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SPD – wie lange noch?

Die Europawahlen sind vorbei. Die SPD ist jetzt auf Platz 3 im Ranking der Parteien in Deutschland und auf dem Weg einstellig zu werden.

von blog1[1]

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Berlin-Friedrichshain 2005, Foto: eny-one

Die SPD hat in der Europawahl gerade mal 15,8% erreicht und in Bremen liegt sie hinter der CDU.

Lagebeschreibung

Wenn man jetzt führende SPD-Politiker befragt, ob sie mit diesem Ergebnis gerechnet hätten, bejahen sie dies freimütig. Mit anderen Worten, sie sind sprach- und ratlos, mit Ausnahme von Herrn Gabriel, der bei Anne Will einen Frontalangriff auf Andrea Nahles startete mit seinem Statement „er hätte doch zumindest von der Parteispitze erwartet, dass sie sich für dieses Wahldebakel entschuldigt und dafür die Verantwortung übernimmt.“ Mit anderen Worten er fordert Andrea Nahles zum Rücktritt auf. Derselbe Herr Gabriel, der in 2 Bundestagswahlen andere Kanzlerkandidaten vorgeschoben hat, um seinen eigenen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Gerade dieses Vorgehen eines ehemaligen SPD-Vorsitzenden entlarvt die komplette Gemengelage innerhalb der SPD, die längst ihren Kompass verloren hat und sich in der fortwährenden großen Koalition komplett verschlissen hat.

Eine Funktionärselite, die nur an ihre eigene Karriere denkt, Parteimitglieder, die devot jede noch so desaströse Entscheidung der Parteispitze mittragen, ein ständiger Streit zwischen den Agenda 2010 Anhängern und den Reformern haben die Partei nahezu aufgerieben.

Gründe für den Niedergang

Die SPD findet keinen Platz mehr in der Parteienlandschaft Deutschlands. Ein Arbeitnehmer weiß beim besten Willen nicht, warum er die SPD wählen soll, ein Mittelständler mit maximal 10 Beschäftigten weiß es aber auch nicht und ein Rentner weiß auch nicht, wie er dran ist.

Auf der einen Seite steht die Linkspartei, auf der anderen Seite die Grünen. Die Grünen und die Linkspartei haben sich in den sozialen Themen verbündet. Bei der Klimapolitik sind die Grünen ohnehin in der Poleposition. Dabei ist es nur allzu wohlfeil, davon zu sprechen, dass die sozialen Themen in den Hintergrund geraten, so wie es u.a. Oskar Lafontaine von der Linkspartei uns glauben machen will.

In der GroKo betreibt die SPD eine Art Opposition in der von ihr praktizierten Koalition. Typisches Beispiel ist die Mindestrente oder Respektrente. Obwohl im Koalitionsvertrag klar vereinbart ist, dass bei der Mindestrente eine Bedürftigkeitsprüfung erforderlich ist, geht Arbeitsminister Heil den konfrontativen Weg. Zudem legt er einen Finanzierungsvorschlag vor, der Steuereinnahmen zur Gegenfinanzierung impliziert, die es noch gar nicht gibt. Eine solche Steilvorlage lässt sich die Union nicht entgehen. In der Bevölkerung kommt an, die SPD fordert Dinge ein, die sie nicht erfüllen kann.

Die Reaktion auf das Video von Rezo war im höchsten Maße unprofessionell, auch wenn die SPD mit einer Video-Gegendarstellung durch die Herren Klingbeil, Wölken und Kühnert reagiert hat, die aber nur 200.000 Aufrufe zu verzeichnen hatte. Da nützt es wenig, wenn die Reaktion der CDU noch unprofessioneller ja geradezu desaströs war. Es zeigt, dass die Gro-Ko Parteien noch nicht erkannt haben, welche Dynamik in den Internetmedien steckt. Da werden bei so genannten Influenzern Klickzahlen erreicht, die in die Millionen gehen. Dabei wurde das Video von vielen Aufrufern nicht komplett angeschaut, aber die Kernbotschaft wird bereits in wenigen Minuten übermittelt.

Dieses Video hat eine Vorgeschichte: Als die You-Tuber Szene auf die Straße ging, um gegen die Urheberrechtsreform zu demonstrieren, fiel der Justizministerin und Europa-spitzenkandidatin Barley nichts anderes ein, als zu erklären. „Die Urheberrechtsreform sei bis auf den Artikel 13 komplett Ok und sie könne doch nur komplett dagegen oder komplett dafür stimmen und da hätte sie sich nun mal für ein Ja entschieden“. Eine fatale Fehleinschätzung.

Und jetzt wundert sich die SPD darüber, dass sie in dem Rezo-Video auch eine komplette Breitseite abbekommen hat. Das kommt dabei heraus, wenn man den Protest in dieser Zielgruppe nicht ernst nimmt, schlimmer noch, diesen Protest weglächelt oder versucht diesen Protest teilweise mit Scheinargumenten zu diskreditieren. Diese Strategie mag bei Personengruppen funktionieren, die eine derartige Öffentlichkeitswirksamkeit nicht generieren können. Viele junge Menschen haben aber erkannt, dass nur ein öffentlich wahrgenommener Mobilisierungsgrad zum Ziel führt.

Bei der Fridays for Future Bewegung kam noch eine entscheidende Komponente hinzu und zwar der Umstand, dass sich Tausende von Wissenschaftlern mit der FfF-Bewegung solidarisiert haben. Anderenfalls wäre die Dynamik dieser Bewegung schnell abgeebbt.

Die SPD hat aber nicht nur in den jungen Wählerschichten verloren. Insgesamt hat die SPD gegenüber dem Höchststand bei den vorangegangenen Europawahlen sage und schreibe 2/3 ihrer Wählerschaft eingebüßt. Auch auf der nationalen Ebene schaut es nicht viel besser aus. Die SPD mit ihrem Anspruch, eine Volkspartei zu sein, ist maximal noch auf Platz 3 und die Grünen ohne den Anspruch eine Volkspartei sein zu wollen, liegt jetzt deutlich vor der SPD und greift sogar massiv die Union an. Ohne die CSU ist der Abstand zur CDU nur noch minimal. Den künftigen Kanzler bzw. Kanzlerin werden die Grünen stellen.

Ist Andrea Nahles die richtige Führungsfigur?

Nach einem solchen Wahldebakel ist klar, dass nach Schuldigen gesucht wird, zumal die kurzfristig wirkenden Ereignisse wie beispielsweise die FfF-Bewegung bzw. das Rezo-Video einen eher geringen Einfluss auf das Wahlergebnis hatten. Auf das Wahlergebnis in Bremen hatten diese Phänomene praktisch keinen Einfluss.

Die SPD hat ein programmatisches bzw. ein Umsetzungsproblem, das sich natürlich in den handelnden Personen äußert. Da bringt die SPD ein Sozialstaatskonzept auf die Agenda, die in Teilen durchaus positiv zu bewerten ist. Die SPD kann aber nicht liefern und verstrickt in Grabenkämpfe mit dem Koalitionspartner. Zu allem Überfluss biegt dann der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert um die Ecke und bricht eine Sozialismusdebatte vom Zaun, weil er mit seiner GroKo Ausstiegsintention nicht punkten konnte. Wenigstens hat die SPD eine „aufmüpfige“ Jugendorganisation, während die Junge Union versucht, die Mutterpartei noch rechts zu überholen. Die CDU-Politiker Amthor und Kuban sind Paradebeispiele dafür, wie man bereits im jugendlichen Alter konservativ vergreisen kann.

All das zeigt, dass Andrea Nahles nicht in der Lage ist, die Partei nach innen zu befrieden. Der Streit zwischen den neoliberalen und den nicht neoliberalen Kräften schwelt weiter und ist in weiten Teilen nicht gelöst. Nach Außen bietet sie ein erschreckendes Bild. Sie verfügt weder über persönliche Sympathiewerte in der Bevölkerung, noch hat sie das Gespür für politische Stilfragen, die sich beispielsweise in dem Fall Maaßen gezeigt haben. Sie ist ein Poltergeist, der glaubt, durch laute Intonation ihre Gegnerschaft niederschreien zu können. Kurzfristig betrachtet mag dies funktionieren, langfristig betrachtet ist diese Strategie wenig erfolgversprechend.

Jetzt tritt sie die Flucht nach vorne an, indem sie die Wahl zum Fraktionsvorsitz vorzieht, um ihren Gegnern in der Fraktion den Boden für eine eigene Profilierung zu entziehen. Das ist schlechter Stil, den Andrea Nahles in anderen Fragen auch schon hat vermissen lassen. Selbst dann, wenn sie im Fraktionsvorsitz bestätigt wird, wird die Abwärtsbewegung weiter anhalten, bei der eine Haltlinie nach unten nicht festzustellen ist.

 

Fazit

Die SPD befindet sich weiter auf der Abwärtsrutsche und ich sehe aktuell keine politische Figur, die diesen Abwärtstrend stoppen kann. Schulz ist es jedenfalls nicht. Auch der linke Flügel verfügt über derartige Personen nicht, auch wenn ich einräumen muss, dass ich die Innereien der SPD im Detail nicht kenne.

In solchen Zeiten wie der Jetzigen ist aber schwer einzuschätzen, wie sich das Ganze weiterentwickeln wird.

Der Ausstieg aus der GroKo ist aber zwingend, weil nur dann eine programmatische Erneuerung mit größtenteils anderen Führungspersönlichkeiten ermöglicht wird. Die SPD ist schon am Boden, sie hat nichts mehr zu verlieren, was sie durch ein Weiter-So nicht auch verlieren würde.


blog1 ist ein Pseudonym. Unter diesem Namen veröffentlicht ein uns bekannter kritischer Geist auch Beiträge in der Freitag-Community [1].

Bildquelle: eny-one [2]|CC BY-SA 2.0 [3]

Endnotes:
  1. blog1: https://www.freitag.de/autoren/waschi
  2. [Image]: https://live.staticflickr.com/33/65157388_bdd27b3b09_b.jpg