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Warum noch SPD?

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Das neue Logo der SPD

Die Landtagswahl in Bayern vom 14.10.18 hat der SPD ein dramatisches Ergebnis beschert. Sie ist die fünftstärkste Partei im Münchner Maximilianeum geworden mit einem historisch einmaligen einstelligen Prozentsatz.

Auch personelle Konsequenzen hat das Wahlergebnis gefordert. Es ist z.B. jammerschade, dass so ein Bildungsprofi wie Martin Güll nicht mehr im Landtag ist, er ist gescheitert an der Politik der SPD-Führung in den letzten 15 Jahren. Martin Güll hat allerdings – so wie ich ihn erlebt habe – vorwiegend sein Thema Bildung gestresst, zur Berliner Politik der SPD-Führung und der Entwicklung der SPD hervorgerufen durch die Agenda2010 viel zu oft geschwiegen und kein einziges Email über den Zustand der Partei beantwortet.

Auch die Haltung der Funktionäre im Unterbezirk Dachau war immer geprägt vom Wegsehen. Die Tatsache, dass die Bundes–SPD über die Jahre die Hälfte der Mitglieder und der Wähler verloren hat, wurde schlichtweg verdrängt.

Die Frage, wo bleibt sozialdemokratische Politik angesichts der Zumutungen in der Agenda2010, war nicht erwünscht. Die Agenda war abgehakt, obwohl Tausende von Mitgliedern nur deswegen ausgetreten waren. Niemand im Vorstand des Unterbezirks hat zugestanden, dass die SPD ihrer primären Verantwortung den unteren 50% in der Gesellschaft gegenüber nicht mehr gerecht geworden ist.

Die Bayern SPD hat sich nicht vom Berliner Trend lösen können. Martin Güll sagt [1]: „Viele Ursachen für das schlechte Abschneiden liegen in Berlin.“ (SZ vom 20./21.10.)

Meinem Hinweis auf die Quote der AfD in Odelzhausen wurde begegnet, dort gäbe es doch gar keine Arbeitslosigkeit. Wohl wissend, dass es weniger die Arbeitslosen in ALG1 sind, sondern eher die prekär Beschäftigten, die Befristeten, die Leiharbeiter, die Working Poor sind, die zunächst nicht gewählt haben und dann übergelaufen sind. Ihnen hat die AfD das Selbstbewusstsein und die Identität zurückgegeben  – “Ihr seid deutsch” – auf Kosten von Fremden und Migranten. Der Fremdenhass ist geschürt und den Menschen gesagt worden, die Flüchtlinge nehmen Euch Arbeit und Wohnung weg.

Jeder Hinweis auf die Wirkungen der Agenda2010 ist abgelehnt worden mit dem Argument, die SPD sei die Partei der Werte. Nur sind in den letzten 15 Jahren trotz all dieser Werte soziale Rechte abgebaut worden.

Wer wollte schon das Wort “Neoliberalismus” (Sozialabbau plus Steuersenkungen für Reiche und Konzerne plus Privatisierungen der Daseinsvorsorge-Güter plus Dominanz der Finanzmärkte) hören?

Wer wollte noch etwas von der Friedenspolitik Willy Brandt’s hören? Wer hat gefragt nach dem Abstieg anderer sozialdemokratischer Parteien in Europa? Wer hat wirklich wahrnehmen wollen, welche verheerenden Auswirkungen die von der SPD unterstützte Austeritätspolitik gehabt hat? Noch vor kurzem hieß es, in Griechenland gehe es wieder aufwärts – eine reine Schutzbehauptung.

Warum noch SPD? Diese Frage stellen sich viele. Wenn der Erfolg der Grünen auch damit begründet ist, dass sie erfolgreich bei der Wahrung der Bürgerrechte der AfD entgegengetreten sind (Flüchtlingspolitik, Genderfragen, Feminismus, Gleichberechtigung von Mann und Frau, gegen Rassismus), so fehlt eben dieser Gegenpol zur AfD auf der sozio-ökonomischen Seite und dieses Feld liegt brach, es bietet sich idealerweise der SPD an, es zu besetzen. Die Slogans müssten heißen “Raus aus der Agenda – Ein Mindestlohn ohne Ausnahmen von 12€ – Schluss mit den HartzIV-Sanktionen – Ende der befristeten und der Leih-Arbeit – keine Unterschiede zwischen Einheimischen und Migranten”. Ehemalige Hochburgen der SPD in Frankfurt, in Köln, im Ruhrgebiet sind heute fest in der Hand der AfD. Wenn wir dieses sozio-ökonomische Feld nicht wieder besetzen, dann ist die Frage „Wozu braucht es noch die SPD?“ wirklich berechtigt.

Das Problem der Bayern-SPD ist doch gewesen, dass sie von der Bundes-SPD noch mit heruntergerissen wurde. Die Aussage der Vorsitzenden Andrea Nahles bei der Entlassung des Verfassungsschutzpräsidenten Maaßen ist nur mit einer gehörigen Portion von Ironie zu ertragen: Sie habe zu wenig daran gedacht, was die Menschen bewege. Besser kann man seinen Rücktritt nicht begründen.

Immer wieder erzählen uns die Mainstream-Medien, Deutschland gehe es gut. Dabei geht es der Wirtschaft gut, aber eben nicht allen Menschen. Der Niedriglohnsektor umfasst nach wie vor mehr als 20% der Beschäftigten, über 6‘0 stecken in der HartzIV-Falle, fast 1‘0 sind in Leiharbeiter mit 60% des Verdienstes ihrer fest angestellten Kollegen, 1‘2 sind Aufstocker, gehen also am Ende des Monats zum Jobcenter, die Hälfte der Neueinstellungen ist nach wie vor befristet, ohne die Möglichkeit einer vernünftigen Zukunftsplanung. Die Berechnungen der Rente bei lebenslanger Arbeit liefern mehr als ernüchternde Ergebnisse.

Die Versuche, innerhalb der Großen Koalition weitergehende soziale Erfolge zu erzielen, sind nur begrenzt wirksam. Eine europäische Arbeitslosenversicherung wird abgelehnt werden, genauso wie die Forderung nach Festschreibung des Rentenniveaus bei niedrigen 48% vom vorherigen Netto bis zum Jahr 2030. Der dann folgenden üblichen Erklärung, dass sei mit der Union nicht zu machen, ist die Raumpflegerin Susanne Neumann schon vor Jahren begegnet mit dem Spruch: „Warum geht ihr dann mit die Schwatten?“ Mit der Wiederherstellung der Parität von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträgen bei der Krankenversicherung wird immerhin ein eigener Fehler korrigiert.

Niemand widerspricht der EU-Kommission, wenn sie Italiens Budget wegen zu hoher Neuverschuldung, aber noch unter der vertraglich abgesicherten 3% Grenze ablehnt. Aber es ist nun mal eine volkswirtschaftliche Binsenwahrheit, dass wer investieren will auch Schulden machen muss, um z.B. die hohe Jugendarbeitslosigkeit abzubauen. Wer ist eigentlich noch volkswirtschaftlich kompetent in dieser SPD? Wir verstoßen seit Jahren gegen die EU-Regeln mit dem hohen Exportüberschuss, erhöhen damit kontinuierlich die Schulden der anderen. Wie soll ich das im Europawahlkampf dem Wähler erklären? Siehe dazu Artikel von Thomas Fricke in SPON: „Habt ihr noch alle Espresso-Tassen im Schrank? [2]“ In dieser Thematik liegt für mich das größte Unverständnis in der SPD. Unsere Mainstream-Medien haben hier wirklich großartige Arbeit geleistet.

Der Finanzminister steht nach wie vor auf der Schwarzen Null, obwohl der Milliarden schwere Bedarf in Bildung, Infrastruktur und Pflege nachgewiesen ist. Obendrein verhindert er auf EU-Ebene sowohl das Country-by-Country-Reporting, das eine effiziente Konzernbesteuerung ermöglichen würde, als auch die Bankenunion, die eine gemeinsame europäische Einlagensicherung garantieren würde.

Zeit wird es, dass die Basis aufsteht, angeführt von der DL21, von Marco Bülow und Simone Lange, vom Bündnis Plattform und der Bewegung Aufstehen, in der ich viele ehemalige Sozialdemokraten wiederfinde. Kevin Kühnert, Dauerredner gegen die GroKo, gehört nicht zu den Progessiven. Inhaltlich gibt es von ihm so gut wie nichts zu vernehmen.

Recht hat Michael Schrodi, am 19.10. in der SZ [3]. Als die zentralen Themen führt er an: „Zukunft der Arbeit, Rente, Armut, Verteilungsgerechtigkeit, solidarische Gesellschaft. […] Wir müssen unser Profil nicht schärfen, wir brauchen wieder ein inhaltliches Profil“.

Dass es ein „Weiter-so“ nicht geben kann, das hab‘ ich allerdings schon so oft gehört.

Bildquelle: Elias Schwerdtfeger [4] | CC0 1.0 Universal (CC0 1.0) Public Domain Dedication [5]

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Endnotes:
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