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Willkommen in der Hölle des 21. Jahrhunderts

Keine Sorge. Google, Facebook und die EU-Kommission werden uns retten. Bestimmt.

von Philipp von Becker [1]

[1]

What We Are* – Foto: Ingrid Taylar

Der Mensch hat sich eine schöne Zukunft gebaut. Sichere 438 Atomkraftwerke sind weltweit in Betrieb. Täglich läuft aus den Lecks in Fukushima [2] radioaktiv verseuchtes Wasser in den Ostpazifik. Weißrussland ist komplett verstrahlt [3]. Zum Glück bekommen alle Belgier und Holländer jetzt Jodtabletten [4]. Das hilft. Wenn der Golfstrom zum Erliegen kommt [5], werden Windjacken und Regenschirme verteilt. Und wenn auch die Gletscher und Polkappen geschmolzen sind [6], die Permafrostböden auftauen [7] und Tonnen von Methan nicht mehr nur aus den Mägen unserer Hamburgerrinder [8] in die Atmosphäre gelangen, dann kaufen wir uns einfach einen neuen SUV und nehmen den Kaffee to go. Solange wir Urwälder weiter abholzen können, um täglich drei Mal Schnitzel zu essen, ist alles in Ordnung. Das ist schließlich unsere Entscheidung, ob wir das wollen oder nicht. Das lassen wir uns nicht vorschreiben. Die Millionen Liter Gülle der mit Soja aus Südamerika gemästeten Industrietiere in Deutschland zerstören zwar auch unsere Böden und Gewässer, [9]aber das macht nichts. Fruchtbare Böden werden weltweit sowieso vernichtet [10]. Und wer braucht schon Wälder? Wo Bäume stehen, müssen Autobahnen hin. Es gibt keine planetarischen Grenzen [11]. Die Meere fischen wir leer, und alles, was darin noch überlebt, wird mit Stickstoff erstickt oder mit Plastik vergiftet. Wir gehen da auf Nummer sicher. Mikroplastik findet sich nicht nur in der Luft und im Regen, sondern auch in Mineralwasser, Scheiblettenkäse und Zahnpasta [12]. Schuld daran – Sie haben es sicherlich mitbekommen – ist der Islam. Ohne den Islam gäbe es kein Artensterben, keinen Terror, keine Flüchtlinge und keine AfD. Unsere dringlichste Aufgabe ist deshalb der Krieg gegen den Terror [13]. Wir wehren uns. Wir sind das aufgeklärte Abendland. Wir bringen Demokratie, Freiheit und Frieden [14]. Mit Landraub, Waffen und Diktaturen haben wir nichts [15] zu tun. Wir nehmen uns die Rohstoffe der Erde, weil unsere westlichen Werte sie brauchen. Ohne seltene Erden können die nicht überleben. Das muss man verstehen. Saudi Arabien hat mit dem 11. September nichts zu tun. [16] Die Amerikaner haben mit den Saudis nichts zu tun. Die Saudis haben mit dem IS nichts zu tun. [17] Hitler wollte niemals bis Baku. Das sind Verschwörungstheorien. Schuld an den leergefischten Meeren ist der Salafismus. Deshalb müssen wir jetzt deutlich mehr Elektroautos kaufen. Wir brauchen dringend Kaufprämien für Elektroautos. Wir brauchen dringend mehr Autos. Wir müssen dringend mehr Stoffe aus der Erde ziehen. Zu fairen Arbeitsbedingungen. Zu fairen Preisen. Glencore ist fair [18]. Unsere Handelsabkommen sind fair [19]. In der Schweiz gibt es kein Schwarzgeld. In der EU gibt es keine Steueroasen. Herr Draghi arbeitet nicht für Goldman Sachs. Herr Juncker kämpft für die Armen. Bargeld ist böse. Wir brauchen einen War on Cash [20]. Es gibt zu wenig zu kaufen in Deutschland. Wenn Sie anderer Meinung sind, müssen Sie sich besser überwachen. Mit Armband und Smartphone. Damit Sie alles im Blick haben. Bin Laden und den Terrorismus. Damit Sie gewarnt werden, bevor nicht mehr genug da ist. Es kann nie genug geben. Wir brauchen dringend Champignons, die nicht braun werden [21]. Wir brauchen Genkontrollen an Flughäfen [22]. Zur Sicherheit. Gegen den Terror. Für die Abschiebung. Die Welt muss vollständig berechenbar werden [23]. Jeder Mensch, jedes Ding, jedes Atom muss zu jeder Zeit vollständig erfasst sein. Es darf kein Entkommen mehr geben [24]. Dann brauchen wir keine Angst mehr zu haben. Dann wissen Konzerne und Bürokratien bereits im Vorhinein, was wir denken, fühlen und tun werden. Dann helfen sie uns. Dann optimieren sie uns. Dann wird endlich alles effizient. Politik wird soziale Physik [25]. Städte und Staaten werden smart. Das löst alle Probleme. Das rettet die Fische und die Bäume. Frau Merkel und Herr Obama kümmern sich. Die machen das für uns. Bestimmt. Mit Dow Chemical, BASF und Black Rock. [26] Fliegen Sie ruhig in den Urlaub. Das macht nix, das CO2. Sie essen ja auch Schnitzel. Das tut Ihnen ja auch gut. Das hilft ja auch Ihrer Gesundheit und dem Aktienindex. Irgendwer muss ja daran verdienen. Irgendwer hat doch die Taschen voll. Wenn Sie es nicht sind, machen Sie einfach weiter. Sie können es schaffen, Sie müssen nur wollen. Alles ist möglich. Auch nach Costa Rica oder Thailand fliegen. Man kann nie genug kriegen. Von all dem Weißmehl, Zucker und Putenfleisch. Greifen Sie ruhig zu. Machen Sie aus Leben Tod. Spielen Sie in der Champions League. An den Titeln werden Sie gemessen. The winner takes it all. Fressen Sie sich frei. Packen Sie Ihr Essen in Plastik ein. Das hilft. Gegen die Auswahl. Gegen den Terror. Heben Sie kein Geld ab, zahlen Sie mit Karte. Sie haben mit dem Ganzen sowieso nichts zu tun. Es ist nicht Ihre Schuld. Was können Sie schon dafür? Das ist alles zu komplex, wir können das gar nicht wissen. Da müssten wir viel schlauer sein, um das zu wissen. Das bringt nix. Machen wir einfach weiter. Je mehr Flüchtlinge ertrinken, desto besser. Je mehr Mini-Atomkraftwerke wir bauen, [27]desto besser. Dann bleibt mehr für uns. Das ist sicherer so. Und bald brauchen wir uns um all das ohnehin nicht mehr zu sorgen. Dann schenkt uns Mark Zuckerberg eine Virtual Reality Brille [28]. Dann sehen wir das sowieso ganz anders. Mark Zuckerberg macht das umsonst für uns. Dann haben wir sowieso kein Problem mehr. Dann lassen wir die Schweine in den Mastanlagen einfach schreien. Dann lassen wir die Kinderprostituierten einfach arbeiten. Mal machen lassen. Auch Herr Juncker und Herr Draghi kümmern sich. Die haben eine weiße Weste. Die sind Chefs von der EU. Die wissen, wie das geht. Die können das. Lassen Sie sich fahren [29]. Sorglos und sicher. Genießen Sie es. Akzeptieren Sie es. Kapitalismus macht frei.


Philipp von Becker ist Filmemacher und Autor von: Der neue Glaube an die Unsterblichkeit. Transhumanismus, Biotechnik und digitaler Kapitalismus. Passagen Verlag 2015.

Der Beitrag ist ursprünglich in der Freitag Community [30] erschienen,  die Veröffentlichung hier erfolgt mit Zustimmung des Autors.

Bildquelle: Ingrid Taylar [31] | CC BY 2.0 [32]

Endnotes:
  1. [Image]: https://c1.staticflickr.com/5/4143/5441017986_01a07c4da3_b.jpg