Offener Brief an den Kanzlerkandidaten der SPD, Martin Schulz

Quelle: SPD

Gestern, so hieß es, ist ein Ruck durch die SPD gegangen. Groß ist nun die Motivation. Martin Schulz hat seine Antrittsrede gehalten als designierter Parteivorsitzender und nominierter Kanzlerkandidat. Er sprach davon, dass 40% der Wähler heute noch unentschieden sind.

Er stellte in den Mittelpunkt die “hart arbeitenden Menschen” und diejenigen, die sich mit zwei Monatseinkommen in den Ballungsgebieten nicht mehr die Miete leisten können. Bescheidene Zwischenfrage: “Was ist mit denjenigen, die nicht hart arbeiten (dürfen)?” In Deutschland sei vieles aus dem Lot geraten, so Martin Schulz. Es gebe zu viele prekäre Arbeitsplätze, die dann zu einer schlechten Rente führen.

Martin Schulz machte glaubwürdig, er sei jahrelang Bürgermeister einer Kommune gewesen, er kenne die Nöte der Menschen vom Sozialamt, vom Jugendamt, vom Arbeitsamt. Er wisse, wie es den Menschen in der Nachbarschaft gehe. Er sei angetreten, dafür zu sorgen, dass Menschen keine Angst mehr hätten vor der Altersarmut. Er kämpfe für die Glaubwürdigkeit. Es gehe nicht gerecht zu in Deutschland, wenn Vorstände, die versagt hätten, auch noch Boni bekämen, während die Kassiererin bei einer kleinen Verfehlung ihren Arbeitsplatz verliere.

Die SPD habe Deutschland reformiert (er meint die Agenda2010), nun müsse sie ein Auseinanderdriften der Gesellschaft verhindern. Hier sei die Verantwortung der SPD, die Deutschland fit gemacht habe für die Zukunft. Milliardenüberschüsse im Staatshaushalt dürften nun nicht zu Steuerentlastungen für die Reichen führen. Wenn der Bäcker in Berlin mehr Steuern zahle als der internationale Kaffeekonzern, dann sei das nicht hinnehmbar. Nein, der Staat sei besser auszustatten, zur Wohnbauförderung müsse mehr Geld bereitgestellt und die staatliche Daseinsvorsorge verstärkt werden.

Steuererhöhungen erteilt er indirekt eine Absage, er plädiert für Steuergerechtigkeit angesichts der mangelnden Konzernbesteuerung und der Steuerflucht in die Steueroasen. Von Vermögens- und Erbschaftssteuern spricht er nicht. Er erinnert daran, die Einführung der Finanztransaktionssteuer sei im Zuge der großen europäischen Rettungsaktionen vereinbart worden. Hr. Schäuble, der ein schwieriger Partner für Europa sei,  müsse liefern.

Er beklagt den schlanken Staat, zu wenig Polizisten, Mängel in der Infrastruktur und in der Bildung. Er verweist auf Malu Dreyer, auf das Bundesland Rheinland-Pfalz, wo von der Kita bis zur Uni alle Bildungsleistungen kostenlos sind. Er sagt, er verstehe, wie es den Menschen gehe. Die SPD müsse sich nicht erneuern. Sie habe eine so große Tradition der Solidarität und der Menschenrechte.

Die Dame aus Essen aus dem Publikum, die die soziale Ungleichheit anprangert und entscheidende Verbesserungen anmahnt, bittet er um einen Vertrauensvorschuss. Versprechen kann er an diesem Tag nichts.

Die AfD sei eine Schande für Deutschland, so Martin Schulz. Auf den Einwand, dass ehemalige linke Wähler zur AfD übergelaufen seien, sagt er, er verstehe das, wenn hart arbeitende Menschen sich ungerecht behandelt fühlten.

Ob er Angst habe vor dem Versagen, wenn er scheitern würde, fragte ihn Anne Will zum Schluss. Wie Martin Schulz mit der Antwort zögerte, das war sein wohl stärkster Moment an diesem Tag. Er gestand, ja er hätte Ängste, aber wenn er sie zu seinem Ratgeber machen würde, dann dürfe er ja gar nicht antreten. Nein, Martin Schulz erhebt einen Führungsanspruch für die SPD.

Insgesamt: Viele Botschaften, die Richtung stimmt. Martin Schulzs Auftritte an diesem Tag sind gekennzeichnet von Betroffenheit, von Nachdenklichkeit, vom Willen, die soziale Ausgrenzung als Herausforderung anzunehmen und die Demokratie dadurch zu stärken.

Mit diesem “Amtsantritt” verbinden sich also viele Hoffnungen und Erwartungen. Konkretes, Programmatisches war an diesem Tag nicht zu hören, das war auch nicht zu erwarten. Der Tag hat der Motivation, der Mobilisierung und das Mutmachens gedient.

Wichtig ist nun, die programmatische Diskussion weiterzutreiben, eine Wahlplattform2017 zu erstellen, die sozialdemokratischen Ansprüchen gerecht wird.

Schon 2015 hatte ich einen Offenen Brief an den SPD-Parteivorstand geschickt und ihm 23 Punkte nahe gelegt, die das sozialdemokratische Profil verstärken. Eine Neuauflage dieses Briefes geht nun an Martin Schulz.

Offener Brief an den Kanzlerkandidaten der SPD, Martin Schulz

Lieber Martin!

Mit deiner Ernennung zum Vorsitzenden der SPD und zum Kanzlerkandidaten für die Bundestagswahl geht es nun in den Wahlkampf und in die letzte Phase der Großen Koalition, in der wir die Regierungsverantwortung immerhin zu einigen sozialen Korrekturen genutzt haben (Mütterrente, Rente mit 63, Mietpreisbremse, Mindestlohn).

Aber unsere Wählergunst hat davon nicht wirklich davon profitiert. Wir haben auch Zugeständnisse gemacht, die schmerzvoll waren, z.B. die Vorratsdatenspeicherung, die aus jedem Bürger einen Verdächtigen macht.

Somit läuft die SPD weiterhin Gefahr, an Boden zu verlieren, sollte es nicht gelingen, das sozialdemokratische Profil eindeutig zu schärfen. Nicht die CDU nähert sich der SPD an, sondern die Sozialdemokraten sind es, die immer mehr in die Mitte rücken.

Bezeichnend ist, dass bei der Wahl zum Landesvorsitzenden in Bayern der damalige Herausforderer mit drei inhaltlichen Kernthemen zur Austeritätspolitik, zur Vorratsdatenspeicherung und zu TTIP über 30% der Stimmen für sich gewinnen konnte und so dem Vorsitzenden Florian Pronold, der für eine stärkere Zusammenarbeit mit der CSU geworben hatte, ein gehöriger Denkzettel verpasst wurde.

Nachstehend führe ich einige Punkte auf, die die SPD-Führung beherzigen muss, um ein Absinken unter die 20%-Marke zu vermeiden:

1 Freihandelsabkommen TTIP
Obwohl mit der Wahl des neuen US-Präsidenten das Thema nicht mehr an aller erster Stelle auf der internationalen Agenda steht, darf ich daran erinnern, das weiterhin die Punkte der sog. „Roten Linie“ gelten, die in einem Papier des Parteikonvents vom 20.9.2014 festgelegt sind, u.a. dürfen bestehende Arbeitnehmerrechte, Verbraucherschutz-, Sozial- und Umweltstandards nicht gefährdet, müssen die ILO-Kernarbeitsnormen und die OECD-Leitsätze für multinationale Unternehmen umgesetzt und dürfen private Schiedsgerichte, die die demokratischen staatlichen Institutionen aushebeln, nicht eingeführt werden.

2 Streikrecht
Das umgesetzte Tarifeinheitsgesetz hat schon  faktisch das Streikrecht ausgehöhlt. Obwohl anzunehmen ist, dass es vom Verfassungsgericht wegen der Beeinträchtigung der Koalitionsfreiheit gekippt werden wird, durfte es die SPD nicht zulassen, dass ein von ihr geführtes Ministerium eine weitgehende Beschneidung von Arbeitnehmerrechten initiiert.

3 Friedenspolitik
Hat die SPD das Projekt einer europäischen Friedensordnung bereits aufgegeben? Ist das Auftreten des Westens gegenüber Russland (Vorrücken der Nato nach Osten, Raketenschild in Polen und Tschechien) wirklich alternativlos? Ich vermisse auch nur den Hauch einer Friedenspolitik, wie sie Willy Brandt praktiziert hat. Sind die Angebote der russischen Seite, gemeinsam das europäische Haus zu bauen, schon vergessen?

4 Flüchtlingspolitik
Wann endlich stößt die SPD angesichts der großen Zahlen von Flüchtlingen, die unseren Schutz verdienen, die Debatte über die eigentlichen Ursachen (Kriege, Handelsbeziehungen, Korruption, Ausbeutung von Rohstoffen, Klimawandel) an?
Wir haben nun mittlerweile das schärfste Asylrecht aller Zeiten. Wollen wir argumentativ immer weiter den rechten Parteien folgen oder haben wir endlich den Mut, eine offene Flüchtlingspolitik zu formulieren, die auf einem konsequenten Einwanderungsgesetz basiert. Wir wissen doch, dass geschlossene Grenzen und hoch gezogene Mauern noch nie ein Problem gelöst haben. Die weiterhin vielen Toten im Mittelmeer erfordern eine Politik der Humanität, die ebenso den am meisten betroffenen Ländern, nämlich Griechenland und Italien, hilft.

5 Agrarwende
Wie lange müssen wir uns noch ansehen, dass in der Massentierhaltung Tierquälerei stattfindet, dass die Tiere Antibiotika bekommen, um ihr Leiden zu verringern, dass dieser Fleischverzehr uns resistent gegenüber Antibiotika macht, dass die Beschäftigten in diesem agrarischen Industriezweig den Status von Sklaven haben? Die SPD muss sich an die Spitze der Bewegung, die die Agrarwende fordert, stellen!

6 Energiewende
Wie lange wollen wir noch an Kohlekraftwerken oder an der Umweltverwüstung im Braunkohletagebau festhalten? Wann wird endlich der Schalter für die erneuerbaren Energien so umgelegt, dass nicht die Großkonzerne und deren Interessen im Mittelpunkt stehen, sondern die dezentrale Erzeugung vorangetrieben wird?
Es kann nicht richtig sein, dass die großen Energiekonzerne im Sinne einer „Bad Bank“ eine „Bad Company“ einrichten, in die sie ihre alten Atommeiler einschließlich der teuren Abbau- und Entsorgungsverpflichtungen verlagern, diese dann pleite gehen lassen und die Kosten dem Steuerzahler aufbürden.
Für ein Moratorium des Braunkohlebergbaus muss die SPD ein Konzept erstellen einschließlich der erforderlichen Maßnahmen, den Abbau von Arbeitsplätzen zu verhindern.

7 Schwarze Null
Haushaltspolitisch ist die sog. Schwarze Null eine Katastrophe für die kommende Generation. Unsere Infrastruktur- und Bildungsausgaben sind viel zu gering. Wir vererben eben nicht nur Schulden sondern auch die zugehörigen Vermögen. Neben jeder Schuldenuhr tickt auch eine Vermögensuhr!
Und was wir wirklich vererben können, das sind gute Schulen, Krankenhäuser, Straßen und Brücken! Wenn wir dagegen nicht genügend investieren, vererben wir stattdessen einen stetig steigenden Sanierungsbedarf, und es wird auf Grund der zunehmenden Schäden an der Substanz mit jedem Jahr teurer, die einzelnen Objekte zu sanieren. Es droht das Vererben von Ruinen.

8 Privatisierungen / ÖPP
Die SPD muss jede weitere Privatisierung von Gütern der Daseinsvorsorge (Verkehr, Bildung, Innere Sicherheit, Strom, Wasser, Gesundheit) ablehnen. Oder ist es einfacher, hier privates Kapital zu gewinnen als höhere Steuern (auf Vermögen, Erbschaften, Kapitalerträge) zu fordern? Dabei gibt es doch unendlich viele Beispiele, dass diese Privatisierungen zu teuer sind, Bürgerrechte beschränken und deswegen geheim gehalten werden!
Die Vorschläge der Fratzscher-Kommission, den Investoren ihre Renditen zu garantieren, laufen darauf hinaus, die Gewinne zu privatisieren und die Verluste zu sozialisieren.

9 Waffenexporte
Ist es nicht wirklich an der Zeit, unsere Waffenexporte – wir sind drittgrößter Exporteur – zu überdenken? Wir haben die Rebellen in Syrien unterstützt, und jetzt wenden sie als IS ihre (also unsere) Waffen gegen uns! Welcher Irrsinn tut sich in dieser Politik wirklich auf?
Auch hier bedarf es politischer und struktureller Maßnahmen, um die Reduzierung unserer Waffenexporte arbeitsmarktpolitisch abzufedern.

10 Vorratsdatenspeicherung
Die Grenzen der Vorratsdatenspeicherung haben das Bundesverfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof eindeutig definiert. Es gab keinen Grund, davon abzuweichen. „Mit der Vorratsdatenspeicherung wird die Einwohnerschaft unter Generalverdacht gestellt.“ (Zitat: SZ)

11 Datenschutz
Die Aktivitäten der amerikanischen Sicherheitsbehörde NSA, unterstützt vom deutschen Geheimdienst BND, zeigen, neben dem politischen Aufsichtsversagen im Kanzleramt, dass bürgerliche Grundrechte auf dem Spiel stehen.
Die SPD muss das Thema Datenschutz und informationelle Selbstbestimmung wieder auf die politische Agenda setzen – auch und gerade in Zeiten der industriellen digitalen Revolution.

12 Altersarmut
Lohnentwicklungen, die der Produktivitätssteigerung nicht folgen, verstärken die Ungleichheit. Immer mehr Löhne, sowohl im Niedriglohnsektor als auch Mindestlöhne, bleiben auf einem Niveau, das eine angemessene Rente nicht gestattet. Steigende Altersarmut wird die Folge sein. Rentensteigerungen müssen zumindest die Inflationsrate ausgleichen.

Ein Baustein einer zukünftigen SPD-Sozialpolitik sollte ein neues Rentenkonzept sein. Wie es aussehen kann? Wir müssen nur nach Österreich schauen. Dort ist das Rentenniveau deutlich höher als bei uns, es gibt ein Rentensystem für alle, es gibt eine armutsfeste Mindestrente und das dortige Umlagesystem ist zukunftssicher. Kennzeichnend für das österreichische System sind zwei Merkmale:

(1) Alle Arbeitnehmer, Selbständige, Politiker, Landwirte und (fast alle) Beamte zahlen ein und haben gleiche Ansprüche.
(2) Das Österreichische Rentensystem ist ein reines Umlageverfahren. Alle Versuche, das dortige System zu (teil)privatisieren, sind gescheitert.

13 Wahlbeteiligung
Was tut die SPD wirklich gegen die sinkende Wahlbeteiligung, die bei Landtagswahlen gerade noch 50% erreicht. Und viele Wahlanalysen bescheinigen der SPD, dass sie am meisten ehemalige Wähler an Nicht-Wähler und nun auch an die AfD verliert. Forderungen nach lediglich Änderungen im formalen Wahlsystem zeigen, dass die wirklichen Ursachen, die auch im Wahlverhalten ein großes soziales Gefälle widerspiegeln, nicht verstanden werden (wollen).

14 Ungleichheit
Regelmäßig erfahren wir, dass die Ungleichheit von Einkommen und Vermögen, die nicht nur ungerecht ist sondern auch wirtschaftliche Uneffektivität hervorruft, steigt und in Deutschland noch mehr steigt als in Europa. Unser Steuern- und Abgabensystem, das in Wirklichkeit regressiv (Beitragsbemessungsgrenzen, Mehrwertsteuer) ist, müsste daher stärker progressiv ausgerichtet werden.
Die SPD muss ein Konzept entwerfen, wie eine effektive Besteuerung von internationalen Konzernen sichergestellt und Steuervermeidung über Steueroasen unterbunden wird.

15 Drohnenkrieg
Wissen wir und wollen wir, dass die USA einen ständigen Drohnenkrieg auch mit unserer militärisch-logistischen Unterstützung gegen Personen führt, die die USA-Regierung verdächtigt, dem Land Schaden zuzufügen und dabei ständig unzählige zivile Opfer in Kauf nimmt?

16 Arbeitszeit
Wir haben in Deutschland jährliche Produktivitätssteigerungen von ca 1%. Die auch nur teilweise Weitergabe dieser Vorteile an die Arbeitnehmer ermöglicht eine Arbeitszeitverkürzung mit vollem Lohnausgleich. Diese muss wieder Ziel der SPD werden, denn auch dadurch wird eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf erreicht.

17 Hartz IV
Traut sich die SPD wirklich nicht mehr, über Hartz IV, die ungenügende Höhe des Regelsatzes und die unsäglichen Sanktionen, die in vielen Fällen wiederum zu einer Reduzierung des Regelsatzes führen, nachzudenken? Auch hier wird demnächst das Bundesverfassungsgericht zu überprüfen haben, ob bei einer Kürzung oder kompletten Streichung des Arbeitslosengeldes II nicht das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums verletzt ist?
Die heutigen Sätze, die ausgeübten Sanktionen und der nicht ausreichende Mindestlohn führen geradeaus in die Altersarmut.

18 Ausgaben für Bildung
Tut der Bund genug, um die Gemeinden beim Ausbau der Kitas und der Anstellung von gut ausgebildeten (und bezahlten) Kindergärtner_innen zu unterstützen? Ziel sozialdemokratischer Politik sollten kostenfreie Kitas sein. Vorbild muss das Bundesland Rheinland-Pfalz sein, wo die Kitas kostenfrei sind und Studiengebühren nie erhoben wurden.

19 Familienpolitik
Wann nehmen wir endlich Abstand vom Ehegattensplitting und wandeln es um in ein Familiensplitting? Ein Ehepaar ohne Kinder ist keine Familie – und nur die sollte staatlich gefördert werden.

20 Europapolitik
Die SPD hat die von EU, EZB und IWF betriebene Austeritätspolitik für die südeuropäischen Staaten unterstützt. Davon muss sie Abstand nehmen und für ein umfangreiches Investitions- und Wachstumsprogramm in Südeuropa eintreten.
Die SPD muss einsehen, dass die Austeritätspolitik kontraproduktiv war, sie hat die (relative) Schuldenlast der betroffenen Staaten erhöht, die soziale Situation dramatisch verschlechtert, einer ganzen Generation junger Menschen die Perspektive genommen.
Wir wissen, Griechenland wird seine Schulden nie begleichen können. Auch angesichts der deutschen Erfahrungen, wir müssen einen großen Schuldennachlass herbeiführen.

21 Deutschlands Exporte
Deutschlands Leistungsbilanzüberschuss beträgt jährlich ca 200 Mrd €. Dieser Saldo bedeutet Schulden für unsere Handelspartner. Ein angemessener Mindestlohn, gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit (z.B. bei der Leiharbeit), Lohnsteigerungen entsprechend der Produktivitäten, Wachstum finanziert durch höhere Staatsausgaben für die Infrastruktur würden auch unsere Importe erhöhen und den Außenhandelssaldo verringern.
Karl Schiller hätte schon lange festgestellt, dass entsprechend des damals definierten volkswirtschaftlichen Gleichgewichts (magisches Viereck: Preisstabilität, Wachstum, Vollbeschäftigung, außenwirtschaftliches Gleichgewicht) Deutschland durch die hohen Exportüberschüsse ständig dagegen verstößt.

22 Bürgerversicherung
Haben wir das Projekt der Bürgerversicherung, d.h. alle Einkunftsarten (Löhne, Zinsen, Dividenden) leisten prozentual ihre Beiträge zu den verschiedenen Versicherungen, ohne Beitragsbemessungsgrenze schon abgeschrieben?

23 Familienförderung
Deutschland rangiert weiterhin in der Geburtenstatistik weit hinten. Aber wir haben ein Flickwerk an familienpolitischen Leistungen geschaffen, die sich völlig widersprechen: „hier das Betreuungsgeld, dort der Kita-Ausbau; hier das Elterngeld und die 32-Stunden-Woche, dort das Festhalten am Ehegattensplitting“. (SZ vom 13./14.6. 2015, S. 26)
Dabei hat sich der Kita-Ausbau als ein wirklicher Treiber der Geburtenrate erwiesen. Ist es nicht an der Zeit, einen Neuaufwurf der familienpolitischen Konzeption zu erstellen?

Fazit
Wer nur wenigen dieser Punkte zustimmt, weiß, dass sie in einer großen Koalition nicht (mehr) umgesetzt werden können und dass die sozialpolitischen Themen (Ungleichheit, Altersarmut, Hartz IV, Niedriglohnsektor) den wirklichen Auslöser für die mangelnde Wahlbeteiligung und die Gefahr für uns, bei 25% zu verharren, darstellen.

Mit dem Namen der SPD verbindet sich mittlerweile der Sozialabbau durch die Agenda 2010, das gesunkene Rentenniveau und die Rente mit 67 – ohne Ausgleich für diejenigen, die das Rentenalter gar nicht gesund erreichen können.

Ich möchte erinnern an die Rede von Sigmar Gabriel auf dem SPD-Parteitag am 14.11.2013 zum Eintritt in die Große Koalition:

“Und noch etwas gilt nach diesem Mitgliedervotum: Wenn wir dann in eine Regierung gehen sollten, dann darf die Partei, unsere Basis in den Ortsvereinen, Unterbezirken und Landesverbänden danach ihre Rolle nicht wieder verlieren. Nur weil wir in einer Regierung sind, dürfen wir die Partei nicht wieder zum reinen Erfüllungsgehilfen der Regierungsarbeit verkommen lassen. Mitgliederbeteiligung, offene Diskussionen und auch das Einfordern eines klaren sozialdemokratischen Profils im Regierungshandeln entlang unserer Ziele bleibt auch in einer Regierungsbeteiligung die alltägliche Aufgabe der SPD-Parteiorganisation. Oder zugespitzt: Die eigentliche Bewährungsprobe für das Projekt „Innerparteiliche Demokratie wagen “ kommt erst in der Regierungsverantwortung. Nur wenn wir dann auch in schwierigen Situationen, wie sie immer in Regierungen zustande kommen, weiterhin auf Beteiligung und offene Diskussion setzen und nicht in alle Basta-Zeiten zurückfallen, werden wir das glaubhaft einlösen, was wir uns jetzt in Oppositionszeiten immer wieder in die Hand versprechen.“

Lieber Martin, ich bitte Dich, nachdem ich einen ähnlichen Brief schon 2015 geschrieben hatte, alle diese Punkte in unserer Wahlplattform2017 mit Vorrang zu berücksichtigen.

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3 Gedanken zu „Offener Brief an den Kanzlerkandidaten der SPD, Martin Schulz

  1. Andreas Schlutter

    Martin Schulz bietet der SPD tatsächlich eine Chance. Dass er als Person aktuell in den Umfragen die amtierende Kanzlerin überflügelt, ist ein Glücksfall. Das Zeigt, Merkel ist angreifbar und hat vor allem vom Fehlen von personellen Alternativen profitiert.

    Dein Brief, Ludger, macht aber deutlich, wie weit der Weg für die SPD in den nächsten Wochen sein wird, wenn sie ein glaubhaftes und überzeugendes Angebot machen will. Mittlerweile spricht Schulz auch davon, große Vermögen besteuern zu wollen. Glaubhaft wird m.E. ein Politikentwurf, der über deine Punkte hinaus noch stärker die Notwendigkeit eines gemeinsamen demokratischen europäichsen Projekts herausarbeitet und Wirtschafts-, Sozial- und Umweltpolitik als Einheit begreift und das Wohl, die Würde aller Menschen, nicht nur der “hart arbeitenden” in den Mittelpunkt stellt.

    1. Ludger Elmer Beitragsautor

      Da passt gut dazu der Artikel in SPON über die Krise der Sozialdemokratie und die Notwendigkeit, einen neue Geschichte (Narrativ) zu erzählen:
      Zum Schluss heisst es:
      “Geeignete Themen liegen ausreichend in der Luft: ein Grundeinkommen beispielsweise, die Einführung eines Unternehmensstrafrechts, eine verbindliche Frauenquote, der Sechs-Stunden-Arbeitstag oder radikalere Ideen zur Besteuerung von Vermögen oder Erbschaften. Gleichgültig welche Vorhaben verfolgt werden, diese oder andere, es wird für die Sozialdemokratie von wichtiger Bedeutung sein, ihre politischen Projekte als Gerechtigkeits- und Solidarisierungserzählungen zu bearbeiten und sich bei all den Themen sorgfältig von neoliberalen Weichspülungen abzugrenzen.

      Die SPD und andere sozialdemokratische Parteien in Europa sollten sich auf die Suche nach einer populären Linken begeben – jetzt!”

      http://www.spiegel.de/politik/deutschland/sozialdemokratie-in-der-krise-gastbeitrag-thomas-beschorner-a-1129338.html

  2. debitsch

    Alles gut und schön. wie ist es möglich einen herrn schulz als bundeskanzler zu nominieren.aus allen seinen reden hört mann nur machtwunsch. was er verspricht bringt uns wieder in die schulden. alle sollten darüber nach denken was mit deutschland passieren wird.? auch wir wähler haben alles schon mal mitgemacht.jetzt geht es uns noch gut.bei solchen kanzler geht alles zum bach runter. der brauch 1jahr um unseren staat in die schulden zu stürzen.gute nacht deutschland.

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