes, wurde das Stigma des Antisemitismus konstruiert. Die Bereitschaft, auch jenseits linker Kreise offen für politisch unerfahrene Menschen zu sein, wurde zur Querfront-Strategie umgedeutet und die Bewegung somit in die Nähe von Nationalsozialismus und Faschismus gestellt. Aus dem Vorwurf, die NATO sei eine immense Bedrohung für den Frieden, wurden die Stigmata des Nationalismus und Antiamerikanismus konstruiert. Und aus der wissenschaftlich längst belegten Feststellung, Politik und Medien im Land seien von Elitennetzwerken durchzogen, die hier gezielt eigenes Agenda-Setting betreiben, wurde das Stigma der Verschwörungstheoretiker konstruiert.
“Die sogenannte Friedensbewegung eint die Ablehnung der liberalen Gesellschaft”; sie fände ihren Nachwuchs unter “Rechtspopulisten, Nationalisten, Verschwörungstheoretikern und Antisemiten”, titelte zum Beispiel am 12. Dezember 2014 die vermeintlich linksliberale Frankfurter Rundschau und trieb damit den denkbar größten Keil in die politisch progressiven gesellschaftlichen Kreise im Land. Letztere schwören nun zunehmend ihrer eigenen politischen Wirkmacht ab, da sie keinesfalls mit “derlei” in Verbindung gebracht werden und hierfür “mitverantwortlich” sein wollen.
Ähnlich und dennoch anders wird mit der Protestbewegung Pegida in Dresden, die teilweise bis zu 20.000 Menschen mobilisierte, verfahren: In den Medien fast ausschließlich thematisiert wird der offen sichtbare, antimuslimische Rassismus vieler Teilnehmer. Nicht thematisiert hingegen werden all jene Äußerungen, die auf eine soziale Motivation der Demonstranten hinweisen.
Pegida wird politisch instrumentalisiert: Den über Jahre herbeigeschriebenen und für “Anti-Terrorgesetze” instrumentalisierten Rassismus thematisiert man, hier ist man „gesprächsbereit“, gegebenenfalls sogar willens, noch härtere Asyl- und Einwanderungsgesetze zu verabschieden. Die soziale Not hingegen, für welche dieser Rassismus auch und vor allem Katalysator ist und wohl auch sein soll, thematisiert man hingegen nicht. Dieses Herangehen kritisierte unlängst auch der Politologe Werner J. Patzelt:
“Was als Fremdenfeindlichkeit daherkommt, entpuppt sich als sozialer Konflikt. Bei ihm steht die auf ihre Bildung und Humanität stolze Oberschicht gegen das einfache Volk, das sich anscheinend lümmelhaft aufführt und deshalb Zurechtweisung und Belehrung seitens der besseren Kreise verdient.”
Pegida nun einfach als “faschistisch” oder anderes abzutun (oder gar ausschließlich den hier verbreiteten Rassismus zum Motor parlamentarisch-politischer Aktion zu erklären), käme nicht nur – wie auch beim Friedenswinter – einer “semantischen Enteignung” der Unteren durch die Oberen gleich. Es forcierte auch und vor allem weiter die gesellschaftliche Spirale aus ideologischer Propaganda, xenophober Angst und – die Herrschaftsverhältnisse schützender – strategischer Einbindung alles “Verwertbaren” bei zugleich vollständiger Dämonisierung und Tabuisierung dessen, was aktuell wohl dringender denn je notwendig ist: Sozial-, Rassismus- und Kapitalismuskritik.
Inzwischen aber rangiert “Systemkritik” selbst bereits unter den Stigmata von Antisemitismus und Verschwörungstheorie. Keine guten Zeiten also für sozial-emanzipatorische, aufklärerische Agitation. Gute Zeiten hingegen für einen Artikel zum Thema Herrschaftskritik in vermeintlich herrschaftsfreier Zeit.
Jens Wernicke, Jahrgang 1977, studierte an der Bauhaus-Universität Weimar Medien- und Kulturwissenschaften. Inzwischen ist er als bildungspolitischer Referent beim Landesverband Hessen der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und nebenher als Blogger und politischer Journalist – unter anderem für die NachDenkSeiten – tätig.
Dieser Beitrag ist zuerst veröffentlicht worden auf le bohémien und erscheint hier mit Zustimmung des Autors.
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