Anfangen möchte ich mit einem Zitat von Arno Gruen:
“Unsere Kultur macht es Menschen sehr schwer, ein eigenes freies Selbst zu entwickeln, weil sie das innere Erleben abwertet und Äußerlichkeiten wie Besitz und Status zum Maßstab des persönlichen Selbstwertes erhebt. Gleichzeitig sind in dieser Kultur Gewalt, Dominanzstreben und Rivalität als “positive” menschliche Qualitäten verankert. Zugespitzt könnte man sagen: Wer im Konkurrenzkampf um Status und Besitz gewinnt, darf sich als stark und bedeutungsvoll erleben.Die “Verlierer” jedoch, die sich – aus welchen Gründen auch immer – keinen Anteil sichern können, werden als unbedeutend und weniger wert angesehen.”
Arno Gruen: “Ich will eine Welt ohne Kriege”, Klett-Cotta[1]
Unsere Kultur und unser Wirtschaftssystem setzen auf Konkurrenz statt Kooperation. Wer gewinnt, ist ein Held. Helden sind ganz wichtig, mit ihnen kann man sich identifizieren, gerade weil kaum noch Platz für Mitgefühl bleibt. Flüchtlinge, die in Mittelmeer ertrinken; griechische Mütter, die kein Geld haben, um mit ihrem Neugeborenen zum Kinderarzt zu gehen, weil das öffentliche Krankenversicherungssystem nahezu zusammengebrochen ist; Flaschen sammelnde Hartz-IV-EmpfängerInnen in München – kein Platz für Mitgefühl und Solidarität.
Gewalt wird in unserer Gesellschaft heroisiert, spätestens nach 9/11 begann der Krieg gegen den Terror, der Kampf “Gut” gegen “Böse”. Wer einen Terroristen tötet, ist ein Held. Militärisches Eingreifen in Afghanistan, Irak, Libyen und Syrien gehören zum politischen Handwerk des Westens, sind also auch Teil unserer Kultur. Das Erbe von 500 Jahren europäischer Kolonialgeschichte schimmert da mehr als deutlich durch.
Diese Kultur braucht Feindbilder. Nur so lässt sich der Konkurrenzkampf aufrecht erhalten. In wirtschaftlich stabilen Zeiten fällt das vielleicht weniger auf, aber die Ressentiments gegen Ausländer, Arbeitslose, Andersgläubige, Schwule und Lesben etc. sind auch in Deutschland stark verbreitet, wie die Untersuchungen zur “Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit” [1] der Uni Bielefeld deutlich zeigen. Der Hass und die Verachtung, die darin deutlich werden, sollten uns alle alarmieren. Denn in Krisenzeiten steigt dann die Gewaltbereitschaft. Was dann passiert, können wir in der Ukraine, aber auch in Griechenland z.B. mit der offen neonazistischen Partei Chrysi Avgi (goldene Morgenröte) mit Schrecken beobachten.
Mit Feindbildern lassen sich auch Menschen für Kriege mobilisieren. Es muss sich zum Beispiel nur um eine “gerechte Sache” handeln, die von verantwortungslosen Politikern oder selbsternannten Führern erfolgreich propagiert wird.
Kriege können verhindert werden – und sie müssen es auch. Das heißt aber auch, wir müssen über Macht und Märkte, über die Grundlagen unseres Wirtschaftssystems dringend reden. Hier gibt es sicher zwei Wege, die zugleich beschritten werden können. Zum einen müssen wir aufklären, die ökonomischen Hintergründe aufdecken, die zu Ausbeutung von Menschen und Rohstoffen und zu Verteilungskonflikten um Erdöl, Erdgas sowie Rohstoffe und im Zuge des Klimawandels auch zunehmend um Wasser und Lebensmittel geführt werden. Ohne Aufklärung werden wir von der Wirklichkeit ferngehalten und erleben es als ganz normal, dass die größte Militärmaschine der Geschichte mit der Rhetorik von Menschenrechten und Christlichkeit sehr fundamentalistisch denkt und agiert, um die Macht- und Herrschaftsinteressen von einigen Wenigen abzusichern.
Zum anderen gibt es aber auch die persönliche Ebene. Wir müssen uns auch bewusst werden, dass wir Menschen miteinander verbunden und voneinander abhängig sind. Liebe und Mitgefühl sind es, denen wir Raum geben sollten. Reden wir miteinander. Über unsere Ängste, Sorgen, aber auch darüber, wie wir im kleinen anfangen können, solidarisch miteinander zu sein. Bei uns, mit den Menschen in Griechenland, in Syrien, in Bangladesch, in Nigeria, in der Ukraine, im Südsudan. Überall. Reden wir darüber, wie wir uns befreien von unserer Kultur, die auf Macht, Besitz und Herrschaft basiert, wie wir miteinander kooperieren und all unsere Feindbilder überwinden können.
- Arno Gruen: “Ich will eine Welt ohne Kriege”, Klett-Cotta: http://www.klett-cotta.de/buch/Gesellschaft_/_Politik/%C2%BBIch_will_eine_Welt_ohne_Kriege%C2%AB/13260