- Nachdenken in München - https://nachdenken-in-muenchen.de -

10 Jahre bei den NachDenkern

[1]10 Jahre nun existiert der Münchner Kreis der NachDenker. Seit 5 Jahren schreiben wir in diesem Blog über alles mögliche – über die SPD, über die Linken, über den Kapitalismus, über Israel undundund. Was hat das mit mir gemacht? Welchen Einfluss hat das auf mein Denken ausgeübt? Dass ich 2014 in die SPD eingetreten bin, haben die NachDenker nicht verhindern können. Ein Argument, was dafür stimmt, gilt heute noch. Ohne die SPD wird es in naher und mittlerer Zukunft keine progressive Politik in Deutschland geben. Jegliches Hoffen auf eine starke Linke ist bei mir abhanden gekommen. Der Rückzug von Sahra Wagenknecht war der letzte Beweis.

1 Kapitalismus

Wie oft habe ich gehört, dass es immer der Kapitalismus ist, der beseitigt werden muss. Er ist schließlich verantwortlich dafür, dass wir den Klimawandel haben, dass Flüchtlinge zu uns kommen, dass Kriege geführt werden, dass der Neoliberalismus bis in die “linken” Parteien vordringt, dass der Hunger auf der Welt nicht wirklich erfolgreich bekämpft wird, dass Ressourcen ausgebeutet werden und Arten verschwinden. Das alles frustriert so sehr, dass jegliches politisches Handeln vergeblich erscheint.

Dazu allerdings schreibt Harald Welzer in den Blättern [1]:

Die Vorstellung, man müsse erst mal den Kapitalismus abschaffen, die weltweite Ungerechtigkeit beseitigen, das Klimaproblem lösen, bevor man beginnen kann, Dinge zu verändern, ist komplett blödsinnig. Viel eher kann man den Kapitalismus bändigen, die Ungerechtigkeit abmildern und das Klimaproblem entschärfen, wenn man sich nicht zu viel vornimmt, das dann aber konkret angeht und zur Wirklichkeit werden lässt. Realismus heißt auch: im Rahmen seiner Möglichkeiten und seiner Reichweite Dinge verändern.

Wer die Diskussion über den Zustand der EU ablehnt mit dem Hinweis, dass sei das Europa der Konzerne, der hat doch schon aufgegeben. Dass diese EU eine kapitalistische ist, kann in dieser Welt wohl nur selbstverständlich sein. Aber gerade deswegen müssen wir uns Gedanken machen, wie es gelingt, aus der Währungs- und Wirtschaftsunion eine politische und eine soziale Gesellschaft zu machen. Dabei sollten uns auch Vorschläge von neoliberaler Seite Recht sein, wenn etwa der französische Präsident Macron für ein europäisches Budget und für Beschäftigungsinitiativen in Südeuropa wirbt.

2 Utopien oder Realpolitik

Zweifellos, es ist richtig bei allen politischen Maßnahmen das Ziel vor Augen zu haben und eine soziale sowie ökologische Zukunft zu fordern. Die Schüler zeigen uns allerdings jeden Freitag, dass die Zeit ein Faktor geworden ist. Sie fordern Maßnahmen gegen den Klimawandel, die jetzt durchgeführt werden müssen. Weil das mit dem Klimawandel so einfach zu verstehen ist – er ist offensichtlich real und er ist von Menschenhand gemacht – und weil das so einfach in seiner Auswirkung auf zukünftige Umweltszenarien darzustellen ist und weil wir wirklich kein Erkenntnisproblem mehr haben, daher sind Maßnahmen jetzt erforderlich. Vorsicht ist geboten bei den Vorschlägen – auch der Grünen. Wirtschaften mit weniger Energieeinsatz – das bedeutet höhere Effizienz (“Die Dinge richtig tun.”). Wenn dabei nicht auch die Effektivität verbessert wird, also “die richtigen Dinge getan werden”, dann ist die Energiewende nicht vollzogen. Wenn mehr Autos mit jeweils weniger CO2-Einsatz aber insgesamt höherem Energieverbrauch fahren, dann hilft es uns nicht weiter.

Wer beginnt eigentlich endlich mal die Diskussion, dass der Umstieg auf die Elektromobiliät einen großen Irrtum darstellt? Die erforderlichen Rohstoffe werden ausgebeutet, die Menschen, die dabei ihren kargen Lohn verdienen, werden krank.

Zudem: die ARD – Dokumentation “Kann das Elektroauto die Umwelt retten? [2]” sagt, allein die Produktion von E-Autos erzeugt die doppelte Menge an CO2 wie das bei herkömmlichen Autos der Fall ist.

Unterstützung hat auf jeden Fall die Umweltministerin verdient, wenn sie die drei Sektoren Energiewirtschaft, Verkehr und Landwirtschaft auffordert, ihren Beitrag zur Erreichung der CO2-Reduktion zu leisten. Manchmal möchte ich hoffen, dass Frau Merkel hier noch einmal vollen Einsatz zeigt. Oder ist ihr die CDU näher als die Zukunft?

3 Medien

So dringend notwendig die kritische Begleitung unserer Medienlandschaft ist, ich stelle immer mehr fest, dass gute, kritische Beiträge auf einigen Sendern – genannt seien neben ARD und ZDF – zugegeben, manchmal wird es spät – auch Phoenix, Arte, 3Sat, ZDFInfo, alpha sowie einige Dritte und Tagesschau24 zu sehen sind. Wer die Bandbreite der Mediatheken nutzt, bekommt einiges geboten. Empfohlen sei ein täglicher Blick in den Teletext Nr. 300, wo die genannten Sender ihre Programmvorschau anbieten.

4 Korruption und Transparenz

Das Ibiza-Video von SZ und SPON hat den Korruptionsskandal der österreichischen ÖVP dargelegt. Erschrocken bin ich nicht, weil Kohl und Schäuble ein schlechtes Beispiel gegeben haben, sie haben die illegalen Spender nicht genannt, den Koffer mit Schmiergeld mit sich getragen und sind mit keinerlei politischen Konsequenzen konfrontiert worden.

Noch beunruhigender sind aber die nicht aufgedeckten tödlichen Anschläge auf die maltesische Journalistin Daphne Caruana Galizia und den slowakischen Enthüller Jan Kuciak. Die politischen Zustände in Rumänien und Bulgarien sind durch Korruption geprägt, die Beschneidung von richterlicher Unabhängigkeit und Pressefreiheit in Ungarn und Polen muss uns alarmieren.

Was können wir tun, um die Transparenz der politischen Vorgänge in Europa sicherzustellen?

5 Volkswirtschaftliche Kompetenz

Albrecht Müller habe ich Anfang der Nuller Jahre im Dachauer Forum kennengelernt. Nachdem ich mich jahrzehntelang im Job ausschließlich um betriebswirtschaftliche Fragen gekümmert hatte, lernte ich bei den NachDenkSeiten wieder volkswirtschaftlich zu denken. Schließlich hatte ich VWL studiert zu einer Zeit, als Karl Schiller die Konzertierte Aktion und das volkswirtschaftliche Gleichgewicht definierte. Dieses besteht aus dem sog. magischen Viereck, also den Anforderungen, bei Preisstabilität und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht ein angemessenes Wachstum und Vollbeschäftigung zu generieren. Davon sind wir heute weit entfernt, obwohl diese Grundsätze gesetzlich festgelegt sind.

Wo politisch wird heute unterschieden in betriebswirtschaftliche und volkswirtschaftliche Grundsätze? Es hat so lange mit dem Mindestlohn gedauert – auch heute noch viel zu niedrig und mit zu großen Ausnahmen – weil die Neoliberalen die Diskussionen immer dominiert haben mit der einseitig behaupteten Kostenwirksamkeit der Löhne. Dass man davon leben muss, haben sie verschwiegen und keiner hat dagegen gehalten – mit der Ausnahme Sahra Wagenknecht. Wenn sie sich nun zurückziehen sollte, wer übernimmt ihre Rolle? Auch und gerade ihre wirtschaftspolitische Kompetenz wird fehlen.

Dass die Unternehmen heute als Teil der Volkswirtschaft in Summe sparen, ist ein politisch völlig ignoriertes Phänomen. Wenn es attraktive Investitionen in die Infrastruktur gibt, dann wird auch wieder der Zins steigen  und die Ersparnisse werden sich wieder lohnen. Heute gehen die Ersparnisse der Unternehmen fast auschließlich in den spekulativen Teil des Kapitalmarktes und befördern wiederum die Tendenzen zu Blasenbildung. Seitdem Heiner Flassbeck Oskar Lafontaine als Finanzminister beraten hatte, haben wir solche Argumente nicht mehr gehört. Der SPD fehlt nicht nur, aber ganz besonders ein junger kompetenter Finanzfachmann, wie es Oskar L. war.

Und noch heute kann man regelmäßig bei Heiner Flassbeck[2] nachlesen, wo die Defizite der SPD liegen, nämlich in der Formulierung einer Wirtschaftspolitik, die den Arbeitnehmern gerecht wird, ausgehend von dem ewig gültigen Grundsatz des alten Ford:

Diese Weisheit . . . heißt heute: Autos kaufen keine Autos; nur Arbeitnehmer mit einem soliden Einkommen sind in der Lage, die Binnennachfrage so zu stabilisieren, dass die Gesamtwirtschaft nicht wegbricht.

Aber es kommt noch schlimmer.

Die Partei ist seit Jahrzehnten vollkommen unfähig, sich eine unabhängige Meinung zu den Kernfragen der Wirtschaft und der Wirtschaftspolitik zu bilden.

In Deutschland gibt es einen Länderfinanzausgleich mit dem Ziel, gleichwertige Lebensverhältnisse in allen Regionen zumindest anzustreben. Gibt es so etwas auch in Europa? Neben spezifischen Regionalhilfen gibt es die Vorgaben der Fiskalpolitik, Schuldengrenzen einzuhalten und staatlichen Haushalten damit zu untersagen, Investitionen und Beschäftigung zu fördern. Wenn neben der Kompetenz auch die Solidarität fehlt, darf ich mich über niederschmetternde Wahlergebnisse nicht wundern.

6 NachDenken und SPD

Mein Versuch, die Überlegungen der NachDenker in die SPD hineinzutragen, ist nur teilweise erfolgreich gewesen. Weder im Unterbezirk, der Vertretung der Ortsvereine, noch im Ortsverein hat es wirkliche Analysen nach den diversen Wahlniederlagen der letzten Jahre gegeben. Artikel, die geschrieben, E-Mails, die adressiert wurden, sind unbeantwortet geblieben, teilweise sogar als unerwünscht deklariert worden. Häufig habe ich gehört, die SPD sei die Partei der Grundwerte. Aber wo sind die daraus abgeleiteten Grundrechte geblieben? Den Neoliberalismus kann man im Ortsverein nicht diskutieren, er ist zum großen Teil nicht verstanden worden.

Zu den über 30% der Mitglieder, die im vorigen Jahr die GroKo ablehnten, habe ich gehört. Heute sind es sicherlich weit mehr. Soeben habe ich dem Vorstand meine Ansicht, dass es in der Führung der Partei eine Doppelspitze geben soll, mitgeteilt. Ich hoffe, dass Simone Lange und Kevin Kühnert kandidieren werden.

Gelungen ist es, einige Anträge für den Parteitag zu schreiben, die Beiträge sind im dicken Antragsbuch verewigt. Zum Freihandelsabkommen TTIP hatte es an die 70, durchgehend kritische Anträge gegeben. Der Vorstand hat daraus einen wachsweichen sog. Leitantrag formuliert.

Parteien sind wie große Tanker. Sie benötigen eine Zeit lang, um sich zu positionieren oder den Kurs zu ändern. Junge Leute fordern, z.B. jetzt beim Thema Klimawandel, sofortige Maßnahmen. Wichtig ist, dass wir uns einbringen, auch wenn es schwer ist, den großen Tanker anzuschieben.

Alternativ dazu sehen wir, dass Volksbefragungen und -entscheide ein große Wirkung erzielen, gerade im ökologischen Bereich. Die Initiativen zu Startbahn Drei, zum Kohlkraftwerk Nord oder “Rettet die Bienen” wären in den Parlamenten gescheitert.

Ein Blick nach Barcelona macht Hoffnung [3]:

In Barcelona waren 40.000 Bürger an der Erstellung des Regierungsprogramms beteiligt – und tatsächlich: Dreiviertel des Programms stammt von den Bürgerinnen und Bürgern selbst, die sich online und offline beteiligten. Die Stadt zeigt vor, wie die technische Revolution einer Smart City auch die Demokratie revolutionieren kann. Dafür setzt Barcelona auf eigene Infrastruktur und Technik statt auf globale Tech-Multis. Das stärkt die lokale Wirtschaft und den sozialen Zusammenhalt in der Stadt.

Schaffen wir mehr Barcelonas!

 

 

 

 

Endnotes:
  1. [Image]: https://nachdenken-in-muenchen.de/Wordpress/wp-content/uploads/2019/06/10-Jahre-Gesprächskreis.jpg
  2. Heiner Flassbeck: https://makroskop.eu/2019/06/woran-die-spd-leidet-und-woran-sie-vermutlich-untergeht/