Kaum ein Thema wird seit Jahrzehnten so kontrovers diskutiert wie ein mögliches Tempolimit auf Autobahnen – man könnte fast meinen, dass es keine wichtigeren Themen in der Politik gibt.
Wann immer von irgendeiner Seite ein Tempolimit gefordert wird, werden die immer gleichen Totschlag-Argumente hervorgeholt:
- ein Tempolimit bringt doch nichts
- die deutschen Autobahnen sind die sichersten Straßen
- die CO2 – Emissionen würden nur um 0,3 % sinken
- mit der Gängelung und Verbotskultur der deutschen Autofahrer muss Schluss sein
- solche Vorschläge können nur von grün-linken Verbotsanhängern kommen
- besonders originell war ein „Argument“ des damaligen Verkehrsministers Peter Ramsauer, der allen Ernstes behauptet hat, dass ein Tempolimit gefährlich ist weil es einschläfernd wirkt.
Der jetzige Verkehrsminister Andreas Scheuer setzt die Politik seiner Vorgänger nahtlos fort und ergänzt sie noch um die Diskussion um den Schadstoff-Ausstoß.
Zuerst zweifelt er die Grenzwerte der EU an, nur weil eine Minderheiten-Meinung von ca. 100 Lungenärzten eine andere, aber ihm genehme Auffassung vertreten.
Dann bügelt er den Vorschlag einer von ihm selbst eingesetzten Kommission zum Tempolimit mit den Worten ab „gegen jeden Menschenverstand“.
Mit dem Menschenverstand ist es so eine Sache – es kommt immer darauf an wer ihn momentan gepachtet hat – für ca. 52 % der Deutschen ist nach einer Umfrage des deutschen Verkehrs-Sicherheitsrates ein Tempolimit sinnvoll.
Diese 52 % (67 % Frauen, 38 % Männer) haben demnach nicht den richtigen Menschenverstand.
Jetzt befürchtet Herr Scheuer auch noch Proteste vergleichbar mit den Gelbwesten in Frankreich, weil die Autofahrer durch Diesel-Fahrverbote, Schadstoff- und Tempolimit Diskussionen so verärgert sind.
Wenn die Grenzwerte so falsch wären, dann wäre es auch konsequent, die ganze Förderung der E-Autos einzustellen und zu behaupten, dass die Bürger weiterhin mit ihren alten Euro-5 und 6-Diesel in die Innenstädte fahren dürfen – aber mit einem guten Gefühl.
Man könnte meinen, dass bei so einem emotionalen Thema sicher zahlreiche Studien existieren die die Auswirkungen auf Unfallhäufigkeit, CO2-Ausstoß, Treibstoffreduktion, Straßenkapazität usw. untersuchen.
Weit gefehlt: Abgesehen von einer Studie des Umweltbundesamtes von 1999 (!) existieren nur kleinere Untersuchungen wie eine Studie des Landes Brandenburg [1] von 2007.
Diese kommt zum Schluss, dass sich die Unfallkosten um 25 % senken lassen bei einem Tempolimit, die Verkehrskapazität erhöht wird und insgesamt ein Nutzen von 5,3 Mio € p.a. allein im Land Brandenburg entsteht (das Thema Schadstoffe war nicht Gegenstand der Studie).
Zum gleichen Ergebnis kommt die mittlerweile 20 Jahre alte Studie. Fazit: Ein allgemeines Tempolimit von 100-120 km/h würde die Verkehrssicherheit erhöhen, Lärm und Schadstoff reduzieren und den Flächenverbrauch bei Neu- bzw. Ausbauten verringern.
Es drängt sich der Eindruck auf, dass man gar nicht objektiv untersuchen will, was ein Tempolimit wirklich bringt, weil man das (wahrscheinliche) Ergebnis nicht wissen will. Schließlich will man sich ja nicht mit der mächtigen Autolobby anlegen.
Das hat auch schon der Vorgänger von Herrn Scheuer, Alexander Dobrindt so praktiziert; 2015 verhinderte er einen auf 4 Jahre angelegten Versuch des baden-württembergischen Verkehrsministers auf einem Teilabschnitt über 80 km ein Tempolimit von 120 km/h zu testen.
Beliebt sind auch „Statistik-Fake-News“ wie z. B.
- Auf 98 % der Straßen in Deutschland gibt es ein Tempolimit – ja, aber wir reden nicht von allen Straßen, sondern nur von den Autobahnen.
- Die CO2-Werte werden nur um 0,3 % reduziert, stimmt wenn man sie auf die Gesamt-Emissionen hochrechnet und nicht auf die Autobahnen.
Natürlich ist ein Tempolimit nicht das alleinige Allheilmittel gegen Schadstoffe, aber es kann EIN Baustein in einem Gesamtkonzept sein; aber wenn jede einzelne Maßnahme gleich im Vorfeld abgelehnt wird, bleiben alle Bemühungen um mehr Klimaschutz nur Lippenbekenntnisse.
Und wie entspannt es sich auf Autobahnen mit Tempolimit fahren lässt, kann man in Ländern wie der Schweiz, Frankreich, Spanien sehen.
Und zum Schluss:
Man kann auch handwerkliche Fehler begehen, wie Herr Scheuer beweist.
Wenn ich als Auftraggeber (und das ist er) nicht will, dass ein bestimmtes Thema untersucht wird, dann muss ich das der Kommission vorher klar machen.
Das lernt man in jedem Unternehmen, das Unternehmensberater beauftragt, aber anscheinend nicht im Verkehrsministerium.
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