Was bewegt die Wähler, wenn sie einer rechtspopulistischen Partei ihre Stimme geben ?
Die Sorge um die nationale Identität, die Ablehnung einer pluralistischen Gesellschaft, das Gefühl, abgehängt zu sein, Angst vor Überfremdung durch Migranten oder diffuse Globalisierungsängste?
Und stört es die Wähler nicht, wenn diese Parteien, sobald sie an der Macht sind, die demokratischen Institutionen von Innen heraus aushöhlen und abbauen? Wie das Beispiel FPÖ und HC Strache zeigt, offensichtlich nicht.
Ich habe vor kurzem in einem Urlaub in Polen durch einen geschichtlich und politisch sehr versierten polnischen Reiseleiter einige Hintergründe zu dieser Entwicklung mitbekommen. Natürlich ist das Thema von Land zu Land sehr vielschichtig aber interessant sind die Hintergründe, zumal sie in den deutschen Medien so gut wie nicht ankommen.
In Polen regiert seit November 2015 die PiS-Partei (Recht und Gerechtigkeit) mit ihrem Vorsitzenden Kaczyński mit absoluter Mehrheit.
Seither wurden insbesondere die rechtlichen Institutionen systematisch auf Linie gebracht. Beim Verfassungsgericht wurden missliebige Richter in den vorzeitigen Ruhestand versetzt und durch eigene Leute ersetzt. Die Staatsanwaltschaft wurde dem Justizministerium unterstellt. Auch der Landesrichterrat, der über die Berufung neuer Richter entscheidet, wurde durch die PiS besetzt.
Dazu kommen noch Maßnahmen gegen eine unabhängige Medienlandschaft und eine geplante Verschärfung des Versammlungsrechts um Demonstationen zu erschweren.
Wie das Vorbild Ungarn mit Viktor Orbán ist das Ziel eine nationale, illiberale und katholisch geprägte Republik.
Und die EU, die zwar protestiert und mit Maßnahmen droht, hat so gut wie keine Handlungsspielräume – einzig und allein der Entzug des Stimmrechts ist die größtmögliche „Strafe“ und auch das ist so gut wie unmöglich, weil sich da alle Mitgliedsstaaten dafür aussprechen müssten.
Darin zeigt sich m. E. ein grundsätzliches Problem der EU, dass es keine Handlungsspielräume gibt sowohl vom Prinzip der Einstimmigkeit der Beschlüsse als auch weitergehende Sanktionen wie Streichung von Geldmitteln bis zum Ausschluss aus der EU.
Bei der letzten EU-Wahl erhielt die PiS 45,4 % der Stimmen, die Opposition mit der zweiten großen Partei „Bürgerplattform“ des EU-Ratspräsidenten Tusk, die zusammen mit 4 kleineren Parteien ein Wahlbündnis einging, landete nur bei 38,5 % der Stimmen. Und das obwohl es im Vorfeld der Wahl einige Skandale über Bestechung und Vorteilsannahme bei der PiS gegeben hatte und auch die traditionell enge Verbindung der katholischen Kirche durch Missbrauchsfälle einige Risse bekommen hatte.
Um zu verstehen, warum die Polen überwiegend PiS wählen, lohnt sich ein Blick auf die wirtschaftliche Situation der Polen:
So beträgt der Durchschnittslohn in 2019 umgerechnet 1.076 €, was immerhin einen Anstieg ggü. 2018 von 7,3 % entspricht. Netto bleiben aber nur 767 € übrig, weil in Polen eine Beteiligung der Arbeitgeber an den Sozialbeiträgen unbekannt ist.
Und auch dieser geringe Lohn trifft nur zu auf Beschäftigte, die in Betrieben mit mehr als 9 Angestellten arbeiten. In den zahlreichen Kleinbetrieben sowie bei den über 5 Mio Scheinselbständigen wird nochmal weniger gezahlt. So beträgt der am häufigsten gezahlte Lohn in Polen gerade einmal 636 € brutto und 433 € netto.
Damit landet Polen im Pro-Kopf-Einkommen in der EU auf dem 20. von noch 28 Ländern.
Die PiS hat es geschafft mit sozialstaatlichen Maßnahmen bei den Wählern zu punkten. So hat sie ab dem 2. Kind ein Kindergeld von ca. 125 € pro Kind eingeführt, das ab Juli 2019 auch für das erste Kind gelten soll.
Auch die Rentner wurden mit einer 13. Rente und einer Mindestrente von ca. 250 € bedacht.
Und – während man in der Vergangenheit der Meinung war, dass man nur die großen Städte fördern muss und durch den Wohlstand der Städte dann automatisch auch die Provinz profitiert, hat die PiS vor allem auf dem flachen Land ihren Wahlkampf aufgebaut.
Soweit zum Trickle-Down-Effekt, der in der Praxis noch nirgends funktioniert hat.
Auch die Arbeitslosenquote ist mit 3,8 % auf einen Rekord-Niedrigststand.
Man muss dabei auch berücksichtigen, dass nach 1990 und dem Ende des sozialistischen Regimes voll auf die Marktliberalisierung gesetzt wurde und in Folge dessen eine hohe Arbeitslosigkeit herrschte, die zur Auswanderung von ca. 2 Mio polnischen Fachkräften ins Ausland geführt hat (überwiegend nach Großbritannien und Schweden). Gleichzeitig wurde im Zuge des Abbaus von „sozialistischen Relikten“ die Berufsschulen abgeschafft, was die Arbeitsmarktlage noch verschärft hat.
Fazit: Es scheint so, als ob die polnischen Wähler mehr Sozialstaat und eine verbesserte individuelle Situation erwarten, und das zählt für sie mehr als rechtsstaatliche Prinzipien – und das dürfte nicht nur in Polen der Fall sein.
PS: Polen erhält im Übrigen ca. 10 Mrd. € aus dem EU-Agrarfond und viele touristische oder historische Maßnahmen insbesondere in den Masuren werden mit EU-Geldern mitfinanziert.
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