Egon Bahr, einer der Architekten von Willy Brandts Ostverträgen, referierte unlängst vor einer Schulklasse: „In der internationalen Politik geht es nie um Demokratie oder Menschenrechte. Es geht um die Interessen von Staaten.“
Siehe: Mathias Bröckers, Paul Schreyer, Wir sind die Guten, Ansichten eines Putinverstehers oder wie uns die Medien manipulieren, Westend Verlag, 2014, S. 19
Überschrift von Kapitel 4: “Öl, Gas und Sicherheit: Willkommen in Pipelinistan”
Wenn wir die aktuellen kriegerischen Auseinandersetzungen in Libyen, in Syrien, im Irak, in Afghanistan, in der Ukraine sehen, müssen wir also die Interessen der involvierten Staaten betrachten. Diese sind geprägt von den Rohstoffvorkommen im eurasischen Raum, einschließlich der heutigen Anrainerstaaten Russlands, wie Georgien, Kasachstan, Turkmenistan.
Während Wirtschaft und Gesellschaft der EU–Staaten hochgradig abhängig sind von Energieimporten aus diesen Regionen, basiert der wirtschaftliche Aufschwung Russlands nach den 90er Jahren vorwiegend auf den verstaatlichten Einnahmen seiner Rohstoffexporte.
Mittlerweile zieht sich ein Netz von geplanten oder im Bau befindlichen Erdöl- und Erdgaspipelines durch Eurasien bis hin nach Ost- und Mitteleuropa.
Februar 2008: Am Abend gingen die Vertreter eines Konsortiums von sechs Partnern, darunter der deutsche Energiekonzern RWE, in die Wiener Oper, Verdi’s Nabucco wurde geboten und hinterher gaben sie dem Projekt den Namen Nabucco.
Nabucco Pipeline
Gut ein Jahr später, im Juli 2009, unterzeichneten die Vertreter von Österreich, Ungarn, Rumänien, Bulgarien und der Türkei den Vertrag für Nabucco. Die Pipeline sollte eine Länge von 3300 km haben, allein 2000 davon durch die Türkei. Geplant war, dass ab 2014 Gas aus der Region des Kaspischen Meeres bis zum Gasknotenpunkt Baumgarten an der österreichisch-slowakischen Grenze fließen sollte mit einem Durchsatz von 31 Mrd. Kubikmeter pro Jahr. Die Leitung, außerhalb des russischen Territoriums, sollte 8 Mrd. € kosten und vollständig fertig sein im Jahre 2019. Der ehemalige deutsche Außenminister Joschka Fischer war als politischer Berater im Projekt tätig.
Geplanter Verlauf der Nabucco–Pipeline, Quelle: Wikipedia[1]
Nabucco war immer ein Wunschprojekt der EU, um der starken Stellung des Hauptlieferanten Gazprom entgegenzutreten.
Das Ende des Projektes scheint 2013 besiegelt worden zu sein, als Aserbaidschan es vorzog, über die TAP-Pipeline (siehe unten) Europa zu beliefern. Eine Verbindung vom Schwarzen Meer bis nach Österreich ist heute offen.
Aber eine Reihe weiterer Pipelines zum Erdöl- und Gastransport sind im eurasischen Raum in Planung oder im Bau:
South Stream Pipeline
In Konkurrenz zu Nabucco steht die Pipeline South Stream. Sie soll ab 2015 Süd- und Osteuropa mit russischem Gas versorgen, die Kosten werden mit 19 bis 24 Mrd. € geschätzt, Partner in diesem Projekt sind die Firmen Gazprom, ENI (italienischer Energieversorger), EdF (Französischer Energieversorger) und die BASF-Tochter Wintershall.
Die geplante Kapazität der South Stream ist 63 Mrd. Kubikmeter Gas pro Jahr, allein 931 km beträgt die Länge durch das Schwarze Meer.
Geplanter Verlauf von South Stream – Quelle: Wikipedia[2]
South Stream hat den Vorteil, dass sie für Lieferant und Nutzer des russischen Erdgases die Abhängigkeit von den Transitstaaten Ukraine und Weißrussland reduziert.
Nord Stream Pipeline
Die Nord Stream Pipeline ist im Nov. 2011 eingeweiht worden. Sie transportiert russisches Erdgas durch die Ostsee nach Deutschland. Beteiligt sind u.a. wieder Gazprom, EON, EdF und Wintershall. Die Pipeline ist 1224 km lang und verläuft ausschließlich durch Seegebiete.
Schröder und Putin müssen gelernt haben aus den Ereignissen in der Ukraine: Dort hatten Oligarchen, unter ihnen Julia Timoschenko, Gas, das die Russen ihnen zum Freundschaftpreis geliefert hatten, illegal abgezapft und zum Weltmarktpreis verkauft. Julia T. wurde innerhalb kurzer Zeit zur reichsten Frau des Landes. (vgl. Bröckers, Schreyer, S. 60)
Nord Stream befördert 55 Mrd. Kubikmeter Gas pro Jahr und hat 7,4 Mrd. € gekostet. Wladimir Putin, russischer Staatspräsident, und Gerhard Schröder, damaliger Bundeskanzler, hatten sich für die Pipeline stark gemacht und schon 2005 eine Absichtserklärung unterzeichnet.
Vorgesehen sind Anbindungen der Pipeline an Tschechien (OPAL), die Nordeuropäische Erdgasleitung (NEL) und die NORDAL-Pipeline sollen das deutsche Gasnetz versorgen.
Verlauf der Nord Stream Pipeline, Quelle: Wikipedia[3]
Osteuropäische Staaten, die von Erdgasimporten abhängig sind, lehnten diese Pipeline ab. Polen und Lettland weigerten sich ebenso, über Abzweigungen an der Pipeline angeschlossen zu werden.
BTC-Pipeline
Die BTC Pipeline (Baku-Tiflis-Ceyhan) pumpt seit 2005 Rohöl aus Aserbaidschan und Kasachstan über Georgien und die Türkei nach Ceyhan, an die türkische Mittelmeerküste. Sie umgeht damit Russland und den Iran. Die Pipeline ist 1760 km lang, überwindet Berge bis zu 2880 m Höhe und ist in der Erde vergraben, somit sicher vor Terroranschlägen. Sie soll in der Endausbaustufe täglich eine Mio Barrel (160.000 Kubikmeter) Erdöl transportieren, der Bau hat 2,5 Mrd. € gekostet, das Eigentümer-Konsortium wird angeführt von der britischen BP.
Verlauf der BTC-Pipeline, Quelle: Wikipedia[4]
Die geopolitischen Folgen, die mit dieser Pipeline verbunden sind, liegen auf der Hand: Aserbaidschan und Georgien werden aufgewertet, sie konnten sich enger an die NATO und die EU binden, bekamen Entwicklungs- und Militärhilfe vom Westen. Die Türkei erlangt ein Stück mehr Unabhängigkeit von Erdöl- und Erdgaslieferungen aus Russland und aus dem Iran.
SCP-Pipeline
Die SCP-Pipeline (South Caucasus Pipeline) ist eine Erdgaspipeline, sie führt von Baku in Aserbaidschan über Georgien (Tiflis) nach Erzurum in der Türkei und ist 690 km lang. Sie soll jährlich bis zu 7 Mrd. Kubikmeter Gas transportieren, hat 1 Mrd. US $ gekostet. Betreiber der Pipeline ist BP.
Verlauf der SCP-Pipeline, Quelle: Wikipedia[5]
Die SCP-Pipeline verläuft parallel zur BTC-Pipeline, auch sie ist einen Meter unter der Erdoberfläche verlegt.
Georgien, Aserbaidschan und die Türkei planen eine Militärallianz, um die BTC- und die SCP-Pipeline zu schützen. In Tiflis ist eine 400 Mann starke Spezialeinheit von den Amerikanern ausgebildet worden. Amerikanische Drohnen vom Typ Global Hawk sollen Anschläge von Terroristen verhindern.
TAPI-Pipeline
Die geplante Pipeline TAPI (von Turkmenistan über Afghanistan nach Pakistan an den indischen Ozean) ist nicht gebaut worden. Sie scheiterte an der unsicheren Lage in Afghanistan. Mittlerweile ist aber ein Vertrag über TAP (ohne I), also ohne die Anbindung Indiens, unterzeichnet: Länge 1700 km, jährlicher Transport von 30 Mrd. Kubikmeter Gas.
TAP-Pipeline
Nicht zu verwechseln mit der asiatischen TAP-Pipeline ist die Erdgaspipeline TAP, die Trans-Adria-Pipeline, 870 km lang. Sie verbindet den kaspischen Raum über die Türkei, Griechenland und Albanien, durch die Adria, mit Süditalien. Sie soll angebunden werden an die transanatolische Pipeline TANAP und soll 10–20 Mrd. Kubikmeter Gas jährlich transportieren.
Verlauf der „europäischen“ TAP-Pipeline, Quelle: Wikipedia[6]
Albanien, Griechenland und Italien haben 2012 eine Absichtserklärung zu TAP unterzeichnet. Damit würde sie den westlichen Teil von Nabucco ersetzen.
IPI-Pipeline
Die Iran-Pakistan-Indien-Pipeline ist im Iran so gut wie fertig. In Pakistan ist diese Pipeline aber mit großen Sicherheitsbedenken verbunden, sie würde durch Belutschistan, die Grenz-Provinz Pakistans zu Indien, führen. Außerdem sind die Amerikaner gegen diese Pipeline, setzen Pakistan massiv unter Druck. Beide Länder halten aber an der Planung fest, da sie sich nicht allein auf eine Energieversorgung, die von den USA kontrolliert wird, verlassen wollen. (vgl. Bröckers, Schreyer, S. 56, 57)
Blue Stream-Pipeline
Blue Stream ist eine russische Pipeline durch das Schwarze Meer in die Türkei, ausgelegt auf eine Kapazität von 16 Mrd. Kubikmeter Gas pro Jahr. Geliefert wird seit 2003, die Pipeline ist 1213 km lang.
Verlauf von Blue Stream, Quelle: Wikipedia[7]
Russland möchte nun diese Pipeline durch Blue Stream 2 bis nach Syrien verlängern. Syrien hat diesen Plan positiv aufgegriffen – sich damit aber dem Plan der EU und der USA, Erdgas aus Katar durch Jordanien und Syrien ans Mittelmeer zu liefern, widersetzt. Politische Beobachter sehen dies als den wirklichen Grund dafür an, dass der Westen den Sturz des syrischen Ministerpräsidenten Assad betreibt und dass der Katar und Saudi-Arabien die syrische Opposition finanziell ausstatten und mit Al-Quaida-Söldnern unterstützen. (vgl. Bröckers, Schreyer, S. 58)
Nahezu alle Pipelines, ob geplant oder im Bau, tangieren das Schwarze Meer. Dieses ermöglicht Russland den Zugang zum Mittelmeer über die Halbinsel Krim. Da lag die Annektierung der Krim im selbstverständlichen Interesse Russlands, weil so der Heimathafen der Schwarzmeerflotte in Sewastopol aus dem ukrainischen Konflikt komplett herausgehalten werden kann.
Eine ausführliche Besprechung des Buches „Wir sind die Guten“ von Bröcker/Schreyer, auf das in diesem Beitrag Bezug genommen wird, findet sich übrigens auf den NachDenkSeiten [1].
Bildquellen:
Nabucco West Route [2]
South Stream map [3]
Nord Stream [4]
BTC-Pipeline [5]
SCP-Pipeline [6]
Trans-Adria-Pipeline [7]
Blue Stream [8]
- Quelle: Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Nabucco-Pipeline
- Quelle: Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/South_Stream
- Quelle: Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Nord_Stream
- Quelle: Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Baku-Tiflis-Ceyhan-Pipeline
- Quelle: Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/S%C3%BCdkaukasus-Pipeline
- Quelle: Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Trans_Adriatic_Pipeline
- Quelle: Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Blauer_Strom