Naomi Klein, Die Entscheidung, Kapitalismus vs. Klima (2)

Foto: Hummelhummel

Kapitel 2 des Buches trägt die Überschrift „Heißes Geld – Wie der Marktfundamentalismus den Planeten aufheizt“.

Naomi Klein beginnt dieses Kapital mit einem netten Aufmacher. Sie zitiert die UN-Botschafterin der Republik Nauru, Marlene Moses:

Wenn die Politik nicht geneigt ist, die Wahrheit zu sagen, dann müssen wir wohl mehr Energie darauf verwenden, die Politik zu verändern. (S. 85)

Die Frage, die im Mittelpunkt steht, ist: Was haben weltweiter Handel und niedrige Löhne mit dem Klimawandel zu tun?

Es sind die Vorschriften der Welthandelsorganisation WTO (World Trade Organization), die sich gegen viele Ökoenergieprogramme wenden. Diese werden oft national gefördert, wenn sie einen gewissen lokalen Wertschöpfungsanteil haben, was wiederum von der WTO als protektionistisch angesehen wird.

So klagt China gegen Einspeisevergütungen in der EU, Washington greift Indiens Solarprogramm an. Indien seinerseits plant, gegen Programme US-amerikanischer Bundesstaaten zur Förderung der Erneuerbaren Energien vorzugehen. In einem andern Fall hat die WTO gegen Kanada entschieden und den lokalen Wertschöpfungsanteil für illegal erklärt.

Grundlage für diese Politik ist eine der Kernklauseln fast aller Freihandelsabkommen, die sog. „Inländerbehandlung“, die vorschreibt, nicht zu unterscheiden zwischen Gütern, die von einheimischen Firmen stammen, und solchen, die von ausländischen Firmen jenseits ihrer Grenzen produziert werden und somit stellt die Bevorzugung der einheimischen Industrie eine „illegale“ Diskriminierung dar.

So unverständlich diese Philosophie der WTO erscheinen mag, sie wird noch weniger logisch nachvollziehbar, wenn dem die jährlichen Subventionen für die Fossilindustrie in Höhe von 775 Milliarden bis eine Billion US-Dollar entgegengestellt werden:

Sie [die Fossilindustrie] dürfen auch noch unsere gemeinsame Atmosphäre als kostenlose Mülldeponien nutzen – ein Sachverhalt, den der Stern-Report (Stern Review on the Economics of Climate Change) als „das größte Marktversagen, das die Welt je erlebt hat“ bezeichnet. Diese Gratisgabe ist die wahre Verzerrung, der Diebstahl des Himmels die wahre Subvention.“ (S. 92)

Es geht auch anders. Dänemark hat eins der weltweit am erfolgreichsten Programme zur Förderung der Erneuerbaren und bezieht 40% seines Stroms daraus. Aufgelegt wurde diese Förderpolitik in der 80er Jahren, also vor der Ära des Freihandels.
Wie unsinnig die WTO-Regeln sind, zeigt sich umso mehr darin, dass Argumente für die Förderung der Erneuerbaren oft eng verbunden sind mit der Schaffung grüner lokaler Arbeitsplätze.
Naomi Klein formuliert es so:

Zuzulassen, dass obskures Handelsrecht so viel Einfluss auf ein Problem gewinnt, das für die Zukunft der Menschheit entscheidende Bedeutung hat, ist schon eine ganz spezielle Form des Irrsinns. (S. 94)

Zur Erinnerung – die wichtigen Klima- und Handelsabkommen wurden parallel geschlossen, in den 90er Jahren: 1992 fand die Klimakonferenz von Rio de Janeiro statt und die Unterzeichnung von NAFTA, dem Nordamerikanischen Freihandelsabkommen. 1994 wurden die Verhandlungen über WTO abgeschlossen, 1997 das Kyoto-Protokoll unterzeichnet. China wurde 2001 Vollmitglied der WTO.

Niemand hat sich in dieser Phase darum gekümmert, welche Folgen die Handelserleichterungen auf das Klima haben würden, wenn mehr und mehr Güter des Grundbedarfs mit großen Frachtern oder mit Jumbojets CO2-intensiv um den Erdball transportiert werden.

Und die rechtlichen Grundlagen? Verpflichtungen bei den Klimaverhandlungen werden geschlossen auf der Basis von Treu und Glauben – die Verstöße gegen das Handelsabkommen landen aber regelmäßig vor ziemlich rigorosen Schiedsgerichten.
Einfluss auf die CO2-Bilanz der Staaten hat der Transport der Waren in keiner Weise. Die Emissionen der Containerschiffe, deren Verkehrsvolumen in den letzten zwanzig Jahren um 400 Prozent zugenommen hat, werden formell keinem Staat zugeschrieben. Für ihre Reduktion ist also niemand verantwortlich. Die Treibhausgase, die bei Herstellung der für den Export bestimmten Güter entstehen, werden „selbstverständlich“ dem produzierenden Land zugeschrieben. Reiche Länder haben demnach ihre Emissionen stabilisiert, weil sie die schmutzige Produktion mittels des Freihandels ins Ausland verlegt haben.
Unter dem Strich steht:

Der Anstieg der Emissionen aus Gütern, die in Entwicklungsländern produziert, aber in Industrieländern konsumiert werden, [war] sechsmal größer als die Emissionseinsparungen der Industrieländer. (S. 103)

Auf diese Weise wurde China nicht nur zur „Werkstatt der Welt“ sondern gleichzeitig zum Kohlendioxyd spuckenden „Schornstein der Welt“. 48 Prozent der gesamten Emissionen Chinas zwischen 2002 und 2008 entstammen der Produktion von Exportgütern.
Und die multinationalen Konzerne gehören ebenfalls dazu. Über Mexiko, Zentralamerika, Südkorea landeten die Konzerne Ende der 90er Jahre schließlich in China, wo die Löhne außerordentlich niedrig, die Gewerkschaften unterdrückt und

der Staat bereit war, scheinbar unbegrenzte Summen in große Infrastrukturprojekte zu stecken – moderne Häfen, ein ausuferndes Autobahnnetz, unzählige Kohlekraftwerke, gigantische Staudämme – all das, um sicherzustellen, dass die Lichter in den Fabriken nicht ausgingen und die am Fließband produzierten Waren rechtzeitig auf die Containerschiffe gelangten. Ein Traum für jeden Wirtschaftsliberalen – und ein Albtraum für das Klima.“ (S. 105)

Und somit ist ersichtlich, es gibt eben doch eine kausale Beziehung zwischen niedrigen Löhnen und hohen Emissionen. Ohne Emissionskontrollen und mit billigen Löhnen kostet die Produktion am wenigsten.

Ausgebeutete Arbeiterinnen und Arbeiter und ein ausgebeuteter Planet gehen offensichtlich Hand in Hand. (S. 106)

In der Klimabilanz hört ich das alles ganz anders an. Da heißt es eben, dass die Schwellenländer (China, Indien, Brasilien) die Hauptverursacher sind und niemand sagt, dass es die reichen Länder sind, deren Regierungen und Konzerne das Modell der exportorientierten Entwicklung vorangetrieben haben.

Mittlerweile ist grüner Kapitalismus gefragt, das bedeutet die Entkoppelung von Umweltauswirkungen und wirtschaftlicher Tätigkeit, nach dem Motto, wir können so weiter machen wie bisher, nur unser Energiebedarf wird durch die Erneuerbaren gedeckt.
Sicherlich, nachhaltige Technik verspricht gewaltige Emissionseinsparungen. Aber, wir müssten riesige neue Stromnetze und Transportsysteme errichten und dieser Ausbau, der Jahrzehnte dauern wird, müsste mit fossilen Brennstoffen bewältigt werden. Beide Effekte, die Zeit und der Rückgriff auf Kohle, Öl und Gas, würden bewirken, dass es für einen wirklichen Klimawandel zu spät ist.
Naomi Klein sagt es so:

Ökokonsum heißt nichts anderes, als eine Energiequelle durch eine andere zu ersetzen oder einen Konsumartikel durch einen effizienteren. Wir haben alle unsere Eier in den Korb mit der grünen Technologie und der Effizienz gelegt, eben weil diese Veränderungen der Marktlogik nicht widersprechen – ja, sie ermuntern sogar dazu, einkaufen zu gehen und noch mehr neue, effiziente Öko-Autos und -Waschmaschinen zu besorgen. (S. 116)

Sie fordert daher umfassende Maßnahmen und Programme, die allen Verbrauchern klimafreundliche Entscheidungen leicht machen und die fair sind gegenüber denjenigen, die sozial benachteiligt sind: billigen öffentlichen Nahverkehr für alle, energieeffiziente Wohnungen, die an den Nahverkehr angebunden sind, Städte mit hoher Wohndichte, sichere Radwege, Vermeidung der Zersiedelung auf dem Land, lokale und energiesparende Formen der Landwirtschaft, sowie Programme, die Hersteller für den Elektroschrott verantwortlich machen.
Und ihre Blick richtet sich immer auf die Reichen:

Es geht darum, dass die wohlhabenden 20 Prozent der Bevölkerung die größten Einschnitte vornehmen. (S. 117)

Und die Instrumente, die erforderlich sind, um den Klimawandel zu bekämpfen, sind dieselben, die gebraucht werden, um die Lebensbedingungen für Amerikaner mit niedrigem Einkommen und Farbige zu verbessern, nur ein Beispiel:

Die Verbesserung des Regenwassermanagements würde allein 2 Millionen Amerikaner in Lohn und Brot setzten. (S. 118)

Naomi Klein verlangt eine langfristige, visionäre Planung, eine strenge Regulierung der Unternehmen, höhere Steuern für die Wohlhabenden, hohe öffentliche Ausgaben und eine Rückführung der Privatisierung von Kernbereichen, um die Kommunen zu stärken.
Sie fordert,

unsere Vorstellungen vom Wirtschaftsleben von Grund auf zu verändern, damit unser Dreck unsere Welt nicht von Grund auf verändert. (S. 121)

Bildquelle: Wikimedia / CC BY-SA 3.0
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