“Der demokratische Nationalstaat braucht eine globale Ordnung, und die globale Ordnung braucht handlungsfähige Nationalstaaten.” So steht es auf der Rückseite des Buches von Heiner Flassbeck und Paul Steinhardt, erschienen im Suhrkamp Verlag.
Der nachfolgende Beitrag listet einige Thesen aus dem ersten Kapitel des Buches auf.
Der ökonomische und politische Liberalismus ist gescheitert – politisch unfähig, die Balance zwischen Freiheit und Gleichheit zu wahren – soziale und wirtschaftliche Zusammenhänge können nicht richtig gedeutet und in tragfähige politische Konzepte umgesetzt werden. Beispiele:
- Die nicht enden wollende Arbeitslosigkeit
- Hilflosigkeit bei der Entwicklung der Integration der Entwicklungsländer in die Weltwirtschaft
- Stärker zunehmender Druck, Armut durch Auswanderung zu entkommen
Der Staat darf zwar den Retter in der Not spielen, aber über die Aufgabenverteilung zwischen Markt und Staat wird nicht neu nachgedacht.
Die Kapitalmärkte brauchen täglich Unterstützung vom Staat, um überhaupt funktionieren zu können, Arbeitsmärkte brauchen die Stabilisierung durch den Staat, das Geldwesen ist staatliche Domäne.
Globalisierung und Digitalisierung sind die Herausforderungen unserer Zeit.
Das entscheidende Argument ist, dass man steigende Löhne braucht, um die Rationalisierung abzufedern. Niemand kann erklären, dass die Preise für Arbeit fallen müssen, damit der Wohlstand steigen kann.
Der Neoliberalismus kennt neben der Flexibilisierung der Preise – und damit auch der Löhne – nur freien Handel als Bedingung für Wohlstand und wirtschaftliche Entwicklung.
Dem freien Handel wird unterstellt, dass er Preise und Löhne über den Devisenmarkt ausgleicht. Dem ist aber nicht so. Spekulanten treiben die Währungen in die falsche Richtung. Sie nutzen Inflations- und Zinsdifferenzen aus, um kurzfristig Gewinne zu erzielen. Ein Land mit hoher Inflation und hohen Zinsen müsste abwerten, damit seine Wirtschaft wieder wettbewerbsfähig wird. Die Spekulation wertet aber die Währung von Ländern mit hoher Inflation auf und die von Ländern mit niedriger Inflation ab. Das ist genau das Gegenteil, was zum Handelsausgleich beitragen könnte.
Der chinesische Handel kann heute nicht verglichen werden mit dem Handel eines westlichen Industrielandes. Sechzig bis siebzig Prozent der Exporte Chinas sind nicht Exporte von chinesischen Unternehmen sondern Exporte ausgelagerter westlicher Unternehmen. Mit Freihandel hat das nichts zu tun.
Und ein Land darf sich wehren und seine gesunden Unternehmen durch Protektionismus schützen gegen massive Exporte aus einem anderen Land, in dem Unternehmen mit extrem hohen Monopolgewinnen hohe Produktivität mit niedrigen Löhnen kombinieren. Auch das ist kein freier Handel.
Andere Länder versuchen, viel mehr zu exportieren als sie importieren, siehe Exportweltmeister Deutschland mit seinem Lohndumping. Der Handel für die Defizitländer wird zunehmend erschwert, weil er ihre Schulden erhöht.
Freien Handel gibt es also in Wirklichkeit gar nicht. Wechselkursänderungen, Direktinvestitionen in anderen Ländern (Beispiel China) und Lohndumping sind keine Elemente einer Freihandelsideologie sondern steuern den Handel bewusst.
Ist denn die Antwort auf die steigende Arbeitslosigkeit wirklich diejenige, die den Wohlfahrtsstaat immer mehr in Frage stellt?
Ist die Individualisierung der Lebensrisiken wie Arbeitslosigkeit, Alter und Krankheit wirklich der richtige Weg?
Sind die Chinesen verantwortlich dafür, dass unser Wohlstand sinkt?
Warum haben wir dann den Absatz unserer Güter nach China dramatisch erhöht?
Ist der Wohlfahrtsstaat also am Ende, weil mehr arme Länder dieser Erde aktiv am Welthandel teilnehmen wollen? (S. 28)
Der Neoliberalismus verlangt, „den Gürtel enger zu schnallen“ weil man „über seine Verhältnisse gelebt hat“.
Was verlangt die Globalisierung?
Ganz einfach: Jedes Land muss sich an seine Verhältnisse anpassen. Was heißt das? Kein Land darf über seinen Verhältnissen leben, niemand darf gezwungen werden, unter seinen Verhältnissen zu leben.
… denn alle zusammen können weder unter noch über ihren Verhältnissen leben. (S. 29)
Ökonomisch formuliert erfordert dies die Anpassung an die Produktivität. Kein Land darf seine Wettbewerbsfähigkeit durch Protektionismus oder ähnliche Maßnahmen auf Kosten anderer Länder steigern. Geschieht dieses doch, werden langfristige Gläubiger- und Schuldnerpositionen aufgebaut: Aufwertungen und Abwertungen der Währungen sind die Folge, wenn diese Länder über eine eigene Währung verfügen. Über den Wechselkurs wird dann die unterschiedliche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von Nationen ausgeglichen.
Grundlage ist das bekannte Theorem der Lohnsteigerungen entsprechend der Produktivitätsentwicklung plus Inflationsrate, impliziert ist damit, dass die breite Masse Teilhabe hat an der Produktivitätssteigerung.
Nun werden die Preise der Produkte, die am Weltmarkt gehandelt werden, nicht von der absoluten Höhe der Lohnkosten abhängen, sondern von den Lohnstückkosten. Und diese hängen wieder ab vom eingesetzten Kapital.
Besteht das Gut zum Beispiel nur aus Handarbeit und wird es an einem Tag von einem Handwerker produziert, so betragen die Lohnstückkosten genau den Tageslohn des entsprechenden Handwerkers. Wird das Gut jedoch mit einer Maschine produziert, die ein Arbeiter bedient, und kann der mittels dieser Maschine zehn Stück am Tag herstellen, dann betragen die Lohnstückkosten genau ein Zehntel seines Tageslohns. (S. 33)
Somit ist offensichtlich, dass auch bei deutlich höheren Löhnen die kapitalintensive der arbeitsintensiven Produktion überlegen ist, eben auch weil der ständig steigende Kapitaleinsatz ein Naturgesetz in der Ökonomie darstellt. Den allerhöchsten Profit gibt es allerdings, wenn die kapitalintensivsten Produktionstechniken mit den Billiglöhnen der aufholenden Länder kombiniert werden. Die Näherinnen in Bangladesh haben immer die modernsten Nähmaschinen.
Somit haben Niedriglohnländer einen Standortvorteil und profitieren vom Welthandel. Lohnsenkungen – oder Lohnmoderation, also Lohnerhöhungen unterhalb der Produktivitätsformel – in Hochlohnländern reduzieren damit die Chancen der Entwicklungsländer, sie wirken wie Protektionismus. Eine Aufwertung des Euro ist die logische Folge.
Wechselkurse können und müssen systematisch Lohnstückkostendifferenzen ausgleichen, aber niemals die absoluten Lohnniveaus. (S. 41)
Als Fazit bleibt: Einzelwirtschaftlich gehen im Hochlohnland Arbeitsplätze verloren, wenn Produktionen in ein Niedriglohnland verlagert werden. Es bedarf für diese Fälle eines funktionierenden sozialen Sicherungssystems. Gesamtwirtschaftlich setzt Deutschland allerdings mehr Waren im Ausland ab als es importiert. Damit werden per Saldo Arbeitsplätze geschaffen.
In der Summe – so die Autoren – profitiert Deutschland vom internationalen Handel, es ist kein Verlierer bei der Globalisierung.
Gute Sozialleistungen können die Arbeitsplatzverluste bei Verlagerungen abmildern, sie erhöhen aber auch die Lohnkosten und senken tendenziell den Vorteil, der durch die Exportüberschüsse entsteht.
Welche ökonomischen Konsequenzen sind gegeben, wenn der Faktor Arbeit sich nun bewegt, vom Herkunfts-, also Niedriglohnland in ein Einwanderungs-, also Hochlohnland? Im Zielland erwarten die Arbeitskräfte mehr Jobs oder höhere Löhne oder beides. Positive Wachstumseffekte sehen die Autoren, wenn die Zugezogenen die gleichen Löhne wie die Einheimischen bei gleicher Qualifikation verdienen. (Bestimmungslandprinzip)
Finden die Zuwanderer allerdings keine Arbeit, werden sie die sozialen Sicherungssysteme in Anspruch nehmen. Die Gesellschaft wird das aber nicht tolerieren, der soziale Frieden ist gefährdet.
Denn den Mindestlebensstandard, den eine reiche Gesellschaft durch soziale Sicherungssysteme für ihre Mitglieder zu garantieren versucht, um den sozialen Frieden und den Zusammenhalt zu sichern, kann sie nicht für den Rest der Welt oder auch nur einen spürbaren Teil davon zur Verfügung stellen.
Migranten können im Zielland mehr verdienen als in ihrer Heimat, auch wenn dieser Lohn niedriger ist als es die Arbeitsproduktivität verlangen würde. Sie erlauben somit dem sie beschäftigenden Unternehmen einen zusätzlichen Gewinn. Das Bestimmungslandprinzip ist außer Kraft gesetzt, die Zuwanderer verdrängen die einheimischen Arbeitskräfte.
Dass der Lohnvorteil für die Zuwanderer nicht immer ausschlaggebend sein muss, schließen die Autoren nicht aus. Sie sehen nur die ökonomischen Wirkungen, die sozialen behandeln sie lediglich in der Fußnote:
Dass diese Rechnung nicht immer aufgehen muss, weil etwa die Lebenshaltungskosten unterschätzt werden, der Wohnraum knapp und entsprechend teuer ist oder die soziale Integration nicht funktioniert, steht auf einem anderen Blatt. (S. 45)
Aber der negative Effekt für die Konkurrenz auf dem Weltmarkt ist durch die Beschäftigung von Migranten unterhalb der Produktivitätsformel gegeben – die Lohnsenkung im Hochlohnland schafft für die dortigen Unternehmer Weltmarktanteilsgewinne durch mögliche Preissenkungen.
Im Inland ist die Wirkung aber eine andere: Lohnsenkungen schwächen die Binnennachfrage, die Gewinne und die Investitionsbereitschaft sinken. Die Exporte werden zwar dadurch gestärkt, aber nicht in dem Ausmaß, wie es zur Kompensation des inländischen Nachfrageausfalls notwendig wäre.
Die Folge ist: Die Neoliberalen fordern, die durch die oben geschilderte Entwicklung erforderliche Ausweitung der Sozialpolitik zurückzufahren und den Staat radikal in seine Schranken zu verweisen.
Die ökonomischen Vorgänge veranlassen die Autoren zu politischen Aussagen:
Wen wundert es da noch, dass die Bevölkerung sich zunehmend vor der Globalisierung fürchtet und Fremdenfeindlichkeit auf dem Vormarsch ist? (S. 48)
Das Paradoxon der Globalisierung, so nennt Dani Rodrik, türkischer Ökonom und Professor an der Harvard University, das Verhältnis zwischen Nationalstaat, Demokratie und Globalisierung. Seine These sagt, diese drei Dinge passen nicht zusammmen, nachzulesen in einem Beitrag in der FAZ [1].
Ich nenne dies das fundamentale politische Trilemma der Weltwirtschaft: Wir können nicht gleichzeitig Demokratie, nationale Selbstbestimmung und wirtschaftliche Globalisierung betreiben. Wenn wir die Globalisierung weiterführen wollen, müssen wir entweder den Nationalstaat oder demokratische Politik aufgeben. Wenn wir die Demokratie behalten und vertiefen wollen, müssen wir zwischen dem Nationalstaat und internationaler wirtschaftlicher Integration wählen. Und wenn wir den Nationalstaat und Selbstbestimmung bewahren wollen, müssen wir zwischen einer Vertiefung der Demokratie und einer Vertiefung der Globalisierung wählen.
Es gibt eben keine Weltregierung, demokratisch legitimiert, die die Spielregeln der Globalisierung definieren könnte. Eine Europäische Instanz wäre zweifellos in der Lage, Regeln zu erstellen. Aber einen Konsens zwischen den Nationalstaaten erreichen sie nicht, denn diese finden keinen gemeinsamen Nenner in der Sozialpolitik, in der Standort- und Steuerpolitik, in der Migrationspolitik.
- [Image]: https://www.suhrkamp.de/cover/640/12722.jpg