Armutszuwanderung aus Bulgarien und Rumänien oder Kleine Chronik einer Populismus-Kampagne

Wer kann sich noch an die Kampagne gegen Armutszuwanderung und Sozialmissbrauch durch Rumänen und Bulgaren Ende 2013 erinnern?

Ein Musterbeispiel für die „CSU-Kernkompetenz“, rechtzeitig vor Wahlen auf Stimmenfang bei potentiell ausländerkritischen Wählern zu gehen.

Ein kurzer Abriss der wichtigsten Fakten:

      • Im Februar 2013 schlägt der Deutsche Städtetag Alarm aufgrund von Zahlen des Statistischen Bundesamtes, wonach die Zahl der Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien um 24 % zugenommen hat, und weist zugleich auf die Probleme in einigen Städten hin.
      • Der damalige Innenminister Hans-Peter Friedrich kündigt ggü. dem ZDF Heute Journal am 22.2. 2013 ein hartes Vorgehen an. Gemeinsam mit der damaligen Sozialministerin von der Leyen vertritt er aber die Meinung, dass die Kommunen die Probleme selber lösen müssen (Handelsblatt online 17.2.13).
      • Erst Monate später stellt sich heraus, dass die Zahlen der Zuwanderer brutto sind, also keine Fortzüge aus Deutschland sowie Saisonarbeiter enthalten, die ja wieder in ihr Heimatland zurückkehren. (Mediendienst Integration 10.5.2013)
      • Das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB), das der Bundesagentur für Arbeit zugeordnet ist, kommt im August 2013 zum Schluss, dass sich aktuell durch die Zuwanderung gesamtwirtschaftliche Gewinne ergeben, es allerdings in einigen Städten wie Berlin, Duisburg, Dortmund Probleme gibt.
      • Eine EU-Studie kommt im Herbst 2013 (7.10.) zum Fazit, dass die Zuwanderung von Bulgaren und Rumänen insgesamt dem deutschen Wohlstand nützt – CSU-Reaktion von Hans-Peter Uhl: „unverschämte Realitätsverweigerung und Frivolität erster Güte“.
      • Ende Dezember 2013 wird das Thema unter dem Titel „Wer betrügt, der fliegt“ für die Klausurtagung der CSU in Wildbad Kreuth ins Rollen gebracht mit einer beträchtlichen Medienresonanz.
      • Seehofer kritisiert gegenüber dem Münchner Merkur am 2.1.14 die Reaktion der SPD als Heuchelei und verweist auf die entsprechenden Passagen im Koalitionsvertrag, wonach sich die GroKo dieses Themas annimmt.
      • Die „Zeit“ vermutet am 7.1.14, daß die AfD bei der bevorstehenden Europawahl der CSU schaden könnte und dass deshalb rechtspopulistische Töne angeschlagen werden.
      • Seltsam: Seit 2007 wusste man von der bevorstehenden Arbeitnehmer-Freizügigkeit, aber erst wenige Tage vor dem Stichtag beginnt die Kampagne – ob das wohl mit dem bevorstehendem Europawahlkampf zusammenhängt?
      • Nahezu alle Medien berichten über die bislang erfolgreiche Arbeitssituation von Bulgaren und Rumänen:
        • So beziehen nur 10 % Hartz IV gegenüber 15 % aller Ausländer in Deutschland.
        • Die Arbeitslosenquote ist seit 1/2014 sogar auf 8,8 % zurückgegangen.
        • Jeder zweite Bulgare oder Rumäne verfügt über eine gute Ausbildung.
        • 55 % haben mindestens einen Fachhochschulabschluss und damit mehr als im Bundesdurchschnitt.
        • Die Beschäftigungsquote stieg im 1. Halbjahr 2014 sogar auf 78 %.
        • Auch das Kindergeld wird mit 8 % bei Bulgaren, Rumänen weniger bezogen als im Bundesdurchschnitt mit 11 %.
        • Auch der Eindruck, dass Deutschland das bevorzugte Einreiseland ist, stimmt nicht – während in Deutschland Ende 2013 ca. 320 Tsd Bulgaren bzw. Rumänen leben, sind es in Italien 1,1 Mio und in Spanien 950 Tsd. (Faktencheck agarp Arbeitsgemeinschaft der Beiräte für Migration und Integration Rheinland-Pfalz: „Der Mythos der Armutsmigration”.)
      • Auch von Seiten der deutschen Wirtschaft wird ein positives Bild über die Zuwanderung gezeichnet:
        • Das Institut der deutschen Wirtschaft konstatiert, dass Bulgaren und Rumänen in Deutschland zu 25 % einen akademischen Abschluß haben ggü. 19 % von Deutschen (20.1.14).
        • Der deutsche Industrie- und Handelskammertag fordert am 4.1.2014: „Deutschland braucht mehr ausländische Fachkräfte“.
        • Und auch der Städtetag, der noch im Februar 2013 ein Horrorszenario gezeichnet hatte, kommt am 9.1.2014 zum Ergebnis, dass es keine Hinweise auf Sozialmissbrauch gibt.
      • Trotzdem zeigt das Thema, dass in der Bevölkerung latente Ängste vor der Ausnutzung der Sozialsysteme bestehen – so wird bei einer T-online Umfrage unter 26.000 Teilnehmern eine Zustimmung zur CSU-Position von ca. 78 % verzeichnet – 3.1.14.
      • Eine Forsa-Studie kommt immerhin noch auf 60 % der Deutschen, die finden, dass ihre Angst vor Sozialmissbrauch berechtigt ist.
      • Und die Bildzeitung veröffentlicht am 4.1.2014 eine YouGoV-Studie, wonach 80 % der Befragten keine Gleichstellung der Sozialleistungen von Deutschen und Ausländern von Anfang an wollen.
      • Januar 2014: Man einigt sich schließlich in der GroKo auf einen Staatssekretärsausschuss mit Vertretern fast aller Ministerien.
      • Als Zwischenergebnis stellen am 26.3.14 Andrea Nahles und Thomas de Maiziere fest, dass es mit Ausnahme einiger Städte zu keinen massenhaften Einwanderungen und Missbrauchsfällen gekommen ist.
      • Spiegel-online vermutet, wie klein doch das Problem ist, wenn Maßnahmen vorgeschlagen werden, obwohl kein grundsätzliches Problem besteht (26.3.2014), nach dem Motto „Jeder bekommt etwas – Die SPD den Mindestlohn, die CDU den ausgeglichenen Haushalt, und jetzt ist halt die CSU dran“.
      • Gegenüber rp-online macht CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer folgende Aussage: „Armutszuwanderung ist ein Problem – die Menschen werden von dem Sozialsystem angelockt und kommen allein wegen der Leistungen“.
      • Wie sich später (ZDF–Faktencheck 10.5.14) herausstellt, wurden in dem Interview mit der Rheinischen Post die dabei genannten Zahlen verwechselt, was die Anzahl der Zuwanderer und die Hartz IV-Bezieher anbelangt, sowie unklar gelassen, ob es sich um Zahlen für Bayern oder ganz Deutschland handelt.
      • Kaum Beachtung findet eine Zahl, die das Handelsblatt am 1.5.2014 veröffentlichte: Danach wurden für 2012 in Bayern ganze 12 Fälle von Sozialmissbrauch durch Rumänen (Bulgaren 0) bekannt (bundesweit 112 Fälle).
      • Den vorerst letzten Presseaufschlag verantwortet die Bild-Zeitung mit ihrem Print-Titel „Erstmals mehr als 300.000 Hartz IV-Empfänger aus EU-Ost und Schuldenländern“. Dabei wird auf den Anstieg von April 2014 ggü. April 2014 von 21,6 % verwiesen, aber verschwiegen, dass die Zahl der Beschäftigen ebenfalls um 20,5 % zugenommen hat (incl. der Saisonarbeiter sogar um 45,1%).
      • Am 27.8. werden Maßnahmen im Kabinett beraten.
      • Wie aus dem Abschlussbericht des Staatssekretärs-Ausschusses bekannt wurde, sind von den geforderten Maßnahmen nicht viele übrig geblieben.
        (Wiedereinreisesperre nur in eng umgrenzten Fällen von Sozialmissbrauch, Kindergeld steht rechtlich allen Eltern zu, auch wenn deren Kinder nicht in Deutschland leben).
        Die Landesgruppenchefin der CSU, Gerda Hasselfeldt, sieht hingegen nur den Erfolg für manche Kommunen durch finanzielle Leistungen (FAZ 24.8.14).

Zum Schluss – was lernen wir daraus für eine Populismus-Kampagne:

      • Besetze ein Thema, das einfach und damit bierzelt-tauglich ist, rechtzeitig vor Wahlen.
      • Sprich das latente Ungerechtigkeitsempfinden mancher Deutscher gegenüber Ausländern an, aber weise natürlich den Vorwurf der Pauschalisierung oder gar Ausländerfeindlichkeit weit zurück.
      • Mach aus Einzelfällen ein generelles Thema und nimm in Kauf, dass Zuwanderer als potentielle Betrüger angesehen und diejenigen abschreckt werden, die wir in Deutschland brauchen.
      • Ignoriere alle Fakten und gegenteiligen Meinungen und wiederhole deine Argumente immer wieder.

Und schließlich:
Wenn Du die Kampagne nicht mehr brauchst, dann hast Du mehrere Möglichkeiten daraus auszusteigen:

      • Verkaufe alles als Deinen Erfolg, auch wenn überhaupt nichts passiert ist.
      • Lass die Kampagne langsam einschlafen, was keiner bemerkt, weil Du ja schon die nächste Kampagne am Zünden hast (z.B. Mautpläne).
      • Am Besten aber ist es, Du findest einen Schuldigen, dem Du die Schuld am Scheitern in die Schuhe schieben kannst (das kann man damit auch noch populistisch vermarkten).

24.8.2014
Gerhard Dengler

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